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Sparzwang in der Liga, Interview mit Andreas Hinkel

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Sparzwang in der Liga, Interview mit Andreas Hinkel

Themen: neuer Sparzwang in der Liga – Blamage für Werder Bremen mit Folgen – die Lage in Stuttgart, Frankfurt, Dortmund, Hamburg und Köln – Freiburgs Trainer Finke, Frankfurts Trainer Reimann: zwei Aufsteiger und Typen – Interview mit Andreas Hinkel (VfB Stuttgart), Andreas Rettig (Manager 1. FC Köln) und Jürgen Klopp (Trainer FSV Mainz) – Ballack, der “kleine Kaiser”

Die Bundesliga erlebt ihre Stuttgartifizierung

Christoph Biermann (SZ 31.7.) kommentiert die neue Sparsamkeit der Liga. „Nur zwei Jahre ist es her, als beim VfB Stuttgart die Apokalypse bevorzustehen schien. Ganz knapp hatte die Mannschaft damals den Klassenerhalt gesichert, doch nicht einen Spieler konnte der mit 40 Millionen Mark dramatisch verschuldete Klub verpflichten. In seiner Not setzte Trainer Felix Magath damals auf junge Profis aus dem eigenen Nachwuchs, und das Wunder nahm seinen Lauf. Inzwischen sind Hinkel oder Hleb, Hildebrandt oder Kuranyi auf dem Weg zu Spitzenspielern, und der Tabellenzweite der vergangenen Saison gilt als Modell für die ganze Bundesliga. „Stuttgart ist nicht zu kopieren, aber das Beispiel hat sicherlich viele Klubs sensibilisiert“, glaubt Dieter Hoeneß, der Manager von Hertha BSC. Seitdem die Fernseheinnahmen gesunken und Kredite kaum noch zu bekommen sind, erlebt die Bundesliga ihre Stuttgartifizierung. Fast alle Klubs haben die Kader reduziert, die Ausgaben für Neuverpflichtungen gingen um zwei Drittel auf gut 32,5 Millionen Euro Zurück. „Aus der Not wird derzeit eine Tugend gemacht“, sagt Dieter Hoeneß. Mit grassierender Vernunft hat das allerdings ebensowenig zu tun wie damals beim VfB Stuttgart. Die Bundesliga wird zu einem Umdenken gezwungen (…) Zufrieden dürfen die Klubs feststellen, dass ihr Publikum den aktuellen Sparzwang nicht als Einleitung einer Tristesse empfindet. Mag in der Sommerpause auch viel über den daniederliegenden Transfermarkt und die Folgen der Kirch-Krise gejammert worden sein, der Vorfreude auf die neue Saison hat das nicht geschadet. „Die Begeisterung sprengt alles“, behauptet Schalkes Geschäftsführer Peter Peters, „Fußball ist beliebter denn je.“ Ablesbar ist das am Absatz von Dauerkarten, von denen so viele verkauft wurden wie nie zuvor. „Bei deren Vergabe spielen sich Dramen ab“, weiß Peters aus Schalke zu berichten, aber der Run auf Saisontickets hat fast die gesamte Bundesliga erfasst. „Die Zuschauer honorieren, dass vernünftig gewirtschaftet wird“, meint Dieter Hoeneß, „sie wollen nicht zwingend Topstars sehen.“ Moderate Investitionen, reduzierte Gehälter, gestrichene Prämien und weniger Luxus auf Reisen dämpfen den klassisch deutschen Unwillen gegenüber Fußball als expansivem Geschäft. „Außerdem geben sich die Vereine mehr Mühe mit ihrer Kundschaft“, sagt Kölns Manager Andreas Rettig und meint damit nicht nur die Klientel in den Logen und Business-Seats. Die positive Resonanz der Fans auf die abgespeckte Bundesliga könnte sogar zu einem generellen Umdenken führen. „Das Spektakuläre nutzt sich auch ab“, meint Peters. Nach Jahren des „Vermarktungswahns“ (Rettig) und des Flirts mit dem Entertainment kommt Dortmunds Manager Michael Meier sogar zu dem Schluss: „Die Bundesliga ist kein Showgeschäft.“ Dieser Eindruck wird durch die Wiederauferstehung der Sportschau unterstrichen. Geschickt wird sie derzeit von der ARD als Rückkehr der Bundesliga nach Hause vermarktet.“

Vor dem Saison-Auftakt erklärt Stefan Willeke (Zeit 31.7.) die Bundesliga zur „Heldenindustrie“. „Die Bundesliga feiert mit 40 ihren runden Geburtstag, und wie für diesen Anlass bestellt, kehrt der Fußball zur Sportschau im Ersten zurück. Sogar Spielführer Günter Netzer macht es noch einmal, diesmal als TV-Unternehmer. Eine Konjunktur der Retrospektive springt an. Aus Spanien kehrt Erfolgstrainer Jupp Heynckes zum Traditionsklub Schalke 04 zurück. Es ist, als hätten die Denkmalpfleger des deutschen Fußballs ihr Wunsch-Drehbuch umgesetzt. Jedes Land bekommt die Helden, die es verdient. Unser Held hieß Oliver Kahn. Mit ihm ist Deutschland Vizeweltmeister geworden. Die Nummer eins des ruhmreichen FC Bayern, Welttorhüter. Neuerdings erzählt uns Kahn eine Parabel auf die veränderten Produktionsverhältnisse im Sektor Heldentum. Auch in der spielfreien Zeit hat er uns so manches vorgespielt. Zuerst gelt er sein Haar strubbelig, stellte danach seine coolen Sandalen in Pressekonferenzen zur Schau, trennte sich von Ehefrau Simone, um am Ende öffentlich zu bekennen: Ich gehe jetzt mit Verena. Wolfgang Overath hat so etwas nie gemacht, Uwe Seeler auch nicht. Wichtiger noch: Wir wussten darüber gar nichts. Wir konnten solche Spieler verehren, weil sie uns nicht dicht genug an sich heranließen, um ihre schäbigen Stellen entdecken zu können. Wir konnten uns ihnen nahe fühlen, weil sie uns auf Halbdistanz hielten. Wir wollten Netzer damals spielen sehen, nicht reden hören, und nur, weil wir wissen, wie glänzend er damals spielte, können wir es heute ertragen, dass er redet. Wir wollen nicht erfahren, was Michael Ballack dachte, bevor er einen überraschenden Pass schlug – nicht einmal, ob er überhaupt etwas dachte. Wir wollen wissen, ob Kahn die Nerven behält, im Tor, nicht bei Verena. Ballack und Kahn, das ist eine hoffnungsvolle Konstellation, ein Ästhet und ein Maniac, der Schöne und das Biest.“

