Ballschrank
In Paris schien am Sonntag abend die öffentliche Emotion authentisch
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| Donnerstag, 25. März 2004
Christian Eichler (FAZ 1.7.) lobt das Verhalten der Zuschauer und Spieler beim Finale. „Ein Finale ist immer auch ein Anfang, mindestens für den, der es gewinnt: Spaß, Feiern, Urlaub, neue Ziele. Dieses Finale aber war anders. Es löste bei keinem Freude aus und bei keinem Frust, es war eine Übung in Takt, nicht in Taktik: Das Endspiel des Confederations Cup wurde ein Endspiel für Marc-Vivien Foé. Öffentlich verordnete Trauer verkommt schnell zum schalen Ritual. Doch in Paris schien am Sonntag abend die öffentliche Emotion authentisch, nicht nur ein Beiprogramm mit Schweigeminute und Trauerflor. Das war vor Beginn so, als die Kapitäne Song und Desailly ein lebensgroßes Foto des Verstorbenen ins Stadion trugen. Das war während des Spiels so, in dem sich beide Teams mit würdigem Respekt füreinander und für den Toten begegneten. Und das blieb so nach dem Schlußpfiff, als die 52.000 Zuschauer im zu zwei Dritteln gefüllten Stade de France Foé, Foé skandierten. Ein Ruf, ein Nachruf auf einen Fußballprofi. Einige hatten kritisiert, daß die Fifa nicht einmal erwogen hatte, das umstrittene Turnier nach dem Tod des 28jährigen Kameruners am Donnerstag abzubrechen. Unter den Kritikern war der französische Welt- und Europameister Emmanuel Petit, dessen älterer Bruder Olivier vor 15 Jahren ebenfalls auf dem Fußballplatz gestorben war: Wenn ein Spieler unter solchen Umständen stirbt, gibt es andere Prioritäten. Auch die Spieler Kameruns wollten erst abreisen, doch dann wurden sie umgestimmt, als die Witwe Foés und Mutter seiner drei Kinder sie darum bat, anzutreten. Sie hat gesagt: Wir sind das erste afrikanische Team in einem großen internationalen Finale und sollen für ihn spielen, denn er wollte ja auch mitspielen, sagte Trainer Winfried Schäfer. Er trug während des Spiels das Trikot mit Foés Nummer 17, in dem später das ganze Team zur Siegerehrung kam und auch für den Toten eine Medaille entgegennahm.“
Wie wenig in Fußball-Organisationen aus Vergangenem gelernt wird!
Klaus Hoeltzenbein (SZ 1.7.) kritisiert die Haltung des Fifa-Boss Joseph Blatter. „Dass am Sonntag in Paris das Finale des Cups der Konföderationen gespielt wurde, war gerade kein Beleg für die Allmacht des großen Strippenziehers, sondern ein Dokument seiner Ohnmacht. Nicht er, der Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa, zwei Frauen haben entschieden: die Mutter von Marc-Vivien Foé und dessen Witwe (…) Was immer wieder irritiert, ist, wie wenig in Fußball-Organisationen aus Vergangenem gelernt wird; dass dort nicht gelingt, was von den Darstellern an jedem Spieltag erwartet wird: nämlich angemessen, fair und trotzdem schnell zu handeln. Schon am 11.September 2001 hatte sich der Fußball als gesellschaftlich-tragende Kraft disqualifiziert, wurde am Abend in ganz Europa ein Champions-League-Spieltag angepfiffen, während sie in New York seit Stunden ihre Toten zählten. Auch damals hatte niemand den Mut gefunden, aus den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auszubrechen, inne zu halten für den Moment. Eine Verwaltung aber, die in ihren Zwängen erstarrt, kann den Sport angemessen nicht vertreten. Wie pietätvoll dieser noch auf Schicksalsschläge reagieren kann, zeigten die Finalisten von Paris. In dem Schmerz, der sie einte, wurde der Gedanke verdrängt, den Sieg in einer gekünstelten Geste der Mannschaft Kameruns zu überlassen. Auch in diesem Verzicht lag Größe.“
