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geheimen Vertragsschlüsse und Geldtransfers
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| Donnerstag, 25. März 2004
Die sportlichen Ereignisse werden derzeit von den Diskussionen um die geheimen Vertragsschlüsse und Geldtransfers zwischen dem FC Bayern München und der Kirch AG überschattet: „Imageschaden für den FC Saubermann“ (FTD), denn ausgerechnet die von ihrer Moralhoheit überzeugten Münchner Bayern haben sich offensichtlich verkauft und dabei elementare Solidaritätsregeln verletzt. Herkömmlich ist dagegen die Erwiderung von Bayern-Manager Uli Hoeneß („Ich bin einer der sozialsten Menschen, die ich kenne“), der in den Vorwürfen seitens der Öffentlichkeit und der restlichen Liga wieder einmal den Neid der Verlierer zu erkennen glaubt. Vermutlich hat in der Vergangenheit mit diesem Reflex einmal zu viel recht bekommen (nicht recht gehabt). Im Hinblick auf das von bis in die 90er Jahre zurückreichenden und von behördlichen Regressforderungen begleiteten Finanzchaos in Kaiserslautern muss sich der neutrale Fußballfreund retrospektiv erneut die Frage nach der Legitimität sportlicher Erfolge stellen. Schließlich handelt es sich bei den beiden ins Zwielicht geratenen Klubs um die nationalen Titelträger der Jahre 1998, 1999, 2000 und 2001 und vermutlich 2003.
Thomas Kistner (SZ25.2.) beleuchtet die Folgen für den FC Bayern. „Es wird auch davon abhängen, wie der Verein mit der Krise umgeht. Sture Rechthaberei hilft nicht weiter, es lädt die Atmosphäre nur weiter auf. Und das kann nicht mal der Branchenführer brauchen, wenn ihn die DFL nun zum Verfahren lädt. Dass es so kommt, ist nur noch eine Formsache. Dann zeigt sich auch, wie stark die Position der Liga ist. Nach dem Geist der Statuten, die sich die Gesellschafter der DFL und damit auch die Bayern gaben, liegt ein Verstoß vor. Der Kirch-Vertrag ist ja nicht gleichzusetzen mit einem Werbepapier für Limonade, Dübel oder Autoreifen. Er hatte die Neuordnung der Medienwelt zum Ziel. Und bei jeder neuen Weltordnung haben alle Beteiligten ein Recht auf Transparenz und Mitbestimmung. Auch, wenn es nur um Fußball geht.“
Martin Hägele (NZZ 25.2.) meint. „Die Kritiker aus der Liga aber werfen ihrem Vorreiter nun vor, ihnen die Rolle des barmherzigen Samariters, den Wert der Solidargemeinschaft nur vorgegaukelt zu haben. Nach aussen wurde brüderlich geteilt. Intern aber hielten die Bayern noch die Hand dafür auf, dass sie den Rest der Liga in Kirchs Boot gezogen hätten. Aus dieser moralischen Ecke kommen die Münchner Herrschaften auch nicht mehr heraus – der Ruf des Präsidenten wurde dabei ordentlich ramponiert. Was schon die Reaktion von Manager Uli Hoeness belegt. „Ich habe keine Lust als Hauptangeklagter zu gelten“, hat der gesagt – denn eingefädelt worden ist dieser Amigo-Deal von Franz Beckenbauer. Schon generell ist es fraglich, ob die Münchner wegen der verdeckten Zahlungen überhaupt juristisch belangt werden können. Der DFL-Präsident Hackmann behauptet zwar, der Kontrakt hätte im Rahmen der jährlichen Lizenzierungsverfahren offengelegt werden müssen – aber gelten solche Vorschriften auch für Klubs, die in ihren Bilanzen nur Gewinne ausweisen? Müssen die ihre Einkünfte detailliert vorlegen? (…)Vor diesem Hintergrund wird auch noch einmal im mysteriösesten Kapitel der internationalen