Ballschrank
In Hamburg
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| Donnerstag, 25. März 2004
In Hamburg erhofften sich die erwartungsfrohen Zuschauer vergebens ein Spitzenspiel gegen den Deutschen Meister aus Dortmund. Die Akteure boten ein „Abbild des aktuellen Bundesliga-Niveaus: zerhackt, manchmal unfair, dafür aber voller Spannung und mit einem Schiedsrichter, der wieder alle Beteiligten in Rage versetzte“ (SZ). Für Zündstoff sorgte ein hässliches und nur mit einer Gelben Karte geahndetes Foul von HSV-Verteidiger Bernd Hollerbach. „Fußball?“, fragt die FAZ enttäuscht: „Darum ging es in diesem sogenannten Spitzenspiel am wenigsten. Für den Hamburger SV schien die für Ästheten eher abschreckende Begegnung ein reines Rechenexempel, für Borussia Dortmund dagegen in erster Linie ein Härtefall gewesen zu sein.“
Stoppt Hollerbach!
Jörg Marwedel (SZ 14.4.) ärgert sich über die Spielweise des mit einer Verwarnung davongekommenen Bernd Hollerbach. „Der stramme Verteidiger des Hamburger SV ist ein Prachtexemplar von einem Fußball-Macho; er ist die Kampfansage an alles, was hier zu Lande als „Spaßgesellschaft“ oder „verweichlichte Generation“ firmiert. Bernd Hollerbach war mal Deutschlands bester Metzgerlehrling. Er fährt mächtige Motorräder, liebt schöne Schauspielerinnen und Models. Und auf dem Fußballplatz ist er ein rechter Haudrauf und bekommt auch noch viel Geld dafür, was beides zusammen in der Welt Darwins als Aphrodisiakum gilt. Am Samstag hat Hollerbach die elfte Gelbe Karte in dieser Saison gezeigt bekommen – eine mehr als das ähnlich rücksichtslose Schalker Raubein Tomasz Hajto. Und als sich sein Opfer, der kleine Dortmunder Fußball-Mozart Tomas Rosicky, über die schmerzhafte Ellenbogen-Attacke beklagte, die ihm das Nasenbein hätte brechen können, da hat Hollerbach gesagt, er sei diese „Heulerei“ Woche für Woche leid. Das ist ein klares Wort, und es mag Typen wie Uwe Klimaschefski gefallen, der in den sechziger Jahren als säbelbeiniger Rambo die Gegner malträtierte und später als Trainer den Platzwart von Homburg zwecks Zielschießen an den Pfosten band. Oder einem wie Franz Beckenbauer, der ohne den rustikalen Putzer Georg „Katsche“ Schwarzenbeck an seiner Seite nie der „Kaiser“ geworden wäre. Anhänger einer zivilen Gesellschaft aber haben in diesen ohnehin kriegerischen Zeiten nur einen Wunsch – stoppt Hollerbach!“
Galligkeit auf dem braunen Rasen
Jörg Hanau (FR 14.4.) fasst Dortmunder Reaktionen zusammen. „Still und bedächtig verabschiedeten sich auch die Borussen aus Hamburg. Keine geharnischte Ansprache des Trainers, keine Brandrede des Präsidenten. Warum auch? Wir haben heute die zehn Prozent mehr abgerufen, die uns zuletzt gefehlt haben, verteidigte sich Verteidiger Christian Wörns. Einen richtigen Schritt in die richtige Richtung wollte er erkannt haben. Bei einigen wollte Sammer die von ihm eingeforderte Leidenschaft erkannt haben, ich weiß aber auch, dass es so am Ende nicht reichen wird. Schon gar nicht, wenn der Marcio-Amoroso-Virus um sich greifen sollte, der Brasilianer seine Kollegen mit seiner öffentlich zur Schau gestellten Lustlosigkeit infiziert. Seine Leistung war, gelinde gesagt, eine bodenlose Frechheit, die Sammer (Ich bin viel zu erregt) nicht kommentieren wollte. Die Drecksau blieb auch