Der Image-Schaden für Werder ist gewaltig

„Innerhalb von 90 Minuten ist aus einem ambitionierten Klub ein Krisenfall geworden“, schreibt Ralf Wiegand (SZ 1.8.) über die 0:4-Niederlage Werder Bremens in Pasching. „Sportdirektor Allofs wirkte persönlich beleidigt von seiner Mannschaft, die von einem Gegner demontiert worden war, der nach zwei Runden Letzter der österreichischen Liga ist, am Montag den Trainer gewechselt hat und sich als Bückling vor dem neuen Sponsor in FC Superfund umgetauft hat. Vorher hieß der Verein PlusCity, nach einem Einkaufscenter, das aussehen will wie Venedig. Mittwoch war dort Hendl-Tag. Der Image-Schaden für Werder ist gewaltig. Auf dem kleinen Parkplatz vor dem Waldstadion standen Autos aus Vechta, Salzgitter, Osterholz-Scharmbeck. Sechs, sieben Stunden waren die Fans auf der Autobahn, ebenso lang fuhren sie in der Nacht zurück. Ihren Frust werden sie in die Fan-Klubs tragen. Werder hatte 400 Karten zugeteilt bekommen und alle verkauft. Seit den Tagen von Andreas Herzog sind die Bremer in Österreich sehr populär, auch weil sie viele Trainingslager dort aufschlugen. Das Fernsehen übertrug live. „Die Fans tun mir Leid“, sagte Allofs, „nur die.“ (…) Werder ist kein reicher Verein, bietet Spielern aber solide Verhältnisse. Kein Profi musste vor dieser Saison aus finanziellen Gründen verkauft werden, der kranke Transfermarkt spülte sogar zwei Stars an die Weser, Ümit Davala (Inter Mailand) und Valerie Ismael (Straßbourg),weil deren Klubs sich die Gehälter sparen wollten. Dafür verlangt der Vorstand etwas. „Sie haben uns gesagt, dass wir diese, spätestens nächste Saison international spielen müssen“, sagt Kapitän Frank Baumann. Klub und Spieler schließen einen Pakt auf Gegenseitigkeit.“

Jörg Marwedel (SZ 31.7.) bezweifelt die Wirkung von Prämien. „Man muss sich Sorgen machen um den VfB Stuttgart. Die Spieler wollen dem Klub an die noch immer leere Vereinskasse. Sie möchten in der Bundesliga wieder Punktprämien kassieren. Wie es 39 Jahre lang üblich war, ehe ihnen die von Millionenschulden geplagte VfB-Führung diese Bonuszahlungen vor Jahresfrist strich. Dabei hatten die Profis im Verzicht eindrucksvoll mit dem bis dato unumstößlichen Lehrsatz aufgeräumt, Siegprämien seien das Schmieröl der Leistungsgesellschaft Fußball, unverzichtbar, um jenen Funken zusätzlicher Motivation zu entfachen, der den Erfolg erst möglich mache – sie belegten mit frischem Spaßfußball Platz zwei. Die finanzielle Not hat also ganz neue Erkenntnisse über die Psychologie des angeblich allein auf den Mammon fixierten Fußballprofis zu Tage gefördert. Womöglich bewirkt eine funktionierende Gemeinschaft und die ungetrübte Freude an der Kugel bei den Spielernaturen im Unterbewusstsein doch viel mehr als die Aussicht auf eine noch luxuriösere Villa und die dritte Rolex? Vielleicht ist der zusätzliche Kampf um die Prämie sogar mehr Last als Lust? Die Stuttgarter Klubbosse seien also gewarnt, dem Drängen ihrer immer noch prächtig entlohnten Angestellten nachzugeben – zumal sich längst andere an ihrem Vorbild orientieren, darunter sogar der FC Bayern.“

Zur Lage in Stuttgart heißt es bei Oliver Trust (FR 31.7.). “An diesem Abend waren sich alle einig. Ein besseres Geschenk hätten die Gastgeber im Teamhotel Felix Magath zum 50. Geburtstag nicht machen können. Der Trainer des VfB Stuttgart stand am Fuße des Wilden Kaisers im Trainingslager in Österreich und hielt etwas krampfhaft ein kleines Ferkel fest. Der Neuzugang der Schwaben schaute ebenso verschreckt drein wie sein neuer Chef, der mit dem Folklorehut auf dem Kopf ein wenig komisch wirkte. Magath nutzte die ausgelassene Feierstimmung zu gewagten Prognosen, die für manchen klangen wie das Pfeifen im Wald. Das Ferkel soll einen guten Platz bekommen und größer werden, so wie der VfB, sagte Magath und erntete Beifall. Wie Sau und Club sich entwickeln, wusste der VfB-Coach in dieser Sekunde so wenig wie alle anderen. Vergangene Saison noch als Wundertüte der Saison in die Champions League gestürmt, wird den Schwaben und ihrem Trainer des Jahres eine Spielzeit der Ungewissheit und Probleme vorausgesagt. Da hilft es wenig, wenn Clubpräsident Erwin Staudt, ein im Fußballgeschäft unbedarfter Wirtschaftsmanager, einen bunten Strauß mit Erwartungen flicht. Bundesligaspitze, weit kommen in der Champions League und natürlich das Finale im DFB-Pokal, sagte Staudt, als sei das eine leichte Übung für die Überflieger vom Neckar. Felix Magath zuckte im Kreise der Spieler nur mit den Schultern.“

Der VfB ist mein Traumverein und erster Verhandlungspartner

Auszüge aus einem SZ-Interview mit Andreas Hinkel (VfB Stuttgart)

SZ: Als Schwabe und Deutschlands billigster Nationalspieler gucken Sie bestimmt auf jeden Cent.