Martin Hägele (Tsp 1.7.) berichtet. „Bei der Ehrenrunde gab es nur Foe-Chöre. Viele Zuschauer weinten. Ein Kurvenbesucher im Stade de France hatte die Gefühle der Fans am besten zusammengefasst, indem er mit einem Filzstift auf einen Pappkarton gekritzelt hatte: „Ein Löwe stirbt nie, er schläft nur!“ „Ich bin froh, dass wir gespielt haben“, sagte Schäfer. Auch der deutsche Trainer Kameruns war ratlos gewesen, wusste tagelang nicht, was er tun sollte. Erst als die Frau und die Familienmitglieder des Verstorbenen die Mannschaft aufforderten, für Foe aufzulaufen, hatten sie sich zum Spielen entschlossen. Vor dem Spiel kam dann Foes Vater in die Kabine, wo sie einander immer an den Händen fassen und einen Kreis bilden. „Foes Vater hat die Spieler aufgerichtet“, sagte Winfried Schäfer. Valery Mezague, mit 19 Jahren der zweitjüngste der Mannschaft, sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage gewesen zu spielen. Der Trainer nahm ihn dann kurz vom Anpfiff in den Arm: „Marc-Vivien wollte, dass du heute dabei bist.“ Mit solchen Geschichten werden sie einander trösten, denn die schlimmsten Tage stehen der Mannschaft noch bevor. Am Donnerstag werden sie Foes Leichnam in Lyon abholen, am Freitag fliegen sie dann mit der Maschine des Staatspräsidenten heim. Im Stadion von Yaounde würden schon jetzt Tausende darauf warten, um dem Sarg mit dem Nationalhelden das letzte Geleit zu geben. Angesichts solcher Szenen fällt es schwer, Fragen nach dem sportlichen Wert dieses Turniers zu stellen, das doch so viele in der internationalen Fußballgemeinde gar nicht haben wollen. Der Konföderationen-Cup wird in Zukunft die Legende vom Tod des Marc-Vivien Foe sein. Diese tragische Geschichte, sie verschafft ihm mehr Popularität als alle sportlichen Ereignisse seiner Historie.“
BLZ-Interview mit Winfried Schäfer
(27.6.)
Martin Hägele (FR 25.6.) ist vom Spiel der Türken (Halbfinal-Einzug nach 2:2 gegen Brasilien) fasziniert. „In St. Etienne hatte es lange Zeit so ausgesehen, als seien die Herren in Kanariengelb nun richtig in den Wettbewerb eingestiegen. Der Champion schien die Türken in der Neuauflage zweier denkwürdiger WM-Spiele deklassieren zu wollen; Kapitän Emerson gab seinem Nachfolger bei Bayer Leverkusen, Yildiray Bastürk, eine Strategie-Lektion nach der anderen. Und hätte Adriano, der oft wie ein Ronaldo-Klon wirkt, mehr als eine der vielen Chancen im Stil des Phänomens abgeschlossen, stünde hier ein Nachruf auf die Fußball-Emporkömmlinge vom Bosporus. Am Ende aber durfte Bastürk, der das Duell mit seinem Lehrmeister im zweiten Spielabschnitt haushoch gewann, von der großen Zukunft seines Teams träumen. In den Kernlanden des alten Byzanz wächst eine Weltmacht heran. Im Fußball. Das hohe Niveau lässt sich nicht länger nur an Routiniers wie Abwehrchef Alpay Ozalan oder an Weltklasse-Torwart Rustu Recber festmachen. Die Jungen im Team sorgen für Tempo und Ballstafetten, wie man sie kaum anderswo in Europa zu sehen bekommt. Der schmächtige Tuncay Sanli (21) etwa, der Hakan Sükür wohl bald als Volksheld ablösen wird. Längst hat Sanli den türkischen Beckham aus dem Allgäu, Ilhan Mansiz, überholt, der nach der WM gefeiert worden war. Und in Gokdeniz Karadeniz, dem 23-jährigen Leichtgewicht von Trabzonspor, steht der nächste Shootingstar bereit. Wie er den brasilianischen Verteidigern zusetzte, wie abgezockt er beim Ausgleichstreffer den Ball über Dida lupfte: Chapeau! Ob auch die Franzosen den Hut ziehen müssen vor dem neuen Rivalen im Fußball-Establishment? Im Stade de France werden Henry und Co. etwas zeigen müssen, um sich diese ehrgeizigen Aufsteiger vom Hals zu halten. Während in der und um die Arena Flics das Temperament zigtausender Fans zügeln müssen, die, rot-weiß bemalt oder in rote Fahnen gehüllt, dabei sein wollen, wenn der Halbmond überm Fußballglobus aufgeht. St. Etienne lag Montagnacht am Schwarzen Meer. Wo sind die Grenzen der Begeisterung um die türkischen Himmelsstürmer? Wann beginnt das Chaos? Wenn die Zuschauer beim Torjubel über den Zaun klettern und ihre Fahnen über den Platz tragen? Oder muss mehr passieren? Der Grat ist schmal. Und der türkische Trainer Günes ist an dieser Entwicklung nicht schuldlos. Wann immer er kann, spielt Günes die Karte vom armen Volk am Rande Europas, das von den andern benachteiligt wird.“
(23.6.)
