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Panathinaikos Athen – VfB Stuttgart 1:3
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| Donnerstag, 25. März 2004
nach dem 3:1 in Athen sagen die Chronisten dem VfB Stuttgart nachhaltigen Erfolg voraus – „Welch Chance für das provinzielle Ländle!“ (SZ) – Claudio Ranieri, Römer im Dienst von Chelsea London, siegt in Rom – Matthäus und Partizan im Pech – Real Madrid, das „Disneyland des Fußballs“ (Zeit)
Panathinaikos Athen – VfB Stuttgart 1:3
Welch Chance für das provinzielle Ländle!
Ludger Schulze (SZ 6.11.) sagt den Stuttgartern Gutes voraus: „Noch nie hat ein Neulings-Team, dessen Mitglieder mehrheitlich froschgrün hinter den Ohren sind, sich mit einer derartigen Leichtigkeit den Weg durch das Dickicht des anspruchsvollsten Klubwettbewerbs gebahnt. Den Heldentaten aus der Bundesliga folgen spektakuläre Auftritte in der Europaliga. Beides zusammen weist darauf hin, dass es sich nicht um einen kurzfristigen Höhenflug handelt, sondern um die Entstehungsphase einer großen Mannschaft. Die ganze Sache erinnert an den FC Bayern oder Borussia Mönchengladbach in den späten Sechzigern, die Europas Fußballfelder regierten. Mit einem Unterschied: Während den oben Genannten vielerorts Ablehnung entgegenschlug, reitet der VfB auf einer Sympathiewelle, die von Niebüll bis Bayerisch Gmain reicht. Das ist das Werk des Trainers Felix Magath, der das Opus VfB dann vollenden kann, wenn ihm die Hauptfiguren Kuranyi, Hinkel und wie sie alle heißen, bleiben. Dazu fehlen dem tief verschuldeten Klub die Mittel, was nicht so bleiben muss. Die Champions League spült Millionen in die Kassen, obendrein hat der industrielle Ballungsraum Stuttgart genug Potenz, den talentierten Laden zusammenzuhalten. Mit dem Slogan „911 Freunde müsst Ihr sein“ hat sich Porsche als neuer Sponsor zum schwäbischen Fußballmodell bekannt. Der Hersteller von schnellen Autos hat mitbekommen, welch Chance der Aufschwung des VfB für das als provinziell geltende Ländle bietet.“
Martin Hägele (Tsp 6.11.) führt den dauerhaften Stuttgarter Erfolg auf gutes Training zurück: „Zum Beweis seiner körperlichen Fitness hätte der Tabellenführer der Fußball-Bundesliga nicht unbedingt in die Nähe des Orakels von Delphi reisen müssen; aber wenn nun alle Welt nach dem Geheimnis fragt, wie frappierend und bei welch hoher Drehzahl die Stuttgarter Profis ihre griechischen Kollegen beim 3:1-Sieg im letzten Drittel ausgespielt hatten, dann hängt das nicht allein am frischen Selbstbewusstsein der Stuttgarter. Von Ausbilder Magath lernen die jungen Profis nicht nur, wie man besser Fußball spielt und individuelle Qualität ins Teamwork einbringt. Wer vom Trainer des Jahres ein Trikot bekommt, muss beweisen, dass er auch ein richtiger Athlet ist. Andreas Hinkel hat im kicker beschrieben, was es heißt, Magath zu erleben: „Ich wusste vorher nicht, was ein menschlicher Körper leisten kann. Magath gab gleich richtig Gas. In manchen Einheiten war ich kurz vor dem Kotzen. Aber irgendwann tragen einen die Beine wie von selbst.“ So war das auch am Dienstag in Athen.“
Diese Mannschaft macht keinen Fehler zweimal
Christof Kneer (BLZ 6.11.) lobt und lobt: “Mit Wundern ist das so eine Sache, aber es fällt einem bald kein anderes Wort mehr ein für das, was der VfB Stuttgart in Europa gerade anrichtet. Ein einziger Punkt trennt den VfB noch vom Einzug ins Achtelfinale der Champions League, und er ist jetzt schon so weit gekommen, dass er sich locker eine uninspirierte erste Halbzeit leisten kann. Wenn wir wie in Athen in Rückstand geraten, sagen wir uns: Jetzt erst recht. Und dann klappt es eigentlich immer, sagt Hinkel. Es ist wahrscheinlich diese unverschämte Selbstverständlichkeit, die den Betrachter frösteln macht. Diese Mannschaft macht keinen Fehler zweimal, und sie lernt so erschütternd schnell, dass schon keiner