AH: Ich komme zurecht. Ich weiß auch nicht, warum es immer herauskommt, was wir verdienen.

SZ: 200000 Euro pro Saison soll der VfB Stuttgart Ihnen zahlen.

AH: Darauf kann ich nichts sagen.

SZ: Wären Sie ein paar Jahre früher geboren, wären Sie heute Millionär.

AH: Eher nicht. Ich bin beim VfB aus der Jugend-Abteilung übernommen worden, da verdient man anfangs automatisch nicht so viel. Jetzt habe ich über zwei Jahre hinweg gute Leistungen gebracht. Im normalen Arbeitsleben wäre es so, dass dann der Arbeitgeber sagt: Du machst einen Superjob – dafür wirst du befördert und belohnt. Aber wir stehen in diesem Prozess wieder mal bei Null.

SZ: Wieso?

AH: Die Verhandlungen über mehr Gehalt im Zusammenhang mit der Verlängerung meines Vertrags über das Jahr 2005 hinaus ziehen sich schon ewig. Die ersten Gespräche wurden mit Manager Rüssmann geführt. Als der weg war, redeten mein Vater und ich mit Präsident Haas und Geschäftsführer Ruf. Jetzt soll Herr Magath Ansprechpartner sein, und der ist noch nicht auf uns zugekommen.

SZ: Ihre Qualitäten werden inzwischen auch den Topklubs bekannt sein.

AH: Der VfB ist mein Traumverein und erster Verhandlungspartner. Ich sehe eine Riesenzukunft gerade für uns junge Spieler. Nur wenn sich die Sache zu lange zieht, sollte man für andere Angebote offen sein. Momentan aber konzentriere ich mich voll auf den VfB. Wenn ich ständig an mehr Geld oder einen Supervertrag denken würde, könnte ich mit Fußballspielen gleich aufhören.

Christoph Kieslich (SZ 30.7.) charakterisiert Freiburgs Trainer. „Am meisten ärgert Finke die Frage nach seiner Stellung im Verein. Diese zielt stets auf eine Allmachtstheorie, nach der kein Anderer als Finke etwas zu sagen habe, selbst der seit 31 Jahren amtierende Vorsitzende Achim Stocker nicht, und sie mündet in der Schlussfolgerung: Nur Finke entlässt Finke. „Nackte Projektionen, alles Machtphantasien“, blafft Finke dann zurück. Der Trainer hat sich inzwischen angewöhnt, gebetsmühlenartig die Namen derer aufzulisten, die in Freiburg für professionellen Fußball stehen. Sein Assistent Achim Sarstedt, der genauso lange dabei ist, Karsten Neitzel, der Trainer an der Nahtstelle zwischen Amateuren und Profis, und Christian Streich, der A-Jugendtrainer, allesamt Fußballlehrer. Demnächst wird Damir Buric, von 1992 bis ’99 Profi unter Finke, sein Diplom erwerben. Dann ist ein fünfköpfiges Kollegium zusammen, und der Cheftrainer freut sich: „Das alles ist eine richtige qualitative Verbesserung.“ Manager Andreas Bornemann, der als Nachfolger von Andreas Rettig (zum 1.FC Köln) in den eigenen Reihen gefunden wurde und der den Bau der Freiburger Fußballschule vorangetrieben hat, hat das Jahr in der zweiten Liga als hilfreich begriffen, um im neuen Umfeld Fuß zu fassen. Dazu kommen der Marketingleiter Hanno Franke, als Sprecher der ehemalige Mannschaftskapitän Martin Braun sowie ein dreiköpfiger Vorstand, der es verstanden hat, den SC Freiburg schuldenfrei durch alle Fährnisse zu steuern. Und wenn Finke von Euphorie getragen wird, wie am Abend des Wiederaufstiegs, dann erwähnt er auch die freundlichen Helferinnen, die im Aufenthaltsraum der Mannschaft frische Blumen auf den Tisch stellen. Weil diese feine Gliederung kompliziert ist, wird Freiburg der Einfachheit halber auf Finke reduziert. Dagegen ist schwerlich anzukämpfen, denn starke Bilder sind populärer als schlichte Grundsätze, die für die Fußballsache in Freiburg gelten: „Konzeptionell und mit Spaß arbeiten“ (Finke). An dieser Stelle seines Referats packt den Niedersachsen stets die Leidenschaft.“

Freiburger Refugium

Roland Zorn (FAZ 31.7.) beschreibt die Situation in Freiburg. „Volker Finke, Medienstar? Die Vorstellung graust den Fußball-Lehrer des SC Freiburg, obwohl er in Funk, Fernsehen und in den Zeitungen lange nicht mehr so präsent wie in diesen Tagen war. Wer mit dem Sport-Club zweimal aus der Bundesliga abgestiegen und dreimal in die erste Klasse aufgestiegen ist, bleibt gefragt – vor allem dann, wenn Finkes Mannschaft wieder einmal die Schwelle nach ganz oben überschritten hat. Das ändert nichts daran, daß der Trainer, der seit 1991 an seinem Freiburger Projekt arbeitet, vom Sportjournalismus insgesamt enttäuscht ist. Manchmal platt, öfters falsch und gelegentlich allzu inszeniert mutet den Niedersachsen inzwischen an, wie über den Fußball als Zirkusspektakel oder Showevent berichtet wird. Und schon gar nicht mag er Behauptungen, er sei nur deshalb im dreizehnten Jahr Freiburger, weil er allein dort seine Macht auf alles erstrecken könne, was rund um den SC geschieht. Jemandem, der nicht weg will, zu unterstellen, er habe Machtphantasien, ist die blanke Projektion. Der frühere Gymnasiallehrer ist in seinem Freiburger Refugium, seit er sich gegen die Schule und für die Erziehung von besonders begabten Fußballschülern entschieden hat, besser als die meisten Kollegen aus der Bundesliga gegen Zumutungen und populistische Forderungen gewappnet. Er hat seine persönliche Reifeprüfung auf dem zweiten Bildungsweg Bundesliga längst bestanden und nebenbei mit Spielern ohne Starstatus einen Freiburger Fußballstil kreiert, welcher der etablierten Konkurrenz mit seinem raumgreifenden Pressing und seinem technisch anspruchsvollen Kurzpaßspiel oft genug Rätsel aufgab (…) 18.000 Dauerkarten hat der Klub für den abonnierten Erlebnishunger auf Bundesliga-Fußball verkauft. Daran war vor zwölf Jahren nicht zu denken, als ein gewisser Herr Finke vom SC Norderstedt zum SC Freiburg wechselte. Dessen Chef und Präsident hieß damals wie heute Achim Stocker. Mit dem Unterschied, daß Stocker seinerzeit gerade noch ein Rentner auf der Geschäftsstelle des kleinen Zweitligaklubs im Dreiländereck zur Hand ging. Mit dem Ortswechsel des zunächst nur beurlaubten, inzwischen für den Schuldienst verlorenen Trainers Finke begann das Zeitalter der Professionalisierung in Freiburg. Inzwischen hat der SC einen Manager, eine Marketingabteilung, eine allseits gelobte Fußballschule und sogar einen eigenen Greenkeeper, der das Seine zum Bundesliga-Bilderbuchtatort Dreisamstadion beiträgt. Nachdem Finke zu Beginn seiner Freiburger Aufbaujahre seinen Präsidenten einmal davon überzeugt hatte, daß das wenige Freiburger Geld gut angelegt sei, wenn der Klub sich etwa ein Faxgerät und auch einen Trainerassistenten, den immer noch treuen Helfer Achim Sarstedt, leiste, ging der Auf- und Ausbau des Klubs sukzessive weiter.“

