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Italiens Vereinsfußball steht ein Rechtsstreit ins Haus wegen Schulden, Prasserei und Verschwendung – PSG im Aufschwung – AZ Alkmaar, holländisches Überraschungsteam

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Italiens Vereinsfußball steht ein Rechtsstreit ins Haus wegen Schulden, Prasserei und Verschwendung – PSG im Aufschwung – AZ Alkmaar, holländisches Überraschungsteam

Schuldenerlass für den notleidenden Italo-Fussball

Peter Hartmann (NZZ 3.11.) referiert das Duell zwischen Milan und Juve (1:1) und mögliche rechtliche Konsequenzen für die Schuldenlast der Serie A: „Wie schon im europäischen Showdown in Manchester am 28.Mai, den Milan erst im Penaltyschiessen 3:2 entschieden hatte, blockierten sich die beiden Mannschaften, die sich fast allzu gut kennen (Trainer Ancelotti arbeitete zuvor zwei Jahre in Turin), mit einem unerbittlichen Pressing auf engem Raum. Obwohl ein schmaler Mittelbereich von Tor zu Tor mit einem neuen Rasenstreifen ausgelegt worden war, präsentierte sich der Spielteppich in der Mailänder „Scala des Fussballs“ nach den ersten Herbstregen in einem lamentablen Zustand. Das Mikroklima in der riesigen Arena mit dem schwachen Lichteinfall während der Tagesstunden lässt die Grasnarbe verkümmern, und im Winter entsteht ein Sumpf. In diesem modernen Kolosseum, dessen Bau weit über 100 Millionen Euro verschlungen hat, geraten die teuersten Fussballerbeine der Welt ins Schlingern, nur weil die elementare Voraussetzung zum Fussballspiel fehlt: ein satter, grüner Rasen. Gartenbauexperten von überallher haben sich über den kranken Bodenfilz gebeugt, und wenn der Fleckenteppich sich verfärbt, wird er grün besprayt oder neu tapeziert. Beim Bau dieser gigantischen Fussball-Vergnügungstempel wird dem Komfort der Zuschauer jede Beachtung geschenkt, aber an die Arbeitsbedingungen der Künstler hat niemand gedacht (…) Die Meldung, die den Calcio weit mehr aufwühlte als dieses Remis, kam aus Brüssel: Mario Monti, der EU-Kommissar für Wettbewerbsfragen, ein Italiener, hat das Hilfsdekret der Regierung Berlusconi zugunsten der italienischen Klubs in Frage gestellt. Auch nach Ansicht seines holländischen Kollegen Frits Bolkestein, zuständig für den europäischen Markt, verletzt der faktische Schuldenerlass für den notleidenden Italo-Fussball geltende Bilanzierungsnormen und entspricht einer unerlaubten Subvention. Die Klubs, die als Aktiengesellschaften organisiert sind, können Schulden und Abschreibungen auf ihre Spielerkader auf zehn Jahre verteilt verbuchen. Ohne diese Manipulation (Monti sprach auch schon von „legalisierter Bilanzfälschung“) wäre die Serie A bis auf Juventus und Sampdoria bankrott. Am 11.November will die EU-Kommission über ihr Vorgehen entscheiden.“

Hemmungslose Bereicherung

Roland Zorn (FAZ 4.11.) ergänzt: „Bella Italia? Gewinnt der europäischste aller Italiener, EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti, sein Duell mit Berlusconi, müssen die auf Pump und vom guten Glauben an die Stillhaltequalitäten ihrer Gläubiger lebenden erstklassigen Klubs der Stiefelrepublik um ihre verantwortungslos erkauften Wettbewerbsvorteile, vielleicht sogar ihre Existenzberechtigung zittern. Endlich hat es Brüssel gewagt, die Legalitätsgrundlage des staatlich subventionierten und entsprechend zaghaft betriebenen Schuldenabbaus anzuzweifeln. Tatsächlich müßte der Profifußball in Italien angesichts seiner jahrelangen Verschwendungssucht längst so eisern sparen wie es Deutschlands erster Haushälter Hans Eichel jahrelang zumindest gefordert hat. Doch die Klubs halten an ihren viel zu hoch dotierten Stars und damit der Illusion vom Schlaraffenland für Balltreter im treuen Irrglauben fest, irgendwie, irgendwo, irgendwann lasse sich schon eine italienische Lösung finden, mit der das Defizit weggezaubert werde. Die Zeit des faulen Finanzzaubers ist indes vorbei. Die Tatsachen anzuerkennen, die Gehälter der Spieler drastisch zu reduzieren, Kollateralkosten entschieden zu senken – oder den Spielbetrieb einzustellen, dafür haben sich die großen Klubs der Serie A, aber auch der Primera División, in welcher zum Beispiel der FC Barcelona ein Minus von 180 Millionen Euro vor sich herschiebt, nie ernsthaft interessiert. Da wirken Männer wie Monti angesichts der auch beim Blick auf die rötesten Zahlen nicht schwarz sehenden Schuldenmacher auf Vereinskosten geradezu erfrischend realitätsbewußt. Die Jahre der hemmungslosen Bereicherung für die kleine Berufsgruppe der Fußballprofis scheinen zur Neige zu gehen.“

