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Köln erörtert die sportliche Lage – die mitreißende Atmosphäre im Westfalenstadion – kicker-Interview mit Oliver Kahn

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Köln erörtert die sportliche Lage – die mitreißende Atmosphäre im Westfalenstadion – kicker-Interview mit Oliver Kahn

So einen Schwachsinn habe ich seit Jahren nicht gelesen

Erik Eggers (FR 26.9.) referiert Diskussionen und Debatten beim Tabellen-Letzten Köln: „Es gehört zu den Binsenweisheiten, dass die Altvorderen in Zeiten größten Notstandes gern die ach so glorreiche Vergangenheit verklären. So etwas ist gerade im erinnerungsgetränkten Fußball nicht selten. Demzufolge befindet sich der 1. FC Köln in einer sehr, sehr dunklen Phase seiner Vereinsgeschichte, am Tiefpunkt, ganz unten, in einer sportlichen Krise. Das jedenfalls vermittelte ein Offener Brief, in dem sich der Kölner Zeitungszar Alfred Neven Dumont anlässlich des anstehenden 60. Geburtstages Wolfgang Overaths zu seltsamen Sentimentalitäten hinreißen ließ und gleichzeitig die Lage des örtlichen Fußballclubs, der fünf Niederlagen in sechs Spielen kassierte, als Katastrophe beschrieb. Als Sie als Kapitän den 1. FC Köln zu seinen großen Erfolgen führten, begann der mächtige Monopolist in seinen auflagenstarken Organen Kölner Stadt-Anzeiger und Express seine Klagerede, gehörte der Klub uns allen: den begeisterten Anhängern, den gelegentlichen ,Mitläufern‘, wie ich einer bin, aber vor allem auch jenen, die noch anderes im Kopf haben als Fußball und Karneval. Die gibt es nämlich auch. Das war die gute, alte Zeit, an die wir gerne zurückdenken. Und heute? Heute gehört der 1. FC Köln den Verantwortlichen, also dem Verein, der es zwar gut meint, aber dies seit Jahr und Tag außer sich selbst kaum zu vermitteln versteht. Angesichts Tabellenplatz 18 versteht der alte Mann, der sich stets als Sprachrohr des Kölners geriert, sein Volk nicht mehr: Geht ein Aufschrei durch den FC, seine geplagten Anhänger, die breite Öffentlichkeit? Mitnichten! Und schreit dann Blamage und wagt komische Vergleiche: Ja, wir haben uns an den Abstiegsplatz gewöhnt wie die Bundesrepublik Deutschland an eine verwandte Position im Reigen der europäischen Staaten. Seine Forderung: Der Weltmeister von 1974 solle doch endlich helfen, den Verein wieder an die nationale Spitze zu führen. Die vox populi reagierte ungewohnt heftig. So einen Schwachsinn habe ich seit Jahren nicht gelesen, meinte etwa Chat-Teilnehmer Quimbie im FC-Fanforum, und es fielen einige nicht zitierfähige Kraftsausdrücke. Die vielen Reaktionen auf die seltsame Rede zur Lage des FC ließen sich wie folgt zusammenfassen: Alle haben verstanden, nur nicht der Verleger.“

Wenn sie schweigen, dann so wie ein Vulkan, kurz bevor er ausbricht

Harald Hordych (SZ 26.9.) ist bewegt von der Atmosphäre im ausgebauten Westfalenstadion: “Eigentlich waren die Dortmunder immer stolz darauf, keine Kurven zu haben. In ihrem Stadion pfiff zwar der Wind um alle Ecken, aber die Zuschauer schufen bei bester Sicht jene fußballwahnsinnige Atmosphäre, die einer der Marktvorteile des Börsen-Unternehmens Borussia ist. Und hier sollen jetzt Leute in der letzten Reihe einer Kurve sitzen? Für 17,50 Euro? Endstation Sehnsucht. Hinter den Zuschauern verläuft ein Gang wie in jeder x-beliebigen Industriehalle, wenig erhebend ist das. Aber wer für ein Fußballspiel über viele steile Stufen bis in die 43. Reihe klettert, der hat nur Augen für das große grüne Rechteck dort unten. Die Spieler wirken klein und zerbrechlich, doch die Fans ganz oben identifizieren ihre Helden anhand von Trikotnummer, Gestalt und Bewegungsablauf. Ein Orkan tost trotzdem in Reihe 43. Schreien und Stöhnen, Erschrecken und Freude steigern sich, vielfach verstärkt unter den steil abfallenden Dächern, zu einem infernalischen Lärm der Begeisterung. Da macht es nichts, dass Lukas und Patrick den Kopf nach rechts drehen müssen, um das Spielfeld zu sehen. Wer hier geradeaus guckt, blickt auf die Südtribüne, die größte Stehtribüne Europas: 25 000 Dauerkartenbesitzer auf einem Fleck, die wie mit einer Stimme, einem Körper das Spiel durchleiden, und wenn sie schweigen, dann so wie ein Vulkan, kurz bevor er ausbricht. Das Treiben auf der Südtribüne ist den Eintritt schon allein wert. Das ist ja das Tolle, sagt Patrick Bryja: Er sieht das Spiel und die Südtribüne, für die er keine Karten kriegen konnte. Der Vereinsmanager Michael Meier sieht in der tosenden Menge gleichwohl noch immer eine intime Gemeinschaft, jene Community, die einem Stadion erst seine einzigartige Atmosphäre verleiht. Darum sagt der Mann, der mit seinem rosa Sakko und den graumelierten Haaren eher an den Direktor einer Kurklinik erinnert, ein ums andere Mal, man merke die 80 000 doch gar nicht. Das Stadion wirke doch „immer noch so familiär, oder etwa nicht?“. Die Fans sollen zwar immer zahlreicher herbeiströmen, aber sich trotzdem fühlen wie im kleinen Freiburger Stadion.”

