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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Gelungen!

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Gelungen!

„Schon lange hat es auf der Bühne Bundesliga nicht mehr einen solch furiosen Einstand gegeben.“ Dieses Urteil des Berliner Tagesspiegels bezieht sich auf das Debüt des 20-jährigen Neu-Schalkers Altintop, der mit zwei spektakulären Toren auf sich aufmerksam macht. Gleichzeitig freuen sich Fußballfreunde und Experten über einen generell abwechslungsreichen Ligastart: viele Tore, viele Zuschauer, gute Stimmung; dazu zwei überraschend hohe Heimniederlagen der beiden ambitionierten Vereine aus Hamburg und Berlin, einen guten Neustart des Fastabsteigers aus Leverkusen an die Tabellenspitze sowie ein Ruhrderby, das wie gewohnt Gesprächsstoff bietet.

Auch mit der ARD-Sportschau, auf deren Comeback man gespannt war, sind die Chronisten zufrieden: „solides Handwerk, frei von technischen Pannen, aber nicht ohne Platitüden“, zensiert die FAZ die Schulnote 3. Die NZZ atmet auf: „In Bezug auf Bildführung und Interviewthemen wurde – so der erste Eindruck – ins Zentrum gerückt, was dorthin gehört. Nasenbohrende, auf die Tribüne verbannte Ersatzspieler oder gähnende Spielerfrauen wurden ebenso gemieden wie irrlichternde Reporter auf der Recherche nach der Herkunftsgeschichte eines Talismans. Die Reduktion auf das Wesentliche ist hier eine Wohltat.“

Kunst am Ball

Jan Christian Müller (FR 4.8.) berauschte sich an unterhaltsamem Sommerfußball. “Leider muss man keine prophetische Gabe besitzen, um düster zu erahnen, was parallel zum Wettereinbruch in der Fußball-Bundesliga geschehen wird. Dann werden wir uns erinnern an jenen ersten Spieltag der 41. Spielserie, der bei fast 40 Grad im Schatten die Freunde des Balls in der Sonne glänzen ließ. Derart viele Streicheleinheiten für das hier zu Lande gern auch mit roher Rücksichtslosigkeit behandelte Spielgerät haben wir – ran-Sat 1 ist gänzlich schuldlos – schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr frei Haus geliefert bekommen. Vielleicht zuletzt, als Ernst Huberty und Dieter Adler noch ihre Papptäfelchen drehen und selbst in der Bundesliga auch leicht übergewichtige Männer oberhäusig gänzlich ohne Eile störungsfrei Doppelpass spielten durften. Am Wochenende aber zeigten Ponte, Conceicao, Altintop, Micoud, Ailton, D‘Allessandro, Zé Roberto, Deisler, Simak, Stajner, dass es bei entsprechender balltechnischer Ausbildung auch bei dem inzwischen im Spitzenfußball üblichen hohen Tempo noch Raum für Kunst am Ball gibt. Selbst bei den schlechtesten Mannschaften des ersten Spieltages, Eintracht Frankfurt und SC Freiburg, stachen die besten Techniker heraus: Ervin Skela und Zlatan Bajramovic.“

Auch Gerd Schneider (FAZ 4.8.) amüsierte sich. „Seit Jahren hat die Liga nicht mehr eine so bewegte und bewegende Premiere erlebt. Fast 360 000 Zuschauer waren trotz der Hitze am ersten Spieltag in die Stadien gekommen, soviele wie seit Mitte der 60er Jahre nicht mehr. Und sie bekamen den heißen Tanz geboten, den sie sich versprochen hatten. Die Hauptrolle im Gefühlstheater übernahm, wie könnte es anders sein, Bayer Leverkusen. Kaum einem Albtraum entronnen, fand sich Bayer zumindest für einen Tag unversehens in lichter Höhe wieder, nämlich ganz oben in der Tabelle. Womöglich hat der Richtungswechsel viel mit Klaus Augenthaler zu tun, der dem sprunghaften Bayer-Ensemble spürbar Halt gibt.“

