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Fußball war mal der Proletensport

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Fußball war mal der Proletensport

sehr lesenswert! Zeit-Interview mit Peter Neururer u.a.

Fußball war mal der Proletensport

Sehr lesenswert! Zeit-Interview mit Peter Neururer

Zeit: Ist es schön, wieder ein gefragter Mann zu sein?

PN: Wieso wieder? Ich war seit 1986 immer gefragt.

Zeit: Na ja, Sie waren während Ihrer Trainerkarriere insgesamt drei Jahre lang arbeitslos.

PN: Aber auch, als ich zu Hause gesessen habe, war ich gefragt. Nur habe ich da – aus Überheblichkeit – zu lange meine Situation verkannt. Als der erste, zweite, dritte in arger Not befindliche Erstligist anrief, war das nicht mein Ding. Da war Peter Neururer zu Höherem berufen! Als dann nur noch Zweitligisten anriefen, war ich erst recht zu Höherem berufen. Irgendwann rief leider keiner mehr an. Da bin ich in ein verdammtes Loch gefallen.

Zeit: Und was war in diesem Loch?

PN: Stille. Das Telefon klingelt nicht mehr. Es klingelt einfach nicht mehr. Ich dachte: „Was ist hier los? Jetzt muss was passieren!“ Wenn es dann doch mal klingelt, hofft man natürlich, dass Berlusconi vom AC Mailand dran ist – aber es ist nur die eigene Mutter.

Zeit: Auch ein Grund zur Freude.

PN: Aber nicht in diesem Moment! Und dann fragt sich die Mutter: „Was ist bloß mit dem Jungen los? Ich habe dem doch nichts getan!“ Da war ich oft ungerecht.

Zeit: Kaum ein anderer Trainer hat eine solche Achterbahnkarriere hinter sich wie Sie: Ihre Mannschaften scheinen immer entweder einen „Lauf“ oder eine „Krise“ zu haben – wie schmal ist der Grat dazwischen?

PN: Superschmal. Das ist manchmal ein Lattenschuss, ein Eigentor, eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters. Ereignisse, die ich als Trainer teilweise nicht beeinflussen oder sogar nicht beurteilen kann.

Zeit: Kann man eigentlich sehr blöd sein und trotzdem ein überragender Fußballer werden?

PN: Man kann vom Intelligenzquotienten her recht eingeschränkt sein, wenn man eine spezifische Fußballintelligenz besitzt.

Zeit: Also haben Intelligenz und Spielintelligenz nichts miteinander zu tun?

PN: Die fußballerische Intelligenz ist die Grundlage, um einen sportartspezifischen Intellekt aufzubauen.

Zeit: Ähm, das haben wir jetzt intellektuell nicht ganz durchdrungen.

PN: Je intelligenter ich bin, desto mehr Möglichkeiten habe ich, um mir Kapazitäten aufzubauen, an Intellekt dazuzugewinnen. Ist doch klar.

Zeit: Gibt es Spieler, die zu klug für den Fußball sind?

PN: Einen hatte ich mal. Ein ganz wunderbarer Typ! Aber er hat sich über seine eigene Situation, über die Situation seines Gegenspielers, über die Sozialstrukturen in seiner Mannschaft so viele Gedanken gemacht, er hat mitten im Spiel alles so bilateral und multilateral behandelt – da war immer der Ball weg.

Zeit: Sollte der Intellektuellste in der Mannschaft stets Kapitän sein?

PN: Um Gottes willen! Ich habe mal einen Spieler gehabt, einen Kapitän, der war so was von dumm, der war dumm wie…dumm wie…

Zeit: …Brot?

PN: Ach, der hatte einen IQ, der so einzuordnen war wie die Temperaturen, die wir im Moment draußen haben, der war fast schon debil. Aber ein ü-ber-ra-gen-der Fußballer! Dem musste ich nichts erklären, der hat alles immer richtig gemacht. Intuitiv. Seine Fußballintelligenz war sensationell. Aber vom normalen Intellekt: katastrophal. Der hat gehupt, wenn er gegen einen Baum gefahren ist.

Zeit: Das gibt es in keinem anderen hoch bezahlten Job.

PN: Wir reden hier aber von einem Einzelnen. Die Gesamtheit hat sich ja viel weiter entwickelt. Fußball war mal der Proletensport. Was das Bildungsniveau angeht, sind die Spieler von heute denen aus den sechziger und siebziger Jahren klar überlegen.

Zeit: Ist es die Tragödie Ihrer Karriere, dass ein Verein immer tief sinken musste, um sich für Peter Neururer zu interessieren?