Ich habe noch nie eine Zigarette auf Lunge geraucht, ich paffe

kicker-Interview Oliver Kahn

kicker: Gerade Ihr Bestreben war es immer, Bälle zu halten, die das Auge nicht wahrnehmen kann. Haben Sie diesen Anspruch nicht mehr?

OK: Ich sehe das alles absolut undramatisch. Im Moment fehlt mir das Glück.

kicker: Früher verließen Sie sich nicht auf das Glück, sondern auf Ihr Können. Ist das jetzt anders?

OK: Das tue ich heute auch. Aber als Torwart bis du auch vom Glück abhängig. Die Bälle prallen vom Innenpfosten ins Tor oder schlagen im Winkel ein. Aber das ändert sich auch schnell wieder.

kicker: Auch Karl-Heinz Rummenigge sagte in aller Sachlichkeit, früher hätten Sie so genannte Unhaltbare gehalten. Hat er Unrecht?

OK: In solchen Phasen bin ich stur, ich gehe meinen Weg. Ich vertraue auf mich. Ich tue, was ich immer tat. Es kann nicht plötzlich alles falsch sein, was bisher perfekt war. Deshalb werde ich keinen Millimeter abweichen.

kicker: Franz Beckenbauer sagte nach dem Leverkusen-Spiel, Sie seien nicht fit. Rummenigge erklärte, es habe auf keinen Fall mit ihren Augen zu tun gehabt. Sind diese Aussagen Anspielungen auf andere Gründe für fehlende Fitness?

OK: Jeder weiß momentan etwas. Davon ließ ich mich noch nie beeinflussen. Durch zwei, drei Spiele lasse ich mich nicht aus der Bahn bringen. Und mein Weg wird so erfolgreich sein wie vorher. Seit Dinge aus meinem Privatleben an die Öffentlichkeit gelangten, wird Kahn als Sportler nicht mehr objektiv betrachtet.

kicker: Sehen Sie darin nicht auch Kritik an Ihrer Arbeit?

OK: Es gibt da irgendwelche Statistiken. Ich nenne jetzt meine: Ich habe in dieser Saison elf Spiele gemacht, sechs in der Bundesliga, drei mit der Nationalelf, eines im DFB-Pokal. Kassiert habe ich zwölf Tore, also etwa eines pro Partie. Ich habe einen Fehler in Wolfsburg gemacht, das passiert. In Hamburg hielt ich aber einen Schuss von Takahara, den – in aller Bescheidenheit – auf der Welt sonst kaum einer gehalten hätte. Und dann diskutiert man über angeblich unhaltbare Bälle, die ich halten müsste. Ein Prozent der Kritik nehme ich ernst, 99 nicht, weil sie von Leuten kommt, die keine Ahnung vom Torwartspiel haben. Doch das prallt alles an mir ab.

kicker: Passt Ihr Lebenswandel noch zu Ihrem Beruf?

OK: Das sind auch solche Darstellungen, mit denen der Eindruck erzeugt wird, ich sei permanent auf Festen und Partys, mit Alkohol und Zigaretten. Da lauert einer sechs Stunden auf diesen Schnappschuss. Unsere Welt ist in manchen Bereichen abartig geworden. Wenn ich auf der Wies‘n ein Bier trinke, heißt es gleich, der Kahn war wieder die ganze Nacht unterwegs. Die Wahrheit ist: Ich habe noch nie eine Zigarette auf Lunge geraucht, ich paffe nur ab und zu eine. Bei Boris Beckers Laureus Gold Trophy habe ich am Samstag nur Wasser getrunken, beim Oktoberfest kam ich nur mit ganz wenig Alkohol in Kontakt. Ich bin ein Kämpfer, aber es gibt Grenzen.

kicker: Was wollen Sie tun?

OK: Das Einzige wäre, mich zu Hause einzusperren. Aber das ist nicht das, was ich mir unter einem normalen Leben vorstelle.

kicker: Ist das mit dem Profifußball vereinbar?

OK: Ich nehme meinen Sport sehr, sehr ernst.

kicker: Erwarten Sie in Ihrer Lage Unterstützung des FC Bayern?

OK: In diesem Geschäft geht es um Erfolg und Geld. Die Vergangenheit zählt nullkommanull. Das ist richtig so. Wenn es nicht mehr läuft, bist du auch ganz schnell im Gerede, dann bist du auch ganz schnell weg vom Fenster.

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