Ballschrank
Historische Vergleiche über Stefan Effenberg nach dessen inszeniertem Abgang
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| Donnerstag, 25. März 2004
„Seit Donnerstag ist Wolfsburg wieder Wolfsburg“, kommentiert der Tagesspiegel die überraschende Kündigung Stefan Effenbergs beim VfL, dem „wohl knalligsten Abschied, den je ein Star auf der Bundesliga-Bühne hingelegt hat“ (SZ). Mit Hinblick auf Effenbergs vermeintliches Übergewicht spöttelt die FAZ: „Ob es nun so war oder nicht – unter dem Strich wird als Grund für die Flucht des alternden Platzhirschs aus der Provinz, der vom neuen Trainer Jürgen Röber verscheucht wurde, folgendes in den Köpfen der Fans bleiben: Effe war zu dick.“ Über die spitze Feder der Journalisten darf er sich nicht wundern, hat der selbstgefällige – nebenbei auch wortgewandte und keineswegs einfältige – Ex-Nationalspieler diese schließlich seine Verachtung über Jahre hinweg spüren lassen.
An dieser Stelle gilt es, “Freunde der Sonne”, inne zu halten: Hat man ihn vielleicht immerzu missverstanden, den vielfachen Millionär und sechsten Wirtschaftsweisen, der einmal Arbeitslosen die Stütze kürzen wollte? Sind Schreiberlinge überhaupt dazu in der Lage, das Schicksal und Innenleben solch großer Menschen, ausgezeichneter Menschen, hochdekorierter Menschen nachzuvollziehen? Hätten wir in Effenberg den jungen Goethe sehen müssen, der seine argwöhnische Kritikerschar als „lästige Schmeißfliegen“ bezeichnete, die dem Gipfelsturm des strebenden Helden mangels Talent und Substanz nicht folgen kann? Oder sollte man, wie Philipp Selldorf (SZ) es einmal tat, im “Ausmaß Effenbergs gedankenloser Arroganz das historische Vorbild Kaiser Nero“ erkennen?
Es geht durchaus auch zwei Nummern kleiner: Effenberg in Wolfsburg, „der letzte Anarchist des Fußballs, da Mario Basler längst selig auf der Reservebank Platz nimmt“ (SZ): Das war von vornherein ein „PR-Gag in Stollenschuhen“, schreibt die Berliner Zeitung angesichts des scheinbar primär auf öffentliche Wirkung ausgerichteten Kauf des boulevardfähigen Effe. Zwar gibt es in Expertenkreisen keinen Zweifel darüber, dass er dem VfL Wolfsburg sportlich nicht die Spur geholfen hat. „Der als Leitwolf verpflichtete Effenberg stand eher für sportliche Stagnation als für den Aufschwung“, urteilt die FAZ. Aber „immerhin hat er dem grauen Klub aus Niedersachsen eine Folge von schlagzeilenträchtigen Knalleffekten beschert.“ Daher ist es kein Wunder, wenn die neben ihrem Star noch zwergenhafter wirkenden Verantwortlichen des Klubs kein Wort der Reue über dessen Verpflichtung erst vor knapper Jahresfrist verlieren. Dazu gibt es keinen Anlass. Schließlich wird der Werbewert Effenbergs für den Verein von eigener Seite auf 20 Millionen Euro geschätzt.
