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Geht es um Fußball, bleibt der Verstand in der Umkleide zurück

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Geht es um Fußball, bleibt der Verstand in der Umkleide zurück

Thomas Kistner (SZ 25.6.) kritisiert die Personal-„Politik“ der Sendeanstalten. „Die Topmanager der Wirtschaftsbranche Profifußball setzen den Trend. Franz Beckenbauer, Chef des Bayern-Aufsichtsrats und des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2006, soll im ZDF als Kommentator auftreten – also die eigene Ware als Chefkritiker begleiten. Und Günter Netzer, Miteigentümer der Agentur Infront, der die TV-Rechte an Bundesliga und WM gehören, tut dasselbe bereits ausgiebig in der ARD. So wird ein mäßig sittliches Tele-Shopping für Privatpersonen salonfähig gemacht – zumal es auf der von öffentlichen Geldern finanzierten Bühne ausgeübt werden darf. Nicht mal Leo Kirch, der einstige Herrscher über das Fußballfernsehen, hat sich derart über alle journalistischen Standards und Spielregeln hinweg gesetzt. Es lässt sich nicht leugnen: Geht es um Fußball hierzulande, bleibt der Verstand regelmäßig in der Umkleide zurück. So erklärt sich in Zeiten, in denen alle Gesellschaftsbereiche einige Gänge zurückschalten müssen, der Anachronismus, dass Politiker und Fernsehmacher mit Tricks und Drehs nach Wegen suchen, der Großverdienerszene Profifußball die vielen Millionen zu erhalten. Und so erklärt sich auch die neue journalistische Ethik in den Öffentlich-Rechtlichen Anstalten. Intendanten, Programm- und Sportchefs der Sender tun einfach so, als säße die Fußballbranche noch immer an den langen Hebeln, die ihr einst der Hasardeur Kirch mit seinen politischen Preisen in die Hand gedrückt hatte. Und scheren sich keinen Deut um die öffentliche Restauration von just den Verhältnissen, die dringend überwunden gehören.“

Beim Fußball ist offenbar alles möglich

Klaus Ott (SZ 25.6.) kritisiert die Ingebrauchnahme des populären Fußballs seitens der Politiker zu Gunsten von Image und Wählerstimmen. „Es war ein netter Abend in Berlin. Erst gewann der FC Bayern München das Pokalfinale leicht und locker gegen Kaiserslautern; nach der Übertragung bat die ARD zum Small-Talk. Die Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Kurt Beck, die ihre Klubs begleitet hatten, durften sich einem Millionenpublikum als sympathische Landesväter mit Herz für den Fußball präsentieren. Moderator Gerhard Delling stellte harmlose Fragen, und Günter Netzer, der Ballexperte der ARD, sagte wenig und lächelte viel. Die nette Viererrunde vom 31. Mai im Berliner Olympiastadion sollte sich für den Fußball und das öffentlich-rechtliche Fernsehen bald lohnen. Zwei Wochen später machten Stoiber und Beck politisch den Weg frei für die Rückkehr der Bundesliga zu ARD und ZDF. Die Regierungschefs erklärten, mit einem raschen Verhandlungsergebnis müsse jetzt Klarheit geschaffen werden, wo die Liga künftig zu sehen sei. Auch ARD und ZDF kämen als Partner in Frage. Die beiden Ministerpräsidenten wandten lediglich ein, das dürfe nicht zu einer Erhöhung der Rundfunkgebühr führen. Stoiber und Beck, die sich bei ihren Klubs engagieren und gerne ins Stadion gehen, pfiffen den nordrhein-westfälischen Kollegen Peer Steinbrück zurück. Der hatte zuvor geschimpft, die Anstalten seien nicht dazu da, die Finanzprobleme der Bundesliga und ihrer Rechtehändler zu lösen. Damit war Netzer gemeint, der über die Schweizer Sportagentur Infront Mitinhaber der Bundesliga-Bilder ist und damals verzweifelt nach neuen Abnehmern suchte, da Sat 1 (ran) nur noch die Hälfte des bisherigen Preises bot. Mit den Anstalten sind Infront und die Liga besser bedient. In dieser Woche soll der Vertrag mit der ARD aufgesetzt werden, bald danach könnte das ZDF folgen. Der Partnerwechsel ist das Resultat eines seltsamen Beziehungs-Geflechtes, das in dieser Form woanders längst als anstößig empfunden würde. Doch beim Fußball ist offenbar alles möglich, zum Wohle des Nationalsports. Nach der Pleite des Medienhändlers Leo Kirch sorgen die Anstalten dafür, dass die Profi-Klubs, deren Rechtepartner und führende Protagonisten weich fallen (…) Stoiber und Beck haben eigentlich nur eine Bedingung: Die Anstalten dürfen die Gebührenerhöhung nicht in Zusammenhang mit dem Fußball bringen, obwohl das viel miteinander zu tun hat. Den Zuschauern soll das nur niemand sagen.“

