Nachschuss
Hardy Grüne – Notbremse
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| Donnerstag, 25. März 2004
Dieser Artikel erschien in der taz (15.2.)
Hannover 96 hat in letzter Zeit überwiegend für positive Schlagzeilen gesorgt. Nachdem der Traditionsverein Ende der 90er Jahre für zwei Spielzeiten sogar in den Niederungen des Amateurfußballs verschwunden war, gelang im März 2002 die 13 Jahre lang ersehnte Rückkehr in die Bundesliga als bester Aufsteiger aller Zeiten. Die Beobachter vor Ort erkennen seitdem eine anhaltende Zuschauereuphorie, zumal die Heimstätte „AWD-Arena“ den Zuschlag als Spielort für die WM 2006 erhielt. Zur Erinnerung: Im August 2000 begann im damaligen Niedersachsenstadion mit einem 4:1 gegen Spanien die inzwischen so erfolgreiche Völler-Ära, bei deren Höhepunkt im WM-Finale von Yokohama zwei Spieler auf der Bank der deutschen Nationalmannschaft saßen, die bei den 96ern eine entscheidende Sprosse auf ihrer Karriereleiter erklommen hatten: Sebastian Kehl und Gerald Asamoah.
Der durch gelungene Abhandlungen zur Fußballgeschichte bekannte Göttinger Verlag „Die Werkstatt“ hat nun diese jüngste Erfolgsstory zum Anlass genommen, die Historie des Klubs auf den aktuellen Stand zu bringen. „Festtage an der Leine“ heißt das über 300 Seiten umfassende und mit zahlreichen Abbildungen versehene Werk von Hardy Grüne. Am Schreibprozess beteiligt waren zudem die Redaktionsmitglieder des Hannoveraner Fanzines „Notbremse“, was Einblick in das Innenleben derjenigen Protagonisten aus der Kurve ermöglicht, deren engagierte und hörenswerte Stimmen meist nicht über das Stadionrund hinaus reichen. Alles in allem handelt es sich um eine detailreiche Berichterstattung über die sportlichen Ereignisse seit der Vereinsgründung Ende des vorletzten Jahrhunderts bis fast zum heutigen Tag, inklusive eines breiten Statistikteils mit Spieler- und Trainerlexikon.
Dahingegen wissen wir mit Walter Jens, dass Fußball „nicht nur aus Bilanzen, Ergebnissen und Meisterschaften besteht“, wie der Rhetorikprofessor 1975 anlässlich einer Feierstunde den empörten Herren des Deutschen Fußball-Bundes die Leviten ob deren Geschichtsvergessenheit las, sondern Politik ständiger Wegbegleiter des runden Leders ist. Zwar muss man Sportchroniken nicht zwingend nach den Spielregeln politischer Korrektheit und an der Fragestellung messen, ob die Rolle des Vereins und dessen führenden Köpfen im Dritten Reich angemessen aufgearbeitet wurde. Aber die erfolgreichste Phase der Vereinsgeschichte fällt nun mal in die NS-Zeit – 1938 erreichte Hannover 96 den ersten von zwei Meistertiteln –, so dass es einem Autor eines deklarierten Geschichtsbuchs Pflicht sein muss, an dieser Stelle Sorgfalt walten zu lassen sowie möglichst Ross und Reiter zu nennen.
Diesbezüglich wirkt die Darstellung allerdings nachlässig und flapsig. Immerhin wird die anbiedernde Haltung der Vereinsvertreter, Ehrenvorsitzender zu dieser Zeit war übrigens Paul von Hindenburg, erwähnt; doch in Form einer Fußnote. Darüber hinaus hätte der Lektor bei folgenden Sätzen besser die Notbremse gezogen: „1933 war der lauteste unter den politischen Schreihälsen am Ziel“, und „die Nazis krempelten auch im Sport alles um“, weswegen „betrübliche Dinge“ zu berichten seien. Diese streng genommen beschwichtigenden Einschätzungen über das verbrecherischste Kapitel der Weltgeschichte erinnern an die Chronik eines Dorfvereins, in der die Verstrickungen des Einzelnen und die Entwicklung des Vereinsgeschehens aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf einen einzigen Satz reduziert werden: „1933 zogen dunkle Wolken über dem Vereinsgelände auf, bevor 1945 die ersten Aufbauarbeiten nach den Zerstörungen durch den Krieg begannen.“ Grünes Klappentext-Credo, wonach Fußballgeschichte ein „ziemlich faszinierender Teil der Sozial- und Kulturgeschichte“ sei, könnte man folglich als ironischen Leitfaden des Buches lesen.
Man wird den Autoren nicht Verharmlosung vorwerfen wollen. Ihr Vorhaben ist auf 1:0-Berichterstattung beschränkt. Außerdem muss man ihnen für manche Anekdote danken, wie die folgende und nur auf den ersten Blick belustigende, als der damals alkoholkranke Ex-Trainer Werner Biskup nach seiner Amtszeit im Stadtwald gesehen worden sein soll, wie er einer Ansammlung von Bäumen Trainingsanweisungen gab, offenbar in der Annahme, es handle sich um seine Spieler.
Hardy Grüne Notbremse: Festtage an der Leine. Die Geschichte von Hannover 96. Verlag Die Werkstatt (2002), 320. S., 21,90 . (Bezug bei amazon)
Oliver Fritsch
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