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„Ganz und gar italienisch“

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für „Ganz und gar italienisch“

„Ganz und gar italienisch“ fand Peter B. Birrer (NZZ 14.6.) die Darbietung von Trapattonis Elf beim 1:1 gegen Mexiko. „Nicht spektakulär zwar, aber eben doch effizient, „italienisch“ halt, defensiv, abwartend, ohne Prunk, aber mit viel Theater neben dem Rasen – und einem Verdikt, das knapper fast nicht hätte sein können. Glück hat, wer sich trotzdem qualifiziert. Und es schummelt sich durch, wer ein Italiener ist (…) Über Francesco Tottis Performance hieß es nach dem ersten Spiel noch: „fantastico“. Nach dem zweiten näherte er sich dem Durchschnitt an, und im Verlaufe des dritten nahm ihn Trapattoni völlig zu Recht (und vielleicht sogar zu spät) vom Rasen. Totti ist wahrscheinlich das Ebenbild dessen, was für die Italiener in Fernost möglich ist. Die Skala ist sowohl gegen oben wie auch gegen unten weit offen.“

Die NZZ (14.6.) zum Spiel Kroatien-Ekuador (1:1). „Kroatien hat das auf dem sprichwörtlichen Silbertablett präsentierte Angebot, den Einzug in die Achtelfinals, ausgeschlagen (…) In der enttäuschenden ersten Halbzeit ließen die erstaunlich defensiv agierenden Kroaten vor 65.862 Zuschauern jeglichen Spielwitz vermissen. Die Ecuadorianer schielten dagegen nach ihrer minimalen Chance, die Achtelfinals entgegen allen Erwartungen doch noch zu erreichen. Die Südamerikaner schienen zwar optisch überlegen, verrieten im Angriff jedoch wenig Durchschlagskraft.“

Peter Heß (FAZ 14.6.) über das Spiel der Kroaten. „Niemand wollte oder konnte die Aktionen ordnen, gestalten, irgendwie in Bahnen lenken. Wer den Ball führte, wurde schnell ratlos, weil sich die Frage stellte: Wohin damit? Kaum ein Mitspieler bot sich zum Mitspielen an (…) Die Altstars taugten nicht mehr zu Führungsfiguren, die Jungen trauten sich nicht recht, die Rolle zu übernehmen. Den Generationswechsel mitten im WM-Turnier vorzunehmen hat sich nicht als brillante Idee erwiesen. Die Enttäuschung von Japan mag sich allerdings als Chance für die Zukunft erweisen.“

Durchaus im Einklang mit den Aussagen der italienischen Medien befindet sich Martin Hägele (Tsp/ NZZ 10.6.) bezüglich der Bewertung der italienischen Niederlage gegen Kroatien. „Wer so pomadig und lässig sein Pensum abspult wie die Mannschaft von Trainer Giovanni Trapattoni, und nach dem 1:0 durch Vieris Kopfball glaubt, nun sei das Tagwerk verbracht, der gehört für seine Borniertheit bestraft (…) Dabei hatten 35 000 Japaner die Partie zum Heimspiel für Italien gemacht. Die Japaner verehren die italienischen Kicker wie Götter; nicht ausgeschlossen, dass eines der italo-fixierten Fußballmagazine von Tokio ein achtseitiges Interview mit dem Platzwart des Meazza-Stadions veröffentlicht. Angesichts solchen Heldenkults sowie des spielerischen Potenzials auf der Reservebank besteht auch eine gewisse Verpflichtung. Oder ist es den Stars einfach verboten, offensiv und fürs Publikum zuspielen, weil so etwas gegen das Credo ihres Trainers verstößt: einen Vorsprung über die Zeit zu mauern; mit diesem hässlichen Catenaccio-System der Sechzigerjahre, das der freundliche Signor Trapattoni nur in Nuancen verfeinert hat.“

Die kroatische Tageszeitung Vecernji List (9.6.) feiert den 2:1-Sieg über Italien. „Die Tradition ist bewahrt: Italien wartet immer noch auf den ersten Sieg gegen Kroatien. Die Kroaten bewahrten mit dem 2:1-Sieg alle Chancen auf einen der beiden ersten Plätze in der Gruppe G. Was war der ausschlaggebende Grund hierfür? Sicherlich die Transformation des Trainers Jozic vom Lamm zum Wolf. Er war so mutig und nahm all die gut gemeinten Ratschläge an, die er seit dem Spiel gegen Mexiko von zahlreichen Experten – und solchen, die es gerne wären – erhielt. Das Glück scheint also mit den Mutigen zu sein: Die beiden Tore von Doni und Vieri wurden vom dänischen Linienrichter Jens Larsen zwar aberkannt, allerdings scheinen diese Fehler gerechtfertigt, denn der englische Schiedsrichter Graham Poll war wohl eher der italienischen Mannschaft zugetan (…) Die italienischen Kollegen der schreibenden Branche waren ziemlich wütend: Während sie uns vor dem Spiel noch mit einem Spottgesang empfingen, überwog gestern die Trauer. Einige klagten Trapattoni an, andere die Schiedsrichter Poll und Larsen. Andere wiederum mussten es wieder übertreiben und fingen im Pressesaal beinahe eine Schlägerei an (…) Auch in Dubrovnik wurde gefeiert: Dort soll sogar der Vorschlag gefallen sein, eine – noch namenlose – Brücke nach dem Linienrichter Jens Larsen zu benennen.“

