Ballschrank
Plätze, an denen sich Niederlagen zu Hause fühlen
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| Donnerstag, 25. März 2004
Volker Kreisl (SZ 5.5.) beleuchtet die Stimmung in Nürnberg. „Wenn es Gene für Sieger gibt und Orte, an denen der Erfolg wohnt, dann gibt es auch Plätze, an denen sich Niederlagen zu Hause fühlen. Im Frankenstadion hat sich der Misserfolg lange schon festgesetzt und am Ende ließ er sich nicht mehr vertreiben. Er war stärker als alle guten Vorsätze und setzte sogar Fußballregeln außer Kraft, denn das Spiel vom Samstag dauerte nur 80 Minuten. Zehn Minuten genügen im Fußball für Wunder, in Nürnberg wäre lediglich ein 1:2-Rückstand umzubiegen gewesen, doch zehn Minuten vor dem Spielende, hörten die Fans auf, aggressiv zu brüllen. Sie hielten ihre Schals hoch und begannen, sanft zu singen. Zehn Minuten vor dem Ende verschwanden die Nürnberger Stürmer aus dem gegnerischen Strafraum, und auch der neue Trainer Wolfgang Wolf hörte auf, in die Hände zu klatschen. Einen Verein verließen die Kräfte. Dann kehrte Ruhe ein, die Anhänger gingen nach Hause, die Spieler knieten im Gras, und es spielten sich bekannte Szenen ab, vertraut von sechs Abstiegen, unzähligen Niederlagen und dem ständigen Versuch, Rückschläge zu verarbeiten. Der Stadionsprecher rief „Liebe Anhänger, Kopf hoch!“ Ein Mannschaftssprecher sagte den Reportern, dass ihm „die ganze Region“ leid tue, und die Reporter erörterten die Verkehrswege zu den Stadien der Zweiten Liga. Die meiste Aufmerksamkeit hatte aber Präsident Michael A. Roth gewonnen, der drei Jahre lang nicht gefragt war und nun wieder ganz oft live interviewt wird, der den Trainer Klaus Augenthaler beurlaubte und nun dessen Schuld am Scheitern andeuten muss, elegant aber unüberhörbar, wie es Roth nach elf Entlassungen zuvor getan hatte (…) Plötzlich schwingen Zweifel am gesamten Konzept der vergangenen drei Jahre mit. An der Idee, mit Talenten und guter Schulung etablierte Profis zu ersetzen und am Aufbau eines eigenständigen Fußball-Managements. Sehr bequem wäre dieser Zweifel, denn er würde überdecken, dass in Nürnberg das gesamte System schief ist. Die Mannschaft muss billig sein wegen der Schulden, die unter anderem früher der Präsident verursacht hat. Die Hoffnung liegt also auf den eigenen Talenten, doch die sind überfordert, weil die Nachwuchsabteilung eher mittelmäßig ist; die Amateure spielen in der vierten Liga. Also präsentieren die Manager halbfertige Spieler aus dem Ausland – personelle Experimente, die meist mit einer Trainerentlassung endeten.“
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Alt gewordene Zirkuslöwen
Zur Perspektive des FCN lesen wir von Tobias Schächter (taz 5.5.). „Der 1. FC Nürnberg, in der letzten Saison nur erstklassig geblieben, weil es tatsächlich Mannschaften gab, die noch schlechter waren, ist eine Mannschaft ohne Hierarchie, mit einer Abwehr, die vorwiegend unorganisiert ist, und deren Mitglieder im Spielaufbau unfassbare Fehlpässe produzieren. Und im Sturm ist mit Sasa Ciric ein alter Mann aus Mazedonien, nicht zu ersetzen, wie am Samstag gesehen. Nein, an Wunder glaubt Wolfgang Wolf nicht. Er sagt: Das sieht nach zweiter Liga aus. Der hemdsärmelige Wolf musste in Wolfsburg gehen, weil man dort der durch ihn verkörperten Bodenständigkeit nicht zutraute, die Retorte VfL in die anvisierte Champions League zu hieven. Sein Einstand in Nürnberg, als Aufbruch zur Aufholjagd gedacht, strandete in einem Anfang vom endgültigen Ende. Dabei wäre es gegen einen Gegner, der im Niemandsland der Tabelle dümpelt, nicht schwer gewesen zu gewinnen. Die Sechziger spielten wie schielende, alt gewordene Zirkuslöwen, die statt durch den Ring an selbigem vorbeispringen. Dass ausgerechnet der in der Halbzeit eingewechselte Thomas Häßler das Spiel mit seinen gescheiten Pässen drehte, quittierten die Fans der Löwen mit Icke Häßler-Sprechchören und Wildmoser raus-Rufen.“
Die Fansolidarität für Augenthaler soll ein abgekartetes Spiel gewesen sein
