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Ballschrank

Eine ganz normale Spitzenelf

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Eine ganz normale Spitzenelf

Die NZZ (10.4.) berichtet in der ihr eigenen Wortwahl. „Der erste Viertelfinal hat nach spielerisch enttäuschendem Verlauf mit einem Remis geendet, das den Katalanen eher schmeichelt. Mehrheitlich klar kontrolliert von den lange Zeit ausgezeichnet eingestellten, gut organisierten und im Tackling entschlossenen Turinern, sah das Gastteam eine leichte Steigerung in der zweiten Halbzeit zwölf Minuten vor Schluss mit dem Ausgleich belohnt. Gesamthaft taten die minimalistisch veranlagten Italiener offensiv zu wenig, um die während zweier Drittel des Geschehens nicht sonderlich stabilen Barcelonesen vorentscheidend zu distanzieren. Im Delle Alpi standen sich zwei Teams mit national und international heuer divergierenden Resultaten gegenüber. Juventus, inzwischen im eigenen Land überlegener Leader und mit fünf Punkten Vorsprung Hauptfavorit auf den Scudetto, kämpfte sich eher mühsam durch die Vor- und die Zwischenrunde und brachte vor allem auswärts kaum ein Bein vor das andere. Derweil verliert sich Barça in einer für die stolzen Katalanen geradezu desaströsen Meisterschaftssaison in der Anonymität des breiten Mittelfeldes und eilt anderseits in der Champions League von Erfolg zu Erfolg. Elf von zwölf Gruppenspielen wurden gewonnen, nur Inter musste in Mailand ein Unentschieden zugestanden werden, am Mittwochabend nun auch der Juve in Turin. Damit dauert die verblüffende Champions League der Barça an – und damit die Hoffnung, die Saison wenigstens ausser Landes retten zu können. Schon früh konnte nicht verborgen bleiben, dass Harmonie derzeit keine gut entwickelte Eigenschaft im Barça-Team ist. Speziell im Mittelfeld fehlten Ordnung und Linie fast gänzlich, Bälle wurden im Vorwärtsgang häufig retour gespielt, weshalb Stürmer wie Saviola, Kluivert und der links oft aufrückende Riquelme meist isoliert blieben. Nicht verwunderlich unter diesen Umständen, dass kaum Gefahr von Barças Angriffsreihe ausging, die als stärkster Mannschaftsteil angesehen wird (…) Dass anderseits die Stärken der Juve in der Kompaktheit der eigenen Reihen sowie in der Defensivorganisation liegen, kam rasch zur Geltung. Individualisten standen hüben wie drüben, aber wirkungsvoller und nüchterner gingen die Turiner vor.“

Allseitige Begeisterung über den Auftritt Reals gegen Manchester United (3:1)

“United ist eine ganz normale Spitzenelf geworden; immer noch eine der besten, aber längst nicht mehr eine, wie es sie nur alle fünf Jahre gibt“, erkennt Ronald Reng (FTD 10.4.) einen Wandel Manchesters hin zu internationalem Mittelmaß. „17 Minuten vor Spielschluss fand Manchester Uniteds Torwart Fabien Barthez dann endlich eine Antwort auf die ungeheuerlichen Tricks, mit denen Real Madrids Großmeister Zinedine Zidane United nun schon über eine Stunde gequält hatte. Barthez applaudierte ihm. Zidane war nur noch 25 Meter vom Tor entfernt, als er Uniteds Linksverteidiger John O‘Shea mit einem Kunstkniff, den Fußballer Übersteiger nennen, entwischte, höchste Zeit für Barthez, sich auf den Angriff und das Schlimmste vorzubereiten. Aber er klatschte Beifall. Das war der Moment, in dem der Verdacht zur Gewissheit reifte: Der Wahnsinn von United hatte Methode in der Mittwochnacht. Bei ihrer 1:3-Niederlage im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinals ließ Manchester die bestbesetzte Elf des Fußballs mit einer Generosität spielen, dass es einem den Atem raubte. Nach all der Marktschreierei, dass dieses Duell der beiden Supermächte des Vereinsfußballs das Spiel der Spiele sei, glaubte der englische Europacupsieger von 1999 offenbar wirklich, er könnte mit dem aktuellen Pokalverteidiger unbesorgt schwungvoll mitspielen. Heraus kam ein Spektakel – und die ernüchternde Erkenntnis, dass diese United-Elf, die seit sechs Jahren durch so viele Europacupnächte tanzte, müde im Morgengrauen angekommen ist (…) Das Wort, das aus dem Trainingsgelände Carrington dringt, besagt, dass Trainer Ferguson dies erkannt hat und bereit ist, den über Jahre gewachsenen Nukleus der Elf zu sprengen. Flankenläufer David Beckham wird bleiben, da Vereinschef Peter Kenyon nicht töricht genug ist, die Ikone, die mehr als jeder andere United personifiziert, ziehen zu lassen. Ryan Giggs dagegen, der seit zwölf Jahren auf Uniteds linkem Flügel Stil mit Wucht vereint, ist nicht mehr unantastbar. Doch vor seiner größten Herausforderung bei der Umstrukturierung, das machte der Abend in Madrid auf dramatische Weise deutlich, steht Ferguson im zentralen Mittelfeld. Dort wacht noch immer Roy Keane, Fergusons Alter Ego, Uniteds Inspiration. Allein, man erkennt ihn kaum wieder. Keane symbolisierte im Bernabéu alles, was mit United falsch war. Es hieß Déjà vu, als Keane erschöpft vom Platz ging, der Gesichtsausdruck ein einziges Eingeständnis von Unterlegenheit. Genauso geschlagen war der andere große Zerberus der Neunziger, Stefan Effenberg, vor exakt einem Jahr im selben Stadion im Champions-League-Viertelfinale für immer von der großen Bühne abgegangen. Es zeichnet sich ab, dass United mit Keane Bayern Münchens Fehler wiederholt, wo man Effenberg noch die zentrale Rolle ließen, als er den Fortschritt des Teams schon hinderte.“

