Nachschuss
Matiás Martinez – Warum Fußball?
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| Donnerstag, 25. März 2004
Spätestens wenn der Rest der zivilisierten Welt dem ersten Spiel einer neuen Fußball-Weltmeisterschaft entgegenfiebert, stellen sich anscheinend auch Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler die Frage aller Fragen: Warum Fußball? Der von dem Bremer Literaturwissenschaftler Matiás Martinez herausgegebene Sammelband möchte dabei aus der Sicht aktueller kulturwissenschaftlicher Theorien – laut Klappentext: der Kultursoziologie, Diskursanalyse, Erzählforschung, Ästhetik und Medientheorie – die Bedeutung des Fußballsports nachzeichnen. Wie bei Sammelbänden üblich, variiert die Qualität und Originalität der acht Beiträge insgesamt erheblich. Der Einführung von Martinez (Warum Fußball?, Seite 7-35) gelingt es zunächst, eine eher seltene Balance zwischen der Wissenschaftlichkeit der Argumentation und dem eigenem Fantum aufzubauen und diese auch sprachlich ansprechend zu gestalten. Diesen Aufsatz kann man mit Vergnügen lesen, obwohl er keine wirklich neuen Deutungsmuster enthält. Der anschließende Text von Hans Ulrich Gumbrecht „Ästhetik und Sport – am Beispiel von Fußball und American Football“ (Seite 38-49) wiederholt die von Gumbrecht schon häufig vorgetragene These, dass Sport eines der „Phänomene unserer Kultur ist, die sich nicht interpretieren lassen“. Dieser Beitrag dürfte vor allem für Existentialisten, Funktionäre, Hooligans und andere Nicht-Sportler interessant sein. Ähnlich ratlos hinterlässt mich der Text von Annette Siefert über die „Kriegsmetaphorik in der Fußballberichterstattung“ (Seite 113-123), der die entsprechenden Befunde der Sportwissenschaft leider weitestgehend ignoriert – was aber zugegebenermaßen für nahezu alle Autoren dieses Bandes gilt. Die restlichen fünf Beiträge sind sehr unterschiedlichen Themen gewidmet, kreisen aber alle zumindest implizit um die Frage nach dem Sinn des Sports: Johannes John präsentiert Ergebnisse einer Feldstudie zu den „Kleiderordnungen“ im Sport (Seite 51-70), erzähltheoretische Bemerkungen zur Fußballberichterstattung liefert erneut Matiás Martinez („Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, Seite 71-85). Die Bedeutung des Konzepts der Ehre im Fußball diskutiert Clemens Ott (Seite 87-102), während Clemens Pornschlegel den Zusammenhang von Fußball und Nationalismus sowie die identifikatorische Funktion des Fußball untersucht (Seite 103-111). Abschließend analysiert schließlich Bernhard Siegert die Fußballreportagen im deutschen Radio von 1923 bis 1933. Es liegt letztendlich in der Natur der Sache – also dem sprichwörtlich runden Ball – das der vorliegende Band die selbstgestellte Frage „Warum Fußball?“ nicht hinreichend beantworten kann, wobei kritisch-konstruktive Antwortversuche im Dickicht der Bezugstheorien und behandelten (Rand-)Themen mitunter verschwinden. Diese Form von Kulturwissenschaft läuft jedenfalls Gefahr zur akademischen Lieblingsdisziplin des Deutschem Fußball-Bundes zu werden.
Jürgen Schwier
Martinez, Matiás (Hrsg.) (2002). Warum Fußball? Kulturwissenschaftliche
Beschreibungen eines Sports. Bielefeld: Aisthesis Verlag.
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