Der Fußball ist in Italien Spielzeug hasardierender Finanzakrobaten

Dirk Schümer (FAZ 4.11.) schreibt über den Hintergrund: „Es droht die Pleite eines hochgezüchteten Unterhaltungsgewerbes, das bereits seit längerem auf der Rasierklinge balancierte. Dank eines gnädigen Steuersystems nutzten die mehr oder weniger reichen Vereinspräsidenten oft genug die Verluste durch teure Spieler, um in ihren Unternehmensbilanzen bei den profitableren Unternehmensteilen Steuern zu sparen. So konnten Mäzene wie die Familie Agnelli (Juventus Turin), der Ölmilliardär Moratti (Inter Mailand) oder der Bauunternehmer Sensi (AS Rom) lange Zeit die besten und teuersten Spieler vom Weltmarkt an sich binden, bis die Wirtschaftskrise das wahnwitzige Gebaren aus dem heiklen Gleichgewicht brachte. Man spricht heute von Hunderten von Millionen Euro pro Jahr, die allein die Besitzer großer und sportlich erfolgreicher Klubs wie AC Mailand zum Betrieb zuschießen müssen. Doch diese paradiesischen Zeiten, gegen die etwa deutsche Vereine mit akkuraten Gewinn-und-Verlust-Bilanzen anverdienen müssen, scheinen nun abgelaufen. Vielen Vereinen droht der Bankrott. Weil bei den überzogenen Gehältern in laufenden Verträgen nicht viel zu kappen war, sollte ein Dekret namens Rettet den Fußball durch die Regierung Berlusconi Abhilfe schaffen. Der Ministerpräsident ist nicht nur Präsident des AC Mailand, er hat sich in Fragen kreativ interpretierter Bilanzen auf dem europäischen Medienmarkt auch einen Namen – und bei Italiens Richtern verhaßt gemacht. Die Volte seines Rettungsdekrets: Den Klubs wird es ermöglicht, Verlustabschreibungen aus Spielerverträgen über zehn Jahre zu strecken und dadurch Steuervorteile zu genießen. Faktisch finanziert so wie im alten Rom der Staat das Hobby von Milliardären, sich Gladiatoren im Rudel zu halten. Der Fußball ist in Italien zum Spielzeug hasardierender Finanzakrobaten geworden, die als Mäzene gesellschaftliche Respektabilität, Verbindungen und Einfluß gewinnen wollten. Mit ihren Mitteln, woher auch immer sie kamen, hat der teure Calcio die Weltspitze erreicht. Ohne das bilanztechnisch erzeugte Geld könnte er nun ganz schnell abstürzen.“

Schulden verstreichen, wie man ein Butterbrot schmiert

Noch einmal Peter Hartmann (NZZ 4.11.): „Berlusconis Magie endet an Italiens Grenzen – auch der Padrone des Landes kann einen Schuldenberg von 1,4 Milliarden Euro nicht einfach wegzaubern. Die EU-Kommissare Monti, ausgerechnet ein Italiener, und Bolkestein wollen nächste Woche eine Durchleuchtung des sogenannten Dekrets „Spalmadebiti“ (so viel wie: Schulden verstreichen, wie man ein Butterbrot schmiert) der Römer Regierung einleiten. Das bedeutet noch kein endgültiges Urteil, aber diese Buchhaltung all‘italiana verstösst gegen Wettbewerbsrecht und Bilanzierungsnormen der EU. Es kann allerdings auch nicht im Interesse der Bürokraten in Brüssel liegen, dem Calcio den Todesstoss zu versetzen. Doch ohne die Möglichkeit der Schuldenmanipulation stehen fast alle Klubs vor dem Bankrott. Nach dem Zusammenbruch des Spielermarktes treten jetzt auch die Folgen einer jahrelang tolerierten Schummelei zutage: Weil die Erteilung der Spiellizenz von der Bedingung abhängig ist, dass die Schulden nicht mehr als ein Drittel des Gesamtumsatzes ausmachen dürfen, haben die Manager dutzendweise Nobodies hin- und hergeschoben und in den Bilanzen mit Phantasiesummen bewertet. So schleppen Inter und die AS Roma unbrauchbare Kicker für 100 Millionen Euro Einstandswert durch ihre Bilanz.“