Fussball- und Fernseh-Geschichte gestöbert, jenem Tag im Juli 1996, als sich Leo Kirch für 3,4 Millionen Mark die WM-Fernsehrechte für die Turniere 2002 und 2006 gesichert hatte. Gerhard Mayer-Vorfelder, der deutsche Vertreter in der Fifa-Exekutive, der im Auftrag seines Verbandes gegen Kirch hätte stimmen müssen, hat die epochale Wahl damals geschwänzt – bis heute gibt es keine eindeutige und glaubhafte Erklärung weshalb. Vielleicht um am Ende doch mit seinem Fehlen dem fränkischen Partei- und Weinfreund Leo bei dessen grösstem Deal zu helfen? Solche Fragen ticken wie Zeitbomben. Besonders gefährlich in diesen Tagen, da sich der DFB-Präsident Gerhard Mayer am Rosenmontag wieder einmal ausgiebig feiern lässt von seinen Verehrern und Günstlingen. Die exklusive Geburtstagsparty in der „Alten Reithalle“ von Stuttgart spendiert diesmal der Fussballverband dem 70-jährigen „MV“, der gerade auf seinem Fachgebiet Fernsehen alle grossen Deals abgeschlossen hat. Und keiner hat sich dabei kräftiger für Kirchs Sache in die Seile gelegt als der schwäbische Multifunktionär. Wenn das kein Grund ist, dankbar zu sein.“
Ludger Schulze (SZ 22.2.) kritisiert. „Der Schaden entsteht da, wo üblicherweise die Moral angesiedelt ist. In deren Besitz wähnte man die Bayern, die sich den Ruf ehrbarer Kauf- und Sportsleute erworben hatten. Falsch, auch sie haben des Mammons wegen ihre Prinzipien vergessen. Das Ansehen des Fußballs hat durch Phantasiegehälter, Schwarzgeld-Affären und Steuervergehen ohnehin stark gelitten. Die heimlichen Doppelpässe zwischen Kirch und dem FC Bayern belegen eindrucksvoll, dass der Fußball zwar auf dem Rasen gespielt, auf dunklen Geschäftsfeldern aber entschieden wird.“
Ist mit Gleichbehandlung zu rechnen, fragt Jan Christian Müller (FR 24.2.). “Was de jure nach ersten Erkenntnissen eine klare Angelegenheit zu sein scheint und dementsprechende Konsequenzen erfordern könnte, erweist sich de facto als hoch sensible Angelegenheit: Den Bayern und ihrer geballten Medienmacht pinkelt man nicht folgenlos ans Bein – und sei ihre Schuld noch so groß. Der Ermessensspielraum in Lizenzierungs-Angelegenheiten ist riesig. Ein Beispiel: Nach Ansicht von Straub und seinen hauptamtlichen Prüfern in der DFL-Zentrale hätte der SSV Reutlingen wegen schwerer Verstöße gegen das Lizenzierungsverfahren der Zwangsabstieg geblüht. Straubs ehrenamtliche Vorgesetzte aus dem DFL-Vorstand kippten im Sommer den Entscheid und beließen es bei einem Sechs-Punkte-Abzug. Im nun vorliegenden Fall darf davon ausgegangen werden, dass die Bayern ihren marktbeherrschenden Einfluss geltend machen. Der Münchner Freundeskreis um DFB-Vize und WM-OK-Präsident Franz Beckenbauer, ganz offiziell seit Jahren verbandelt mit Kirch, dessen rechter Hand im WM-Organisationskomitee, Fedor Radmann, bis vor kurzem heimlich verbandelt mit Kirch, hat es erst neulich völlig problemlos hingebogen, dass etwa das Pressezentrum für die Weltmeisterschaft 2006 am südlichen Rand der Republik zu finden ist. Und nicht etwa – wie zumindest für die Printmedien viel vorteilhafter – im Zentrum der Republik. Es gab hie und da ein leichtes Murren, weil etwa Düsseldorf perfekte Bedingungen geboten hätte, aber außer dem tief enttäuschten Bremer Aufsichtsratschef Franz Böhmert traute sich niemand, deutlich hörbare Kritik am dringend zu vermutenden Ränkespiel hinter den Kulissen zu üben. Zu viel steht auf dem Spiel, zu viel gibt es zu verlieren, wer nicht nur um Punkte mit den Markt- und Meinungsführern aus München streitet.“
