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Aufregendster Reviergipfel seit Menschengedenken
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| Donnerstag, 25. März 2004Die Fußball-Bundesliga – so lautet ein derzeit kursierendes Urteil – sei angesichts des uneinholbar anmutenden Vorsprungs der Bayern langweilig geworden? Am vergangenen Spieltag geschah jedoch derart viel Aufregendes abseits der Meisterfrage, dass man auf Spannung im Titelrennen nicht angewiesen scheint. Wo anfangen, um das Erzählenswerte aufzuarbeiten?
Im „aufregendsten Reviergipfel seit Menschengedenken“ (FR), beim 2:2 zwischen Schalke und Dortmund, boten die Beteiligten auf und neben dem Rasen den zwischen Begeisterung und Empörung hin und her gerissenen Beobachtern die ungeschminkte Essenz menschlichen Mit- und Gegeneinanders. „Ach, die Bundesliga: ein verläßliches Volkstheater, mal zum Vergnügen des Publikums, mal zornerregend, gefüllt am vergangenen Wochenende auf alle Fälle mit allem, was den Fußball reizvoll macht“, resümiert die FAZ begeistert und ist gleichzeitig erleichtert: „Die Mutter aller Regionalderbys schien alt geworden in den vergangenen Jahren, als der Ruhrgebietsklassiker mehr und mehr wie ein Treffen unter Geschäftspartnern oder eine folkloristisch verbrämte, sonst aber überaus gewöhnliche Bundesliga-Begegnung anmutete. Bis zum Samstag, dem Tag des Revivals der alten Rivalität. Die Historie lebt also doch.“
Im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit ließ sich in Gelsenkirchen aber ein Sieger ausmachen. Zwar prägte sich zum einen die „Rumpelstilzchenfraktion von der Dortmunder Bank“ (SZ) dank zahlreicher Zeitlupen stark ins Gedächtnis des Fernsehzuschauers ein. Zum andern gefielen die wiederholter Schiedsrichtermissgunst geschuldeter Verschwörungstheorien des gockelhaften Schalke-Managers Rudi Assauer. Den Hauptpreis hingegen errang, wenn auch unfreiwillig, der Dortmunder Keeper Lehmann, nachdem er ein Scharmützel mit dem offensichtlich in mannschaftsinternen Misskredit geratenen Ex-Torjäger Amoroso angefacht hatte. Auf die Frage, warum er dabei erneut des Feldes verwiesen wurde, hat die SZ im Vergleich mit Schiedsrichter Fandel eine einleuchtendere Erklärung parat: „Jens Lehmann holt sich all die Roten Karten ab, die die Schiedsrichter dem Titanen Oliver Kahn nicht zu geben wagen.“
„Selten hat man Sieger so geschockt gesehen, so traumatisiert von dem eigenen, seltsamerweise nicht bestraften Unvermögen“, fasst die Financial Times Deutschland die Reaktionen der Leverkusener nach dem 2:1 bei Konkurrent Hannover zusammen. Der Erfolg war auf „wundersame Weise“ (FAZ) zustande gekommen, denn eigentlich schien die nervlich angeschlagene Werkself mit einer Niederlage unter fünf Toren Differenz gut bedient, was die taz unnachahmlich kommentiert: „Wer tief in der Krise steckt, kann nur hoffen, möglichst bald ein Auswärtsspiel gegen Hannover 96 zu haben. Dort ist einem das Glück hold.“ Man müsste das dicke Buch der Fußball-Kapriolen um ein Kapitel erweitern, würde die vor Jahresfrist noch brillierende Elf aus einer solchen (letztendlich erfolgreichen) Vorstellung Selbstbewusstsein für den anstehenden Abstiegskampf entwickeln können.
Des Weiteren im Blickpunkt: „Das Projekt Fußball in Wolfsburg droht zu scheitern“ (SZ). Ciriaco Sforza gibt ein unerwartetes Comeback. Die schwächste Mannschaft des Jahres aus Bremen verliert gegen die stärkste aus Cottbus. Und nicht zuletzt: die „heimlichen Doppelpässe“ (SZ) zwischen Kirch und Bayern sind weiterhin auf der Agenda . Wer braucht eigentlich ein Titelrennen?
