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Flauer italienischer Transfermarkt, Jay Goppingen, Beckhams Merchandising
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| Donnerstag, 25. März 2004Suspekte Geldgeber im internationalen Fußball – flauer italienischer Transfermarkt – Aufschwung des türkischen Fußballs – Klinsmann spielt wieder Fußball, abseits öffentlichen Interesses
Wolfgang Hettfleisch (FR 26.7.) sorgt sich über den gewachsenen Einfluss suspekter Geldgeber. „Wir Deutschen müssen da was nicht mitgekriegt haben. Während sich die Branche hierzulande noch in Blut-und-Tränen-Metaphorik ergeht, wird anderorts längst wieder der Rolls aus der Garage geholt. Beckhams Wechsel zu Real Madrid war bloß der Anfang. Barcelona konterte mit Ronaldinho. Und nun will Abramowitsch, die arme Waise, die es im Schatten des einstigen Moskauer Alpha-Oligarchen Boris Beresowskij im Wilden Osten der 90-er nach oben brachte, einen Pflock einrammen: Er will Raúl. Klar, warum soll sich der russische Tycoon mit zweiter Wahl abgeben. Nesta will er auch. Für Raúl, so raunt ein spanischer Radiosender, soll er Real Madrid 100 Millionen Euro geboten haben. Für Nesta dem AC Mailand schlappe 50. Heißt das Modell der Zukunft also Chelski, wie die englischen Hauptstadt-Gazetten den Westend-Club von der Stamford Bridge nun halb spöttisch, halb ehrfürchtig in Anspielung auf den russischen Chef nennen? Schon hat in der Premier League der nächste gut situierte Herr aus einem fernen Land angeklopft. Ein gewisser Gustavo Cisneros wolle gern in großem Stil bei Aston Villa einsteigen, berichtete jüngst der Mirror. Der Venezolaner soll sich gern mit George Bush dem Älteren zum Angeln treffen und ist, kaum zu glauben, angeblich noch reicher als Abramowitsch. Mal sehen, wann Bill Gates seine Liebe zum Fußball entdeckt. Aber kann all das frische Geld – und das aus dem Rubel-Rush der Oligarchen ist sehr frisch – Europas Fußball auf die Beine helfen? Weisen also Clubpatriarchen den Weg aus der Misere? Nein, sie verderben bloß die Preise und behindern die Selbstheilkräfte des Marktes. Und wenn sie eines Spielzeugs überdrüssig sind, werfen sie es weg und kaufen sich ein neues.“
Das Geschäft mit den Panini-Spielerbildchen läuft hervorragend
Peter Hartmann (NZZ 29.7.) kommentiert den flauen italienischen Transfermarkt. „Das Spielergeschäft in der SerieA, der eigentlichen ‚Champions League‘ Europas mit dem Sieger Milan, der Finalistin Juventus und dem dritten Halbfinalisten Inter, liegt so trostlos darnieder, dass die verzweifelten Sportblätter die tote Zwischensaison mit Gerüchten um einen Helden zu beleben versuchten, der selber nichts dementieren kann: Varenne, der Wundertraber, der nur noch stille Zuchtarbeit verrichtet, soll auf die Piste zurückkehren und zum dritten Mal den Prix de l‘Amérique gewinnen. Die Glamour-Transaktionen mit Beckham und Ronaldinho liefen im fernen Spanien. Sogar die argentinische Sternschnuppe D‘Alessandro, monatelang das vermeintliche Objekt der Begierde der halben SerieA, landet nicht in Mailand, Rom oder Turin, sondern im grauen Wolfsburg. An den Badestränden von Alassio bis Stintino werden die erfundenen ‚Transferbomben‘-Schlagzeilen vom virtuellen ‚Mercato‘ nur noch apathisch wahrgenommen. Die Blockierung des Spielerhandels hat nicht nur mit der realen Finanznot des Calcio zu tun, die den Klubs eisernen Sparzwang und massive Gehaltskürzungen bis zu 50 Prozent auferlegt, sondern auch mit der wiedergefundenen Selbstsicherheit des Italo-Fussballs. ‚Wir brauchen nichts‘, sagt etwa der Milan-Geschäftsführer Adriano Galliani an die Adresse der Wegelagerer aus der brotlos gewordenen Vermittlerbranche. Gladiatoren werden gehandelt wie Panini-Fussballbildchen auf dem Pausenhof: Es wird getauscht und getäuscht, ausgeliehen und abgeschoben. Freigestellt werden Spieler mit ungenügendem Preis-Leistungs-Verhältnis, Veteranen mit zu langen Verträgen, der exotische Flugsand, der sich in der Liberalisierungsphase nach dem Bosman-Urteil ansammelte (…) Eine erfreuliche