Thomas Kistner (SZ 24.2.). „Die Verärgerung der Profiklubs ist nachvollziehbar. Hat sich nicht just dieser FC Bayern stets als Hüter der allgemeinen Geschäftsmoral und Vorstreiter für Solidarität geriert? Das hat er, und schon diese Haltung schließt aus, dass er nun den teuren Geheimpakt mit Kirch zur gängigen Geschäftspraxis herunterreden kann. Wie schlecht das Gewissen der Münchner tatsächlich ist, zeigt schon ihr spätes Zugeständnis, dass sie den Vertrag nicht hätten verschweigen sollen. Klar ist auch, dass nun jede Aktion der Bayern im Zuge des schleichenden Kirch-Niedergangs, vom Abschluss des Fernseh- Generalvertrags mit der Liga anno 2000 bis zur Insolvenz des TV-Imperiums im März 2002, beleuchtet gehört. Es gibt ja denkwürdige Vorgänge, die im Nachhinein durchaus als verdeckter Lobbyismus ausgelegt werden können. Etwa im Sommer 2001, als Kirch einen letzten verzweifelten Versuch zur Anhebung der Attraktivität seines Abo-Senders Premiere unternahm und die freie Bundesliga-Berichterstattung in seinem Sender Sat1 auf 20.15 Uhr verlegte. Dahinter stand die Raffke-These, dass eine Verknappung des Fußballs im freien Fernsehen den Fußball im Pay-TV attraktiver mache – und niemand hat sie so massiv verfochten wie die Bayern. Klubchef Franz Beckenbauer, geschäftstüchtig wie immer, warb sogar in TV-Spots dafür. Und Uli Hoeneß erzählte: „Wer keinen Decoder hat, wird in ein paar Jahren akzeptieren, dass er sich erst um 20.15 Uhr in Sat1 informieren kann.“ Der Manager spielte bei einer der letztlich nur fünf abendlichen ran- Katastrophensitzungen Studiogast bei Jörg Wontorra, und er ging weiter. In Bild verfasste er einen offenen Brief ans Fußballvolk, mit Vorhaltungen, die schon damals eigenartig klangen: „Etwas mehr natürliche Bescheidenheit würde uns gut tun.“ Den Deutschen ginge es am besten von allen in der Welt – nur im Fußball, fand er, dürfe für den TV-Konsumenten nicht mehr alles vom Feinsten sein. „Wenn ARD und ZDF nicht bereit sind, eine Milliarde pro Jahr an die Klubs zu zahlen, muss man einem Privatunternehmen wie Kirch die Chance geben, sein Geld zurückzukriegen.“ Und damit die Chance, mit diesem Geld auch den teuren Geheimzahlungen an die Bayern nachzukommen– so liest sich das aus heutiger Sicht. Ausgerechnet Hoeneß, der stets vor dem Kollaps des italienischen Fernsehmarktes und der Abhängigkeit der Klubs von ruchlosen TV-Mogulen gewarnt hatte, sprang jenem Mann zur Seite, dem längst die Rolle des Spielverderbers in der Bundesliga anhaftete.“
Marc Schürmann (FTD 24.2.) fragt. „Hat der Münchner Manager vielleicht Recht? Geht der FC Bayern weit genug? Mit Ersatzleistungen für entgangenes Vermarktungsgeld ist es doch nicht getan. Bayern München muss Milliarden vom Freistaat Bayern verlangen als Entschädigung dafür, dass München nicht in Italien liegt. Denn da wären die Gegner Roma und Juve und Milano, die Stadien wären voll und die Kassen erst recht. Aber München liegt im schnöden Deutschland, und das nimmt der Klub solidarisch hin. Außerdem kriegt der FC Bayern eine Menge Holz dafür, dass er die Regeln von DFB und Fifa akzeptiert – obwohl er mit breiteren Toren, längeren Halbzeiten und blinden Schiedsrichtern viel mehr Tore schießen könnte. Das wäre für den Zuschauer attraktiver und brächte Geld. Auch Gott müsste zahlen. Denn der FC Bayern beugt sich solidarisch den Regeln der menschlichen Anatomie, wäre aber viel erfolgreicher, wenn Oliver Kahn acht Meter groß wäre. Also: Uli Hoeneß mag der Konkurrenz immer einen Schritt voraus sein, aber er hat noch nicht alle Möglichkeiten der Entschädigungsbranche erkannt.“