Schalke 04 – Borussia Dortmund 2:2
Christoph Biermann (SZ 24.2.) rezensiert die Vorstellung „auf Schalke“. „Die Schalker Wutausbrüche entzündeten sich an zwei Szenen. „Hat der junge Mann beim Tor von Waldoch den Heiligen Geist gesehen?“, fragte Assauer, weil der Linienrichter zehn Minuten vor Schluss den dritten Treffer der Gastgeber wegen Abseits aberkannte. Die Entscheidung war so falsch, wie jene richtig, Agali sieben Minuten vor der Pause die Rote Karte zu zeigen. Allerdings hätte Dortmunds Dedé sie ebenfalls sehen müssen, denn seinen Befreiungsschlag nutzte er, um dem Nigerianer seinen Ellenbogen an den Hals zu schlagen. Das jedoch übersah der Linienrichter, der sowieso erst intervenierte, als die Rumpelstilzchenfraktion auf der Dortmunder Bank empört aufsprang. Der Dortmunder Trainer Matthias Sammer („Ich sehe das neutral“) fand bei der Gerichtsshow in der Arena eine Rote Karte für Dedé „Auslegungssache, ich hätte sie aber nicht gezeigt“. Doch das Unterhaltungsangebot des Nachmittags beschränkte sich nicht auf eine Abwandlung von „Richterin Barbara Salesch“, sondern reichte bis zur Psychoshow „Lämmle Live“. Bei der löwenmähnigen Seelenberaterin im dritten Programm könnte vielleicht mal Jens Lehmann durchklingeln und über sein hartes Leben zwischen den Pfosten sprechen. Dortmunds Torhüter flog am Samstag bereits zum vierten Mal in seiner Karriere vom Platz. Das ist eine Quote, die selbst manchen Eisenfuß der Liga vor Neid wird erblassen lassen. Außerdem ist Lehmann nach dem zweiten Platzverweis in einer Saison der erste Keeper, dem das in der Bundesliga gelang und endgültig eine erratische Figur geworden. Dabei hatte Schiedsrichter Fandel in der Halbzeitpause noch „ein nettes, kurzes Gespräch“ mit dem Keeper geführt und ihm zu dessen Gelber Karte erklärt, dass er halt nicht immer aus dem Strafraum rennen dürfe. Doch zehn Minuten vor Schluss, just als Schalkes Siegtreffer aberkannt wurde, flitzte Lehmann erneut los. Im Mittelfeld rüffelte er Amoroso, der rempelte zurück, wodurch Fandel den Ausflügler bemerkte und ihm die zweite Gelbe Karte zeigte. „Fußball ist ein seltsames Spiel geworden“, fand Lehmann, was man auch umgekehrt betrachten kann. Lehmann ist ein seltsamer Spieler mit der Selbstkontrolle eines hyperaktiven Kindes.“
Roland Zorn (FAZ 24.2.) kommentiert die Dortmunder Scharmützel. „In diesem Kessel der Emotionen fühlen sich die Besucher auf Schalke oft genug heimischer als die Gelsenkirchener selbst, auch weil sich die Schiedsrichter besondere Mühe geben, unbeeindruckt von der Masse Mensch zu bleiben. Nicht jeder aber, der hierher kommt oder zurückkehrt wie der frühere Schalker Torwart Jens Lehmann, glänzt in der prächtigen Freilufthalle mit den allerbesten Manieren. Am Samstag ging Lehmann nach Waldochs Kopfballtor ohne Folgen ein paar Schritte zu weit, verließ seinen Strafraum und stürzte sich auf seinen zunächst verdutzten, danach aber wehrhaften Dortmunder Kollegen Marcio Amoroso. Dem brasilianischen Stürmer hielt Lehmann unübersehbar vor, daß er zum wiederholten Mal seine Verteidigungsaufgaben – Amoroso sollte Waldoch nicht aus den Augen lassen – geschwänzt habe. Die betriebsinternen Händel der Borussen waren Fandel ein solcher Dorn im Auge, daß er dem aus einem vergleichbaren Anlaß schon verwarnten Lehmann mit der Gelb-Roten Karte endlich Einhalt gebot. Es ist nicht möglich, erklärte Fandel seine Entscheidung, daß er ständig aus