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Jorge Valdano im Interview, Frankreichs Nationalteam, Beckhams Nachfolger

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Jorge Valdano im Interview, Frankreichs Nationalteam, Beckhams Nachfolger

Themen: Tsp-Interview mit Jorge Valdano (Sportdirektor Real Madrid) – Umbruch in Frankreichs Nationalteam – furioser Auftakt von Manchester United und dem jungen “Beckham-Nachfolger”

Wenn wir einen Zirkus aufziehen wollen, dann müssen wir auch Herrn Hoeneß verpflichten

Auszüge aus einem Tsp-Interview mit Jorge Valdano

Tsp: Ihr argentinischer Landsmann Cesar Luis Menotti hat einen linken, einen subversiven Fußball gepredigt. Gibt es so etwas überhaupt?

JV: Fußball ist vieles in einem: das Spiel, das Kinder auf dem Schulhof spielen, das Gesprächsthema in einem Café, das WM-Endspiel, also ein so großes Phänomen, dass die Mächtigen leicht den Fußball vereinnahmen können. Je weniger Skrupel die Macht hat, desto mehr wird der Fußball ausgenutzt. Zum Beispiel bei der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien, als dort die Militärjunta herrschte und folterte. Es gab damals Stadien, die nur 500 Meter von den Folterkellern entfernt lagen. Die Gefangenen konnten von dort die Torschreie eines Publikums hören, das man einer Gehirnwäsche unterzogen hatte.Tsp: In Deutschland wurde damals sehr lebhaft über einen Boykott der WM diskutiert.JV: Ein Boykott wäre keine schlechte Idee gewesen. Er hätte ganz sicher zu einem Wechsel der politischen Situation beigetragen.

Tsp: So stark ist der Fußball?

JV: Ja, und die sich dadurch bietenden Möglichkeiten werden immer intelligenter genutzt. In Afrika konnten sich die Schwarzen zu Zeiten der Apartheid in den Fußballstadien ungestört treffen, in Städten wie Medellin in Kolumbien sind sich Frauen und Männer als Zuschauer frei begegnet. So etwas war im gesellschaftlichen Leben in dem Land nicht möglich.

(Valdano nimmt einen Stift, zieht ein Blatt Papier aus seinem Jackett und zeichnet ein Rechteck mit Schornsteinen.)

JV: Stellen Sie sich in der Mitte den schönen grünen Rasen vor. Rings herum sind mit der Zeit Fabriken, Schlote, Öfen dazugekommen. Das ist die Fußballindustrie. Und das ist gut so. Die Industrie kann sich vergrößern, aber nur nach außen, weg von der grünen Wiese. Wenn die Industrie eines Tages auf den Platz wächst, verliert das Geschäft seinen Sinn. Ein Großteil meiner Arbeit besteht darin, das zu verhindern.

Tsp: Das erzählt ausgerechnet der Manager des am meisten expandierenden Fußballklubs der Welt.

JV: Ja, wir expandieren nach China, treten dort auf und machen unsere Marke bekannter, aber wir spielen immer noch im Bernabeu-Stadion, und das ist und bleibt in Madrid. Wir vergessen nie, dass im Zentrum all unserer Aktivitäten der Fußball steht. Unser sportliches Projekt ist deutlich definiert: Wir sind die Mannschaft der Zidanes und Pavons…

Tsp: …benannt nach Zinedine Zidane, dem Weltstar aus Frankreich, und Francisco Pavon, einem Spieler aus dem eigenen Nachwuchs.

JV: Wir werden nie die Pavons vernachlässigen, die Einheimischen, die den Stolz des Vereins, der Stadt Madrid repräsentieren. Aber wir schmücken uns auch mit dem Glanz der Weltstars. Dank ihrer Klasse hat Real in den vergangenen vier Jahren zweimal die Champions League und zweimal die spanische Meisterschaft gewonnen. Mit Leuten wie Zidane, Figo, Ronaldo und künftig Beckham haben wir unsere Umsätze in drei Jahren verdoppelt, weil diese Stars die Marke Real Madrid in der ganzen Welt prägen.

Tsp: Die vier oder fünf besten Spieler der Welt müssen immer bei Real spielen?

JV: Genau das ist unser Anspruch. Seit dem Jahr 2000 hat Real vier Stars dieser Kategorie gekauft: Figo, Zidane, Ronaldo und jetzt Beckham. Im selben Zeitraum haben neun Spieler von der Basis den Sprung in den Kader geschafft, dazu kommen unsere spanischen Nationalspieler Raul, Guti und Casillas. Das macht also zwölf Spanier und vier internationale Stars. Eine gute Balance, finden Sie nicht?