Rainer Franzke (FAS 23.2.) dankt den Bayern. „Nach bestem Wissen und Gewissen hat Beckenbauer für Klarheit gesorgt. Er hat zugegeben, daß die Millionen von Kirch vielleicht ein bißchen überdotiert waren, daß der FC Bayern einen Fehler gemacht hat. Wir hätten offener mit dem Vertrag umgehen sollen. Nach fast vier Jahren weiß ich selber nicht genau, warum es eigentlich diese Geheimhaltung gab. Von einem verwerflichen Geschäft jedoch will Franz Beckenbauer nichts wissen. Denn: Kirch hätte das Geld ja nicht an andere Vereine verteilt, sondern wollte speziell mit dem FC Bayern einen Vertrag über Vermarktungsrechte abschließen.“ Der Kaiser hat nun also ganze Aufklärungsarbeit geleistet. Da können sich die anderen vom FC Bayern ihre Worte sparen: der Manager Uli Hoeneß, der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge und der Aufsichtsrat Edmund Stoiber. Und überhaupt: Schluß der Widerworte. Verärgert den Kaiser nicht; er könnte sonst womöglich auf den Gedanken kommen, Deutschland die schöne Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zu entziehen und alle Spiele im Freistaat Bayern auszutragen. Das wäre nur logisch.“
Michael Ashelm Thomas Klemm (FAS 23.2.) stellen resigniert fest. „Bayern regiert, die Liga pariert. Werner Hackmann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Fußball Liga (DFL), und sein hauptamtlicher Adjutant Wilfried Straub persönlich telefonierten in einer konzertierten Aktion ganz aufgeregt die Liga zusammen und gaben eine deutliche Anweisung heraus: keine Kritik, keine Störfeuer. Die Millionen-Affäre der Bayern soll möglichst klein gehalten werden. Denn schon seit Monaten tappen Liga und Klubs von Skandal zu Skandal. Gestern Kaiserslautern, heute München und morgen? Weil das miserable Erscheinungsbild nicht noch weiter beschädigt werden soll, so erfuhr diese Zeitung, setzen die Ligabosse auf den landesweiten Maulkorb. Wer meckert oder auch nur sachdienliche Hinweise weitergeben will, wird zurückgepfiffen. Ganz im Sinne der selbstgefälligen Münchner Fußball-Macht (…) Wie so oft, wenn er in die Defensive geraten ist, hatte Hoeneß zum Gegenschlag ausgeholt, den Kritikern Neid und Scheinheiligkeit unterstellt. Solche Attacken sind die Kollegen längst gewohnt. Gut erinnern können sich Ligafunktionäre noch an Hoeneß‘ cholerischen Wutanfall, als ihm offenbart wurde, daß in Sachen Fernsehvermarktung nicht nur mit Kirch, sondern auch mit dem Filmhändler Kölmel gesprochen werde. Stets tritt der FC Bayern mit dem Selbstverständnis auf, daß er der Herr ist im Oberhaus. Einerseits ist der Klub als pater familias im deutschen Fußball fürsorglich: größter Brötchengeber der Liga durch die zentrale Vermarktung, die der Münchner Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge als Brot und Butter für die Liga verkaufte, zudem um kollegiale Hilfe in der Not bemüht. Mit Benefizspielen – mal für klamme Klubs wie den Karlsruher SC, mal für die Schlaganfall-Hilfe oder Geschädigte des Hochwassers – gibt der Rekordmeister seinen guten Namen und seinen Spitzenkader für einen guten Zweck. Andererseits spielt Deutschlands größter Verein, wann immer er es für erforderlich hält, seine Macht aus. Gerade von Hoeneß ist überliefert, daß er seine Stimmbänder bis zum Äußersten strapaziert und Konkurrenten reizt, wenn er auf Widerstand stößt.“