hier im Stall. Dafür setzte es für Schiedsrichter Helmut Fleischer einen verbalen Satz roter Ohren. Er war der schlechteste Mann auf dem Platz, ereiferte sich Torsten Frings, den der Unparteiische vorzeitig zu Duschen geschickt hatte. Eine Gelb-Rote-Karte, die zu verhindern gewesen wäre, hätte der Referee die Spieler nicht zu lange an der langen Leine geführt, klare Regelverstöße gar nicht oder falsch bewertet. Hollerbachs Ellbogencheck gegen Tomas Rosicky war rotwürdig. Zumal sich Hollerbach nun schon die dritte Attacke dieser Größenordnung innerhalb weniger Monate geleistet hatte. Fleischer ließ zu viel gewähren – ein falsches Signal. Die Galligkeit auf dem braunen Rasen nahm zu und mit ihr die vielen kleinen Fouls, an deren Ende die Gelb-Rote Karte für Frings stand. Sammer verschaffte sich denn auch Luft, sonst bekomme ich noch ein Magengeschwür und das wollen weder Sie noch ich. Er konnte nicht einverstanden sein mit dieser willkürlichen Pfeiferei, wenn, dann muss ich meine kleinliche oder großzügige Linie durchziehen. Fleischer tat dies nicht.“
Ein typisches 0:0-Spiel
Jörg Marwedel (SZ 14.4.) ist vom Spiel enttäuscht. „Am Ende der westfälischen Polterwoche überkam Matthias Sammer, die selbst ernannte „Drecksau“, so etwas wie Milde. Gerade hatte Borussia Dortmund mit dem 1:1 beim Hamburger SV zwei weitere Punkte im Kampf um den fest eingeplanten Champions-League-Platz verloren, und es war ein schlechtes Spitzenspiel gewesen. Sammer aber sagte plötzlich: „Ich liebe meine Mannschaft, und auf das, was du liebst, kannst du nicht permanent draufhauen.“ Fast schien es, als habe der unerbittliche Fußballlehrer Mitleid mit den Profis, denen in den Tagen zuvor genau dies widerfahren war: Am Montag nach der 1:2-Blamage gegen Werder Bremen hatte ihnen Sportdirektor Michael Zorc mit nie erlebter Schärfe die Leviten gelesen, am Dienstag legte Präsident Gerd Niebaum nach, die restlichen Tage tat es Sammer selbst, weil die Profis ihre gut bezahlte Arbeit zu leicht genommen hätten in den vergangenen Wochen. Im Grunde den vergangenen Monaten. Doch vielleicht hat Sammer geahnt, dass diese Tiraden zwar nachdrücklich geforderte Tugenden wie Kampfeswillen, Galligkeit (Sammers Lieblingswort) oder Hingabe neu beleben, nicht aber die sofortige spielerische Wiedergeburt einleiten würden. Also sprach er nun nachsichtig, es sei „ein Anfang“ gemacht – auf dem „Weg aus dem Schlendrian“ und zu der Erkenntnis, dass man Fußball „erst einmal wieder arbeiten“ müsse. Das Resultat dieses Krisenmanagements war für die 55.529 Zuschauer freilich wenig erbaulich. Sie sahen ein Dortmunder Team, das zwar emsig bemüht war, den Forderungen seiner Chefs nachzukommen, gleichzeitig aber „zu verkrampft“ (Sportdirektor Zorc) zu Werke ging. Sie sahen „ein typisches 0:0-Spiel“ (Dortmunds Nationalspieler Torsten Frings), in dem beide Mannschaften dem Gegner vor allem die Räume für schöne Angriffszüge verstellten und wehmütige Erinnerungen aufkommen ließen an jenen aufregenden Schlagabtausch vom vergangenen Frühjahr, als die Dortmunder mit einem 4:3-Sieg die Grundlage für ihre Meisterschaft legten.“
Sadistischer Antifußball