seinem Tor rausläuft. Ich habe ihm schon in der Halbzeit in einem netten, ruhigen Gespräch gesagt, daß das nicht geht. Das ist eine Unsportlichkeit. Die Lehmann nicht einsehen wollte. Ich kannte diese Regel nicht, sie muß wohl heute erfunden worden sein, der Fußball ist komisch geworden. Das Derby war heiter und ernst zugleich, denn es wurde neben allen Nickligkeiten und Animositäten auch richtig guter Fußball gespielt. Die Schalker sprachen von einem verpaßten Sieg, die Dortmunder auch. Die Arena bebt, das Derby lebt. Es war am Samstag nach inhaltsarmen Jahren wieder einmal romanreif.“
Thomas Kilchenstein (FR 24.2.). „Es muss sich in den vergangenen Wochen eine ganze Menge angesammelt haben bei Jens Lehmann. Und da kann einen ein Spieler wie Marcio Amoroso, meilenweit von seiner Form entfernt, durch seine egoistische und wenig mannschaftsdienliche Art, Fußball zu spielen, gehörig aufregen. Ich hatte Amoroso was zu sagen, meinte Lehmann hinterher. Dass die beiden keine Freunde mehr werden und vermutlich auch nie waren, dürfte spätestens seit diesem Samstag, 17.06 Uhr, klar sein. Aber Freunde, gute Freunde, könnte Jens Lehmann gerade jetzt dringender denn je gebrauchen.“
Felix Meininghaus (FR 24.2.) zum Spiel. „In der Realität bleibt der BVB die Nummer eins im Pott. Zu Recht, denn selbst wenn man berücksichtigt, dass die Borussen vom Schiedsrichter über Gebühr bevorzugt wurden, stellte der Meister im Derby das stärkere Team. Allerdings mit der Einschränkung, dass es die Dortmunder in Überzahl versäumten, das Spiel für sich zu entscheiden. Eine Viertel Stunde wirbelten Rosicky und Co. ihre Widersacher nach dem Seitenwechsel dermaßen fulminant durcheinander, dass ihnen Hören und Sehen verging. Doch nach dem Ausgleich beschränkte sich der BVB darauf, das Resultat zu verwalten. Ein Umstand, der Trainer Matthias Sammer ratlos zurückließ.“
Über das Image von Jens Lehmann heißt es bei Josef Kelnberger (SZ24.2.). „Die Grünen-Politikerin Claudia Roth wollte ihn für ihre Partei abwerben, wenn auch aus ziemlich unpolitischer Bewunderung für den Fußballprofi („Ohne Wenn und Aber: Der Schönste und Spannendste, das ist Jens Lehmann“). Lehmann lehnte ab, weil er nach einem seiner ungezählten Platzverweise noch hoffte, sein Image als Torwart irgendwie reparieren zu können. Diese Hoffnung hat sich nun wohl erledigt. Mäße man eine Zustimmungsquote für Jens Lehmann, wäre er in etwa bei der aktuellen Bundesregierung angelangt. Zeit für einen Wechsel also. Zwei Seelen wohnen halt in seiner Brust, aber auf dem Fußballfeld will sich bloß mehr die eine zeigen. Vermutlich ist das schon eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Lehmann rastet aus. Vielleicht ist es auch so: Jens Lehmann holt sich all die Roten Karten ab, die die Schiedsrichter dem Titanen Oliver Kahn nicht zu geben wagen. Und so prügeln nun wieder alle auf Lehmann ein, die Moralisten, die Fußball-Hygieniker, die Chefankläger. Wir hören schon die Waffen klirren, mit denen sie auf ihn losgehen: .. .arroganter Schnösel … hat seiner Mannschaft geschadet … Wiederholungstäter … muss hart geahndet werden …hohe Geldstrafe seitens des Vereins … unwürdig eines Nationalspielers … hoffnungsloser Fall. Man sollte sofort einen Jens-Lehmann-Fanklub ins Leben rufen. Oder doch gleich eine Jens-Lehmann-Partei gründen, für alle Unverstandenen dieser Welt.“