Wir werden Beckenbauer so schnell nicht los

Jörg Hahn (FAZ 25.6.) kann sich ein Kopfschütteln gerade noch verkneifen. „Der Franz ist ja zum Glück der Franz, und deshalb werden wir Beckenbauer in Kürze schon wieder auf dem öffentlichen-rechtlichen Bildschirm erleben – beim ZDF, als Pendant zum ARD-Experten Günter Netzer. Nach der Kirch-Insolvenz konnte Premiere, wo Beckenbauer vier Jahre lang räsonieren durfte, sich eine Vertragsverlängerung wohl nicht mehr leisten. Dem Zweiten greift die Postbank finanziell gerne unter die Arme. Im Gespräch sind ist mehr als eine Million Euro Honorar für Beckenbauer pro Jahr. Denn man verspricht sich als WM-Sponsor 2006 doch mit dieser Galionsfigur nach wie vor einen hohen Werbewert. Der Beckenbauer Franz hat zunehmend Zeit, sich seinen Lieblingsbeschäftigungen hinzugeben: über Fußball reden und Geld verdienen. Beim FC Bayern München wie im Organisationskomitee der Fußball-WM 2006 führt er zwar noch den Titel Präsident, beim deutschen Rekordmeister steht er zudem an der Spitze des Aufsichtsrats. Mit dem oft freudlosen Tagesgeschäft mag man ihn aber gar nicht mehr behelligen. Denn ohne ihn läuft’s fast besser, zumindest glatter, in beiden Organisationen. Zuletzt störte öffentlicher Streit bloß den Betriebsfrieden. Es bleiben repräsentative Aufgaben. Grüßaugust oder Frühstücksdirektor wird das manchmal genannt (…) Es bleibt alles beim alten. Wir werden Beckenbauer so schnell nicht los. Aber fachlich ernstzunehmen ist er auch nicht, der Unterhaltungskünstler – für den deutschen Fußball immerhin nicht der schlechteste.“

Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 25.6.) berichtet die Rivalität zwischen Bayernmanager Hoeneß und dem mittlerweile verstorbenen Beckenbauer-Berater Schwan, die sich bis in die Gegenwart hinein verlängere. „Als Hoeneß 1978, gerade 27 Jahre alt, seinen Managerjob an der Säbener Straße antrat, war das der Beginn eines stillen, enorm verbissenen Fernduells und einer erbitterten Macherrivalität zwischen zwei anerkannten Könnern: Hoeneß und [Robert] Schwan. Der 30 Jahre Ältere, gewiefter Berater von Beckenbauer, besorgte seinem Klienten einen lukrativen Werbevertrag nach dem anderen. Erst Toyota, dann Mitsubishi. Im Mercedes bremste Beckenbauer Bayern-Sponsor Opel aus, ein Prosit auf Warsteiner statt auf Erdinger, das Bier des Klubsponsors. Yello statt Eon-Energie. E-Plus beim Bayern-Boss, kein Anschluss für Bayerns Viag Interkom. Geschickte Megadeals in Millionenhöhe realisierte Schwan für seinen Franz, der ja auch noch Weltmeister als Spieler und Teamchef war und als globaler Werbestar die WM 2006 nach Deutschland holte. Schwan beobachtete aus seinem Adlerhorst in Kitzbühel mit scharfen Augen Uli Hoeneß. Wie verwaltete der sein Erbe? Immerhin: Der Jungmanager hatte aus dem FC Bayern das Flaggschiff des deutschen Fußballs gezimmert, war vom Marketingfachblatt „Horizont“ gar zum „Manager des Jahres“ 2001 gewählt worden. Trotzdem, Schwan triumphierte klammheimlich: Über 20 Jahre lang schafften es die Bayern unter Hoeneß nicht, den Europacup der Landesmeister zu gewinnen. Immer wieder ließ sich Schwan zu dieser Malaise mit gezielten Nadelstichen in Richtung Hoeneß vernehmen. Süffisant versuchte er bis zu seinem Tod, den Nachfolger zu brüskieren. Immer offener spielten die Kontrahenten zuletzt ihr Spiel. Bei jeder Gelegenheit attackierte Beckenbauer das operative Geschäft von Hoeneß und Rummenigge, kritisierte Einkäufe wie den von Martin Demichelis und mangelnde Chancen für den Nachwuchs. Jetzt scheint der Kampf zu enden. Beckenbauers Tage als Aufsichtsratschef, gleichbedeutend mit dem Präsidentenamt bei Bayern, sind gezählt. Der Kaiser mag nimmer.“

