Ballschrank
Ohne ein letztes Zeichen des Widerstands
Kommentare deaktiviert für Ohne ein letztes Zeichen des Widerstands
| Donnerstag, 25. März 2004
Roland Zorn (FAZ 26.5.) sah eine schwache Bielfelder Leistung. „Abstiegskampf stand auf dem Tagesnotprogramm, doch in natura war davon nichts zu sehen. Die Mannschaft von Arminia Bielefeld schlich auf ihrer Schlußrunde durch die Fußball-Bundesliga aus der ersten Klasse, ohne ein letztes Zeichen des Widerstands setzen zu können. Uns ist physisch und psychisch die Puste ausgegangen, gestand Mannschaftskapitän Bastian Reinhardt. Locker, entspannt und mit Lust auf ihren Beruf empfahlen sich die Niedersachsen für eine weitere Spielzeit in der ersten Klasse; verkrampft, ausgebrannt und unfähig, mit dem Ball zu spielen, entschwand die Arminia zum sechsten Mal ins Untergeschoß der Profiszene. Doch bittere Tränen über den vor sechs Wochen noch kaum für möglich gehaltenen Abschied flossen nicht. Die nüchternen Ostwestfalen hatten nach einer Reihe von Niederlagen gegen ähnlich bedrohte Klassenkonkurrenten Zeit genug, sich wieder einmal auf das Unvermeidliche vorzubereiten. Es spricht für die Sensibilität der treuesten Arminen-Anhänger, daß sie den tieftraurig auf die Fans zukommenden Torwart Mathias Hain trösteten und aufmunterten. Das große Pfeifkonzert blieb auf der mit 26 600 Zuschauern ausverkauften Alm jedenfalls ebenso aus wie das lange Gejammer über eine verpaßte Chance (…) Daß die Ostwestfalen, die auch in der zweiten Liga auf ein treues und zahlreiches Stammpublikum zählen dürfen, umgehend wieder nach oben streben, ist das Wunschziel aller Verantwortlichen; ob und wie das gelingen kann, bleibt die Frage. Erst einmal muß der Verein zwei Millionen Euro als Liquiditätsnachweis für die Zweite Bundesliga auftreiben. Er wird die Deckungslücke dem Vernehmen nach mit einem Mix aus Spielerverkäufen (1,5 Millionen Euro) und Bürgschaften aus der großen Gruppe der regionalen Sponsoren (500.000 Euro) zu schließen versuchen.“
Stete Konfrontation mit dem Albtraum
Zu den Perspektiven in Bielefeld heißt es bei Ulrich Hartmann (SZ 26.5.). „In Bielefeld beschäftigen sie sich nun wieder mit sich selbst und einer unsicheren Zukunft. Das hat hier Tradition. Kein Fan hat sich deshalb nach dem Spiel vor den Mannschaftsbus gelegt. Keiner hat vor dem Kabinenausgang pöbelnd auf die Spieler gewartet. Die Fans in Bielefeld haben gelernt, mit der Katastrophe umzugehen. Schon zum sechsten Mal seit 1972 hat ein Bundesliga-Abstieg die ostwestfälische Fußballwelt erschüttert. Aber die Menschen hier lamentieren nicht lange. Sie beginnen lieber gleich mit dem Wiederaufbau. Die stete Konfrontation mit dem Albtraum erfüllt auf der Bielefelder Alm eine therapeutische Funktion. Als sich das zwölfte Erstligajahr des Vereins gerade in der 90-minütigen Geschichtswerdung befand, hat sich der Puls der Verantwortlichen kaum noch erhöht. Viermal hintereinander hat die Arminia zuletzt verloren und dabei stets so garstig aufgespielt, dass kein anderer Zweifel legitim war als jener an der fußballerischen Kompetenz. „Das war nicht nur Pech“, sagte Brinkmann, „da fehlten auch die fußballerischen Mittel.“ Sechs Spiele gegen Konkurrenten im Abstiegskampf hatte das Restprogramm vorgesehen, als man bereits 34 Punkte aufwies. Aber zwei Remis und vier Niederlagen aus den finalen 540 Saisonminuten bedeuteten am Ende den drittletzten Platz. Die Bielefelder waren fix und fertig. „Ich habe keinen Tropfen Wasser mehr in meinem Körper“, sagte Kapitän Bastian Reinhardt. „Nicht mal zum Weinen.“ In der seriellen Enttäuschung geht folglich die große Melancholie verloren. Gleich nach Spielschluss haben die leitenden Angestellten des Klubs deshalb ganz geschäftig überlegt, wie es jetzt weitergeht.“
Hartmut Scherzer Erik Eggers (Tsp 26.5.) berichten aus Bielefeld. „Die SZ hatte schon vor Monaten prophetisch geäußert, ein Klub wie Bayer Leverkusen könne nicht nur nicht Meister werden, sondern nicht einmal richtig absteigen. Die Arminia liefert dazu gewissermaßen den Gegenentwurf, den Gang in die Zweite Liga beherrscht sie nämlich in nahezu beängstigender Perfektion und Unauffälligkeit. Nicht mal der Trainer wird hier in Frage gestellt. Selbst das Bielefelder Stadttheater weiß daher um die Sinnlosigkeit, den Kartenvorverkauf für eine Tragödie mit den Vokabeln Abstieg respektive Aufstieg anzuheizen, gehören diese Vokabeln doch hier schlicht zum Sprachschatz des Alltags. So gesehen geriet auch dieser Samstag, der, obwohl ein Rekord, als sechster Abstieg einen kaum beachteten Platz in der Fußballgeschichte einnehmen wird, zur Routine.“
Gewinnspiel für Experten