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Ballschrank

Ja, wo samma denn?- Ja, Sappradi!

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Ja, wo samma denn?- Ja, Sappradi!

Harry Valérien zum 80. Geburtstag – Arminia Bielfeld weiß nicht wohin – die Bild-Zeitung ist salonfähig geworden (FR); nicht zufällig, wie ich finde

Erik Eggers (FR 4.11.) gratuliert dem vorbildhaften Kollegen Harry Valérien: „Zu Beginn der 1950er Jahre tobte in vielen deutschen Funkzeitschriften, wie sie damals noch hießen, eine so genannte Nachkriegsdebatte. Den bekanntesten Radioreportern wurde dabei nichts anderes vorgeworfen als Kriegsberichterstattung, Herbert Zimmermann, Otto Wernicke und Ludwig Maibohm wurden hart kritisiert für ihren brachialen Stil, den viele mit den klirrenden Frontberichten des Zweiten Weltkrieges assoziierten. In diesen längst vergessenen Diskussionen tauchte Harry Valérien, der damals zur hoffnungsvollen Nachwuchsgeneration zählte und heute 80 Jahre wird, nicht auf. Darauf angesprochen, sagt er: Ja, ich habe das mitbekommen, natürlich. Freilich habe er das nie auf sich bezogen, weil er sich damals eher an den österreichischen und süddeutschen Erzählern im Rundfunk orientiert habe. Damit meinte etwa den bayerischen Rundfunkpionier Josef Kirmaier, speziell aber den Wiener Heribert Meisel, dessen kunstvolle Reportage vom 6:1-Halbfinalsieg Deutschlands gegen Österreich bei der WM 1954 auch in deutschen Landen berühmt wurde (und – fast logisch – in Sönke Wortmanns Wunder von Bern seinen Platz bekam). In der Tat, Valériens Verständnis von Journalismus war (und ist) anders als das vieler seiner Kollegen. Er hat sich immer als Erzähler verstanden, und ein Tooor-Schrei wie der von Herbert Zimmermann beim Bern WM-Finale 1954 wäre ihm so nie über die Lippen gekommen. Dort, wo andere in Nationalismen verfallen wären, brach oft genug leise Ironie die unfassbare Leichtigkeit seiner zudem klugen Moderationen und Reportagen. Dass er so populär wurde, lag freilich nicht nur an seinem Charme (Ja, wo samma denn?- Ja, Sappradi!), seiner Wortgewalt und diesem unverwechselbaren Timbre in seiner Stimme. Diese Beliebtheit hat er sich auch hart erarbeiten müssen, wie sich Horst Vetten, ein Kollege aus alten Zeiten, erinnert. Wenn er die Streif von Kitzbühel zu kommentieren hatte, dann fuhr der Harry eben die Piste herunter, wenn auch nicht im D-Zug-Tempo. Er wollte wissen, wie es ist. Valérien war immer sehr gut vorbereitet.“

Jens Kirschnek (SZ 3.11.) erzählt die Lage Arminia Bielefelds in Liga Zwei: „Die Crux ist, dass so ein Fußballspiel immer eine Moral haben muss, dass es einen Fingerzeig liefern soll für Entwicklungen, die über den Tag hinaus weisen. Die Beteiligten wollen das, weil ein Spiel nicht nur ein Spiel ist, sondern immer auch eine Etappe auf dem Weg zu einem gesteckten Ziel. Wenn nun in der Zweiten Liga zwei Bundesliga-Absteiger aufeinander treffen, die noch dazu aktuell an der Tabellenspitze zu finden sind, ist klar, welche Richtung die Diskussion nehmen wird. Die Frage nach dem Aufstieg stellte sich zwangsläufig, doch den Protagonisten schien sie nach dem 1:3 zwischen Bielefeld und Cottbus nicht recht zu sein. Eduard Geyer, der Trainer der Sieger, sächselte etwas von „bin skeptisch“ und „müssen uns erst noch finden“. Sein Bielefelder Kontrahent Benno Möhlmann schüttelte den Kopf und sagte: „Jetzt an den 34. Spieltag zu denken, bringt uns nicht weiter.“ Man muss die Herren verstehen. Präsentiert sich die Zweite Liga in der Saison 2003/04 doch bislang als eine seltsam unübersichtliche Veranstaltung, die dazu angetan ist, jeden Wetter in die Verzweiflung zu treiben. Da gibt es eine Mannschaft (Aachen), die ein Spiel 1:7 verliert, anschließende fünf hintereinander gewinnt und die Tabellenführung übernimmt. Eine andere (Nürnberg) startet souverän, wird anschließend jedoch bis auf einen Abstiegsplatz durchgereicht. Niemand aber repräsentiert die Konfusion besser als Arminia Bielefeld. Am ersten Spieltag auf Platz 18, am neunten auf Position eins, doch nach zuletzt zwei Niederlagen weist die Tendenz offenbar wieder nach unten.“