(23.6.)

Im Rahmen der Verhandlungen um den Verkauf der TV-Rechte vermisste Michael Ashelm (FAS 22.6.) Realitätssinn. „Immer wieder meldeten sich in der Hoch-Zeit der Spekulationen Spitzenfunktionäre wie Uli Hoeneß vom Meister FC Bayern oder der Dortmunder Gerd Niebaum zu Wort und hielten Saisonpreise fürs Free-TV von 120 bis 150 Millionen Euro für angemessen. Rund die Hälfte mag den Kern nun treffen, was bei allem Verständnis für die Verhandlungstaktik nicht unbedingt für einen ausgeprägten Realitätssinn der Herren spricht. Genausowenig wie die Forderung mancher Fußballfunktionäre, doch endlich staatliche Bürgschaften oder Subventionen für marode Klubs zu etablieren. Das alles zusammen zeigt, daß die alte Automatik vom grenzenlosen Wachstum noch immer die Denkprozesse der Fußballverkäufer beherrscht. Gerne preisen sie ihre Ware als sogenanntes Premiumprodukt an, doch verkennen dabei, daß die Qualität das geforderte Entgelt nicht mehr gerechtfertigt. Mittelmaß zu Top-Preisen funktioniert nicht mehr. Und stünde in diesen bewegten Zeiten nicht das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit seinem gewaltigen, gebührenfinanzierten Apparat als Nothelfer parat, müßte sich die Liga wohl auf den ganz großen Schnitt einstellen. Strategisch wäre es deshalb von Vorteil, wenn die Betroffenen nun wieder in erster Linie auf sich und ihr Produkt schauen würden, anstatt die Rahmenbedingungen zu kritisieren. Am eigenen Bekenntnis zum Leistungsprinzip muß man gerade sich selbst messen lassen. Die Zeit ist überreif für neue Ideen, neue Emotionen und neue Temperamente. Die Langeweile der vergangenen Saison steht da als abschreckendes Beispiel. Das glanzlose Produkt Fußball-Bundesliga braucht unbedingt Auffrischung, um es wieder einigermaßen in Deckungsgleichheit mit den hohen Ansprüchen der Fußballmacher zu bringen.“