Richard Leipold (Tsp 24.2.) schreibt über das Verhalten des Keepers. “An Lehmann bleibt der allseits, auch aus dem eigenen Lager erhobene Vorwurf hängen, sich undiszipliniert verhalten und die Mannschaft auf diese Weise in Schwierigkeiten gebracht zu haben. Die Ursache seiner jüngsten Entgleisung, der Konflikt mit Amoroso, ist mit dem Platzverweis noch nicht aus der Welt. Der brasilianische Stürmerstar, in dieser Saison nur ein Abklatsch des einstigen Torschützenkönigs, ruft durch sein Auftreten bei den eigenen Mitstreitern inzwischen mehr Verdruss hervor als bei Gegnern. Lehmann sieht sich dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt, auf diese Art der Provokation unprofessionell reagiert zu haben, zumal als Spieler mit seiner Vorgeschichte. Der Schlussmann gerät hauptsächlich deshalb in die Kritik, weil er aus seinen Strafen nicht gelernt hat. Lehmann gerierte sich in Schalke als unbeherrschter, vielleicht unbelehrbarer Spieler. „Das war ein klares Fehlverhalten“, sagte Manager Michael Meier. Aber die Wurzel des aktuellen Dortmunder Übels scheint Amoroso zu verkörpern. Was sein schärfster Kritiker Lehmann zu viel an Erfolgsbesessenheit hat, das hat der exzentrische Brasilianer zu wenig. Insofern war ein Zusammenstoß wie in Schalke nur eine Frage der Zeit. „So etwas baut sich manchmal über Tage und Wochen auf, und dann kommt eben eine etwas doofe Reaktion“, sagte Lehmann. Wie es scheint, müsste in Dortmund jemand die Diva Amoroso verwarnen und bei anhaltender Nachlässigkeit vom Platz stellen. Diese Aufgabe kann den Borussen kein Schiedsrichter abnehmen.“
Hannover 96 – Bayer Leverkusen 1:2
Angesichts der „wundersamen“ Ereignisse in Hannover schlüpft Jörg Marwedel (SZ24.2.) in eine andere Haut. „Stellen Sie sich vor, Sie sind Reiner Calmund. Sie sitzen auf der Tribüne eines großen Fußballstadions. Auf dem Rasen scheitern hoch bezahlte Angestellte der Bayer Leverkusen Fußball-GmbH daran, den Ball zum drei Meter entfernten Mitspieler zu passen. Sie erleben, wie der Stürmer Thomas Brdaric sogar bei dem Versuch, einem ins Aus geflogenen Ball nachzulaufen, stolpernd zu Boden geht. Sie verfolgen hilflos, wie der Gegner Hannover 96 derart mühelos durch die konfuse Bayer-Abwehr spaziert, dass seiner 1:0-Führung in der Logik des Spiels ein 2:0 und ein 3:0 folgen müssten. Dann ist es 16.40 Uhr und es wird ein Tor gemeldet. Auf dem Betzenberg steht es 1:0 für den 1. FC Kaiserslautern gegen den HSV. Bayer Leverkusen, der Champions-League-Finalist und Bundesliga-Zweite des vergangenen Jahres, ist Tabellenletzter. Sie sitzen noch immer auf Ihrem Platz. Gelähmt und ganz in Schwarz, wie Ihr eigener Beerdigungsunternehmer. Die Rufe werden zum Orkan im Stadion: „Bundesliga zwei, Bayer ist dabei.“ Wahrscheinlich sehen Sie jedes einzelne Gesicht dieser Rufer in Ihrer Nähe. Höhnische Fratzen, die den Zerfall Ihres Lebenswerkes bejubeln. Und dann ist er plötzlich vorbei, dieser Höllentrip. Sie erwachen am Samstag um 17.16 Uhr, und Bayer hat 2:1 gewonnen, zum ersten Mal nach fünf Pleiten hintereinander. Die Mannschaft ist nicht mehr Letzter, sondern Vierzehnter, erklären können Sie es nicht. Ein eingewechselter Nachwuchsspieler namens Sebastian Schoof (Rückennummer 57) hat zehn Minuten vor Schluss das eine Tor erzielt, ein gewisser Jan Simak das andere. Simak, vergangenen Sommer nach einer Serie von Eskapaden aus Hannover geflohen, in Leverkusen als „Pflegefall“ verflucht und von den 96-Fans bei jeder Aktion mit Pfiffen bestraft. Das nennt man Pointe.“
