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Neubarth und Schalke

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Neubarth und Schalke

„Neubarth und Schalke – das ist nicht mehr als ein großes Mißverständnis. Kohler und Leverkusen – das ist nicht mehr als eine kleine Hoffnung.“, fasst die FAZ die beiden gestrigen Personalentscheidungen der Bundesliga in einem Atemzug zusammen. Auch die „Frankfurter Rundschau“ FR erkennt in diesem Zusammenhang Parallelen zwischen den Führungsstilen der beiden unerfahrenen Übungsleiter Frank Neubarth (Schalke), der entlassen wurde und dem weiterhin an Autorität einbüßenden Thomas Hörster (Leverkusen), dem mit Jürgen Kohler ein Sportdirektor an die Seite gestellt wurde. Beiden – so das allgemeine Echo in den Medien – fehle es keinesfalls an fachlicher Kompetenz, sondern an Charisma und Ausstrahlung.

Die Trainerwechseln gewöhnlich skeptisch betrachtenden überregionalen Tageszeitungen können den Abbruch des „Experiments“ mit dem jungen Neubarth insgesamt durchaus nachvollziehen. Die Berliner Zeitung (BLZ) schreibt: „Hauptvorwurf: übermäßige Zurückhaltung. Zu exakt erfüllte der 40-Jährige das Klischee vom kühlen Norddeutschen, zu schweigsam und introvertiert war er, um die Schalker Mannschaft motivieren zu können.“ Die NZZ ergänzt anschaulich: „Der hanseatische Kopfmensch passte nicht in die Schalker Gefühlswelt; am Ende hatte sich der ehemalige Internationale mit dem Spitznamen „Sokrates“ im Qualm von Assauers kubanischen Zigarren aufgelöst. Man sah ihn nicht mehr in diesem Dunstkreis, höchstens schemenhaft tauchte der stille Zeitgenosse mal vor der Ersatzbank auf; er hatte sich sehr früh der Macht von „Mister Schalke“ ergeben.“

Dahingegen wird Leverkusens Verpflichtung von Kohler in der fußballinteressierten Öffentlichkeit als Halbherzigkeit wahrgenommen sowie als partielles Eingeständnis der Bayer-Führung interpretiert, mit dem matt wirkenden Hörster den falschen Mann an der Kommandobrücke installiert zu haben. Den letzten Schritt, die Trennung zu vollziehen – so mutmaßt die BLZ –, erhoffe man nun von ihm selbst.

Michael Horeni (FAZ 27.3.) resümiert. “Experiment mißglückt, Krisenmanagement gescheitert – und nun fröhlich auf ein Neues mit Marc Wilmots und Jürgen Kohler. Schalke 04 und Bayer Leverkusen haben die letzten vierzehn Tage Pause vor dem Endspurt genutzt, um sich mit einer Trainer-Entlassung und einem neuen Sportdirektor neuen Mut zu machen – und nebenbei von verfehlten Strategien zu verabschieden. Auf Schalke mußte der vom Erfolg verwöhnte und in seinen Entscheidungen schon zuvor einsame Manager Rudi Assauer mit der Entlassung von Frank Neubarth eingestehen, daß der Neuaufbau nach den erfolgreichen Jahren unter Huub Stevens mit einem von der Mannschaft abgelehnten Trainer nicht zu machen war. Der in der Leverkusener Krise irrlichternde Geschäftsführer Reiner Calmund hat mit der Entscheidung für einen Sportdirektor zumindest die jüngste Wirklichkeit zur Kenntnis genommen, die eine taumelnde Mannschaft zeigte, die ein Trainer-Neuling wie Thomas Hörster alleine nicht zu stützen verstand. Nun ist es also am Weltmeister und Sportdirektor-Neuling, die rasende Fahrt hin zum sportlichen Abgrund zu stoppen – und das nicht einmal als tatkräftiger Trainer, sondern nur als weisungsbefugter Vorgesetzter des alleine und womöglich auch im Duett überforderten Fußballehrers Hörster (…) In Schalke dagegen hatte sich schon länger angedeutet, daß nach dem besten Saisonstart des Klubs dem Trainer der Kontakt zur Mannschaft abhanden gekommen war. Torhüter Rost durfte Neubarth ungestraft in der Kabine vorwerfen, für den Verlust der Freude beim Fußball verantwortlich sein. Es hat leider nicht gepaßt, sagte auch Neubarth ganz realistisch zum Abschied nach 269 Tagen Schalke.“