Madrider Spielkunst

Walter Haubrich (FAZ 10.4.) hielt das Team aus Madrid für deutlich überlegen. „Real Madrid hat es am Dienstag bei einer seiner unwiderstehlichen Galavorstellungen in der Hand gehabt, schon so etwas wie eine Vorentscheidung in diesem Duell zweier europäischer Fußballgiganten herbeizuführen. Eine Halbzeit lang triumphierte die Madrider Spielkunst im mit 74.000 Zuschauern ausverkauften Bernabéu-Stadion über ein biederes britisches Ensemble, das nahezu tatenlos dem artistischen Treiben der Zidane, Raúl und Figo zuschaute. Erst als van Nistelrooy den Engländern die Hoffnung zurückgegeben hatte, mehrten sich die Indizien, daß es im Rückspiel noch einmal schwer für Real werden könnte. Die spanischen Zuschauer ärgerten sich sogar nach dem 3:1 – vor allem über Ronaldo, der wieder einmal sein Übergewicht allzu gemächlich über den Rasen spazierenführte. Als Gast auf der Ehrentribüne erlaubte sich auch Argentiniens Staatspräsident Duhalde ein Urteil über den brasilianischen Star: Das Spiel war wunderbar, sagte er, wenn Ronaldo noch etwas abnimmt, dann wird Real Madrid so gut wie unbesiegbar sein. Mit Ausnahme von Ronaldo präsentierte sich die gesamte Madrider Mannschaft am Dienstag in Bestform (…) 5000 Fans waren aus Manchester gekommen, mehr als ein Viertel von ihnen ohne Eintrittskarten. Mehrere hundert britische Hooligans erzwangen sich den Einlaß, indem sie in geballter Form ein Stadiontor stürmten. Die Spanier schauten interessiert auf die ständig singenden, aus großen Pappbechern Bier trinkenden halbnackten Briten, die sich an der Nordseite vor den Pferden der berittenen Polizei plaziert hatten. Bei dem Versuch, ein weiteres Tor zu stürmen, schlug die Polizei zu. Einer der Engländer erklärte im Namen aller britischen Fußballfreunde: Wir sind nie gewalttätig und wurden trotzdem von den spanischen Polizisten, die ja bekanntlich Faschisten sind, verprügelt.“