mehr sagen kann, wo ihre natürliche Grenze liegt. Alle Welt wundert sich, bis auf den Experten Uli Stielike, Trainer der deutschen U 21- und U 20-Nationalteams: Die Qualität dieser Mannschaft überrascht mich nicht, sagt er. Mich überrascht höchstens, dass es Trainer wie Felix Magath gibt, die der Jugend auch wirklich eine Chance geben. Dass die Jungen ihre Chance dann auch nutzen, war mir immer klar. Für Stielike ist das nur die Bestätigung eines Trends. Es macht sich jetzt langsam bezahlt, dass die Vereine nach dem Bosman-Urteil in die Qualität der Jugendtrainer investiert haben. Das Beispiel Stuttgart zeigt, dass wir es künftig wieder mit individuell besser ausgebildeten Jahrgängen zu tun bekommen werden.“
„An der Grenze zum Leichtsinn aufgewacht“, schreibt Torsten Haselbauer (FAZ 6.11.): „Wenn eine Fußballmannschaft nicht mehr weiß, was es heißt, einmal als Verlierer in die Umkleidekabinen gehen zu müssen, wenn zudem die Gefahr besteht, daß ihr starkes Selbstbewußtsein zu einigen groben Nachlässigkeiten führt, dann ist die Niederlage nicht mehr weit. Den VfB Stuttgart hätte es fast erwischt. Doch konnte das Team, wie schon beim letzten Fußball-Bundesligaspiel gegen den SC Freiburg, dank zehn beachtlich starker Spielminuten noch die ganze Partie drehen und für sich entscheiden.“
Lazio Rom – Chelsea London 0:4
Birgit Schönau (SZ 6.11.) schildert Erörterungen in Rom: „Ausgerechnet gegen Chelsea London, die Mannschaft des römischen Trainers Claudio Ranieri. Zum ersten Mal zeichnete Ranieri für ein offizielles Match in Italien, und nun verlässt er das Olympiastadion als Triumphator, fünf Tage vor der heißesten Partie im römischen Kalender. Fünf Tage vor dem Derby, die ganze Stadt fiebert schon, und alle wissen: Ranieri träumt davon, den AS Rom zu trainieren. Der Mann mit dem perfekt-näselnden Oxford-English ist tief in seinem Herzen ein „romanista“, ein glühender Tifoso der Wölfin. Hätte es eigentlich schlimmer kommen können? Roberto Mancini stellt sich solche Fragen lieber nicht. Mit Müh’ und Not hat er sich in den Pressesaal gerettet, vorbei an den wütenden Maßanzügler-Fans der Vip-Tribüne, die ihn schubsten und beschimpften. Jetzt drückt er sich, aschfahl im Gesicht, in eine Ecke: „Nach der Roten Karte für Mihajlovic waren wir vollkommen geknickt. Ich habe den Jungs schon gesagt: Denkt nicht mehr daran, geht raus heute Abend, amüsiert euch, damit ihr den Kopf frei habt für’s nächste Spiel. Rausgehen? Amüsieren? Schon für den Mannschaftsbus brauchte Lazio gehörigen Polizeischutz, und Sinisa Mihajlovic tat mit Sicherheit gut daran, seine Spaghetti zu Hause zu essen. Treffsicherer als der smarte Mancini hatte das Publikum im Olympiastadion den rüden Abwehrspieler als den Hauptverantwortlichen des Desasters ausgemacht. Dass der russische Schiedsrichter Nikolai ihn nicht sofort herauswarf, als Mihajlovic Chelseas Stürmer Adrian Mutu bespuckte, verstand der wilde Serbe offensichtlich als Aufforderung zum Weiterpöbeln. Mutu hatte ihn zuvor ins Gesicht geschlagen. Aber beim nächsten bösen Foul, kurz nach der Pause, flog Mihajlovic vom Platz. Anstatt sich kleinlaut in die Kabine zu verziehen, streifte er sich einen schwarzen Mantel über und setzte sich mit provozierender Gelassenheit auf das Krankengefährt neben der Lazio-Bank. Einen Uefa-Delegierten, der ihn aufforderte, das Gelände zu verlassen, bewarf Mihajlovic mit einer Plastikflasche. „Dabei ist er sonst ein braver Junge“, seufzte später Mancini, was bei den britischen Reportern helle Empörung auslöste. „Braver Junge? Haben Sie vergessen, was der vor drei Jahren gegen Arsenal angestellt hat?“ Damals hatte Mihajlovic den Franzosen Patrick Vieira übel beleidigt. Später musste er sich für seinen rassistischen Affront entschuldigen –Lazios Ruf blieb beschädigt.“
Partizan Belgrad – Real Madrid 0:0