Nachricht: Das Geschäft mit den Panini-Spielerbildchen läuft hervorragend. Der Verlag mit Sitz in Modena und Vertretungen in hundert Ländern steigerte den Jahresumsatz um 72 Prozent auf 230 Millionen Euro. Panini hat seit 42 Jahren ungebrochen Konjunktur und legte erstmals auch ein Album zum Einkleben der Porträts aller Spielerinnen der SerieA der Frauen vor. Luciano Gaucci, Präsident des Serie-A-Klubs Perugia und römischer Putzfrauen-König, geht einen Schritt weiter: Er hat nicht nur al-Saadi Ghadhafi, den Sohn des libyschen Staatschefs, als Spieler engagiert, sondern sucht nun auch die erste Frau für seine Mannschaft.“
Dirk Schümer (FAZ 29.7.) referiert italienische Finanzprobleme. „Diesmal sind es nur zwei Profiklubs, denen wegen hoher Fehlbeträge der Entzug der Spielberechtigung droht. Überraschenderweise ist neben dem Zweitligaverein SSC Neapel, der seit Maradonas Zeiten nicht mehr an vergangene Glorie anknüpfen konnte, auch AS Rom – immerhin der Meister von 2001 – akut bedroht. Als vor einem Jahr der Stadtrivale Lazio vor dem Bankrott stand, hatte Romas Präsident Franco Sensi noch über die Finanzmanöver seiner Kollegen gehöhnt: Nur er, die Mailänder und Turiner Präsidenten hätten wirklich Geld in der Tasche, der Rest der Liga lebe von Luft und Spekulation. Sensi scheint sich verspekuliert zu haben. Wie anders wären die knapp 55 Millionen Euro Schulden seines Traditionsklubs zusammengekommen? Schon seit dem Frühjahr wurden Gehälter nicht oder nur schleppend gezahlt, die Ablösesumme für den Peruaner Vassallo Ferrari blieb man ebenso schuldig wie den Anteil der Fernsehgelder für die Gastvereine. Nachdem teure Altstars wie Batistuta und Aldair schnell abgeschoben wurden, endete die vorige Saison nicht nur ökonomisch im Desaster. Rom holte 21 Punkte weniger als im Vorjahr, verfehlte den internationalen Wettbewerb und schied auch in der Champions League ruhmlos aus. Das also ist aus einem Verein geworden, der noch vor drei Jahren Bayer Leverkusens Star Emerson quasi aus der Portokasse kaufen konnte und seinem knallharten Startrainer Fabio Capello mit rund sechs Millionen Euro das wohl höchste Trainergehalt im Weltfußball überweist. Natürlich bliebe AS Rom noch der ultimative Ausweg, nämlich der Verkauf seines Stürmerstars Francesco Totti, nach dessen Qualitäten als zurückgezogener Torjäger halb Europa sich die Finger leckt. Nach dem Verkauf dieser Seele des Vereins – Totti ist der letzte Römer im Kader – bräuchte sich der großsprecherische Multimillionär Sensi allerdings nicht mehr in der Ewigen Stadt blicken zu lassen.“
Vielleicht waren nur nachsichtige Charaktere fähig, den türkischen Fußball sanft zu reformieren
Michael Kölmel (BLZ 26.7.) erkennt türkischen Aufschwung. „In der Tat haben die Südeuropäer hart für diese Erfolge gearbeitet und dabei schmerzhafte Zugeständnisse eingehen müssen. Ihr Fußballspiel war immer schon technisch versiert – aber es entwickelte sich erst weiter, als die Türken Mitte der Achtziger ihren Stolz überwanden und eingestanden, dass ihre Philosophie, sich nur auf die eigenen Fähigkeiten zu verlassen, keine Früchte trug. Der Wandel setzte erst mit ausländischen Spielern, vor allem aber mit den deutschen Trainern ein, sagt Tekin. Josef Derwall, ehemaliger deutscher Nationaltrainer, übernahm Galatasaray ab 1984 und war später zwei Jahre als Berater des Verbandes tätig. Die zweite prägende Figur war Sepp Piontek, ab 1990 türkischer Nationaltrainer. Beide besitzen in der Türkei nach wie vor größte Reputation. Sie hätten die Spieler erstmals taktisch geschult und ihnen eine professionellere Einstellung vermittelt, so Tekin. Dabei kann man sich Derwall, von deutschen WM-Spieler 1992 genasführt, und Piontek, für lockeren Umgang mit seinen Dänen berühmt, schwer als Dompteure vorstellen. Doch vielleicht waren nur nachsichtige Charaktere fähig, den türkischen Fußball sanft zu reformieren. Nicht deutsche Tugenden, nicht dänische Lässigkeit wurde adaptiert, sondern die spielerischen Stärken mit Fähigkeiten von außen Gewinn bringend