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Ballschrank

Keine gute Europapokal-Woche

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Keine gute Europapokal-Woche

Keine gute Europapokal-Woche, oder besser: kein gutes Europapokal-Jahr für den hiesigen Vereinsfußball. Das Viertelfinale in beiden Wettbewerben (Champions League und Uefa-Cup) wird wohl ohne deutsche Beteiligung stattfinden. Allein Borussia Dortmund hat noch eine kleine Chance, die nächste Runde zu erreichen, obwohl der späte Ausgleichstreffer im der Gäste aus Madrid beim 1:1 im Dortmunder Westfalenstadion die sportlichen Aktien des deutschen Meisters rapide fallen ließ.

Vom Geschehen auf dem Rasen zeigt sich die Sportwelt allerdings begeistert (alle Pressestimmen ). „Es war neunzig Minuten lang ein Traumabend für Borussia Dortmund – und am Ende stand ein Albtraum“, liest man in der NZZ, während die SZ ein „Champions-League-Spiel der allerersten Kategorie“ sah.„Nicht wenige Beobachter sprachen vom qualitativ besten Spiel, das je im Westfalenstadion gespielt worden sei.“ Insbesondere Torhüter Jens Lehmann machte seine von vielen Seiten als Ausraster gewertete Auseinandersetzung mit Mannschaftskollege Amoroso am vergangenen Wochenende mit seiner Leistung vergessen und „brachte Ronaldo mit drei tollen Paraden so weit, dass der Brasilianer sich Oliver Kahn ins Dortmunder Tor wünschte“ (taz). Letztendlich bleibt jedoch ein ernüchterndes Fazit: „Mochte das 1:1 am Ende dieses faszinierenden Spiels das unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten passende Resultat sein, so bestrafte es doch die Westfalen brutaler als jede Niederlage“ (FAZ).

Der andere deutsche Champions-League-Teilnehmer aus Leverkusen hat es durch die Niederlage in Newcastle offenbar fertig gebracht, nicht vorhandene Erwartungen zu enttäuschen. „Ratlos taumelt Bayer am Abgrund entlang“, titelt die FAZ, und die SZ schreibt: „Bayer Leverkusens Irrfahrt durch die Champions League erreicht tragikomische Ausmaße.“

Newcastle United – Bayer Leverkusen 3:1

Angesichts des Leverkusener Auftritts sorgt sichRaphael Honigstein (SZ 28.2.). „Die Niederlage kam so wenig überraschend wie der Regen in Englands Nordosten, aber das tragikomische Ausmaß der in allen Belangen höchst peinlichen Leistung verstörte noch den wohlgesonnensten Beobachter. Immer wenn man denkt, Bayer 04 habe die Talsohle bereits erreicht, tauchen noch weitere Aussetzer und Unzulänglichkeiten auf. Beim auf absehbare Zeit letzten Auftritt auf der Insel trugen in Gestalt von Ramelow, Neuville und Brdaric gleich drei Bayer-Spieler die Kapitänsbinde, aber Verantwortung wurde auf dem Platz ähnlich hektisch an den nächsten geschoben wie der Ball. Der nach 30 schockierenden Minuten durch Auswechslung von seinem Leid erlöste Cris – der angeblich auch als brasilianischer Nationalspieler tätige Verteidiger hatte Alan Shearer dessen Tore förmlich aufgedrängt – war nur der schlechteste von vielen schlechten Darstellern an diesem Abend (…) Wolfgang Holzhäuser war seltsam milde gestimmt. Ein entspanntes Lächeln lag ihm auf den Lippen, als er in Vertretung des gar nicht erst angereisten Reiner Calmund im schokoladenbraunen Vorstandsmantel darauf verwies, dass hier„nicht die 1A, auch nicht die 1B, sondern die zweite Besetzung” der Werkself gespielt habe. Von einem Imageschaden wollte er nichts wissen, mit Juan in der Abwehr sehe die Sache gegen Bremen am Samstag sowieso wieder ganz anders aus. Das klang verdächtig nach Toppmöllerschen Ausflüchten. Oder war es gar bitterböser Sarkasmus? Es sei eben „viel spielerisches Potential verschüttet gegangen”, und diesen Schutt müsse man jetzt abtragen – Thomas Hörster werde das schon hinkriegen. Als Mann im Bulldozer-Führerhäuschen kann man sich „das Ekelpaket” (Calmund) zwar gut vorstellen, doch was die Bayer-Spieler wohl viel dringender brauchen, ist psychologische Betreuung. Bisher hat der barsche Trainer-Neuling nicht gezeigt, dass er auch subtilere Töne anstimmen könnte; die präziseste Diagnose ist aber nichts wert, wenn dem Patienten nicht die nötige Medizin verschrieben wird. „Wir kennen die Fehler und wir arbeiten dran” – mehr vermochte Hörster auch auf Nachfrage nicht zu verkünden. Man muss also weiter Angst um dieses begabte Team haben.“