Michael Horeni (FAZ 22.2.) bemerkt dazu. “Der Kontrakt brachte den Bayern bis zum Untergang des Partners rund 40 Millionen Mark ein. Und es wäre ein Vielfaches geworden, hätte Kirch nicht Insolvenz anmelden müssen. Die Bayern stimmten dafür der zentralen Vermarktung der Fernsehrechte an der Bundesliga zu. Während ihnen für die praktizierte Solidarität auf die Schulter geklopft wurde, hielten sie hintenherum die Hand auf. Was da in München ausgeheckt wurde, weckt Erinnerungen an alte Amigos, da unklar bleibt, was Kirch für die Millionen noch als Gegenleistung erhalten haben mag – außer der Zustimmung zur zentralen Vermarktung. Auch als die Kirch-Krise ihrem Höhepunkt zustrebte, fand das Unternehmen im FC Bayern einen Lobbyisten, dessen Motive erst jetzt offensichtlich wurden. Auch die Ansiedlung des Medienzentrums für die Weltmeisterschaft 2006 in der Randlage München wird wegen der Zahlungen Kirchs an den Vizepräsidenten des WM-Organisationskomitees, Radmann, mittlerweile in einem anderen Licht betrachtet. Und weil zudem zweistellige Millionensummen für Beckenbauer als Premiere-Kommentator genannt werden, kommt die Frage auf: Hatte Kirch die Fußball-Meinungsführer des Landes ganz einfach abonniert?“
Sven Astheimer (FR 22.2.). „Ein kurzer Exkurs in die Welt von Heinz Sielmann: Je angeschlagener eine Raubkatze, hat uns der Zoologe beigebracht, desto gefährlicher wird das Tier. Mit Uli Hoeneß ist das so ähnlich. Je weiter sich der Manager des Fußball-Branchenführers Bayern München in die Ecke gedrängt fühlt, desto lauter brüllt der Münchner Löwe in der Regel zurück. Das reicht für gewöhnlich aus, damit sich der Angreifer mit angelegten Ohren ins Gebüsch verdrückt. Auch am Freitag hat es Uli Hoeneß bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz versucht, doch die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hat sich nicht einschüchtern lassen (…) Während Präsident Franz Beckenbauer noch zuvor in einem Interview von einem Fehler gesprochen hatte, das Vertragswerk geheim gehalten zu haben, schimpfte Hoeneß: Es ist eine Riesensauerei, wenn man so tut, als wenn wir irgendjemand etwas weggenommen hätten, nur Leo Kirch selbst, der ist der einzige, der sich beschweren könnte. Eine eigenwillige Interpretation: Geld, das die Konkurrenz nie gesehen hat, kann man ihr auch logischerweise nicht wegnehmen – aber allemal vorenthalten. Mit einem schlechten Gewissen plagt man an der Isar schon mal gleich gar nicht herum: Ich glaube nicht, dass es einen in der Liga gibt, der uns an der Moral packen kann. Wir haben immer drauf geachtet, dass wir andere nicht beschädigen. Wo der Schaden anfängt, darüber lässt sich streiten, und das HSV-Aufsichtsratsmitglied Frank Mackerodt etwa vertritt sehr wohl die Meinung, der Branchenführer habe dank der Kirch-Millionen einen wesentlichen Standortvorteil auf dem Transfermarkt genossen. Etwa beim Kauf der Edelkicker wie Deisler, Zé Roberto und Ballack (…) Zum Abschluss des bemerkenswerten