Tsp: In der Öffentlichkeit kommt das nicht so rüber.

JV: Es liegt in der Natur der Stars, dass über sie viel mehr geredet und geschrieben wird als über die anderen. Deswegen wird uns oft vorgeworfen, wir würden der Show mehr Raum geben als dem Fußball. Aber Fußball ist ein Spiel und steht damit außerhalb der Realität. Es ist eine Fiktion, die die Gesellschaft zum Leben benötigt. So wie die Literatur oder das Kino. Aber es ist eine Fiktion, die wirkliche Spiele gewinnen muss. Und das gelingt uns doch ganz gut.

Tsp: Wie weit darf das gehen? Der FC Barcelona, der Stolz Kataloniens, hatte vor nicht allzu langer Zeit acht Holländer in seiner Stammelf. Wäre das bei Real möglich?

JV: Gerade deswegen haben wir die Zahl der Spieler von der Basis Jahr für Jahr erhöht. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Real Madrid eine historische Verpflichtung zum Spektakel hat. Es ist doch ein Genuss, Leute wie Zidane, Figo und Ronaldo in einer Mannschaft zu sehen. In Brasilien haben in den 70er Jahren in der Nationalmannschaft bis zu fünf Leute gespielt, die die Nummer zehn des Spielmachers hätten tragen können. Genau das tun wir jetzt auch. Es ist doch schöner, fünf Leute mit grandioser Technik aufzubieten als fünf, die einfach nur ihren Job machen.

Tsp: Beckham ist keine Nummer zehn. Wurde er für die Show gekauft oder weil er ein überragender Fußballer ist?

JV: Beckham ist ein Weltstar, der einige unserer Probleme beseitigen wird. Wir sind nicht schuld daran, dass mehr über sein Image als über seine fußballerischen Fähigkeiten geredet wird. Wir haben einen großartigen Fußballer gekauft, aber wir werden auch sein Image für uns nutzen.

Tsp: Bayern Münchens Manager Uli Hoeneß hat im Zusammenhang mit dem Beckham-Transfer davon gesprochen, dass Real Madrid sich von einem Fußballverein weg hin zu einem Zirkus entwickeln würde.

JV: Also, wenn wir einen richtigen Zirkus aufziehen wollen, dann müssen wir auch Herrn Hoeneß verpflichten, er könnte doch wunderschön unser Spektakel präsentieren.

Tsp: Hinter dem Konflikt steckt aber mehr. Es gibt im Fußball zwei Kulturen. Für Sie ist der Begriff Spektakel positiv besetzt…

JV: …absolut!

Tsp: …und Uli Hoeneß sieht das eher negativ. Ihm fehlt dabei der sportliche Kern.

JV: Wenn ich so gespielt hätte wie er, würde ich wahrscheinlich dasselbe denken. Schauen Sie: Wenn wir nebeneinander zwei Fußballstadien bauen würden, eines für Real Madrid und eines für Bayern München, und wir würden die Eintrittskarten zum selben Preis verkaufen. Wo würden Sie hingehen? Und wo würde Herr Hoeneß wohl hingehen?

Tsp: Manifestiert sich in diesem Konflikt der fundamentale Unterschied im Denken zwischen einem Argentinier und einem Deutschen?

JV: Nein, nein, es ist nur so, dass Real Madrid im Augenblick ein Maß ist, nach dem sich der Rest der Welt richtet. Ich war früher auch ein sehr praktischer Fußballspieler. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, mich zu sehen oder Maradona, dann hätte ich immer lieber Maradona gesehen.