Die Sportseiten der italienischen Tageszeitungen am Sonntag sind beherrscht von den Lamenti über die als ungerecht empfundenen Schiedsrichterentscheidungen, aber auch harscher Kritik an Trapattoni und den Azzurri. „Zwei Tore annuliert und drei Minuten Krise: Azzurri KO“ und „Italien in Schwierigkeiten“ heißt es im Corriere della Sera (9.6.), der die Agonie Tommasis, Zanettis und Panuccis an den Flügeln konstatiert, die Isolation Vieris beim Spiel nach vorn, den ebenso verzweifelten wie glücklosen Angriff der Azzurri bei Spielende. La Repubblica (9.6.) dämpft den Aufschrei der Tifosi: Auch wenn die Annulierung zweier Tore durch den Schiedsrichter mehr als „discutibile“ sei, solle sich die Squadra italiana lieber in Selbstkritik üben. Die Niederlage habe in Wahrheit aber bereits vor dem Spiel begonnen, mit Trapattonis Entscheidung, dieselbe Mannschaft antreten zu lassen wie beim Spiel gegen Ekuador, und nur Zanetti (gegen Di Biagio) auszutauschen. „Die einzige Gewissheit auf dem Spielfeld ist die Konfusion (…) Das Wunderduo Totti-Vieri leidet unter Einsamkeit. Der Ball findet außer Di Biagio nie jemanden, der ihn spielt. Maldini ist in Schwierigkeiten und sogar Doni hat Mühe, die richtige Position zu finden.“ Nach Trapattonis Motto „Entweder – Oder“ bleibe nun das „Warten auf die Entscheidung“.

Vincenzo Delle Donne (Tsp 9.6.) zum Spiel der Italiener. „Dass die 1:2-Schmach der Squadra azzurra ausgerechnet unter der Ägide des Defensivfetischisten Giovanni Trapattoni passieren sollte, ist womöglich Ironie des Schicksals. Trapattoni verlor angesichts der unglücklichen Niederlage vollkommen die Fassung, hatte das Gesicht verzerrt, Tränen vor Wut in den Augen, die sonst immer korrekt sitzende Krawatte war völlig verdreht. Schon nach der ersten Halbzeit hatte es aber Pfiffe von den Fans gegeben. Trapattoni sprang immer wieder wild gestikulierend von der Bank auf und versuchte, seine Mannschaft aus der Lethargie zu wecken. Aber die Offensive der Italiener funktionierte gegen aggressive Kroaten nicht.“

Offenbar sind Italiens Journalisten sangesfreudiger als seine Fußballer. Andrija Kacic-Karlin (Vjesnik 8.6.) berichtet von der Pressekonferenz vor de Spiel Italien gegen Kroatien. „Die italienische Arroganz vor dem Spiel mit Kroatien kannte keine Grenzen. Während das Überlegenheitsgefühl von Trainer Trapattoni durchaus verständlich war, der auf Grundlage des Spiels gegen Mexiko die kroatische Mannschaft für langsam und ungefährlich hielt, verhielten sich die italienischen Journalisten gegenüber ihren kroatischen Kollegen und den Fans unverschämt herablassend. Als die kroatischen Reporter das Pressezentrum anlässlich der Pressekonferenz betreten wollten, sorgten deren italienische Kollegen für eine unschöne Überraschung: Beflügelt vom Sieg der italienischen Mannschaft gegen Ekuador stimmten sie in Richtung der Kroaten ein spöttisches Siegeslied an. So wie es scheint, werden die italienischen Spieler wohl mit einer ähnlichen Einstellung in das Spiel gehen. Schließlich bleibt es, abzuwarten und zu sehen, wer letztlich für eine Überraschung sorgen wird. Diese gab es bei dieser WM bereits zuhauf.“