Der Focus (27.10.) sorgt sich um uns: „Wahre Fußballfans sind mit ganzem Herzen beim Spiel. Doch nicht jedes Herz ist der leidenschaftlichen Anteilnahme auf Dauer gewachsen. Vorsorgende Vereine wie der 1. Kaiserslautern haben deshalb in Stadien moderne Defibrillatoren installiert, um im Notfall rechtzeitig zur Stelle sein zu können. An 51 Spieltagen in zwei Jahren mussten dort die Helfer immerhin bei acht Herzstillständen eingreifen. Doch auch vor dem Bildschirm droht dem Fußballfan Gefahr, glauben Schweizer Kardiologen aus Lausanne. Eugene Katz und seine Mitarbeiter haben für eine Studie, die sie auf dem Europäischen Kardiologen-Kongress in Wien vorstellten, Daten über die Häufigkeit von plötzlichen Todesfällen während der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 gesammelt und diese mit Statistiken aus dem gleichen Zeitraum des Vorjahres verglichen. Obwohl die Schweiz nicht mit einem eigenen Team vertreten war, stieg die Zahl der Herztoten während der WM im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent. Katz geht davon aus, dass etwa 11 Millionen Zuschauer das Spektakel am Fernseher verfolgten. Besonders die Anspannung während der Spiele, erhöhter Alkohol- und Zigarettenkonsum und Bewegungsmangel scheinen hierfür der Grund zu sein, vermuten die Schweizer Forscher.“

Letzter Akt im Drama jenes ominösen Strukturwandels der Öffentlichkeit

Martin Hecht (FR 4.11.) wundert sich über die Salonfähigkeit der Bild-Zeitung, in den 70ern und 80ern noch das Schmuddelkind der Journalisten-Familie und des Deutschunterrichts: „Heute sitzt man quer durch alle Redaktionen der Nation dem Glauben auf, es genüge nicht mehr, allein die Themen des täglichen agenda setting dem Bild-Boulevard anzunähern. Für diese Aufgabe ist nun auch ein neuer Typ des Journalisten fällig. Und so kam es endlich, dass bei allem Bekenntnis zum Seriösen schließlich der boulevardgeprüfte Journalist auf das Schild des idealen Berufsbildes eines wahren journalistischen Könners gehievt wurde – und dort inzwischen unerschütterlich thront – obwohl er Jahre lang als dessen erklärtes Gegenbild, ja als sein Widerpart und als Verräter der eigenen Berufsidee gegolten hatte. Nicht nur das Blatt und seine Themen – jetzt erfahren auch noch die Macher einen kaum verdaulichen Imagewandel: Von den schwiemeligen Schmierfinken von einst sind sie in den Rang von wahren Könnern des Metiers gerückt, von Gesinnungstätern, die bis zur Perfidie volksnah sein wollten und doch nur vulgär waren, von schnöden Auflagenexperten und geistlos-zynischen Verkaufsprofis zu solchen, denen jetzt selbst in der journalistischen Szene höchste Anerkennung widerfährt. Ehemalige Domänen des Geistes, wie es die alten Redaktionsstuben genauso wie spiegelbildlich die Räume der praktischen Politik einmal waren, werden immer mehr zu Tummelplätzen einer neuen Generation journalistischer Gebrauchtwagenhändler: ein weiterer, vielleicht sogar der letzte Akt im Drama jenes ominösen Strukturwandels der Öffentlichkeit.“

of Was Hecht übersieht: Bild-Redakteure schreiben meist besseren Stil – besseren Stil als viele FR-Redakteure: kurz, reich an Tat-Wörtern, frei von Soziologen-Fürzen (thematisieren, oszillieren, fungieren, dislozieren etc.), kein Wort zu viel und immer das knappste Gut der Journalisten-Welt im Kopf und in der Feder: die Aufmerksamkeit des Lesers. Recht verstanden – wovon ich nicht rede: die oft menschenfeindliche Geisteshaltung, die Sensationsgier und die Kargheit an Argumenten vieler Boulevardblätter – was der FR fremd ist. Deswegen, und nicht wegen des Sprachstils, lese und zitiere ich die FR – und nicht die Bild.

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