Fleisch gewordene Ich-AG
Thomas Kilchenstein (FR 4.4.) resümiert den Wolfsburg-Aufenthalt Effenbergs. „Dass das etwas anderes als ein besserer Treppenwitz war, das Effenberg’sche Engagement beim VfL Wolfsburg, dem Synonym für Langweile, Unauffälligkeit, Unscheinbarkeit, hatten ernsthaft allenfalls die Verantwortlichen des VW-gestützten Clubs gedacht. Effenberg, der Tiger, und Wolfsburg, die Provinz – das passte nie. Die Fleisch gewordene Ich-AG ist am Ende seiner Karriere für ein paar Monate noch mal dahin gegangen, wo es das meiste Geld zu verdienen gab, Wolfsburg eben. Angekommen ist der Klaus Kinski aus dem Stadion (Bunte) in Niedersachsen nie. Dort, beim kreuzbraven Verein für Leibesübungen, sollte er Leitgolf (SZ) sein, doch er hat, kaum interessiert, allein sein Ding durchgezogen, hat sich um Kritik oder Teamspirit wenig gekümmert, auch weil er genau wusste, dass ein schwacher Trainer Wolfgang Wolf ihm reichlich Privilegien gestattet hat. Wer wollte denn einem Effenberg, dessen Werbewert für den Club auf 20 Millionen Euro taxiert wurde, ernsthaft Paroli bieten? Nein, dem Egomanen war, bis Jürgen Röber kam, keiner gewachsen, sie ließen ihn in Wolfsburg machen und tun, was er wollte, weil sie froh waren, überhaupt einen zu haben, über den die Medien berichteten. Stefan Effenberg hat sich kein bisschen mit dem VfL identifiziert.“
Veraltete Spielweise
Frank Heike (FAZ 4.4.) meint zu diesem Thema. „So bescheiden die sportliche Bilanz auch sein mag, betrachtet man die Verpflichtung vom August 2002 allein unter dem Aspekt des PR-Wertes für den VfL, so waren die acht Monate an der Aller eine gute, ja aufregende Zeit. Effe fuhr mit dem Auto durch die Wolfsburger Fußgängerzone, er verjagte einen Fotografen von seinem Grundstück, in Badelatschen. Seine Freundin zog nach Hamburg, und am Ende soll er auch noch einen Polizisten beleidigt haben. Das war so viel Futter für die Zeitungen, daß sich die seriösen Herren im von VW bestimmten Aufsichtsrat der VfL-Fußball-GmbH schon fragten, ob das nicht ein bißchen zuviel des Guten sei (…) Das alles hätte niemanden gekümmert, wenn sich die Extratouren sportlich ausgezahlt hätten. Taten sie aber nicht. Effenbergs Spielweise mit langen Bällen auf die Spitzen wirkte veraltet, in manchem Zweikampf wurde sein Übergewicht sehr deutlich. Daß sich der Rest des Teams dann auch noch hinter dem privilegierten Star versteckte, sich der eigentlich für die Effenberg-Position gekaufte Karhan in den Schmollwinkel verzog und die Mannschaft am Ende in zwei Lager gespalten war, führte zum Absturz nach der Winterpause, den erst der neue Trainer Jürgen Röber bremsen konnte. Ihm muß klar gewesen sein, daß er in Wolfsburg leichter ohne Effenberg würde arbeiten können.“
Durchwachsene Bilanz seines Wirkens
Jörg Marwedel (SZ 4.4.) vermutet. „Tatsächlich kam Effenberg mit seiner fristlosen Kündigung, die ihn fast 500.000 Euro kostet, womöglich einem noch unangenehmeren Ausklang zuvor. Längst zeichnete sich ab, dass es beim VfL keine Mehrheit für eine Vertragsverlängerung gab. Die Bilanz seines kurzen Wirkens war ja auch durchwachsen. Zwar brachte der Name Effenberg Wolfsburg, wie gewünscht, in die Schlagzeilen – oft jedoch nur als putzige Kulisse für die eigenen Inszenierungen und nicht immer im Sinne der um ein sauberes Image bemühten Herren vom VfL-Gesellschafter VW. Mal drohte er einem Fotografen Prügel an, mal soll er einen Polizisten „Arschloch“ genannt haben, was noch gerichtsanhängig ist. Und statt des vom Werk gestellten Dienstwagens bevorzugte er meist einen italienischen Edelflitzer. Schlimmer noch: Als seine Leistungen nach passabler Vorrunde immer schwächer wurden, spaltete der macht bewusste Stratege das Team – in Effenberg-Anhänger wie Schnoor oder Jung-Nationalspieler Tobias Rau und in Effenberg-Gegner wie Miroslav Karhan oder Dorinel Munteanu. Statt das Ziel Uefa-Cup-Platz anzupeilen, rutschte man mit der schlechtesten Punktausbeute seit Jahren in die Nähe der Abstiegszone. Erst als der Meister im März verletzt ausfiel, gab es wieder Siege.“