Ein starrsinniger, undiplomatischer, harter Hund

Jean-Marie Lanoë (NZZ 3.11.) macht den Aufschwung von PSG am neuen Trainer fest: „Ein starrsinniger, undiplomatischer „harter Hund“, der im zwischenmenschlichen Bereich erhebliche Defizite aufweist. So oder ähnlich ist Vahid Halilhodzic in der Schweiz im Zuge der Hakan-Yakin-Ärzte-Soap dämonisiert worden. Im bosnischen Trainer von ParisSt-Germain wurde gar ein Gefahrenherd im Hinblick auf eine Schweizer Teilnahme an der EM-Endrunde geortet. Es soll zwar Stimmen gegeben haben, die in seinem Starrsinn eher Unbeirrbarkeit, in der fehlenden Diplomatie seine Direktheit sahen und ihm überdies „amour“ für seine Spieler attestieren, sofern er sich nicht hintergangen fühle. Wie dem auch sei: Die nackten Fakten sprechen derzeit eine deutliche Sprache, und zwar für den Bosnier. PSG hat nach einem sehr harzigen Saisonstart in den letzten sechs Meisterschaftspartien 16 Punkte gewonnen (…) Dass der Schlüssel zum Erfolg bei Halilhodzic liegt, darüber bestehen wenig Zweifel. Das liegt bereits an der Machtfülle Halilhodzic‘. Dieser nahm nämlich unter anderem den Job in Paris an, weil er an der Seine in der Person des neuen Präsidenten Francis Graille eine uneingeschränkte Vertrauensperson an seiner Seite wusste. Graille war bereits früher der Vorgesetzte des Bosniers in Lille gewesen, und er ist zudem einer der wenigen Präsidenten im Hexagone, die sich nicht in die sportlichen Belange einmischen. Halilhodzic ist darum in der Position, die Geschicke des Vereins wie etwa Alex Ferguson in Manchester oder Arsène Wenger in London als Manager englischer Prägung und nicht nur als „blosser“ Trainer zu führen. Überhöht wurde die Stellung des Trainers durch den sportlichen Misserfolg im vergangenen Jahr, die massive Überschuldung des Klubs (200 Mio. Euro) und durch „gewisse Verhaltensweisen, die eines Profis nicht würdig“ seien, wie Halilhodzic schon bald sibyllinisch diagnostizierte. Er, der vom verkommenen Zustand des Ensembles trotz allen Vorwarnungen negativ überrascht war, erhielt den Auftrag, mit dem eisernen Besen zu kehren. Ein Auszug der Fehlleistungen der Vorgänger spricht Bände: So tummelten sich am Spieltag vor dem Anpfiff jeweils Leute in der PSG-Kabine, die dort nichts verloren hatten. Oder so war nicht nur Ronaldinho selber Empfänger von Gehaltszahlungen, sondern auch sein Agent, sein Bruder, seine Schwester und seine Mutter.“

Bertram Job (FTD 4.11.) beschreibt das holländische Überraschungsteam AZ Alkmaar: “Eine Geschichte, die auch hier mit den bekannten Symptomen funktioniert. Auf einmal hat sich die Anzahl der Zaungäste bei den Trainingseinheiten des Tabellendritten verdoppelt, und das ebenso charmante wie baufällige Stadion „Alkmaarer Hout“ war ausgerechnet beim letzten Heimspiel gegen den Tabellenletzten FC Zwolle (4:0) bis auf den letzten von 8419 Plätzen ausverkauft. So was hat man in dem beschaulichen Städtchen mit 90 000 Einwohnern seit 1981 nicht mehr erlebt – jenem aufregenden Sommer, als die Rot-Weißen zum ersten und vorerst letzten Mal niederländischer Meister wurden und bis ins Finale des Uefa-Cups vordrangen (0:3 und 4:2 gegen Ipswich Town). Mittelmaß war noch das Beste, was die Elf danach im Alltag der holländischen Eredivisie zu Wege brachte – wenn sie überhaupt in der höchsten Spielklasse vertreten war. Es war ja nett und ehrgeizig, dass der Vorstand des Klubs, 1996 einen zukunftsweisenden Zehn-Jahres-Plan für seine Mannschaft verabschiedete. Demnach sollte die Elf sich bis Mitte dieser Dekade auf europäischem Parkett zurückmelden. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Nach dem zweiten Abstieg im Sommer 1997 schaffte AZ zwar den direkten Wiederaufstieg; viel mehr jedoch gab es von der Mannschaft danach kaum zu bemerken. Sie blieb die graue Maus. Nun aber ist der Klub „de Sensatie van het Seizoen“, wie er auf seiner Homepage (www.az.nl) gleich selbst vermeldet, und eilt von einer Überraschung zur nächsten.“

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