Moritz Küpper (FR 26.2.) kommentiert die seitens RTL geäußerte Kritik gegenüber Bayer Leverkusen. „Nun ist es also auch beim Kölner Privatsender RTL angekommen: Im benachbarten Leverkusen herrscht Abstiegskampf, der Bundesligastandort Leverkusen ist ernsthaft gefährdet. Doch anstatt an die Zukunft von Bayer 04 zu denken, macht sich RTL-Sportchef Manfred Loppe Sorgen um seinen Mittwochabend, den Champions-League-Abend. Heute spielt Leverkusen in Newcastle, doch dem Verein ist das erklärtermaßen egal. Die Spiele sind nicht mehr als hochkarätige Tests. Für Loppe unverständlich: Mit bösen Befürchtungen (Zuschauer-Minusrekord) und Appellen (Der Verein ist dem Zuschauer verpflichtet) zeigt sich RTL besorgt um die unglaublich hohen Investitionen. Doch der Vorwurf ist alt – und nicht nachvollziehbar. Denn schon ganz andere, größere Vereine wie Real Madrid oder Bayern München haben, nachdem die Qualifikation für die nächste Runde geschafft war, ihr Stammpersonal geschont. So macht es nun auch Bayer, nur der Antrieb ist ein anderer. Im Bundesliga-Keller haben Argumente wie die Moral-Diskussion des TV-Partners oder die Uefa-Fünfjahreswertung kein Gewicht.“

Tim Bartz (FTD 28.2.) erkennt. „Wie fatal die Lage von Bayer Leverkusen derzeit ist, macht folgende Anekdote deutlich: Während seine Mannschaft am Mittwochabend bei Newcastle auf die Schlachtbank des europäischen Klubfußballs geführt wurde und sich mit 1:3 aus der Champions League verabschiedete, weilte der bemitleidenswerte Ober-Strippenzieher Rainer Calmund im heißen Brasilia – aktuelle Temperatur gestern: 29 Grad Celsius, Luftfeuchtigkeit: 48 Prozent –, um dem verletzten Abwehrmann Lucio auf die Beine zu helfen. Der Manager muss schon arg verzweifelt sein, wenn er um die halbe Welt reist, um Wunderdoktor zu spielen. Für Lucios Verletzung ist das personifizierte Bayer-Rollkommando zwar nicht verantwortlich, wohl aber für die Verpflichtung des Ersatzmannes Cris, ebenfalls Brasilianer. Der spielt mittlerweile so erbärmlich, dass Calli besser den Fast-Namensvetter Chris vom Zweitligisten FC St. Pauli für äußerst schmales Geld verpflichtet hätte.“

Christian Zaschke (SZ 28.2.) urteilt hart. „England und Europa lachen ob dieses wunderbaren Witzes: Cris, der Fußballer. Munter verschuldet der angebliche brasilianische Nationalspieler Gegentor um Gegentor, er steht herrlich an den falschen Orten des Feldes herum, er staunt über das seltsame Spiel, das um ihn wogt. Leverkusen hat es mit Cris geschafft, zur witzigsten und unterhaltsamsten Mannschaft der Champions League zu werden. Dafür gebührt ihnen Dank. Das beste ist: RTL ist aufgrund der Fernsehverträge gezwungen, in drei Wochen das Spiel von Bayer gegen Inter Mailand zu zeigen, live, in voller Länge. Wenn die Fernsehmenschen klug sind, fordern sie, was jeder Freund der schönen Dinge, des Fußballs, der Samba und vor allem des Humors sich für alle Zukunft wünscht: Cris auf dem Platz.“