verknüpft. Zum internationalen Durchbruch trug auch die Umstrukturierung bei. Erst 1992 wurde der Fußballverband unabhängig und entzog sich dem Einfluss der Regierung, sagt Tekin. Ein Prozess, den Tekin – der unter anderem bei Joachim Löw und Leo Beenhakker gelernt hat – als Befreiung beschreibt. Erstmals wurden Nationaltrainer und -spieler nach sportlichen und nicht parteipolitischen Gesichtspunkten ausgewählt. Auch die Aufteilung in Regionalverbände mit einem Sichtungssystem deutschen Musters sowie die Gründung des Europabüros 1998 wurde möglich. Der dritte Platz bei der WM in Asien bestätigte den eingeschlagenen Weg. Dieselbe Platzierung belegten die Türken beim Confederations Cup vor wenigen Wochen: Das Turnier war für uns enorm wichtig, sagt Tekin. Da haben wir bewiesen, dass der WM-Erfolg keine Eintagsfliege war, und Trainer Senol Günes hat jetzt in Frankreich unseren Generationswechsel mit jungen Spieler erfolgreich eingeleitet.“
Jay Goppingen
Matthias Erne (FAZ 26.7.) ist Jürgen Klinsmann auf der Spur. „Seit seinem Abschied aus dem Rampenlicht des Spitzenfußballs hat sich Jürgen Klinsmann größte Mühe gegeben, ein Leben ohne Schlagzeilen und Autogramme zu führen. Was in Deutschland nicht möglich wäre, funktioniert in den Vereinigten Staaten problemlos. Klinsmann, der am kommenden Mittwoch 39 Jahre alt wird, lebt mit seiner kalifornischen Ehefrau und mit seinem Sohn in Newport Beach, einem idyllischen Städtchen am Pazifischen Ozean, in der Mitte zwischen Los Angeles und San Diego. Dort bewegt sich Klinsmann, der Weltmeister von 1990, praktisch unerkannt – Jürgen Who? Die neue Anonymität des Jürgen K. geht sogar so weit, daß er in diesem Jahr ein Comeback als Fußballer gegeben hat, ohne daß dies bis vor kurzem jemandem aufgefallen wäre. Klinsmann spielt für die Orange County Blue Star aus Newport Beach in der Premier Development League (PDL), hinter der Major League Soccer (MLS) und der A-League die drittstärkste Liga des Landes. Nun sollte niemand auf die Idee kommen, in den PDL-Statistiken nach Klinsmann zu suchen – offiziell gibt es keinen Klinsmann in der PDL und damit auch kein Comeback des Deutschen. Blue-Star-Coach Nick Theslof spricht mit keinem Journalisten über seinen Star, die Mitspieler Klinsmanns sind vom Verein zum Schweigen verdonnert worden, und in der Ligazentrale gibt es nur einen offiziellen Kommentar zum Thema – no comment. Klinsmann selbst hüllt sich zu dieser Geschichte ebenfalls in Schweigen. Einzig auf der Website eines Gegners des Teams aus Newport Beach wurde der geheimnisvolle Blonde erwähnt. Das einzige Tor von Blue Star, hieß es im Spielbericht der Southern California Seahorses, sei nach einem Paß des europäischen Stars Jorgen Klinsmann zustande gekommen. Gemeint war natürlich Klinsmann, doch allzu streng sollte man mit dem Autor nicht umgehen – immerhin war er der einzige, der es wagte, den Namen Klinsmann im Zusammenhang mit der Premier Development League zu nennen. Bei allen anderen heißt Klinsmann nicht Klinsmann, sondern wird als Jay Goppingen geführt.“
Christian Zaschke (SZ 29.7.) berichtet einen misslungenen Einstand. „Der Kauf Beckhams war von Beginn an einer, den die Marketingabteilung ausgeklügelt hatte. Ziel: Real auf dem asiatischen Markt zu etablieren, auf dem bislang Manchester United das Geld verdient. Allein durch den Verkauf von Trikots, so rechnete Real, sollte der Transfer Beckhams zum größten Teil finanziert werden. 60 Euro kostet ein Original-Dress des Engländers, zehn Euro eine Fälschung, die haargenau so aussieht wie das Original. Klar, wofür sich die Chinesen entscheiden. Von den rechtlichen Umständen der Trikotfälschung soll hier gar nicht die Rede sein. Doch es ist ein ziemlich passendes Bild, wenn die Leute in gefälschten Trikots eines Spielers von Real Madrid herumlaufen, dieser Karikatur einer Fußballmannschaft, der Showtruppe, der, wenn man so will, unechten Mannschaft. Immerhin hat Beckham jetzt sein erstes Tor im neuen Jersey erzielt, im Trainingsspiel im chinesischen Kunming. Ein Eigentor.“