Auftritts gab es dann noch was zum Thema Sozialneid in Deutschland im Allgemeinen und unter Fußball-Clubs im Besonderen: Alle Scheinheiligen dieser Welt, die sagen, sie hätten den Vertrag nicht gemacht, möchte ich gerne kennen lernen. Kein Wort dagegen zum Verdacht, Kirch habe sich das schwergewichtige Wort der Bayern bei wichtigen Entscheidungen gekauft, etwa der Bundesligarechte-Vergabe an die insolvente Kirch-Media 2002. So fragt sich der Beobachter, wer denn vielleicht noch so alles aus der Schatulle des bankrotten Medienmoguls bedacht wurde, nachdem mittlerweile auch heraus kam, dass WM-Organisator Fedor Radmann ebenfalls auf Kirchs Payroll stand. Hier täte mehr Aufklärung und weniger verbale Kraftmeierei gut. Aber nach dem Hoeneß’schen Befreiungsschlag bleibt festzuhalten: Laut gebrüllt, Löwe. Von Einsicht keine Spur.“
FAZ (22.2.). „Die Bayern-Verantwortlichen müssen sich in erster Linie vorwerfen lassen, daß sie sich den Sinneswandel, plötzlich doch für die zentrale Vermarktung zu sein, gut bezahlen haben lassen. Zudem haben sie Konkurrenten der Liga stets kritisiert, die Verträge mit dem Rechtehändler Ufa abgeschlossen hatten. Die Bayern hätten, sofern der Vermarktungsvertrag mit der Kirch-Gruppe tatsächlich mit Leben erfüllt wurde, nichts anderes getan als Borussia Dortmund, der 1. FC Nürnberg, Arminia Bielefeld, Hertha BSC Berlin und der Hamburger SV, allerdings im verborgenen. Die Kirch-Gruppe habe Wert darauf gelegt, daß das Abkommen zwischen der Bayern-Tochterfirma Sportwerbe-GmbH und der Kirch-Gesellschaft Taurus nicht öffentlich wird. So rechtfertigte Hoeneß die Geheimhaltung. Beim Lizenzierungsverfahren habe der Vertrag nicht gemeldet werden müssen, nur die daraus erwachsenen Einkünfte. Hätte die DFL nachgefragt, sagte Hoeneß, wären wir bereit gewesen, die Beträge zu nennen. Hoeneß gab sich am Freitag überzeugt, daß auch alle anderen Vereine zugegriffen hätten, wenn sie die Gelegenheit bekommen hätten. Alle Scheinheiligen dieser Welt, die sagen, sie hätten diesen Vertrag nicht gemacht, möchte ich kennenlernen. Möglich, daß sich das Vorstandsmitglied der Bayern München AG dann einer Phalanx guter Bekannter gegenübersähe. So ist Wolfgang Holzhäuser, Geschäftsführer der Fußball-GmbH von Bayer 04 Leverkusen, menschlich tief enttäuscht über Uli Hoeneß, der mich und andere Kollegen in der Vergangenheit manchmal auf unflätige Weise attackiert hat, wenn wir auch nur mit anderen Bietern, etwa den Medienunternehmern Kölmel und Kloiber, in Sachen Fernsehrechte gesprochen haben. Dem Leverkusener Finanzfachmann ist jetzt auch klar, warum Hoeneß sich immer wieder vehement auf die Seite von Kirch geschlagen hat. Jedenfalls zweifelt Holzhäuser nicht an dem moralischen Verfall des Ansehens der Bayern in der Öffentlichkeit. Holzhäuser sieht für das durch das Vorgehen des FC Bayern bedrohte Solidaritätsprinzip bei wichtigen Ligaentscheidungen gleichwohl nicht schwarz: Vielleicht ist das ein reinigendes Gewitter. Andererseits attackierte Michael Meier, der Manager von Borussia Dortmund, seinen Leverkusener Bundesliga-Kollegen Reiner Calmund, der ein gewisses Verständnis für die Bayern bekundet und einen solchen Vertrag wie den mit der Kirch-Gruppe auch nicht in den Reißwolf gesteckt hätte. Da muß ich sagen, gute Nacht, Bundesliga, konterte Meier, hier entlarvt sich ein Mann, der genauso denkt.