Durchschnitt und Mittelmaß
Thomas Kilchenstein (FR 4.4.) urteilt. „Vielleicht ist das die Ohrfeige, die Stefan Effenberg am ehesten trifft: Dass sein Fortgang beim Bundesligisten VfL Wolfsburg sportlich kein großer Verlust ist. 19 Spiele hat der alternde Star nur für die Niedersachsen bestritten und drei Tore geschossen seit seinem spektakulären Wechsel im August des vergangenen Jahres, wobei im Grunde keines irgendwie im Gedächtnis haften geblieben ist. Man kann nicht sagen, dass Effenberg, 34, sonderlich schlecht gespielt hätte, aber auch nicht, dass er besonders auffällig geworden wäre. Er spielte so, wie er, der selbst ernannte Führungsspieler, nie sein wollte: durchschnittlich, mittelmäßig, als einer unter vielen.“
“Wir stellen unsere Mannschaft nicht nach Gewicht auf”
André Görke (Tsp 4.4.) fasst Wolfsburger Reaktionen zusammen. „Bernd Storck, der Wolfsburger Kotrainer, saß neben Röber im Wagen. Was auf ihn am nächsten Morgen zukommen würde, ahnte er noch nicht. Da ließ Effenberg in Bild mitteilen, dass er Storck nicht verstehen könne. Effenberg sei gewogen worden, daraufhin habe Storck gesagt: „Bis zur nächsten Woche hast du zwei Kilo abgenommen.“ Für Stefan Effenberg war das „der Höhepunkt“. Das las Storck am Frühstückstisch. Und er war irritiert. Dem Tagesspiegel sagte er: „Ich habe mit Stefan völlig normal gesprochen. Seine Fitness war ein Thema, und Stefan hat gesagt: Okay, ja, ich muss mehr machen“. Dass Effenberg Übergewicht habe, „das haben wir nie behauptet. Wir haben ihn nie an den Pranger gestellt. Das ist Schwachsinn.“ Storck sagt: „Wir wiegen jeden Spieler. Und das wöchentlich. Wir stellen unsere Mannschaft nicht nach Gewicht auf.“ Da müsse „etwas anderes“ sein, Effenberg habe „vielleicht einen Vorwand gesucht“ (…) Über Cheftrainer Röber hat sich Effenberg ebenfalls Gedanken gemacht. Es habe „unüberbrückbare Differenzen“ mit Röber gegeben, „persönliche Probleme“. Röber versteht nicht, was Effenberg meint. „Es ist nicht ein böses Wort gefallen, es gab keine Diskussion, nichts“, sagt Röber. Am Mittwochnachmittag habe Effenberg noch trainiert, seitdem sei er verschwunden. Effenberg habe Pander seine Entscheidung mitgeteilt, nicht der Mannschaft und auch nicht dem Trainer. Röber meint: „Dieser Abgang ist, ganz ehrlich, nicht nachzuvollziehen.“ Und: Diese Geschichte sei „irgendwie Kinderkram“. Am Nachmittag wurde Effenberg dann konkret: „Ich habe nicht eine Sekunde gespielt, trotzdem gab es immer wieder Statements über meine Person. Ich habe Röber darauf angesprochen, aber es hat sich nichts geändert. Er hat auch jetzt wieder gesagt, ich sei nicht fit. Ich kann das nicht nachvollziehen.“ Dann: „Jürgen Röber sollte lernen, wie man sich gewissen Spielern gegenüber verhält.“ Und schließlich: „Meine Karriere in der Bundesliga ist definitiv beendet.“ Es gebe Angebote, „wenn aber nichts Vernünftiges dabei ist, kann ich mir vorstellen, absolut Schluss zu machen“.
zwei Fundstück aus dem Ballschrank
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