Michael Martens (FAZ 6.11.) beleuchtet das Ergebnis aus der Perspektive des Außenseiters: „Das torlose Remis schien am Ende fast zu wenig. Bei etwas mehr Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor hätten die Spieler aus Serbien durchaus gewinnen können. Nach der 0:1-Hinspielniederlage in Spanien hatte Partizans Trainer Lothar Matthäus noch geklagt, seine Spieler zeigten zu viel Respekt vor den Real-Stars, sie hätten sich quasi vor ihnen verbeugt. Doch von diesem vorauseilenden Gehorsam war bei der zweiten Begegnung nichts mehr zu spüren. Die Heimmannschaft spielte so selbstbewußt, als stünden ihr nicht die Weltstars Zidane, Ronaldo und Beckham, sondern ihre üblichen fußballerischen Sparringspartner aus der nationalen Liga von Serbien und Montenegro gegenüber. Sie erspielte sich mehrere Großchancen, scheiterte aber im Abschluß entweder an sich selbst oder an Torwart Casillas.“
Die Dagobert Ducks, Roy of the Rovers und Harry Potters des Fußballs
Sehr lesenswert! Ronald Reng (Zeit 6.11.) zeichnet das Leitbild Real Madrids: „Nicht Beckenbauer oder Pelé, sondern der Comic-Zeichner Walt Disney ist das Vorbild des gelernten Bauingenieurs Pérez beim Versuch, aus dem Fußballclub Real die größte Freizeitattraktion im Lande zu machen. „Es gibt eine Idee, die mich unglaublich begeistert“, sagt er: „Eine große Stadt zu bauen, eine Art Disneyland, besucht von Millionen Menschen.“ Ein Stadt, gewidmet der Huldigung Reals und Madrids. Und so lockte Pérez sie in den drei Jahren, seit er die Präsidentschaftswahlen gewann, nach und nach alle nach Madrid: Luís Figo, Zinedine Zidane, Ronaldo, vergangenen Sommer auch David Beckham: die Dagobert Ducks, Roy of the Rovers und Harry Potters des Fußballs, Comic-Helden unserer Zeit, hysterisch verehrt von Millionen. Selbst von denen, die Figo oder Beckham nie Fußball spielen gesehen haben. „Unser Projekt“, sagt Pérez, „ist, den Mythos Real Madrid in jeden Winkel der Erde zu tragen.“ Die Welt will er „evangelisieren“, zum Glauben an Real bekehren, so spricht er gerne und deutet ein Lächeln an. Die Angelegenheit ist ihm aber sehr ernst. Pérez ist 56 Jahre alt, kämmt die Haare seit Jahrzehnten gleich, streng seitlich gescheitelt, die Firma ACS hat er als Vorsitzender zum größten Baukonzern des Landes gemacht. Die Leute sagen, er habe die Präsidentschaft bei Real aus unternehmerischem Kalkül übernommen, in der Ehrenloge ließen sich bestens Geschäfte machen. Geschäfte? „Junge, ich erinnere mich an ein Spiel in den fünfziger Jahren, 1:0 gegen Sevilla, es regnete in Strömen.“ Vermutlich macht Pérez den Job ja tatsächlich auch aus der kindlichen Freude heraus, den Klub seiner jugendlichen Träume führen zu dürfen. Man merkt es ihm bloß nicht an. Ohne Regung sagt er, Real müsse mehr gewinnen als Pokale: „Die Herzen der Menschen, das Lächeln der Kinder.“ Noch nie hat es weltweit eine Elf wie die von Pérez zusammengestellte gegeben; die strahlendsten Sterne des Fußballs allesamt in einem Team vereint. Und vielleicht wird es auch nie wieder eine solche Elf geben. Das hängt nicht zuletzt vom Erfolg des Projekts ab. Der Weg ist kurz von der Genialität zum Größenwahn, von der Großmachtsstrategie zur großen Pleite, gerade im Fußball, wo Winzigkeiten Welten teilen, nur eine Unebenheit, ein kleiner Hopser (…) Früher hieß es über die reichen, mächtigen Klubs wie Real oder Bayern München: Man liebt sie oder hasst sie. Dieses Real ist das erste Team, das jeder Fan liebt und hasst. Jeder will Real verlieren sehen, weil es doch nicht gerecht ist, dass einer einfach all die Besten kauft, auch weil es niemandem einleuchtet, wie das finanziell überhaupt funktioniert. Jeder will Real siegen sehen, weil das Team dabei dem Fußball eine unentdeckte Schönheit geben kann, weil die Zidanes, Raúls und Figos einen glauben lassen, das Paradies gebe es doch. Zumindest auf dem Fußballfeld.“
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