Michael Horeni (FAZ 21.2.). kritisiert. “Das Selbstbildnis, das der FC Bayern München in den vergangenen Jahren von sich entworfen hat, gehört eigentlich in ein Museum für deutsche Wirtschaftsgeschichte. Zu besichtigen und bestaunen wäre dort nichts Geringeres als: Der Musterschüler der Marktwirtschaft. Die idealtypische Kombination eines hochprofitablen Unternehmens mit großem sozialen Herz, der gelebte rheinische Kapitalismus – ausgerechnet in der bayrischen Metropole fand er nach Münchner Lesart seine Vollendung. Der FC Bayern München, einfach zu gut für diese Welt. Die Enthüllung eines fragwürdigen Vertrags mit der Kirch-Gruppe bringt den reichsten und mächtigsten Verein in Deutschland nun in Bedrängnis. Ob die Münchner wegen des geheimen Deals in juristische oder sportgerichtliche Schwierigkeiten geraten können, ist dabei noch ungeklärt. Aber nach allem, was schon jetzt bekanntgeworden ist, reichen die Münchner Verquickungen aus, den Mythos vom FC Bayern als moralischer Anstalt in sumpfiger Bundesliga-Umgebung wie imagefördernde bayrische Folklore erscheinen zu lassen. Tatsächlich geht auch dort alles so zu wie im richtigen Wirtschaftsleben: Erfolge um jeden Preis, eben nicht nur auf dem Fußballplatz.“
Axel Kintzinger (FTD 21.2.). „Es kommt nicht mehr oft vor beim FC Bayern München, dass der über allen Bundesliga-Dingen schwebende Franz Beckenbauer sich früh am Morgen hinabbegibt von den Kitzbüheler Bergen und in der Geschäftsstelle seines Klubs in der Säbener Straße auftaucht. Gestern war so ein Tag, und es ist anzunehmen, dass der Grund für Beckenbauers Besuch kein erfreulicher war. Laut soll es geworden sein. Der Verein hat ein Problem. Mindestens eines, das sein Image angeht, wenn nicht sogar ein juristisches (…) Die Führungsriege des Münchner Klubs kämpft auch an anderer Stelle um Glaubwürdigkeit. Hatte sich Hoeneß nicht seit Jahren damit gebrüstet, im Gegensatz zu fast allen Bundesligisten die Vermarktung nicht nach außen zu geben? Diese Darstellung ist nun, nach Bekanntwerden des Kirch-Vertrages, Makulatur. Der FC Saubermann erleidet einen Imageschaden, aber Hoeneß erkennt darin nur „Neid auf den FC Bayern“.“
Joachim Mölter (FAZ 21.2.) hält fest. „Ob gegen zivile Gesetze oder sportliche Statuten verstoßen wurde, werden also die Juristen in den nächsten Tagen und Wochen zu klären haben. Ihren Führungsanspruch als moralische Instanz der Liga haben die Bayern indes schon jetzt verspielt. Die Konkurrenz hat ja nicht vergessen, daß sich die Münchner just zu der Zeit von Befürwortern der Einzel- zu Anhängern der Zentralvermarktung wandelten, als sie den geheimen Vertrag mit der Kirch-Gruppe abschlossen. Daß sie sich damals als barmherzige Samariter der kleinen und mittellosen Klubs gaben und sich ihrer Solidarität rühmten; daß sie später um Unterstützung des in Not geratenen Leo Kirch warben. Für Schalke-Manager Rudi Assauer wäre der Pakt der Solidarität gebrochen, sollten sich die Vorwürfe bestätigen, daß sich der FC Bayern von Kirch habe korrumpieren lassen. Für die Bild-Zeitung formulierte er es etwas drastischer: Wenn die Kohle wirklich rübergekommen ist, um den zentralen Vermarktungsrechten zuzustimmen, wäre es großer Beschiß.“
Tim Bartz (FTD 21.2.) klärt derweil die Abstiegsfrage. „In dieser Spielzeit allerdings könnte es zur Abwechslung jemanden treffen, der bislang wirklich keinen blassen Schimmer vom drohenden Ungemach hatte: Die Bayern! Ja, richtig gehört, die Bayern aus München, die Roten, die Reichen, die ewigen Sieger, die Rekordmeister aus Bussi-Town, die alles gewonnen haben, was an Pokalen jemals fabriziert worden ist und dabei so unermesslich reich geworden sind, dass sie mit genialer Strategie jedem, der sich ihnen in den Weg zu stellen wagte, die besten Spieler gemopst haben, Dortmund ausgenommen. Das Spiel am Samstag daheim gegen den Club aus Nürnberg könnte für die Bayern schon ein Vorgeschmack sein auf das was ihnen droht, sollte die DFL die Fingerei mit Kirch drakonisch bestrafen. Ein klassisches Süd-Derby, wie es die Münchner im Falle eines Lizenzentzuges und Zwangabstiegs in die viertklassige Bayern-Liga jedes Wochenende haben könnten.“