PN: Das trifft doch auf fast alle Trainer zu.

Zeit: Was war in Imagefragen Ihr größter Fehler?

PN: Dass ich zu ehrlich bin, nach wie vor. Dass ich mich für den diplomatischen Dienst überhaupt nicht eigne. Einmal habe ich die Mitglieder eines Vereinspräsidiums vor Hunderten Zuschauern als „Vollidioten“ bezeichnet. Das war nicht so schlau.

Zeit: Und die Sache mit Maradona?

PN: Ach, das: Vor Jahren hat mich ein Journalist gefragt, was für ein Spielertyp ich in meiner aktiven Zeit gewesen sei. Da habe ich geantwortet: „Warm gemacht hab ich mich wie Maradona, aber gespielt hab ich wie Katsche Schwarzenbeck.“ Eigentlich sollte das bescheiden sein – aber dass der Fußballer Neururer, der über die Amateuroberliga nie hinausgekommen ist, sich mit dem Weltmeister Schwarzenbeck vergleicht, war nicht so ganz angebracht.

Zeit: Als Sie noch Spieler waren, nannte man Sie „Blutgrätsche“.

PN: Nach den heutigen Regeln hätte ich damals schon beim Aufwärmen eine Gelbe Karte gekriegt.

Zeit: Seit Sie die jüngsten Trainerentlassungen in der Bundesliga öffentlich kritisiert haben, gelten Sie als Sprachrohr Ihrer Zunft.

PN: Das macht man ganz gerne aus mir, weil viele meiner Kollegen überhaupt kein Rückgrat haben. Die denken zwar so wie ich, aber die trauen sich nicht, etwas laut zu sagen. Wenn ich, wie neulich, den Rausschmiss des Trainers Ewald Lienen in Mönchengladbach kritisiere, rufen acht Kollegen bei mir zu Hause an und gratulieren mir. Aber nur einer hat sich öffentlich dazu bekannt: Berti Vogts, zu dem ich das schlechteste Verhältnis von allen habe.

Zeit: Berti Vogts hat einmal in einem „Tatort“ einen freundlichen Hobbygärtner gespielt. Wäre das auch etwas für Sie?

PN: Tatort? Ich habe schon als Schüler in einem Film mitgespielt! Der hieß Die Hupe und lief im WDR. Ich war Statist, mit einem Ball auf dem Arm, und musste „Guten Morgen, Herr Direktor“ sagen.

Zeit: Genau wie heute auch…

PN: …und dann hatte ich mal eine Dreiminutenrolle in dem legendären Monumentalfilm Gib mich die Kirsche. Nee, das ist nie mein Ding gewesen.

Zeit: Danke, das war ein aufschlussreicher Nachmittag, Herr Neururer.

PN: Okay, und wenn ich erwachsen werde, lese ich auch mal Ihre Zeitung.

Tim Bartz (FTD 12.12.) schreibt: „Bremer sind komisch, Bremer sind seltsam, Bremer sind irgendwie anders. Bösartige Menschen aus Süddeutschland behaupten sogar, dass Bremer Hunde essen. Nun ja, man muss nicht alles glauben, was die Leute sagen, aber klar ist: Es gehen merkwürdige Dinge vor in der Stadt, die mit Straßennamen wie „Schlachte“ und „Schnoor“ aufwartet, von einem Bürgermeister regiert wird, der mit dem Fahrrad ins Büro fährt, in Nicaragua Kaffee erntete und mit seinem CDU-Pendant – einem ehemaligen Berufsoffizier – in trauter Harmonie die Geschicke lenkt. Ganz zu schweigen davon, dass sich das Mini-Bundesland gleichsam kolonial eine Enklave mit Zugang zum Meer leistet (…) Und das Dollste daran? Die Bremer erlauben sich, guten Fußball zu spielen, womit sie den dünnhäutigen Uli Hoeneß auf die Palme bringen. Hat doch der Manager des FC Bayern tatsächlich gemeckert, dass ihn die Bremer im Spiel gegen seine Truppe „total enttäuscht“ hätten, nur weil die Münchener dank eines sehbehinderten Schiedsrichtergespanns ein Unentschieden über die Zeit gemauert haben. Dabei sind Hoeneß‘ Aussagen verständlich, muss er sich doch maßlos ärgern, dass der Klassenfeind aus dem Norden attraktiveren Sport bietet, als es den Bayern je möglich war.“

NZZ-Bericht von der Junioren-WM in den Vereinigten Arabischen Emiraten

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