Legende von der guten alten Sportschau

Günter Rohrbach (SZ 21.6.) freut sich nicht auf ein Wiedersehen mit der Sportschau. „Beim deutschen Profifußball handelt es sich mit wenigen Ausnahmen um wirtschaftliche Hasardeure, die ihr Geschäft mit ebenso großer Leidenschaft wie ökonomischer Unvernunft betreiben. In einigen Nachbarländern sind die Verhältnisse noch katastrophaler, aber bisher haben sich fast überall noch ein paar nützliche Idioten gefunden, die den Kollaps des Systems verhinderten. In dieser Rolle gefallen sich jetzt unsere öffentlich-rechtlichen Intendanten. Frei von den realen Risiken wirtschaftlichen Handelns kaufen sie eine Ware zu einem Preis, den diese, wenn sie es denn je war, längst nicht mehr wert ist. Für wie ignorant halten die Intendanten die Öffentlichkeit eigentlich, wenn sie darauf verweisen, dass die Summe, die Sat1 bisher gezahlt hat, deutlich unterschritten werde? Jene 80 Millionen stammen aus der Zeit, als Leo Kirch in seinem Monopolisierungswahn jedes Maß verloren hatte. Er hat mit seinem Ruin dafür bezahlt. Er hat aber auch die Vereine in einen Illusionstaumel getrieben, aus dem man sie, wen man an ihrem Überleben ein Interesse hat, so rasch wie möglich herausholen müsste. Genau das werden ARD und ZDF jetzt verhindern. Mit Gebührengeldern. Was will uns Jobst Plog, der ARD-Vorsitzende, eigentlich sagen, wenn er behauptet, der Gebührenzahler werde durch die Entscheidung mit keinem Pfennig belastet? Will er etwa auf die demnächst anstehende und jetzt bereits beantragte Gebührenerhöhung verzichten? Das doch wohl nicht. Woher sonst soll aber das Geld kommen? Überlagert wird die ganze Diskussion von einer Legende, nämlich der von der guten alten Sportschau. Die gute alte Sportschau dauerte 45 Minuten. Ein freundlich lächelnder Moderator stand in einer biederen Dekoration und kündigte drei bis vier Spielberichte in Ausschnitten an, die von jeweils zwei Kameras aufgenommen worden waren. Und dann gab es noch das „Tor des Monats“. Was es nicht gab, waren Nahaufnahmen aus allen möglichen Perspektiven, waren rasante Torszenen in mehrfacher, den Blickwinkel variierender Wiederholung und nach Bedarf in Slow Motion, war die Möglichkeit, jeden beliebigen Spielzug exakt zu rekonstruieren. Die gute alte Sportschau würde ein heutiger Fernsehzuschauer zum Fenster hinauswerfen. Freilich hatte sie einen unschlagbaren Vorteil, der ihren legendären Ruf vor allem begründet: sie enthielt keine Werbung. Die vor allem hat die Sat1-Zuschauer zunehmend genervt und die Quoten ins Souterrain getrieben. Die neue ARD-Sportschau wird den nostalgiegeprägten Zuschauern eine bittere Enttäuschung bereiten. Sie wird von der alten Sportschau fast nichts, von ran aber fast alles übernehmen – den locker plaudernden Moderator, die frenetisch klatschenden Zuschauer, die albernen Gewinnspiele, die rasanten, von zahlreichen Kameras mit großem Aufwand hergestellten Bilder und vor allem Werbung, Werbung, Werbung.“

Der prominenteste Seitenscheitel im deutschen Sport

Wolfgang Hettfleisch (FR 21.6.) kritisiert Günter Netzer, der die zu diskutierende Aufstockung der WM auf 36 Teams als „großen Mist“ bezeichnete. „Beckenbauer mag persönliche Interessen am Gelingen des Fußballfestes haben. Das würde seinem Werbewert wie seinen Aussichten auf den Fifa-Chefsessel gewiss nicht schaden. Netzer hingegen, Geschäftsführer der Schweizer Agentur Infront, die die Fernsehrechte an der WM 2006 hält, hat es sich gefälligst zweimal zu überlegen, ehe er sich als vermeintlich unabhängiger Sachverständiger zu solchen Fragen auslässt. Schließlich ist es für seinen Brötchengeber von nachgerade existenzieller Bedeutung, ob und wie sehr die teuer erstandene WM-Ware von 2006 den Einkäufern der TV-Anstalten rund um den Globus munden wird. Ohnehin ist die Rolle des Ex-Spielmachers als Fußballgewissen der Nation und grummelnder Prellbock im Kienzle-Hauser-Kabarett mit dem ARD-Berufs-Adoleszenten Gerhard Delling seltsam. Der prominenteste Seitenscheitel im deutschen Sport dreht bei Infront ja am ganz großen Rad: WM-Rechte, Bundesligarechte, DFB-Marketing. Alles Netzer oder was? Jedenfalls alles Infront (…) Damit das klar ist: Ein 36er-Feld bei der WM 2006 wäre grober Unfug. Kein Fußballfan kann den daraus resultierenden Modus reinen Herzens gutheißen. Netzer hat mit seiner Meinung völlig Recht. Nur darf er sie auch mal für sich behalten.“

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