Aufgeblasene Gute-Laune-Halligalli

Frank Ketterer (taz 4.8.) amüsierte sich nicht. „Jetzt, da die Bundesliga in ihre neue Runde gestartet ist, ist einem jedenfalls ziemlich schlagartig bewusst geworden, was man diesen schönen, warmen Sommer lang so gar nicht vermisst hat: Dieses ganze Gedöns ums Leder, dieses aufgeblasene Gute-Laune-Halligalli, all die angetrunkenen Fans in ihrer lächerlichen Verkleidung, bärenfellige Maskottchen, die auf einem Motorroller ums Rasengrün rasen und dümmlich winken, und, schließlich, all die sich selbst überschätzenden Jungmillionäre, deren Verstand bisweilen so kurz geraten ist wie ihre Hosen. Man könnte also auch sagen: Der Sommer ist seit Samstag vorbei. Aus, aus, aus, einfach aus – und vorbei. Und jetzt, da das Land heftig dem Herbst entgegenstrebt, kriechen auch all die Fußballfetischisten wieder aus jenen Löchern, in denen sie sich die letzten zweieinhalb Monate vergraben hatten. Jene, für die Fußball alles ist und die nichts im Kopf haben außer: Fußball, Fußball über alles. Anders gesagt: die etwas angeballert sind. Einfach ballaballa. Menschen, die in Viererketten denken und für die Nichtigkeiten wie Elfmeter, Platzverweis, Abseits und Tor Schicksalhaftes in sich tragen, obwohl sie doch nur dem Zufall entspringen; für die ein Sieg ihrer Mannschaft alles ist und eine Niederlage das reine Verderben; und die längst aus dem Blick verloren haben, dass alles doch nichts mit der Wahrheit zu tun hat und somit mit dem Leben, sondern nur ein großes, aufgemotztes Spiel ist, bei dem es um nichts geht als ums Geld. Um sehr viel Geld.“

Man nimmt es, woher man’s kriegen kann

Philipp Selldorf (SZ 2.8.) berichtet die ökonomischen Zwänge in der Bundesliga. „Man ist zum Sparen und zu neuer Orientierung verdammt, obwohl das Interesse am Fußball um nichts nachgelassen hat und sein enormer sozialer Stellenwert sich durch die Dauerpräsenz abseits des Platzes nachweisen lässt. Fußball bleibt, zumal mit Blick auf die WM 2006, ein wichtiger politischer Faktor, und er liefert dank lebensnaher Hauptdarsteller wie Oliver Kahn oder Franz Beckenbauer genügend Stoff für das gesellschaftliche Geschehen. Doch Fußball als Industrie muss sich reformieren – mit Ausnahme des scheinbar autonom existierenden englischen Marktes überall in Europa. Im italienischen und spanischen, aber auch im türkischen oder französischen Fußball grassiert die Finanznot. Die Spieleragenten, die mit ihren Provisionen für hin und her geschobene Kicker reich geworden waren, sterben auf einmal einsam. Doch noch weiß keiner, wohin die Trendwende führt. Zu moderater Gesundung? Oder zu neuen, noch gefährlicheren Abhängigkeiten? Während sich in Italiens Serie A Familie Ghaddafi aus Libyen Geltung als Geldgeber verschafft (und Sohn Al Saadi sogar unentgeltlich beim AC Perugia kickt), hat sich in England der russische Oligarch Roman Abramowich beim FC Chelsea eingekauft und die „russische Revolution“ eingeläutet, weil er mit den Pfundnoten nur so um sich wirft. Schon steht auf der Insel der nächste zweifelhafte Investor bereit – ein venezolanischer Milliardär, der zunächst nicht mal genannt werden wollte. Man nimmt es, woher man’s kriegen kann. Der TSV 1860 München flog nach Südkorea zu einem gut bezahlten Turnier, hinter dem die Moon-Sekte stand – und fragte lieber nicht nach. Selbst der FC Bayern bezeugte mit seinem geheimen Kirch-Vertrag, dass Käuflichkeit auch beim Stärksten nicht halt macht. Die Gründe für den geplatzten Boom gleichen sich. Sowie der Neue Markt zusammenbrach, verflogen auch die Illusionen im Fußball. In Italien, Spanien und Deutschland gingen ganze Senderketten Pleite, die mit Fantasiesummen die Klubs alimentiert hatten. Für diese Saison sah der TV-Vertrag der Kirch-Gruppe mit der deutschen Profiliga 460 Millionen Euro Honorar vor – aber die Kirch-Gruppe gibt es nicht mehr. 290 Millionen Euro zahlt nun der nächste Rechte-Inhaber, doch die Tendenz ist fallend, und die Klubs sind gezwungen, die ausgefallenen, aber verplanten Einnahmen auszugleichen. Ein Kunststück angesichts eines Schuldenstands von insgesamt 682 Millionen Euro. So hat sich die Bundesliga zum Sparverein gewandelt, und das ist nur zu begrüßen nach Jahren spekulativen Wirtschaftens und unseriöser Bündnisse.“

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