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Lieblingsbeschäftigung der Italiener im Sommer

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Lieblingsbeschäftigung der Italiener im Sommer

Ein sehr lesenswerter Text von Birgit Schönau (SZ3.7.) über die Lieblingsbeschäftigung der Italiener im Sommer. „Silvio Berlusconi hat erklärt, er könne einen Batzen Geld für Besseres ausgeben als dafür, Beckham zum AC Mailand zu holen. Vielleicht meinte Berlusconi damit seine siebte Villa auf Sardinien, jedenfalls: Wo er Recht hat, hat er Recht. Der AS Rom hingegen wollte den Engländer haben, doch dann haben die Hauptstadtblätter Spice Boy richtig geschrieben, aber Beckham ohne h, Beckam (La Repubblica) oder, noch genialer: Bechkam (Corriere dello Sport). B. fühlte sich nicht mehr angesprochen und zieht jetzt nach Madrid. Soll er doch. Für Perugia spielt übrigens Ghaddafi. Ja, Ghaddafi, der petrol boy, dritter Sohn von Revolutionsführer Muammar. Hat nicht nur nichts gekostet, sondern spendet sein Gehalt einer noch nicht benannten wohltätigen Einrichtung, Ghaddafi! Gegen den ist Beckam ein Diesel. Ghaddafi junior hält 33 Prozent vom Zweitligisten Triest, sitzt im Aufsichtsrat von Juventus, sponsert Lazio Rom und spielt für Perugia. »Aus Leidenschaft«, sagt der Präsident, aus Leidenschaft, sagt Ghaddafi, würde er sich auch auf die Bank setzen und dem Trainer keinen Ärger machen. „Ich will behandelt werden wie alle anderen.“ Beckam! Nimm dir ein Beispiel! Aber Hauptsache, Ghaddafi schießt nicht irgendwann mit der libyschen Nationalelf ein Golden Goal gegen Italien. Das ist letztes Jahr bei der WM dem Koreaner Jung Hwan Ahn passiert. 24 Stunden später wurde er vom AC Perugia gefeuert, und Schiedsrichter Byron Moreno, Ecuador, avancierte in Italien zum meistgehassten Ausländer seit Hannibal. Später lud ihn das Staatsfernsehen RAI ein, zu einer Show namens Stupid Hotel. Dem Vernehmen nach für einiges Geld. Zwischenzeitlich hat er aufgehört mit seiner Unheil bringenden Pfeiferei. Das sind Geschichten, die der Fußball schreibt. Jedenfalls in Italien. Er schreibt sie vornehmlich im Sommer, in den drei Monaten, in denen der Ball nicht rollt. Und deshalb ist das die beste Zeit. Endlich kann man sich, unbehelligt von Spielergebnissen, Tabellen und Abseitstoren, den wirklich wichtigen Dingen widmen. Schafft Pippo Inzaghi einen neuen Geschwindigkeitsrekord mit der Wasser-Vespa? Heiratet der Wadenbeißer Gattuso seinen Labrador? Kennt ihr schon den neuesten Totti-Witz? (Totti versucht sich an einem Puzzle. Braucht fast vier Monate. Als er endlich fertig ist, dreht er die Schachtel um und liest: zwei bis drei Jahre. Da schreit Totti: Ich bin ein Genie!) Die Italiener sind Weltmeister in einer Disziplin, die in Deutschland so vernachlässigt wird, dass es noch nicht einmal ein eigenes Wort dafür gibt. Auf Italienisch heißt sie calcio parlato, gesprochener Fußball. Der wird das ganze Jahr betrieben, im Fernsehen und an der Kaffeebar, in den drei Sporttageszeitungen, in der Schule, am Arbeitsplatz, vornehmlich montags, nach dem Spieltag der Serie A. Aber im Sommer, wenn die Meisterschaft endlich vorbei ist – die natürlich wieder Juventus gewonnen hat –, wenn die Spieler an exotischen Stränden braten und ihre Tifosi unterm Sonnenschirm in Ostia oder Riccione schwitzen, im Sommer also, erhebt sich das große Zwitschern auf die Meta-Ebene, die schnöde Wahrheit auf dem Platz bekommt ihren ideologischen Überbau (…) Francesco Totti hat uns alle ganz schön in Atem gehalten. Beim letzten Training mit der Nationalelf war er gefragt worden, ob er sich denn einen anderen Club vorstellen könne als die Roma. Totti ist ihr Kapitän, in Rom aber ist er ein Volkstribun. Auf die Reporterfrage nuschelte Totti wie üblich in seinem wurstigen, römischen Dialekt, man dürfe nie nie sagen. Das reichte, um in seiner Stadt ein Inferno zu entfachen. Heulende Kinder, ratlose Mütter, rasende Lokalreporter. Am Totti-Day, dem Tag, als es zwischen Kapitän und Präsident zu einer „Aussprache“ kommen sollte, sendete das gute Dutzend der Lokalradios, die sich in Rom nur mit Fußball befassen, fünf Stunden live aus der Clubzentrale. Worum es bei dem Gespräch ging, kriegte keiner raus. Egal. Totti bleibt.“

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