Hartmut Scherzer (FAZ 5.5.) analysiert Nürnberg Ursachenzuschreibung. „Das Frankenland ist gespalten bei der Suche nach den Schuldigen in dem Schmierentheater. Die Augenthaler-Fraktion macht den wankelmütigen Präsidenten mit Spruchbändern wie Ohne Auge sehe ich Roth oder Roth raus: Nürnbergs letzter Wille verantwortlich. Teppichhändler Michael A. Roth, der zwölf Trainer in 14 Jahren unter seiner Präsidentschaft verschliß, fühlt sich unterdessen von den Fans vergackeiert , als er auf deren Votum für den beliebten Niederbayern hörte, sich um 180 Grad drehte und wider seine Absicht an Augenthaler festhielt. Auf seinem Zickzackkurs hat ihm dann eine Abordnung der Mannschaft die Augen über das zerrüttete Verhältnis zum Trainer und die Fanaktion geöffnet. Wir sind alle belogen und betrogen worden, und wenn ich weiß, was dahintergesteckt hat, dann ändere ich halt meine Meinung. Die Fansolidarität für Augenthaler soll in der Roth-Version ein abgekartetes Spiel gewesen sein. Der Patriarch selbst wäscht seine Hände in Unschuld. Das Sportliche habe ich nicht zu verantworten. Die sportliche Leitung habe drei Jahre Zeit gehabt, eine gute Mannschaft zu formen, und habe dafür die Spieler geholt. Und nun haben wir mit dieser Mannschaft Schiffbruch erlitten. Wir stehen vor einem Scherbenhaufen, stellte Roth lakonisch fest. Wer anders also soll dafür verantwortlich sein als der Trainer und zu einem gewissen Teil der Manager? Womit also auch die Tage von Edgar Geenen in Nürnberg gezählt sind. Dem Manager wirft Roth miserable Einkaufspolitik vor.“
Roth, du Lügner
Torsten Geiling (FR 5.5.) schreibt zur Nürnberger Malaise. „Nach 45 gespielten Minuten hatte es noch so ausgesehen, als habe Wolf den Kampfgeist und die Spielfreude ausgegraben, die das Team nach der Vorrunde mit 21 Punkten auf Platz 12 geführt hatte. Es sei gar ein einstelliger Tabellenplatz möglich gewesen, freute sich das Präsidium damals, hätte das unerfahrene Team nicht leichtfertig immer wieder Punkte in der Schlussviertelstunde verspielt hätte. Ungehört verhallten die Rufe jener, die warnten, diese Zähler könnten dem Club später nicht im Rennen um einen Uefa-Cup-Platz sondern in Abstiegskampf fehlen. Erst eine Niederlagenserie nach der Winterpause und der Absturz in der Tabelle rüttelte das Umfeld auf. Von Spiel zu Spiel wurde deutlicher, dass einfach zu viele Spieler auf dem Platz standen, die nur bedingt Erstliga-tauglich sind. Den Schuldigen sehen die Fans nicht in Ex-Trainer Klaus Augenthaler, sondern in Präsident Michael A. Roth. Mit Transparenten wie Ohne Auge seh‘ ich Roth, Danke Auge. Roth du Lügner oder Roths Rücktritt? Nürnbergs letzter Wille bekundeten sie im Stadion ihre Meinung. Roth quittierte es mit säuerlichem Lächeln und verwies auf Augenthaler und Noch-Manager Edgar Geenen: Das ist ganz allein das Ergebnis dieser beiden Herren. Die haben das Mannschaft zusammengestellt. Die Quittung für den Absturz wollte Roth Augenthaler schon vor sechs Wochen überstellen. Doch gegen eine bis dahin im Fußball unbekannte Welle der Fan-Sympathie für einen erfolglosen Trainer mochte er nicht anschwimmen. Inzwischen will Roth die Solidarität als gekauften Lug und Trug entlarvt und genügend Gegenstimmen aus der Mannschaft gehört haben, weshalb Köpfe rollten und Wolf kam. Tatsächlich schien der neue Trainer die Angst aus den Köpfen der Spieler gezaubert zu haben. Während bei Augenthaler zwischen Bank und Platz weitgehend Funkstille geherrscht hatte, suchten die Spieler immer wieder den Blickkontakt mit Wolf, der aktiv Einfluss zu nehmen suchte. Doch wurde einmal mehr deutlich, dass im Team Typen fehlen, die andere mitreißen und ein Spiel noch einmal drehen können.“
Nun zeigt er noch einmal, was er kann
Christian Zaschke (SZ 5.5.) freut sich mit und über Thomas Häßler. „Offiziell geht es um Moral, Geschlossenheit, Kampfgeist, so etwas. Tatsächlich aber sind die letzten Spiele des TSV 1860 München in dieser Saison die Abschiedswochen von Thomas Häßler. Gegen den 1. FC Nürnberg wurde er zur Halbzeit eingewechselt und entschied die Partie. Er zog das Spiel an sich, er arbeitete in der Defensive, und er gab den entscheidenden Pass auf Benjamin Lauth, den der zum 2:1 und seinem zweiten Tor des Nachmittags nutzte. Es war Häßlers Spiel. Nach der Partie war er kaum wiederzuerkennen. Er lachte, er scherzte mit dem ehemaligen Nationaltorwart Andreas Köpke, der zum Mannschaftsbus der Sechziger gekommen war, er schrieb ausdauernd Autogramme. Allein mit der Presse mochte Häßler nicht sprechen. „Nichts sagen, nur genießen“, beschied er fröhlich. Es muss eine große Genugtuung für ihn gewesen sein nach den Wirren der vergangenen Woche. Nach dem Spiel gegen Dortmund hatte 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser Häßler öffentlich attackiert. Die Kritik ist zum Bumerang geworden, ehemalige Weggefährten des Weltmeisters Häßler, Kollegen und Fans zeigten sich empört über die Art und Weise, in der dem kleinen Spielmacher ein unwürdiger Abschied bereitet werden sollte. Während der Woche hatte Häßler überlegt, vorzeitig zurückzutreten. Er ist geblieben, und nun zeigt er noch einmal, was er kann.“
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