Herrschaften, es ist angerichtet!

Das Hors d´oeuvre (Ligapokal) machte Wolfgang Hettfleisch (FR 30.7.) Geschmack auf mehr. „Bei allen Verdauungsschwierigkeiten im Nachgang der Kirchschen Völlerei, mit denen viele Bundesligisten ihren ungezügelten finanziellen Heißhunger noch immer bezahlen: Der Appetit auf eine sündige Portion Fußball nach der strengen Sommerdiät war in Mainz unverkennbar. Das verriet nicht zuletzt der Blick über Presse- und VIP-Tribüne am Bruchweg, deren Besetzung jeder Bundesliga-Begegnung zur Ehre gereicht hätte. In den 40 Jahren ihres Bestehens hat die Bundesliga viele Höhen erklommen und ist durch manches tiefe Tal marschiert. Hat die dunklen Zeiten überstanden, da Spieler ge- und Spiele verkauft wurden. Hat sich vom Gänsehaut-Erlebnis für Puristen zur deutschen Disney World für die ganze Familie gewandelt. Ist, da den eigenen proletarischen Wurzeln längst entfremdet, zum adäquaten Umfeld für Geschäftsgeflüster in Logen und Business Seats geworden. Und ihrerseits zum Milliardengeschäft um Spielertransfers und Fernsehrechte, in dem für Vereinsmeierei und Sentimentalitäten jedweder Art kein Platz mehr ist. Traditionalisten mögen die Entwicklung bedauern, die diese grandiose Erfindung namens Bundesliga seit ihrer Geburtsstunde im August 1963 genommen hat. Doch auch die Unterhaltungsindustrie Profifußball, unter der medialen Lupe längst auf Überlebensgröße angeschwollen, ist letztlich – und darauf bereitwillig fünf Euro ins Phrasenschwein – nur ein Ausdruck der herrschenden gesellschaftlichen Zustände.Wer das wissen will? Auch wieder wahr. Rollt erst der Ball, schrumpft alle Reflexion zur bloßen Hirnakrobatik. Entscheidend ist immer noch aufn Platz. Ganz genauso wie vor 40 Jahren. Die Nachricht aus Mainz kann daher nur lauten: Herrschaften, es ist angerichtet!“

Fehlender Respekt vor der Institution Schiedsrichter

Roland Zorn (FAZ 30.7.) wundert sich über den Ausraster des Dortmunder Nationalspielers im Ligapokal-Finale. „Kehl galt bisher nicht als jugendlicher Heißsporn, der am Arbeitsplatz zu unerlaubten Übergriffen neigte. Als Nationalspieler, der in der Freiburger Fußballschule des anerkannten Trainerpädagogen Volker Finke seinen ersten Schliff bekam, schien der Ordnungshüter des Dortmunder Mittelfelds immun gegen allzu aggressive Anfechtungen. Am Montag ist Kehl selbst und alle, die mit ihm zu tun haben, eines Schlechteren belehrt worden (…) Die Grenze zwischen der notwendigen, noch tolerablen Aggressivität und der unerwünschten, blanken Aggression im Spiel richtig zu ziehen ist eine wichtige Schulungsaufgabe der Trainer. Auf diesem Terrain mit fließenden Übergängen gilt der als Spieler und Trainer heißblütige Matthias Sammer noch als Lernender. Drei Rote Karten für Dortmunder Spieler im vergleichsweise unerheblichen Ligapokal waren des Guten zuviel. Sammer fand neben aller Kritik auch Worte des Verständnisses für Kehls mangelnde Berührungsangst gegenüber dem Tabu-Objekt Schiedsrichter. Wie alt ist er denn? 23 Jahre. In dem Alter haben andere schon ganz andere Fehler gemacht. Damit hatte er zwar recht, doch um Relativierung ging es im Fall Kehl nicht. Jeder wußte, daß sich dieser Spieler keiner Körperverletzung im strafrechtlichen Sinne schuldig gemacht hatte. Wohl aber offenbarte eine der großen Nachwuchshoffnungen des deutschen Fußballs fehlenden Respekt vor der Institution Schiedsrichter. Die Spielleiter müssen aber, mögen ihre Entscheidungen manchmal noch so unverständlich sein, unantastbar bleiben. Andernfalls würden die Spielregeln des Fußballs der Willkür und damit den Stimmungen übellauniger Profis überantwortet.“