René Martens (FTD 14.4.) auch. „Die Gäste spielten in der ersten Halbzeit verhalten bemüht und die Hamburger, wie erwartet, bemüht verhalten. Das ergab eine unansehnliche Mixtur, die auch kaum akzeptabel gewesen wäre, wenn sich hier nicht der Vierte und Dritte der Tabelle duelliert hätten – es also formell ein Spitzenspiel gewesen wäre. Aufregung gab es nur in zwei Szenen: In der achten Minute wechselte Marcio Amoroso seine Schuhe, obwohl der Boden bei frühlingshaftem Wetter von keinerlei meteorologischen Widrigkeiten beeinträchtigt war. Danach ward der Brasilianer im Übrigen nicht mehr gesehen. Eine halbe Stunde später deformierte Bernd Hollerbach mit dem Ellenbogen das Gesicht Tomas Rosickys und provozierte damit die erste Rudelbildung. Schiedsrichter Helmut Fleischer bestrafte das ligabekannte Hamburger Raubein allerdings nur mit einer gelben Karte (…) Trainer Jara beherrscht es mittlerweile perfekt, mit maliziösem Lächeln den sadistischen Antifußball seiner Mannschaft schönzureden. Diesmal war er „vollauf zufrieden“, weil die Elf gezeigt habe, dass sie „auch mental gegen einen Gegner bestehen“ könne, der ja in der Champions League „gegen erstklassige Konkurrenten nur knapp gescheitert“ sei. Für HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer war das Ergebnis dagegen „so’n kleiner Dämpfer“. Allerdings seien die noch ausstehenden Gegner „vom Schwierigkeitsgrad her überschaubar“. Im Klartext: Der HSV bestreitet seine letzten sechs Begegnungen fast ausnahmslos gegen Abstiegskandidaten.“
Psychologische Sonderfälle am Spielfeldrand
Oke Göttlich (taz 14.4.). „Nur so viel, ich bin aufgeladen, erklärte Dortmunds Trainer Matthias Sammer nach der Begegnung. Ein aufgebrachter Sammer also, das konnte jeder sehen. Grundsätzlich Neues wollte der gereizte Trainer dennoch nicht nach außen tragen. Die Sorge, dass Sammers Ärger chronische Ausmaße annimmt, wird nicht erst seit Samstag und durch Stürmer Marcio Amorosos Verhalten genährt. Dieser setzte sich nach sieben Minuten erstmal gemütlich an den Rand, um seine Stiefel in aller Ruhe zu wechseln. Als eine halbe Minute später der linke Läufer Dede seine Schnürsenkel nochmals mit einer neuen Schleife zieren musste, wartete man gespannt, wie Sammer sich wohl entladen würde. Sönke Glindemann, vierter Schiedsrichter und damit der Mann für psychologische Sonderfälle am Spielfeldrand, dürfte nach 90 Minuten und zahlreichen kontroversen Gesprächen mit Sammer jedenfalls eine heisere Kehle und zerrüttete Nerven gehabt haben. Gereicht hat seine Intervention nicht, Sammer die Sorge vor einem Magengeschwür zu nehmen. Auch nach Spielende verging keine Minute, die er nicht nutzte, Stresshormone auszuschütten. Er, wie auch HSV-Trainer Kurt Jara betonten gemeinschaftlich, wie ärgerlich sie über die unklaren Regelauslegungen des Schiedsrichters Helmut Fleischer gewesen seien.“
Zu den Ursachen des Dortmunder Abschwungs meint Karsten Doneck (Tsp 14.4.). „Jeder im Stadion erkennt, dass Spieler wie Amoroso, Rosicky oder Dede mit dem Ball durchaus gut Freund sind, aber ihre individuelle technische Klasse fügt sich nicht mehr so nahtlos ein in ein durchschlagskräftiges Gesamtkonzept. In Hamburg ließen sich die Borussen von ein paar körperbetonten Attacken ihrer Gegenspieler viel zu früh einschüchtern. Das Unentschieden beim HSV war für die Dortmunder eher ein Rückschlag auf dem Weg zu den großen Zielen.“
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