Notfalls kommt es zum Crash. Lieber mal kurzfristig streiten als langfristig die Zeche zahlen. Karl-Heinz Rummenigge, damals Vizepräsident von Bayern München, am 20. Juni 1999 über die Entschlossenheit seines Klubs, gegen die zentrale Fernsehvermarktung der Bundesliga vorzugehen
Der Wert einer Partnerschaft zeigt sich in der Krise. Die Bundesliga hat ein essentielles Interesse an Kirch. Wir müssen Ideen entwickeln, welche Möglichkeiten die Bundesliga hat, um Kirch zu unterstützen. Rummenigge am 24. Februar 2002
„Auch der Vizepräsident des WM-Komitees 2006 bekam heimlich Geld von Kirch“ SZ
„Der 1. FC Kaiserslautern soll Spielergehälter an der Steuer vorbeigeschleust haben. Die Behörden ermitteln, dem Verein droht der Ruin. Ein Einzelfall – oder gerät bald ein eingespieltes System ins Wanken?“ Zeit
Ludger Schulze (SZ20.2.) kritisiert das Bayern-Management. „Sportlich die Besten, Tabellenführer auch auf allen sozialen Ebenen. Für Anhänger anderer Fußballfakultäten ist das unerträglich – dass ihre Lieblinge in der Arena chancenlos sind gegen diese ewigen Sieger- Bayern, die wie zum Hohn auch noch die moralische Oberhoheit wie eine Monstranz vor sich hertragen: Während anderswo herzhaft gegaunert oder einfach nur unseriös gewirtschaftet wird, bleibt beim FC Bayern stets alles picobello. Macht und Herz in Allianz, Reichtum ohne Haifisch-Mentalität (…) Ob dem dubiosen Vertragswerk zwischen den Bayern und Kirch juristischer Sprengstoff innewohnt, wird noch zu klären sein. Vom moralischen Standpunkt aber, den der Branchenführer für sich selbst gerne reklamiert, rangiert der Deal mit dem gewesenen Fernsehmogul auf der Anrüchigkeitsstufe eins. Denn das Geld, auf das sie generös und unter Betonung des Solidargedankens zugunsten der bedürftigen Klubs verzichteten, haben sie eiskalt wieder eingestrichen – auf deren Kosten. Für diesen schnöden Exklusiv- Vorteil haben die Bayern ihr Stimmrecht verkauft – und dabei deutlich gemacht, dass sie keinen Deut besser sind als alle anderen in der Liga der Egoisten. Ihre Glaubwürdigkeit haben sie damit verloren.“
In diesem Zusammenhang erinnert sich Jan Christian Müller (FR 20.2.) an eine Aussage von Karl-Heinz Rummenigge, welche dieser in einem Interview mit der FR im Dezember 2001 tätigte. Ich sage Ihnen: Es wären 150 Millionen Mark, die wir bei eigener TV-Vermarktung erlösen würden. Das heißt also, dass wir freiwillig über hundert Millionen Mark in den Solidartopf tun. Wir sind der größte Geldgeber der Liga. Aber damit ist die Sache auch ausgereizt. und kommentiert. „Sportreporter sind es gewohnt, von ihren Gesprächspartnern nicht die ganze Wahrheit aufgetischt zu bekommen. Doch Kalle Rummenigge hat sich damals selbstverständlich gehütet, die nun spät gelüfteten geheimen Vertragsabsprachen mit Kirch öffentlich zum machen. Denn er musste ja wissen, dass damit das fein justierte, in monatelangen Verhandlungen erreichte, bis aufs letzte Komma nach Tabellenplatz gerecht gerechnete Solidar-Prinzip auf den Kopf gestellt würde. Falls es stimmt, dass die sich gerne als Saubermänner der Branche gerierenden Münchner neben den ihnen damals offiziell zustehenden über 45 Millionen Mark aus der Zentralvermarktung noch heimlich, still und leise zwei Jahre lang rund 40 Millionen Mark direkt aus dem Hause Kirch überweisen ließen, dann wäre das kein bloßes Kavaliersdelikt. Dann müsste sich die Konkurrenz bösartig hinters Licht geführt vorkommen (…) Sei es, dass das komplizierte Vertragswerk juristisch astrein ist – moralisch hätten die nur halbgar dementierenden Münchner sich innerhalb eines Jahres zum zweiten Mal ins Abseits gestellt. Denn schon der dubiose Darlehenskontrakt mit Sebastian Deisler, der nach Bekanntwerden ganz schnell wieder aufgelöst wurde, hinterließ einen üblen Nachgeschmack. Zu jenem Zeitpunkt stand Deisler noch bei einem anderen Klub unter Vertrag. So etwas tut man nicht.“
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