Ulrich Hartmann (SZ 30.7.) berichtet den hohen Preis, den Borussia Dortmund für die Finalteilnahme zahlte. „Man weiß nicht genau, was sich am späten Montagabend in der Schiedsrichterkabine des Mainzer Fußballstadions abgespielt hat. Aber wenn man einem der beiden Tatbeteiligten glauben darf, dann war die Begegnung des Fußballers Sebastian Kehl mit dem Spielleiter Jürgen Aust nach dem Ligapokal-Finale regelrecht rührend. Kehl berichtete, er habe Herrn Aust persönlich gesagt, wie Leid ihm alles tue, und Herr Aust habe geantwortet, ihm auch, aber dass er halt keine andere Wahl gehabt habe (…) Dortmunds Teilnahme am vermeintlich harmlosen Ligapokal hat in den vergangenen zwei Wochen eines farbenfroh illustriert: Die Bundesligasaison hat noch nicht einmal begonnen, da erinnert das Innenleben des selbst ernannten Bayern-Herausforderers bereits an das überladene Drehbuch einer wirren Seifenoper. Drei Rote Karten, zwei Kreuzbandrisse, ein an Arsenal London verlorener Torhüter und eine lange Liste von spekulativen Zugängen sind die Dortmunder Bilanz der jüngsten Tage.“

Ulrich Hartmann (SZ 30.7.) referiert die Lage beim Sieger. „Beim HSV geben sie im Spiel zurzeit richtig Gas, nur um hinterher auf die Bremse zu treten. Denn im Norden sind sie trotz des spielerischen Aufschwungs nicht ganz sorglos momentan. Das Geld ist knapp beim einzigen Verein, der alle 40 Spielzeiten in der Bundesliga erlebt hat. Weil die vergangene Saison mit einem Minus von 14,5 Millionen Euro abgeschlossen wurde, muss der HSV sparen. Während also die Mannschaft bis zur Winterpause zähneknirschend auf alle Punktprämien verzichtet, erklärten sich die Vorstandsmitglieder mit acht Prozent weniger Gehalt einverstanden. Vor diesem Hintergrund tun die 1,3 Millionen Euro Preisgeld aus dem Ligapokal besonders gut, und die will Dietmar Beiersdorfer auch nicht gleich wieder in einen neuen Spieler investieren, obwohl Trainer Jara sich nach dem Weggang der Offensivkräfte Meijer und Ketelaer sowie einer neuen Verletzung des Stürmers Romeo eine Alternative für die Abteilung Torschuss wünschen würde.“

Erik Eggers (FTD 30.7.) teilt dazu mit. „Spieler, Trainer und auch Vorstand des Klubs lassen sich also offenbar nicht anstecken von den Gefühlswallungen, die viele HSV-Anhänger schon vor diesem ersten Titel nach dem DFB-Pokalsieg 1987 befallen hatte. Es war seinerzeit das Finale einer großen Ära gewesen, einer Ära mit drei Deutschen Meisterschaften und einem glorreichen Europapokalsieg gegen Juventus Turin. Keeper Uli Stein war noch dabei, und sogar noch alte Recken wie Außenverteidiger Manfred Kaltz und Dietmar Jakobs. Ein junger, talentierter Spieler namens Beiersdorfer schoss damals den Ausgleich, und der kettenrauchende Trainer Ernst Happel feierte den Sieg in seinem letzten Spiel auf seine eigene, unverwechselbare Art – er verschwand unverzüglich nach dem Abpfiff. Auch Jara ist Österreicher, und nun flirten einige Fans mit der Vergangenheit und glauben fest an die Renaissance ihres Klubs.“

Weitgehend profilloser Bundesliga-Klub

Wo landet 1860 München?, fragt Christian Zaschke (SZ 31.7.). „Paul Breitner hat es verbreiten lassen: Er glaube, der TSV 1860 München könne in diesem Jahr absteigen. Dann war es der Ghostwriter von Max Merkel in der Bild-Zeitung: die Löwen? Ausgebrüllt. Hat der Verein sich kaputtgespart? Sportdirektor Dirk Dufner sagt: „Das ist ja schön und gut, wenn Paul Breitner sagt, wir müssten drei, vier gestandene Spieler holen. Das kann ich machen, aber dann ist der Verein in zwei Jahren Pleite.“ Statt einzukaufen haben die Sechziger so konsequent gespart, dass sie in einer deutschen Knauserliga einen Champions-League-Platz belegen würden. Meist kann man die Spartabelle am Ende einer Saison umdrehen, und dann entspricht sie der tatsächlichen Tabelle: oben die mit dem Geld, unten die Sparer. In der vergangenen Saison hat sich bereits angedeutet, dass sich etwas geändert hat, Vereine mit kleinen Budgets waren erfolgreicher, allen voran der VfB Stuttgart. In dieser Saison soll sich dieser Trend nach dem Willen von Dirk Dufner fortsetzen (…) In den vergangenen Jahren hat der Verein sich im Schatten des FC Bayern zu einem weitgehend profillosen Bundesliga-Klub entwickelt. Kein eigenes Stadion, kein Identität stiftender Erfolg, nur der Verweis auf früher, auf die Tradition. Die Zuschauerzahlen sinken konstant, immer noch. Das Gegenrezept: „Wir wollen der Münchner Verein sein, der die jungen Talente herausbringt. Das müssen dann nicht alle Münchner sein, aber es können ja viele aus der Region dabei sein“, sagt Dufner. Vielleicht haben sie bei 1860 jetzt die Rezepte so schnell parat, weil sie schon länger wussten, dass es in der gewohnten Form nicht weitergehen konnte. Sonst wäre der Verein an der Nähe zum FC Bayern erstickt. Die Umdeutung der Krise zur Chance ist allenthalben beliebt, beim TSV 1860 glauben sie – aller Skepsis der Boulevardpropheten zum Trotz – sehr fest daran, dass eine bessere Zukunft wartet. In der Vorbereitung absolvierten die Sechziger eine umstrittene Reise nach Korea zu einem Turnier, das die Moon-Sekte ausrichtete. Die Kritik daran focht sie nicht an, Dufner sagt: „Wir haben erstmals Geld in der Vorbereitung eingenommen. Sonst haben wir dafür immer bezahlt.“ Die Sekte sei eher ein Wirtschaftsunternehmen, mit Religion habe das nichts zu tun gehabt. Auch das ist ein Effekt der neuen Geldnot, dass der Blick nicht immer ganz so scharf ist, wie er sein müsste; dass Grenzen zu Grauzonen werden.“