Auch Thomas Kilchenstein (FR 27.3.) erkennt Parallelen. „Die Ausstrahlung eines Fußball-Lehrers ist von besonderer Bedeutung. Charisma, Aura, Persönlichkeit, Glaubwürdigkeit sind Dinge, die entscheidender sind für den Erfolg eines Trainers als übertriebene Detailkenntnisse der taktischen Struktur des Gegners. Charakterstarken Typen traut man eher zu, die richtigen Antworten zu kennen. Das Dumme ist aber: Charisma kann man nur sehr schwer lernen, man kann es sich vielleicht in langen, bisweilen auch leidvollen Berufsjahren aneignen. Eine Persönlichkeit muss reifen. Frank Neubarth war noch keine, er musste gestützt werden vom omnipotenten Manager. Und konnte sich im Schatten der Übermacht nicht selbst entwickeln. Sein Scheitern war zwangsläufig. Ähnlich der Fall in Leverkusen. Thomas Hörster hat kein Charisma. Er macht seine Arbeit redlich, von ihm strahlt aber nichts aus: keine Zuversicht, kein Optimismus. Jetzt hat er Jürgen Kohler als Sportdirektor zur Seite gestellt bekommen. Das ist eine pure Panikreaktion, Bayer versucht, eine einmal getroffene Fehlentscheidung – Hörster zum Chef zu machen – durch eine andere irgendwie zu korrigieren. Es ist aber keine konsequente Lösung. Konsequent wäre: Einen Coach mit Charisma zu holen.“

Zu den Ursachen der Entlassung Neubarths meint Ralf Wiegand (SZ27.3.). „Wer seine öffentliche Rolle nicht akzeptiert, wird von der angeschwiegenen Öffentlichkeit abserviert. Längst haben Trainer und Klub nicht allein sportlich zu harmonieren, sondern auch in der Außendarstellung ein geschlossenes Bild abzugeben. Stimmt das, steigt die Akzeptanz. So gesehen konnte die Sache mit Frank Neubarth und Schalke nicht gut gehen. Der Kopfmensch Neubarth war in der Gefühlswelt Schalke von Anfang an isoliert; leidenschaftslos nahm er lediglich zur Kenntnis, worunter das leidenschaftliche Fanvolk innig litt – das Spiel der Mannschaft. Zum Schluss wirkte der Mann mit den eingefrorenen Gesichtszügen nur noch deplaciert neben seinem rumpelstilzchenden Manager Assauer, der nun Schalke wieder gibt, was Schalke verlangt: ein Kampfschwein als Teamchef – da kann ja nichts schief gehen.“

Felix Meininghaus (FTD 27.3.) meint dazu. „Bemängelt wurde an Neubarth vor allem dessen Mangel an Charisma. Von Beginn seiner Tätigkeit an agierte der Mann aus Bremen unterkühlt. Während Assauer auf Schalke wie gewohnt den Zampano mimte und couragiert mit seiner Zigarre herumfuchtelte, saß Neubarth zumeist regungslos daneben. Um sich als Neuling in einer Branche zu etablieren, die im Fokus der Öffentlichkeit steht, war ein solches Bild natürlich nicht förderlich. Schnell hatte Neubarth den Ruf weg, ein Langweiler zu sein. Zudem gelang es ihm nicht, die unterschiedlichen Strömungen in der Mannschaft zu kanalisieren und dafür zu sorgen, die Profis zu einer kompakt auftretenden Einheit zusammenzufügen. Dem Trainer allein die Schuld am wenig erbaulichen Auftreten des Pokalsiegers zu geben, wäre dennoch ungerecht. Die in den vergangenen Jahren so fest gefügte Schalker Welt ist auch ohne Neubarths Zutun längst in Unordnung geraten. Das ewige Theater um die wenig professionelle Berufsauffassung von Nationalspieler Jörg Böhme, die harsche Trainerkritik von Torhüter Frank Rost („Seitdem du hier bist, macht Fußball keinen Spaß mehr“), die so genannte Maulwurf-Affäre um einen Spieler, der der „Bild“ regelmäßig Interna steckte sowie das disziplinlose Verhalten der Spieler, die sich in dieser Saison bereits sieben rote Karten einfingen – das alles sind Punkte, die auch Kratzer an Assauers Position als Schalkes unumschränkter Souverän hinterlassen haben.“

Unnachahmlich beschreibt Christoph Biermann (SZ 27.3.) die bedeutungsschwangere Pressekonferenz in Schalke. „Ein wenig sah es so aus, als ob das Zentralkomitee des S04 zusammengekommen wäre, als der bislang überraschendste Trainerwechsel der Saison bekannt gegeben wurde. Nicht weniger als neun Personen hatten nämlich auf dem Podium Platz genommen: der gesamte Vorstand des FC Schalke, der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Manager Rudi Assauer, sein Assistent Andreas Müller und das neue Trainergespann Marc Wilmots und Oliver Reck. Geschlossenheit in turbulenten Zeiten sollte das im Presseraum der Arena AufSchalke, dem Palast des Volkes im Ruhrgebiet, wohl symbolisieren. Von dieser Stimmung getragen, wusste Assauer auch von einer in der Bundesliga nie erlebten Einvernehmlichkeit angesichts der sechsten Trainerentlassung des Spieljahres zu berichten. „Die einvernehmliche Trennung gab es, nachdem ich gesagt habe: es geht nicht weiter“, erklärte Assauer und sang dann schwer bewegt das Loblied auf den Geschassten. „Mit welchem Charakter und welcher Mentalität er das angenommen hat, habe ich in meiner langen Karriere noch nicht erlebt.“ Auch Neubarths anschließender Gang vor die Mannschaft rührte den Mann mit der Zigarre fast zu Tränen. Neubarth hätte dort keine Vorwürfe erhoben, sondern allen nur das Beste gewünscht. „Das hätte mich fast zu sagen animiert: Komm, wir nehmen das Ding zurück“, sagte Assauer. Diese Gefühlsduselei war wohl auch darin begründet, dass er einen Coach entlassen zu glauben musste, dem der Manager nicht mehr vorwerfen wollte, als nicht ausreichend Punkte geholt zu haben. „Es gibt Trainer, die Fortune haben, andere haben sie nicht“, meinte Assauer, „das hat nichts mit ihrer Klasse zu tun.“ So hatte das Ganze genau jene Erbärmlichkeit, die dem Manager wahrscheinlich im Innersten tief zuwider war. Die Entscheidung dazu reifte in der längsten Nacht des Jahres. „In der Nacht von Samstag auf Montag habe ich das immer wieder abgewogen“, erklärte der somnambule Manager.“