Thomas Kilchenstein (FR 26.2.) porträtiert Reiner Calmund. „Das Allerschlimmste wäre: Wenn er sich eingestehen müsste, dass er, der omnipotente Hans-Dampf-in-allen-Gassen-Manager, Schuld auf sich geladen hätte am Untergang seines Lebenswerkes Bayer 04. Dass er, der Allesmöglichmacher, mehr oder weniger taten-, respektive hilflos mit ansehen müsste, wie sein gepäppelter Club durch den Rost rutscht. Wie könnte er damit leben? Weiter leben? Im Stadion spielt mein Leben, hat er mal gesagt. Auch in einem Zweitliga-Stadion? (…)Sind da, als Bayer Leverkusen fast ganz, ganz oben war, die entscheidenden Fehler gemacht worden? Hat er sich blenden lassen von der Sonne, die natürlich auch auf ihn, den Macher und Strippenzieher, nicht zu knapp schien? Oder andersrum: Was hat Calmund falsch gemacht? Hätte er Ballack und Ze Roberto halten müssen, um jeden Preis? Geld war ja durch die Erfolge in Hülle und Fülle vorhanden, allein für diese, bislang so verkorkste Saison hat Bayer Leverkusen 28 Millionen Euro in neue Spieler investiert. Hätte er genauer gucken sollen, welche absoluten Wunschspieler Klaus Toppmöller denn da alles haben wollte für seinen Kader? Andererseits: Warum hätte er seinen gerade zum Trainer des Jahres 2002 gekürten Fußballlehrer bremsen sollen? Über solche Dinge zermartert er sich den Kopf. Es macht ihn mürbe. Denn Reiner Calmund, 54, ist auch Fan. Wahrscheinlich der größte, den Bayer 04 hat und je haben wird. Bayer 04 ist Calmund. Und umgekehrt. Der frühere Retortenclub hat eine Identifikationsfigur, mehr nicht: eben Calmund (…) Calmund war ein typischer Vereinsmensch. Und im Grunde ist er das noch heute: ein Vereinsmeier. Auf höchsten Niveau zwar, mit (von ihm aufgebauten) professionellstem Umfeld und mit einem millionenschweren Etat, mit linken Tricks und scheinbar immerwährender Medienpräsenz, aber immer für den Verein. Und immer schön menschelnd. Und Calmund, den jeder Calli nennen darf, genießt inzwischen Narrenfreiheit bei Bayer. Wer sollte ihn je feuern? Wer ihm je Fehler ankreiden? Bisher jedenfalls hat es der sympathische Chaot (Bayer-Finanzmanager Wolfgang Holzhäuser) immer geschafft, für Fehlentwicklung, missratenes Krisenmanagement oder Fehleinkäufe – etwa die Ribbeck-Verpflichtung, das Vogts-Missverständnis oder die Nibelungentreue zum Kokser Daum – nie zur Verantwortung gezogen zu werden. Neun Trainer hat der nette Herr Calmund in 15 Jahren als Bayer-Manager bislang entlassen müssen. Schweren Herzens, wie er sagt. Er sagt das immer, dass man ihm fast glauben mag. Die anderen sind halt schuld, nie er, der folkloristische Pate unterm Bayer-Kreuz. Reiner Calmund steht irgendwie doch nie auf der Seite der Verlierer.“

Peter Heß (FAZ 26.2.) auch. “Wer ist Reiner Calmund? Eine seltsame Frage. Kaum jemanden im Fußball-Geschäft meint man so gut zu kennen wie den Geschäftsführer der Fußball AG von Bayer Leverkusen. Der Dicke gibt ein so eindimensionales Bild ab, wie es bei 140 Kilogramm auf 1,73 Meter nur möglich ist. Der Pate, der Mann mit dem Geldkoffer, das dicke Bandito, der Macher, der Zampano. In allen Beschreibungen, die über ein Schlagwort hinausgehen, schwingen die gleichen Attribute mit: gerissen, gemütlich, jovial, witzig, sachkundig – ein Manager mit Leib und Seele. Don Camillo und Peppone in einer Person. Wer ist Reiner Calmund? Reiner Calmunds Antwort gerät nicht zum Wortschwall, mit dem er schon so viele Gesprächspartner in die Verzweiflung getrieben hat. Ein paar stockende, wenig aufhellende Sätze. Denkt der Mann so wenig über sich selbst nach? Dann streift er ein anderes Thema, packt es, und der Wasserfall plätschert los. Calmund sagt, was er will, nicht, was er gefragt wird. Calmund sagt, was, wie er meint, Bayer Leverkusen nützt – und ihm. Bayer und Calmund: Das ist sowieso untrennbar miteinander verbunden.“

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„Barcelona kreidet das müde 0:0 gegen Inter dem Mailänder Rasen an“ SZ

Zum Ausscheiden des VfB Stuttgart aus dem Uefa-Cup liest man in der FTD (28.2.). „Hätte ihnen vor der Saison jemand prophezeit, dass sie überhaupt so weit kommen, wären die Stuttgarter vermutlich hoch zufrieden gewesen. Schließlich hat sich der Klub erst über den kräftezehrenden UI-Cup für das europäische Geschäft qualifiziert. Und der hoch verschuldete Verein startete als einziger Bundesligist ohne jeden Neuzugang in die laufende Saison. Doch nach den Erfolgen der vergangenen Wochen – der VfB steht in der Liga derzeit auf dem dritten Tabellenplatz – hatte der ein oder andere schon mit dem Erreichen des Viertelfinales geliebäugelt. Und so sagte der Trainer Felix Magath nach dem Spiel auch: „Natürlich müssen wir heute enttäuscht sein.“ (…) Es ist dieser jungen Stuttgarter Mannschaft hoch anzurechnen, dass sie sich auch in der zweiten Hälfte redlich mühte und sich nicht kampflos ihrem Schicksal ergab. Denn an eine Chance aufs Weiterkommen glaubten zu diesem Zeitpunkt wohl nur noch Fantasten. So dürfte der Trainer Felix Magath immerhin damit zufrieden gewesen sein. Genau das hatte er von seinem Team gefordert: „Ich möchte, dass sie auf jeden Fall vom Platz gehen und sagen, wir haben alles probiert.“ Dieser Einstellung ist es zu Verdanken, dass die Schwaben das Spiel durch ein Tor von Michael Mutzel am Ende sogar noch gewonnen haben. Auch wenn ihnen das nichts mehr geholfen hat.“

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