Jörg Stratmann (FAZ 30.7.) porträtiert den erfolgreichen Kölner Macher. „So jugendlich, wie der 40 Jahre alte Andreas Rettig die Verspätung zwischen zwei Terminen mit einem lockeren Sprint um den Klubsitz Geißbockheim aufzuholen versucht, vermittelt sich dies: Schwungvoll geht der Traditionsverein seine Rückkehr an und will möglichst schnell wieder an gute alte Zeiten anknüpfen. Die letzte große Ära hatte der gebürtige Leverkusener Rettig aus sicherer Entfernung betrachtet. Zwar war er selbst einst als passabler Oberligakicker auch für den kölschen Klub Viktoria tätig. Stets bemüht, wie er befindet, ab und zu bekam ich Krach mit dem Ball. Anschließend absolvierte er in Köln eine Trainerausbildung. Doch der Eff Zeh, wie sie den berühmtesten Verein der Stadt rufen, war immer weit weg. Auf der anderen Seite des Rheins, der hier Welten trennt, ließ sich Rettig beim Bayer-Konzern ausbilden, wurde 1990 Jugendkoordinator bei Bayer 04 und assistierte bis 1998 Geschäftsführer Reiner Calmund. Daß sie ihn im März vorigen Jahres dennoch mit offenen Armen beim damaligen Absteiger 1. FC Köln aufnahmen, lag daran, daß Rettig viereinhalb Jahre lang die Geschäfte des SC Freiburg geführt hatte, der bei allem sportlichen Auf und Ab einiges vorzuweisen hat. Wir sind mit unserem Micky-Maus-Etat Sechster geworden, zählt Rettig auf. Wir haben jedes Jahr einen siebenstelligen Gewinn eingefahren, ins Stadion und in die Freiburger Fußballschule investiert. Das war auch in Kölner Augen eine glänzende Empfehlung. Daß die gepflegte Abneigung zwischen den rheinischen Nachbarn eines der Hauptthemen hiesiger Fußballkultur bleibt, begegnet Rettig fast täglich. Kölner Freunde verübeln ihm nach wie vor, daß er nichts grundsätzlich Negatives über Leverkusen verbreite. Charaktersache, sagt Rettig. Da hat der Ort der Geburt wenig Einfluß. Hinzu kommt natürlich, daß er zehn Jahre lang viele schöne Erinnerungen an Leverkusener Fußball sammeln konnte, darüber hinaus Calmund viel zu verdanken habe und als kleiner Calmund in diesem Jahr fast wieder zurückgekehrt wäre. So war es noch im Frühjahr 2002 geplant, doch Rettig sagte ab. Einerseits im sicheren Gespür, daß Champions-League-Finalist Bayer in seiner erfolgreichsten Saison wohl über die Verhältnisse gespielt habe und er angesichts vorhersagbarer Rückschläge kaum aus dem mächtigen Schatten des immer nur scheinbar amtsmüden Calmund herausgetreten wäre. Dafür aber hatte Rettig in Freiburg zu selbständig gearbeitet, trotz des Einflusses des Trainers und früheren Lehrgangskollegen Volker Finke. In Köln bot sich andererseits die Möglichkeit, sich endgültig zu beweisen. Das weist Rettig zwar von sich. Dazu brauchte ich den FC nicht, sagt er. Allerdings sei die Aufgabe hier deutlich spannender als in Leverkusen. Denn in Köln konnte er einem Klub helfen, der vor allem für Unruhe und geradezu neurotische Ungeduld bekannt ist. Aber auch für eine Zuneigung der Fans, die den Leverkusenern immer noch fremd sei.“

taz-Interviewmit Andreas Rettig

Fußballkölle gibt jede Anmutung von Glamour und Spektakel auf

Bernd Müllender (taz 31.7.) analysiert die sportlichen Perspektiven in Köln. „Bei aller Aufstiegs-Euphorie möchte niemand mehr solche Performances sehen wie im Vorjahr: Regelmäßig spielte der FC einen Grottenstiefel zusammen, aber er siegte und siegte. Die Süddeutsche hatte damals erkannt, der Club werde zum Abbild seines Trainers. Hieß: Fußballkölle gibt jede Anmutung von Glamour und Spektakel auf und siegt sich in einem fußballerischen Herr-und-Hund-Syndrom mit viel Kampf und Arbeit bieder zum Sieg – so wie eben Coach Funkel redet und wirkt. Solch ein Erfolgsrezept ist dem eher respektierten als geliebten Funkel gegenüber nicht ganz fair. Denn der Exuerdinger ist zwar einer der wichtigsten Vertreter des trainerischen Savianatums (Sagt viel, aber nichts aus), kann aber privat ganz anders. Beleg sei ein langer, später Abend in einer Freiburger Szene-Kneipe diesen Winter, wo Funkel nach einem Heimspiel des SC gutlaunig Bier um Bier trank und dabei unerwartet charmereich stundenlang eine einheimische Studentin zuflirtete. Der FC boomt. Zur Saisoneröffnung bei Bratwurst und Bier kamen 20.000 Menschen. Der Vorbereitungskick gegen den FC Liverpool (1:3) war ausverkauft. Für die bislang dreiviertelfertige Arena, ein grenzwertig steiles und jetzt schon über die Maßen phonstarkes Bauwerk (vorläufige Kapazität 33.000, ab Rückrunde: 51.000), sind über 20.000 Dauerkarten verkauft. Hardcore-Fans reicht das nicht, und so haben 500 FC-Freunde Auswärts-Dauerkarten erworben. Und selbst die Frage des Trikotsponsors ist seit Dienstag geklärt: Der Kartoffelchips-Fabrikant funny-frisch, ein Kölner Unternehmen, prangt ab sofort auf der Kölner Brust. Die Publikumsbindung ist am Rhein langfristig angelegt. Zwar sind selbst im Stadion noch keine Kinderwagen-Dauerstellplätze eingerichtet. Aber im Fan-Shop in der Kölner Innenstadt ist, in Rot und Weiß mit saugfreundlichem Geißböckchen-Logo, der kiefergerechte Beruhigungsschnuller ab 5 Monate erhältlich. Nur, warum beruhigen? Auch der jüngste Fan muss doch brüllen. Vielleicht sieht man aber bei Gegentoren demnächst tribünenweise Mamas und Papas an den Dingern nuckeln. Beim EffZeh ist alles möglich. Sogar der Nichtabstieg.“

