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In letzter Zeit mehren sich bedauerlicherweise Debatten um Schiedsrichterentscheidungen seitens der Vereine und ihrer Vertreter

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für In letzter Zeit mehren sich bedauerlicherweise Debatten um Schiedsrichterentscheidungen seitens der Vereine und ihrer Vertreter

Welchen Nachhall findet diese Kritik in der Öffentlichkeit? Wie werden welche Aussagen von der Presse interpretiert?

„Bayer Jammerkusen“ titelte der Express, nachdem die Bayer-Elf durch einen umstrittenen Handelfmeter in der letzten Spielminute auf St. Pauli zwei sicher geglaubte Punkte lassen musste und daraufhin heftige Kritik in Richtung Schiedsrichter Jansen laut wurde. „Immer sind die andern schuld, so wird das nix mit dem Titel“ wurde der Werksklub von dem Boulevardblatt gleichzeitig an sein Loser-Image erinnert. Völlig zu Recht warf Volker Roth, Vorsitzender des DFB-Schiedsrichterausschusses, Reiner Calmund „entsetzliches Benehmen“ vor. Der Bayer-Manager hatte nach dem Spiel – ebenso wie der mittlerweile mit einer Geldstrafe belegte Bayer-Spieler Michael Ballack – zum Teil unsachliche Kritik geübt. Von „Betrug“ war sogar die Rede. Dabei erwies sich die Argumentation Calmunds, wonach es sich beim Handspiel von Bernd Schneider um dessen „Schutzhand“ gehandelt habe als alles andere als wasserdicht. Diesen Begriff gebe es im Regelwerk nämlich gar nicht, so Roth und weiter: „Wenn es um Schutz geht, kann Schneider auch den Kopf zur Seite ziehen.“ Ähnlich rechtfertigte Jansen seine Entscheidung. Der Spieler habe durch seine Körperhaltung in Kauf genommen, an die Hand angeschossen zu werden. Nachvollziehbar, doch wie dem auch sei: Die Elfmeterentscheidung muss wohl eher als eine falsche gewertet werden.

Ein Wochenende später war es brisanterweise Bayers nächster Gegner, der den dieses Mal unstrittig zu dessen Lasten agierenden Schiedsrichter Dr. Fleischer kritisierte. „Die sich sonst so gern besonnen und unangreifbar gebende Führung der Borussia Dortmund GmbH un Co. KGaA“ (Michael Horeni in FAZ 26.02.02) habe dabei die „Contenance“ verloren und einen kausalen Zusammenhang gesehen zwischen der vorangegangenen Leverkusener Schiedsrichterschelte und den Entscheidungen in diesem Spiel. Manager Michael Meier wird nach der 0:4-Niederlage mit den Worten zitiert: „Es ist schon enttäuschend, dass einer über eine Schiedsrichterentscheidung jammert und dann eine Woche später belohnt wird“ und stößt damit ins selbe Horn wie Präsident Niebaum: „Ich habe das Gefühl: Frechheit siegt. Man muss nur laut genug jammern.“ Anlass für die Schelte war ein zu Unrecht aberkanntes Tor des BVB-Stürmers Ewerthon sowie ein Platzverweis für Jan Koller. Gelb-Rot hätte man auch für Bayer-Spieler Ulf Kirsten aussprechen müssen. „Dortmund wittert eine Verschwörung “ schreibt Oliver Müller (Welt 26.02.02) und spricht dieser freilich das Recht auf Geltung ab. Erik Eggers (taz 26.02.02) sah in dem Dortmunder Verhalten „eine Demonstration dessen, was schlechte Verlierer so ausmacht“.

In der Tat nimmt die Diskussion gelegentlich schizophrene Ausmaße an, wenn zB Borussen-Torhüter Lehmann – der sich nach einem Ballwurf gegen Ulf Kirsten in diesem Spiel über eine Rote Karte nicht hätte beschweren dürfen – es schade findet, „dass der Fußball in den letzten Wochen zu einer Schiedsrichter-Diskussion verkommt“, im selben Atemzug jedoch eine Sperre für schlechte Schiedsricherleistungen fordert, womit er die des Herrn Fleischer meinte. Nicht selten seien es Spieler, laut Gregor Derichs (FAZ 23.02.02) gerade diejenigen aus Dortmund und Leverkusen, die auf dem Spielfeld zum „kollektiv heftigen Protest“ (Derichs) neigen. Doch „dass es bisweilen gerade Dortmunder Akteure sind, die bei strittigen Entscheidungen eine bedrohliche Wagenburg um den Schiedsrichter aufbauen, blieb [in den Aussagen Lehmanns] nämlich unerwähnt“ (Eggers). Daher sieht Horeni die Borussia im Jammern weiterhin als „Tabellenführer“.

Doch sollte man – wie für die sportliche Seite vielfach gefordert – den amtierenden Meister auch in dieser Disziplin nicht vorzeitig abschreiben. Momentan dominieren in dieser Wertung zwar unumstritten die Klubs aus dem Westen. Jedoch muss man nicht lange im Archiv suchen, um auf diesbezügliche bayerische Erfolgserlebnisse zu stoßen. Nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund (09.02., 1:1) vernahm man äußerst unsachliche Kritik seitens der Münchner Bayern gegenüber dem Schiedsrichter. Karl-Heinz Rummenigge bestätigte dem Spielleiter den „wohl schwärzesten Tag seiner Karriere“. Ottmar Hitzfeld hatte die Ursachen der enttäuschenden Leistung seiner Mannschaft und des unansehnlichen Spiels gefunden: „Ein guter Schiedsrichter hätte mehr aus dem Spiel gemacht.“ Das war wohl nicht mal ironisch gemeint. In Erinnerung wird auch der filmreife Ausritt Oliver Kahns an die Seitenlinie bleiben, mit dem er – wie von der Tarantel gestochen – dem Schiedsrichter-Assistenten mitteilte, was er von seiner Entscheidung gehalten hatte. Nach dem Spiel wiederum mahnte der Bayern-Torhüter mit ernster Miene, man solle auch in Zeiten des Misserfolgs Ruhe bewahren. Bei diesem Ballyhoo wurde nicht einmal klar, worum es eigentlich ging. Die Freistoßentscheidung, die zum 1:0 für die Dortmunder führte, wohl kaum, ging ihr doch ein klares Foul von Robert Kovac voraus (SAT1 wollte das zahlreicher offensichtlicher Zeitlupen zum Trotz nicht einsehen). Außerdem waren die Bayern mit dem Punkt gut bedient, weniger hingegen mit der Bewertung in der Presse die Jammerrangliste betreffend. Seltsamerweise fanden die Beschuldigungen wenig medialen Wiederhall, obwohl sie erstens an Deutlichkeit wenig vermissen ließen und zweitens im Gegensatz zu denjenigen der anderen „Geprellten“ jeglicher Grundlage zu entbehren schienen. Wie ungerecht, hatte man sich doch solche Mühe gegeben!

dazu auch: Schlechte Verlierer und Profiteure

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