Die kroatische Tageszeitung Vecernji List (4.6.) fragte nach der 0:1-Niederlage der Kroaten gegen Mexiko. „Der kroatische Fußball wurde gestern in Niigata beschämt, erniedrigt und zertreten. Ist unser Auftritt bei der WM schon beendet? Wahrscheinlich schon, denn der einzige Mensch, der dies noch verhindern könnte, ist David Copperfield. Der Magier müsste nach Toyama fahren und all das reparieren, was der Trainer Mirko Jozic mit seinem Sicherheitsansatz verdorben hat. Ja, dieses Spiel geht zu einem größeren Teil auf Jozic. Er traute sich nicht, Mexiko anzugreifen, er blieb seinem defensiven, sicherheitsorientierten Fußball treu: ein Fußball, der die Zuschauer aus den Stadien treibt und nur ab und an zum gewünschten Ergebnis führt. Gegen wen können wir eigentlich bestehen, wenn nicht gegen Mexiko, dessen Spieler langsam sind und den gegnerischen Spielfluss erlauben? In ihrer Natur ist die kroatische Mannschaft eine, die spielfreudig und tororientiert ist. All das hat Mirko Jozic? verworfen und die kroatische Mannschaft in ihre dritte WM-Niederlage geführt. Eine Niederlage, die wahrscheinlich auch entscheidend sein wird. In Frankreich verlor der damalige Trainer Miroslav Blacevic gegen Argentinien und den späteren Weltmeister Frankreich, der jetzige verlor gleich das erste Spiel und wir müssen befürchten, dass wir gegen Italien und Ekuador nicht weiterkommen. Jozic ist schuld, denn er hat sich – wieder einmal – mit sieben Stoppern abgesichert, und diese Betonabwehr hat ihren Zweck nicht erfüllt. Durch all diese Mauern brachen die Mexikaner immer wieder durch, und Bourgetti und Blanco schafften es sogar, das Tor zu machen und 10.000 Mexikaner im Stadion zu erfreuen. Jozic versuchte zwar noch, seinen Fehler mit entsprechenden Auswechslungen zu korrigieren, aber am Ende hieß es dennoch 0:1 für Mexiko! Die Chronisten der Fußballnationalmannschaft können sich nicht erinnern, in den zwölf Jahren ihres Bestehens jemals so schlecht gespielt zu haben. Bleibt nur noch die Erinnerung an die Bronze aus Frankreich.“

Frank Ketterer (taz 4.6.) erkannte „spielerische Demenz“ als Ursache der kroatischen 0:1-Niederlage gegen Mexiko. „Die große Zeit des kroatischen Fußballs ist zunächst einmal vorbei. Und an diesem sonnigen Montagnachmittag im Big Swan Stadium zu Niigata konnte die ganze Welt das sehen – und am Ende sogar schwarz auf weiß ablesen in der Statistik zum Spiel: 46. Minute – Auswechslung Robert Prosinecki, 63. Minute – Auswechslung Davor Suker, 66. Minute – Auswechslung Alen Boksic. Die drei waren vor vier Jahren, bei der WM in Frankreich, die großen Helden ihres Landes, Dritter wurde Kroatien damals, mit feinem Kombinationsfußball, der der Mannschaft den Ruf eintrug, die „Brasilianer Europas“ zu sein.“

Matti Lieske (taz 4.6.) über die fulminante Auftaktphase der Italiener beim 2:0-Sieg gegen Ekuador. „Sobald sie den Ball hatten, schwärmten die Italiener jedenfalls von der ersten Minute an in die gegnerische Hälfte aus, als hätten sie nicht etwa den Catenaccio, sondern den Offensivfußball erfunden. Vor allem Francesco Totti, letzte Saison der beste Spieler der italienischen Liga, schoss, wirbelte und passte, dass den Ekuadorianern schwummrig vor Augen wurde. Zudem hatten diese offenbar noch nie etwas von Christian Vieri gehört. Immer wieder flutschte der flinke Stürmer von Inter Mailand, berüchtigt für seine schnellen Vorstöße, durch die Viererkette des Gegners und entschwand im freien Raum, wo die zumeist von Totti servierten Bälle schon seiner harrten (…) Die Mannschaft von Hernán Dário Gomez wirkte dabei zumindest in der Defensive phasenweise so, als hätte ein böser Dschinn die Abwehrspieler allesamt in Saudi-Araber verwandelt.“

(FAZ 4.6.). „Ekuador, das in der WM-Qualifikation sogar Brasilien besiegt hatte, schaffte es nur sporadisch, selbst Akzente im Spiel zu setzen, und immer nur dann, wenn die Italiener zum Zwecke der Schonung das Tempo drosselten. Insgesamt entpuppte sich die Mannschaft aus Südamerika als zu harmlos.“

„La coppia più bella del mondo! – Das schönste Paar der Welt! „Italien spielt, die Show beginnt, alles ganz einfach für die Azzurri“ titelt La Repubblica (4.6.). Francesco Totti und Bobo Vieri – „ein Traumpaar“. Totti, der Regisseur, der die ekuadorianische Abwehr terrorisiert, und Vieri, der Wunderstürmer, der sie umkreist und ständig neue Einfälle und Einlagen auf Lager hat. Totti, der Romanist und Vieri, der Interist, gemeinsam das gefürchtetste Angriffstandem der WM. Trapattonis Rechnung sei aufgegangen, auch wenn es „in Wirklichkeit so läuft, wie die meisten geahnt hatten: Solange die Aktionen von Totti ausgehen, strahlt Italien, sobald der Romanist nicht involviert ist, haben die übrigen Mittelfeldspieler große Mühe, etwas anständiges zustande zu bekommen.“

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