Schweigsamer Grantler, ein harter Hund und ein Ordnungsfanatiker

Michael Eder (FAZ 1.8.) porträtiert den Trainer Eintracht Frankfurts. „Der Mann, der die fast bankrotte Eintracht zurück in die Bundesliga geführt hat, ist ein schweigsamer Grantler, ein harter Hund und ein Ordnungsfanatiker, der Alleingänge seiner Spieler umgehend bestraft. In seiner aktiven Zeit als Spieler war Reimann, mittlerweile 53 Jahre alt, nicht nur einer der besten deutschen Stürmer, sondern auch ein Profi mit Sekundäreigenschaften, die er heute geradezu haßt: unbeherrscht, widerspenstig, lauffaul (…) Zur Frankfurter Eintracht ist er gekommen, als seine Trainerkarriere nach Stationen in Hamburg, Wolfsburg und Nürnberg mehr oder weniger zu Ende schien. Die Frankfurter kämpften in der Vorbereitung auf die vergangene Saison verzweifelt um ihre Lizenz, und lange Zeit sah es aus, als würden sie in den Amateurfußball absteigen müssen. Kein Trainer von Rang hätte damals das Hinhaltespiel über Wochen mitgemacht, aber Reimann hatte keine andere Wahl. Er wartete, und als die Frankfurter Lizenz per Gerichtsbeschluß bestätigt war, kam er auch für das kleine Geld, das die Frankfurter zahlen konnten. Für Reimann war es die einmalige Chance, wieder ins Geschäft zu kommen, und er nutzte sie, indem er mit eisernem Besen kehrte. Die Frankfurter hatten keinen schlechten Kader damals, aber sie litten wie meist unter Possen und Intrigen und unter der chronischen Eintracht-Krankheit, der Selbstüberschätzung. Als Reimann kam, waren der Worte genug gewechselt, von da an wurde gearbeitet, und wer nicht mitzog, gleichgültig, wie er hieß, hatte keine Chance mehr. Für die Frankfurter Eintracht waren die Arbeitsmethoden und Überzeugungen des neuen Mannes ein Segen; die Mannschaft spielte unter Reimanns Leitung Fußball auf solidem Niveau, auch dank einer Handvoll Zugänge, die der Trainer mitgebracht hatte. Reimann, kein Zweifel, ist der Vater des Frankfurter Aufstiegs. Er hat die Mannschaft auf Kurs gebracht, und als es im Saisonfinale eng und enger wurde, war er es, der mit seiner stoischen Gelassenheit jede Nervosität schon im Keim erstickte. Reimann ist ein Pauker vom alten Schlag, einer wie der gnadenlose Lateinlehrer, bei dem auch die übelste Klasse verstummt, wenn er den Raum betritt. Und Reimann ist ein Machtmensch, der keinen Widerspruch duldet.“

Man muss den Funktionären eine faire Chance geben, etwas in Ruhe zu anzugehen

Auszüge aus einem FR-Interview mit Willi Reimann (Trainer Eintracht Frankfurt)

FR: Sie sprechen gerne von Einheit, Geschlossenheit, einem kleinen Kreis. War das der Schlüssel zum Aufstieg?

WR: Wir haben uns nicht verrückt machen lassen und uns auf keine Ränkespielchen eingelassen, sondern wir sind unseren Weg gegangen, kerzengerade, und er hat uns in die Bundesliga geführt, wo wir genauso weiterarbeiten werden – auch wenn es ungleich schwerer wird. Unterm Strich steht der Erfolg, und er spiegelt wider, mit welcher Konstanz wir gearbeitet haben. Wir haben bewiesen, dass man etwas Großes erreichen kann, wenn man zusammenhält, die Ärmel aufkrempelt und nicht schwankt.

FR: Von Einheit und Geschlossenheit ist auf höherer Ebene nichts zu spüren bei Eintracht Frankfurt. Die Sommerpause hat die Eintracht dazu genutzt, ihren Ruf als Skandalnudel aufzubessern. Auch Sie haben sich an dem Theaterstück beteiligt. Musste das alles sein?

WR: Also, Moment mal: Ich hatte die Aufgabe, die Mannschaft zusammenzustellen, und das habe ich umgesetzt. Nicht mehr und nicht weniger. Und eines ist doch klar: Wenn irgendwelche anderen Strömungen auftauchen, die vielleicht in der Historie von Eintracht Frankfurt begründet liegen, dann sage ich: Das läuft nicht mit Willi Reimann, der macht das so, wie er es sich vorstellt, weil er der sportlich Verantwortliche ist. Und kein anderer. Ich bin für das sportliche Konzept verantwortlich, daran lasse ich mich messen. Man muss Geduld haben und uns Zeit geben, damit etwas wachsen kann.

FR: Die Eintracht hat keinen Manager, keinen Vorstandschef, die Mitglieder des Aufsichtsrates blockieren sich gegenseitig. Das sind doch Zustände wie in der Kreisklasse.

WR: Nein, bis vor vier Wochen hatten wir Volker Sparmann als Vorstandsvorsitzenden, und er hat hervorragende Arbeit geleistet, ohne ihn würde es in Frankfurt bei der Eintracht keinen bezahlten Fußball geben. Nun sind die Vereinsgremien gefragt, neue Leute zu installieren, und das wird passieren. Aber man muss den Funktionären eine faire Chance geben, etwas in Ruhe zu anzugehen, nicht so wie es manche gerne hätten: mit Hochdruck und schnell-schnell. Alles, was schnell gemacht wird, ist nicht gut. Es ist doch wie bei einer Fußballmannschaft. Auch da muss man Geduld haben, bis sie sich gefunden hat: drei Wochen oder sechs oder auch ein halbes Jahr. Es geht nicht alles von heute auf morgen.