Martin Hägele (Tsp 23.6.) berichtet gute Stimmung in Frankreich. „Ohne die Strategen Zidane und Vieira sowie seinen sportlichen Zwillingsbruder Trézeguet ist Thierry Henry die einzige Figur im Kader der Franzosen, der zur Kategorie Superstars zählt. Von seiner Brillanz, von seinem Tempo, von seiner Gefährlichkeit lebt das französische Spiel, nach ihm lechzt die Galerie. Auch wenn Henry, wie gegen Japan, nur ein paar Minuten vorspielen darf, als die Partie auf der Kippe stand. Doch sobald er sich von der Ersatzbank erhebt und wie eine Ballerina die Strümpfe eine Handbreit übers Knie hochzieht, beginnt die Arena zu kochen. Thierry Henry, die Nummer zwölf, ist das Symbol für Fußball-Frankreichs Größe.“
Matti Lieske (taz 23.6.) vermeldet Zoff beim 1:0 der Kameruner über Türkei. “Das Spiel wurde äußerst hart und verbissen geführt – eine wirkliche Schlacht, so Schäfer – und am Ende bewiesen die Türken einmal mehr, dass sie nicht nur eines der besten Fußballteams der Welt haben, sondern auch zu den schlechtesten Verlierern gehören. Auf den Rängen zettelten die zahlreichen türkischen Fans unter den 43.000 Zuschauern im Stade de France von Paris Schlägereien an und warfen Wasserflaschen und andere Gegenstände aufs Spielfeld. Trainer Senol Günes schimpfte derweil über den Schiedsrichter Carlos Amarilla aus Paraguay und erging sich in Verschwörungstheorien. Jemand hat versucht, uns auf dem Weg ins Endspiel zu stoppen, ereiferte sich der Coach und regte sich besonders darüber auf, dass ein vermeintliches Tor für sein Team in der 65. Minute nicht gegeben wurde. Jeder hat gesehen, dass der Ball hinter der Linie war, behauptete er, die Fernsehbilder stützten jedoch eher die Entscheidung des Referees, dass der Kameruner Mettomo den Ball wegschlug, bevor er die Linie überquert hatte. Auch der Strafstoß in der 91. Minute nach einem Foul am enteilten Joseph Desiré Job ging in Ordnung. Bevor Günes weitere Tiraden loswerden konnte, schaltete ihm der Fifa-Pressesprecher das Mikrofon ab und redete dem erbosten Coach ins Gewissen. Immerhin hatte die Fifa just den Samstag zum Fairplay- und Antirassismus-Tag erklärt. Was im Übrigen auch die 20.000 Zuschauer in St. Etienne beim Spiel Brasilien-USA nicht daran hinderte, getreu dem Geiste des alten Europa die Hymne der Vereinigten Kriegstreiberstaaten auszupfeifen.“
Martin Hägele (taz 21.6.) gratuliert dem Deutschen in Kameruns Chefsessel. „Winfried Schäfer war glücklich, dass er in seiner Muttersprache reden konnte, und seine Emotionen nicht in englischen Brocken servieren musste. Und er ließ sich diese Stimmung auch nicht von den 20 oder 30 Journalisten aus Kamerun stören, die immer wieder lautstark nach ihrem Nationaltrainer verlangten. Die Deutschen sind doch gar nicht hier, riefen sie und beschwerten sich: Du bist unser Coach. Schäfer ignorierte die Rufe beharrlich. Denn hier in den Katakomben des Stade de France war der Rote Winnie in die Vergangenheit zurückgekehrt. Er war der Sieger. Er hatte den Weltmeister Brasilien geschlagen. Alle wussten das. Selbst Samuel Etoo, dem in der 83. Minute das Tor des Tages gelungen war, wusste, wem er zu danken hatte. Als der Stürmer von Real Mallorca in der Nachspielzeit ausgewechselt wurde, halste er seinen Trainer ab. Er hat mich geküsst, sagte Schäfer, und dieser Kuss vor Millionen Menschen bedeute ihm viel. Für ihn war diese Geste ein weiterer Beweis, dass er den richtigen Kurs eingeschlagen hat mit den besten Kickern vom schwarzen Kontinent. Und so, wie sie gerade die halbe Reserve des Weltmeisters niedergekämpft hatten, hätten sie wohl auch im vergangenen Juni in Asien aufgetrumpft. Wenn wir da fünf Tage früher in Paris wegfliegen, starten wir bei der WM durch. Dieser Sieg im ersten Spiel bestätigt seine These, in Japan nur wegen der schlechten Vorbereitung in der Vorrunde an Irland und den Deutschen gescheitert zu sein. Damals hatten sie tagelang mit der politischen Führung über WM-Prämien gestritten. Nun regelt Schäfer das heikle Geschäft persönlich.“
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