Markante Unterschiede angelsächsischen und lateinischen Fussballspiels

Felix Reidhaar (NZZ 10.4.) ist auch einen Tag später noch sehr angetan von Real Madrid. „Wo in den letzten Tagen und Wochen vor allem ein möglicher Wechsel des englischen Megastars Beckham nach Kastilien und ein Abtausch mit dem etwas behäbig gewordenen Figo heissen Diskussionsstoff geliefert hatten, sprach unvermittelt niemand mehr von dieser Variante. Von Beckham ging ausser ein paar seiner bekannten Bananen-Flanken keinerlei Wirkung aus. Der Portugiese, zwar deutlich langsamer geworden und im 1:1-Duell nicht mehr mit ausreichender Durchschlagskraft, erzielte nicht nur das sehenswerte Führungstor. Er offenbarte spielerische Genialität und gab präzise kurze wie weite Zuspiele. Obwohl sich der Ausgang dieses Duells in 15 Tagen wieder umkehren kann, wird so schnell kein Real-Anhänger auf einen Abtausch pochen (…) Bei dieser Gelegenheit offenbarten sich ein weiteres Mal die markanten Unterschiede angelsächsischen und lateinischen Fussballspiels, die in solchen Vergleichen fast immer zugunsten der Iberer ins Gewicht fallen. Während die Madrilenen in ihrem besten Saisonspiel, wie einheimische Journalisten bestätigten, zu einer Stärkedemonstration individuell wie als Einheit ausholten, blieb Manchester United trotz gleich zu Beginn unterstrichenen Ambitionen kaum Zeit, auf Schnelligkeit, Phantasie und Direktspiel des Gegners wirkungsvoll zu reagieren. Im Gegenteil: Der Real-Wirbel provozierte Mängel en masse in den Reihen der Briten, deren Deckungsspieler dazu lange Zeit ungewöhnlich unkonzentriert spielten. Die wesentlichste Differenz trennte die beiden hochwertigen Mannschaften im Aufbau. Real Madrid bot geradezu ein Musterbeispiel vertikalen und vornehmlich flach gehaltenen Ballspiels in diesem Bereich, auf das die Mancunians lange kein probates Gegenmittel fanden. Sie rannten Gegner und – zuweilen wie am Schnürchen gezogenem – Ball hinterher oder sahen sich klassisch ausmanövriert. Das führte so weit, dass sie während Phasen vor der Pause gar nicht mehr zu intervenieren wagten. Captain Keane und Butt im zentralen Aufbau waren nicht mehr als brave Mitläufer ohne jede Initialzündungen. Die Partie, in der beide Teams ihrem noch so verschiedenartigen Stil treu blieben, war ein weiterer Höhepunkt, eine Steigerung gar zu den bisher gerade auch in der Zwischenrunde gesehenen Spitzenleistungen dieser Champions League. Weil auch die Briten ungeachtet der für sie früh schon ungünstigen Entwicklung die Offensive suchten, kam das begeisterte Publikum in den Genuss eines Spektakels, das auch 6:4 hätte ausgehen können.“

Reaktionen der englischen Presse Tsp

Defensivspezialitäten beim 0:0 zwischen Ajax und Milan

Christian Eichler (FAZ 10.4.) sieht beim 0:0 zwischen Ajax Amsterdam und dem AC Mailand ein defensiv bestimmtes Match und die Diagnosen vom „neuen holländischen Realismus“ bestätigt. „Die Gründungsväter hofften auf angriffslustige Kämpfer, als sie ihren Klub Ajax nannten. Und hundert Jahre lang haben die Ajacieden dem Namensvorbild, das einst beim Auswärtsspiel in Troja in der Angriffsreihe mit den Weltstars Achilles und Odysseus stand, munter nachgeeifert. 2003 aber hat Ajax eine neue Tugend entwickelt, die eher dem Vorbild des gleichnamigen Putzmittels entspricht. Motto: Hinten sauber ist der Anfang von allem. Am Dienstag traf die junge Amsterdamer Putzkolonne auf die Altväter der modernen Strafraumhygiene, logisches Resultat gegen den AC Mailand: ein blitzblankes 0:0. Neo-niederländischer Minimalismus nach alt-italienischer Art (…) Noch vor wenigen Jahren wäre so viel Vorsicht vom legendenverwöhnten Publikum mit Murren oder Pfeifen quittiert worden. Nun honoriert es auch den weniger unterhaltsamen, aber meist klügeren Fußball. Ajax hat unter Koeman den lähmenden Dogmatismus überwunden, jenen Zwang zum Zwei-Flügelstürmer-System, das auf die glorreichen Cruyff-Tage zurückweist und immer den Ajax-Nachwuchs gelehrt wird. Doch der lernt längst auch die vorsichtigeren Seiten der Fußballstrategie. Lieber schöne Ergebnisse als schöne Tore – mit diesem Motto ist Remis-König Ajax in der Champions League (acht Unentschieden in dreizehn Spielen) zur am schwersten schlagbaren Mannschaft Europas geworden. Nur gegen Inter Mailand verlor man bisher. Seit sieben Spielen ist Ajax unbesiegt. Ein achtes, man wäre im Halbfinale.“

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