“Die Zeit der Günstlinge ist in Frankreich vorbei”, führt Arnaud Ramsay (NZZ 19.8.) an. “Als Roger Lemerre am 22.Juli vergangenen Jahres durch Jacques Santini als Trainer der französischen Fussballnationalmannschaft abgelöst wurde, war nicht nur ein Schlusspunkt gesetzt hinter eine der grössten Überraschungen der Fussball-WM-Historie, sondern auch hinter einige grundlegendere negative Entwicklungen innerhalb der Equipe tricolore. Klar war das Vorrunden-Aus des Weltmeisters von 1998 und Europameisters von 2000, ohne einen einzigen Treffer erzielt zu haben, ein Zusammentreffen verschiedener Faktoren wie mangelndes Wettkampfglück, Verletzungen von Schlüsselspielern, diskutable taktische Ausrichtung. Aber gleichzeitig lag das Malaise weiter unter der Oberfläche einer nur nach aussen hin intakten Mannschaft. In der Ära Lemerre hatte sich nämlich eine Auswahlpolitik der mangelnden Konkurrenz, des Spieler-Protektionismus breit gemacht. „Seine“ Weltmeister von 98 wussten, dass sie sich schon sehr ungeschickt anstellen mussten, wollten sie nicht nominiert werden. Diese selbstredend nicht gerade leistungsfördernden Strukturen hat Santini aufgebrochen. Der ehemalige Lyon-Trainer scheute einerseits nicht davor zurück, Thierry Henry endlich die Rolle zuzugestehen, die der Arsenal-Spieler bevorzugt, nämlich jene in der Mitte. Henry, der für Santini ‚au-dessus des autres‘ steht, soll die Rolle des Patrons (neben Zidane) übernehmen. Auf der anderen Seite erhält aber jeder Aufgebotene eine faire Chance, sich nachhaltig in Erinnerung zu rufen. Und das sind nicht wenige.“

Fergusons fussballerischer Instinkt

Martin Pütter (NZZ 19.8.) berichtet Optimismus und Euphorie in Manchester. „Schnell ändern Befindlichkeiten von Fussballfans. Auch in Old Trafford. Spätestens mit dem Schlusspfiff, so schien es, war die Wehmut über den Verlust von David Beckham verschwunden, gab es ein neues, vielversprechendes Gesicht zu feiern. Denn das mit Abstand eindrücklichste Erlebnis neben dem 4:0-Startsieg von Manchester United gegen die Bolton Wanderers war die Leistung des 18-jährigen Cristiano Ronaldo. Nach seiner Einwechslung eine halbe Stunde vor Schluss verwirrte er den Gegner, verzauberte er die Zuschauer – und entlockte selbst Manager Alex Ferguson eine verbale Reaktion, die er so früh jeweils zu unterdrücken pflegt. Der Schotte, der sehr selten lobt, geriet über den Portugiesen, den er im letzten Moment noch verpflichtet hatte nach einigen Niederlagen in der Transferzeit, geradezu ins Schwärmen. „Er gab ein wahnsinniges Début. Er änderte das Spiel, und die Fans kehrten mit einem neuen Helden in den Herzen heim.“ Ob live im Stadion oder später bei der Betrachtung der Höhepunkte im Fernsehen – wer den „kleinen Ronaldo“ in Aktion gesehen hatte, konnte Ferguson nicht widersprechen. Und die englischen Medien, ohnehin nicht für Zurückhaltung bekannt, überschlugen sich. Vergessen waren David Beckham oder gar Eric Cantona, manche Blätter frischten schon Erinnerungen an George Best auf (…) Der Neueinkauf zeugt von Fergusons fussballerischem Instinkt. Während alle von Chelsea und den millionenteuren Einkäufen redeten, zog der Schotte nach dem Abgang Beckhams seine Fäden. Er verpflichtete Spieler nicht nach ihrem Marktwert, sondern nach ihrer Eignung für seine Mannschaft. Fabien Barthez bekam so mit dem Amerikaner Tim Howard ernsthafte Konkurrenz im Tor, im Mittelfeld wird der von Nantes gekommene Eric Djemba-Djemba schon als Nachfolger Roy Keanes betrachtet, dazu kommt noch der Brasilianer Kleberson, dessen Spielberechtigung am Samstag noch nicht eingetroffen war – und zu guter Letzt eben Cristiano Ronaldo. Die Transferausgaben betrugen gut 20 Millionen Pfund, weniger als die Hälfte von dem, was mit Transfers (Beckham, Veron) vereinnahmt wurde. Der Transfererlös steht den Rechnungsbüchern gut an und wird die Aktionäre freuen. Fergusons gutes Auge für Nachwuchs mit Potenzial ist seit langem bekannt. David Beckham, Nicky Butt, Ryan Giggs, die Neville-Brüder Gary und Phil sowie Paul Scholes, Kern des United-Kaders über lange Jahre, reiften unter dem schottischen Fachmann. Nun hat er den jungen Portugiesen engagiert, ein weiterer ist in seinem Visier: der 14-jährige Amerikaner Freddy Adu. Der Teenager wird als eines der angeblich grössten Talente im Fussball betrachtet und machte kürzlich Schlagzeilen, als er mit Nike einen Sponsorvertrag über eine Million Dollar abschloss.“

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