Richard Leipold (Tsp 27.3.) beschreibt Reaktionen. “Neubarth habe sich verhalten wie ein Ehrenmann. „Wie er das verkraftet hat und Verständnis für unsere Entscheidung aufgebracht hat, war aller Ehren wert. So etwas habe ich bei einem so jungen Trainer noch nie erlebt.“ Auch bei seinem letzten Gang in die Mannschaftskabine zeigte Neubarth Haltung. Er verabschiedete sich mit den Worten: „Auf geht’s, Jungs, ich drücke euch die Daumen.“ Mit der Entlassung in Schalke endet Neubarths erster Job als Bundesligatrainer nach nur 26 Spieltagen. „Es tut weh, einem so jungen Mann eventuell die Karriere als Trainer im Profifußball verbaut zu haben“, sagte Assauer. Er hoffe, dass Neubarth woanders eine zweite Chance bekomme. „Die Hauptschuld liegt nicht beim ihm.“ Neubarths Berufung als Nachfolger von Huub Stevens war in Fachkreisen, aber auch an der Basis, von Anfang an mit Skepsis aufgenommen worden. Bevor der frühere Spitzenstürmer nach Schalke kam, hatte er nur in der Jugendabteilung und bei den Amateuren des SV Werder Bremen Erfahrung als Trainer gesammelt. Offenbar nicht genug, um bei Spielern und Fans des FC Schalke als Autorität anerkannt zu werden, zumal in Zeiten des Misserfolgs. Neubarth wirkte ungeschickt im Umgang mit Starspielern wie Andras Möller, Frank Rost und – vor allem – Marc Wilmots. Dem Belgier wird nachgesagt, er habe in der Kabine Stimmung gegen Neubarth gemacht.“

Holger Pauler (taz 27.3.) prognostiziert (wie kommt er darauf?). „Der Weg in den Trainerstab des DFB scheint für den langen Bremer vorgezeichnet.“

In Sachen Leverkusener Trainerfrage spekuliert Gregor Derichs (BLZ 27.3.). „Es war eine seltsame Inszenierung. Gibt es da nicht einen Mann namens Thomas Hörster, der von Calmund den Job von Klaus Toppmöller zugeschanzt bekam? Dessen Name wurde in der Bayer-Meldung überhaupt nicht erwähnt. Weil wir ja gar keinen Trainer gesucht haben, meinte Pressechef Ulrich Dost. Kohler ist nicht der Aufpasser von Hörster, sagte Calmund. Was aber ist er dann, wenn die Funktion des Sportdirektors offenbar nicht so wichtig war, weil man sie nach Völlers Abgang im Spätsommer 2000 ja erst mal vakant ließ? Kohler kann es sich aussuchen, wie er seine Aufgabe interpretiert. Er muss selbst entscheiden, ob er sich bei den Spielen auf die Bank setzt oder auf die Tribüne, betonte Calmund, der am liebsten den Routinier Otto Rehhagel gehabt hätte und nun auf das Greenhorn Kohler ausweicht. Kohler hatte zuletzt immer wieder betont: Die Bundesliga reizt mich. Er meinte er den Trainer-, nicht den Sportdirektoren-Job. Bei Bayer kommt er nun in einen aufgeblähten Personalstab – kein Wunder, dass im Bayer-Umfeld längst eine Zweitversion kursiert: Der ehrgeizige Kohler, heißt es, sei nur verpflichtet worden, um Hörsters freiwilligen Abgang zu provozieren.“

Martin Hägele (NZZ 27.3.). „Offensichtlich passt der frische und jugendliche Typ, der in seinem neuen Job ziemlich viel Beifall bekommen hat, weit besser zum Anforderungsprofil eines Bayer-Sportdirektors – mit seinem Wunschkandidaten war der Manager Calmund ja hausintern aufgelaufen. Ob nicht auch der 84-jährige Max Merkel verfügbar sei, hatte Meinolf Sprink, der Sportbeauftragte der Bayer AG, ironisch gekontert, als Calmund das Trainer-Fossil Otto Rehhagel, derzeit Chefcoach von Griechenland, in Leverkusen installieren wollte.“

siehe auch:

Spannung abseits der Meisterschaftsfrage

Gewinnspiel für Experten

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