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Das Gefühl, von 8 000 Menschen gehasst zu werden, ist eine Erfahrung, die man nicht braucht

Auszüge aus einem BLZ-Interview mit Jürgen Klopp (Trainer FSV Mainz 05)

JK: Jeder, den ich hier treffe, erzählt mir, wie er den letzten Spieltag erlebt hat: Der eine war in der Kneipe, der andere war schon unterwegs zum Feiern – eine Million Geschichten. Diese öffentliche Wahrnehmung ist ein wichtiger Gradmesser. Je mehr die Leute mir erzählen, desto mehr weiß ich, dass Mainz 05 sie interessiert.

BLZ: Hat das kleine Mainz seine große Popularität vor allem seinem spektakulären Scheitern zu verdanken?

JK: Auf jeden Fall. Wobei: Wären wir nur spektakulär gescheitert, wäre es nicht so emotional gewesen. Wir haben vorher auch sehr spektakulär gespielt. Wir haben die Leute schon vorher begeistert. Was Menschen verbindet, sind große Siege und große Niederlagen. Hauptsache, man hat zusammen gefeiert oder zusammen getrauert. Das sind Dinge, die emotional haften bleiben.

BLZ: Sie haben mal gesagt, Sie sehen das Spiel nicht als Arbeit, sondern wollten es zum Event machen. Sie wollen also schönen Fußball?

JK: Nee, nee! Schön nicht! Spektakulär! Schöner Fußball interessiert mich fast gar nicht. Wenn es kracht, wenn es staubt, wenn gekämpft wird, wenn es Chancen gibt, wenn an die Latte geschossen wird, wenn es die Leute von den Sitzen reißt: Das ist spektakulärer Fußball, der interessiert mich. Im Zirkus würden mich auch die Hochseilartisten mehr interessieren als eine Dressur.

BLZ: Was ist für Sie denn das Kurzpassspiel des SC Freiburg. Ist das schöner oder spektakulärer Fußball?

JK: Schöner.

BLZ: Also nicht Ihr Ding?

JK: Weniger. Man muss sich im Spiel selber wiederfinden, mit seinem Charakter. Und da bin ich sicher unruhiger als der Kollege in Freiburg.

BLZ: Hat die Art, wie eine Mannschaft Fußball spielt, auch etwas mit der Mentalität in der Stadt zu tun?

JK: Das glaube ich schon. In Mainz sind die Leute aus dem Stand bereit zu feiern. Nicht nur zur Fastnacht. Und das können wir im Stadion freisetzen. Aber natürlich nicht mit Doppelpassfolgen, dann klatschen die Leute zwar, aber .

BLZ: Sie langweilen sich?

JK: Nein. Aber sie werden auch nicht richtig unterhalten.

BLZ: Mainz startet zuhause gegen den 1. FC Union Berlin. Sie selbst haben seit 2002 unter den Berliner Fans eine nicht kleine Feindesgemeinde.

JK: Der Verein ist mir eigentlich sympathisch. Und ich bin nicht nachtragend. Aber das Gefühl, von 8 000 Menschen gehasst zu werden, ist eine Erfahrung, die man nicht braucht.

Michael Ballack hat das Zeug dazu, den Kaiser an Größe zu erreichen

Steffen Haffner (FAZ 31.7.) vergleicht Michael Ballack mit Franz Beckenbauer. „Ist Michael Ballack ein neuer Beckenbauer? War Franz Beckenbauer ein früher Ballack? Entfernte Ähnlichkeiten im Äußeren und in der Körpersprache sind nicht zu übersehen. Der aktuelle Star der Bayern hat sich unbeschwert vom Schatten des jungen Kaisers entwickelt. Zu lange ist dessen Glanzzeit in den sechziger und siebziger Jahren her. Nur einige kurze Filmausschnitte mit ihm hat der heute knapp 27 Jahre alte Ballack gesehen. Dabei ist mir seine Haltung aufgefallen. Diese leichte Rückenlage, in der Franz Beckenbauer eben noch den Ball streichelte und im nächsten Moment mit dem Leder am Fuß nach vorne beschleunigte, dribbelnd, Pässe schlagend und, oft mit Gerd Müller, Doppelpaß spielend. Beckenbauer läßt den Vergleich in der Ballbehandlung und in der Spielübersicht gelten. Der Michael ist einer wie ich, der aufrecht läuft, der den Blick nach unten vermeidet, weil er das Gefühl hat für den Ball. Er läuft mit dem Ball und schaut sich die Gegend an. Das ist schon mal ein großer Vorteil. Beide sind elegante Spieler. Beckenbauer war ein wenig antrittsschneller. Das fiel gerade in seiner Position als Libero ins Gewicht, wenn er als Spielmacher hinter der Abwehr unversehens in die Räume nach vorne stieß. Michael Ballack bewegt sich ebenfalls schnell, aber eher mit raumgreifenden Schritten. Günter Netzer schwärmt von der Ästhetik, der eleganten Ballbehandlung und perfekten Technik Beckenbauers. Er hat die Position des modernen Liberos kreiert und auf Dauer am besten interpretiert. Keiner hat diesen Beckenbauer je erreicht. Der Fernsehkommentator bewundert heute noch die Fähigkeit des Münchners, geschmeidig den Zweikämpfen aus dem Weg zu gehen und sich deshalb nur selten zu verletzen (…) Franz Beckenbauer hat Fußball so gespielt, wie er lebt: mit der Gabe, die Widerstände mit eleganter Wendigkeit zu überwinden. Und wenn Schwierigkeiten kommen, muß man halt versuchen, sie mit einer gewissen Leichtigkeit zu meistern. Der Weltmeister als Spieler und Teamchef war auf dem Feld so präsent wie heute in den Medien. Seine Individualität, gepaart mit seinem zuweilen cholerischen Temperament, hat die Mannschaft befeuert. Michael Ballack dagegen bringt sich, geprägt von dem Denken der DDR, unauffälliger ins Kollektiv ein. Er ist sich nicht zu schade, da hinzugehen, wo es weh tut. Ein Kämpfer mit gestalterischen Fähigkeiten und dem Instinkt für den finalen Torerfolg. Der Bayern-Spieler ist kein neuer Franz Beckenbauer. Doch Michael Ballack hat das Zeug dazu, den Kaiser an Größe zu erreichen.“

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