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„Ist das noch gerecht?“

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für „Ist das noch gerecht?“

„Ist das noch gerecht?“ fragt Michael Horeni (FAZ 25.01.) bezüglich der Millionengehälter der Fußballprofis. „Mit, wie sie glauben, guten wirtschaftspolitischen Argumenten“ bejahen diese die Frage, ob eine Entlohnung zu vertreten sei, die gelegentlich das Hundertfache eines Durchschnittsgehalts (ca 2.000 ) übersteigt. Der Markt regle nun mal das Einkommen, laute das „Lieblingsargument“ der Befürworter, womit man sich auf liberale Wirtschaftstheorien zu berufen glaubt. Darüber hinaus legitimierten öffentliches Interesse und Präsenz in Medien und Gesellschaft die hohen Ansprüche der Stars. Nationaltorhüter Oliver Kahn wird mit den Worten zitiert: „Bei den heutigen Anforderungen an Spieler von Topklubs und dem permanenten Erfolgs- und Leistungsdruck kann ich für mich nur sagen, dass ich jeden Pfennig, den ich verdiene, absolut gerechtfertigt verdiene.“ Er betrachtet es als einen Rückfall „in tiefste kommunistische Zeiten“, sollte man Spielergehälter regulieren – und damit redimensionieren – wollen, wie es zB DFB-Präsident Mayer-Vorfelder kürzlich vorschlug. Horeni hingegen hält die angeführten Kriterien allenfalls für „pragmatische Begründungen“, die aber „mit Gerechtigkeit philosophisch betrachtet nichts zu tun“ hätten und beruft sich auf den Philosophen Friedrich Kambartel. Nach dessen Ansicht müsse es „sehr starke Gründe“ geben, um solche Verhältnisse zu rechtfertigen. „Es gibt sie in diesem Fall nicht […]. Seltenes Talent paart sich mit mit dem glücklichen Umstand, entsprechend gefördert worden zu sein und auf einen lukrativen Markt zu treffen“ (Horeni). In diesem Zusammenhang ist an Tausende von zum Teil ehrenamtlichen Jugendtrainern, Platzwarten und anderen Helfern zu erinnern, ohne die das „System Fußball“ nicht entstanden und nicht aufrechtzuerhalten wäre und ohne die es Oliver Kahn schwerer gehabt hätte, das zu werden, was er nunmehr ist: Weltklassetorhüter und vielfacher Millionär. Folgt man jedoch dessen kurzsichtiger Beweisführung, könnte man auch Lehrer mit einer Aufwandsentschädigung zufrieden stellen. Daher kann man wohl nur zu folgendem Schluss kommen: Der große Haufen Geld des Fußballmarkts ist ungerecht verteilt.

Zudem muss man sich die Frage stellen, inwiefern man im Fußballsport von Wettbewerbsfreiheit – der einer liberalen Argumentation zu Grunde liegen muss – sprechen kann. Wirtschaftspolitiker Viktor Vanberg halte in diesem Kontext das bestehende Ligasystem für des Übels Wurzel. In der Tat bringt dieses ein hohes Maß an Besitzstandswahrung und Privilegierung mit sich und verringert den Wettbewerbscharakter maßgeblich. Es konkurrieren höchstens 18 bis 20 Vereine pro Saison um Platzierungen, Meisterschaften, Ab- und Aufstieg: ein sehr geringer Prozentsatz aller in Deutschland existierenden. Von einem freien Wettbewerb zwischen einem Bundesligisten und einem Amateurverein beispielsweise könne keine Rede sein. Es sei denn, man verstünde unter Freiheit im Anschluss an den französichen Kulturphilosophen Roger Garaudy „die Freiheit des freien Fuchses im freien Hühnerstall“. „Wenn bei bestimmten Vertragsverhältnissen regelmäßig einer klar der Stärkere und der andere klar der Schwächere ist“ müsse, laut Heribert Prantl (SZ 25.01.), der Beliebigkeit und der Freiheit Grenzen gesetzt werden, indem man behutsame Regulierungsmaßnahmen durchsetzt. „Gesetzgeber und Gesellschaft haben gelernt, dass das völlig freie Spiel der Kräfte unannehmbare Ergebnisse produziert“ (Prantl). Dahingegen ist ein Klassenerhalt im Sport eine zusätzliche Stabilisierung des ökonomischen Standings, zu der der Markt kein vergleichbares Pendant kennt. Jede Setzliste, wie man sie nicht nur von internationalen Turnieren und Klassements kennt, verstärkt die Schieflage zu Gunsten der Spitzenmannschaften und deren Spieler zusätzlich, ebenso der Zugang zu Medien und damit zu öffentlicher Wirkung. Eine massive sportliche Fehlleistung – der Abstieg – wird durch die Organisationsstruktur abgefedert. Man fällt nämlich nicht ins Uferlose, sondern lediglich eine Klasse tiefer. Recht verstanden: Das Ligasystem ist aus pragmatischer Sicht nicht zu ersetzen. Mehr Gerechtigkeit unter den Klubs produziert es aber nicht, im Gegenteil: Es die stützt die tatsächliche Macht des Starken. Die Grenzlinie verläuft ferner nicht nur zwischen den Vereinen. „Selbst beim Abstieg können Profis dank günstiger Verträge Beträge einstreichen, für die gewöhnliche Arbeitnehmer ein Leben lang arbeiten müssen“ (Horeni). Auch auf der Ebene des Individuums ist also der Rekurs auf den freien Markt unzulässig.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur bedauerlich, sondern geradezu verwerflich, den nationalen Pokalwettbewerb zu entwerten, indem man ihn schlechtredet und auf kalte Dezemberabende terminiert (was übrigens nicht verhindern kann, dass Zigtausende begeisterte Fans in die Stadien strömen, um ihren Amateurverein sich mit einer Profimannschaft messen zu sehen). Hier treten nämlich Vereine in einen Wettbewerb, die oft vier und mehr Spielklassen auseinander liegen. Der DFB-Pokal verkleinert somit die Gerechtigkeitslücke, ohne sie schließen zu können. Insofern hat er bezüglich der hohen Spielergehälter eine Legitimationsfunktion. Die großen und reichen Klubs – und mit ihnen die Entscheidungsträger auf Funktionärsebene – täten gut daran, diesen Wettbewerb wieder ernster zu nehmen, nicht nur aus traditionellen Gründen. Klein gegen Groß. Dieses Duell schreibt nicht nur die schönsten Geschichten. Es ist das definitive Recht von Darmstadt 98, mit Schalke 04 in einen regulären Wettstreit mit öffentlichkeitsadäquater Wirkung zu treten. Und es darf von einem Champions-League-Teilnehmer nicht als lästige Pflicht angesehen werden, sich „mit Amateuren rumzuschlagen“.

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