Dietrich zur Nedden (taz 24.2.) wundert sich. „Hätte sich ein Autor die Dramaturgie dieses Spiels ausgedacht, man hätte den Plot als ziemlich weit hergeholt bezeichnet: Das gibts doch nur im Film. Eben nicht. Noch immer stimmt der banale Satz, dass die Realität seltsamer ist als jede Fiktion. Ähnliches muss 96-Trainer Ralf Rangnick im Sinn gehabt haben, als er nach der plötzlichen 1:2-Niederlage meinte: Ich muss mich nachher noch mal zwicken, ob das hier heute wirklich stattgefunden hat. (…) Schon ein Unentschieden wäre nach so einem Spielverlauf eine maßlose Enttäuschung für 96 gewesen, aber es wartete auf die beinahe paralysierten Fans noch der finale Hammer. Die Nachspielzeit war angebrochen, Neuville trickste flink durch die Mitte, der Ball fand Simak an der Strafraumgrenze, und geradezu genießerisch verwandelte er zum 2:1 für Leverkusen. Wenn auch im Grunde trotzdem nichts bei Leverkusen funktioniert hatte, die Calmundsche Schwatzroutine tat es: Wir müssen jetzt n Telegramm an den lieben Gott und an nen Papst schicken, quallte er, dass wir hier das Spiel gewonnen haben. Sollte es von höchster Stelle eine Antwort geben, stünde vielleicht darin: Nicht ich wars, sondern der Terminplan. Denn wer tief in der Krise steckt, kann nur hoffen, möglichst bald ein Auswärtsspiel gegen Hannover 96 zu haben. Dort ist einem das Glück hold.“
Erik Eggers (FTD 24.2.) beobachtete die siegreichen Leverkusener nach dem Spiel. „So sehen Verlierer aus, Spitzensportler frei von jedwedem Selbstbewusstsein. Nationalspieler Carsten Ramelow etwa schlängelte sich, nachdem er nach einer denkwürdigen Partie den engen Spielertunnel hinauf gehastet war, mit tief gesenktem Haupt vorbei an den wartenden Journalisten, Boris Zivkovic eilte ihm ähnlich deprimierter Pose hinterher, und auch ein peinlich berührter Marko Babic verspürte keine Lust, auch nur ein Wort über die vergangenen 90 Minuten zu verlieren. Dabei hatte Bayer Leverkusen, das war das Bizarre an diesen Szenen der Flucht, ja das erste Mal nach fünf Niederlagen wieder gewonnen (…) Vor allem die Art und Weise des Leverkusener Auftritts war Ausdruck der ganzen Verstörtheit einer ehemaligen Spitzenmannschaft gewesen, die vom nackten Ergebnis nun einigermaßen überdeckt werden wird. Der Zustand des Jammers jedoch zog sich durch nahezu alle Mannschaftsteile: Die Abwehr verdiente ihren Namen nicht, die völlig verunsicherten Zivkovic, Placente, Kaluzny und Balitsch nämlich wurden, wenn überhaupt, allenfalls als lästige Slalomstangen wahrgenommen von den heimischen Angreifern, und nur der diesmal überragende Torhüter Jörg Butt hielt mit seinen sechs, sieben fantastischen Paraden das zerlegte Team im Spiel. Das Mittelfeld ließ sich in der ersten Minute schon den Schneid abkaufen; die gefühlte Zweikampfquote lag hier bei maximal 20 Prozent, ein Wert, der kaum reichen wird im kommenden sportlichen Überlebenskampf. Und auch Stürmer Franca, der gegen Newcastle United noch Hoffnung auf Besserung verkörperte, stolperte wie Falschgeld über den Platz.“
Peter Heß (FAZ 24.2.) analysiert die Bedeutung des Leverkusener Erfolgs. “Was in der Schlußphase geschah, wird mit Fußball-Weisheiten wie: Der Ball ist rund, Im Fußball ist immer alles möglich, Fußball ist das unwägbarste aller Spiele nur unzureichend beschrieben. Die Mannschaft, die bis dahin, gefangen in einem Netz aus Unfähigkeit und Verunsicherung, dem Bodensatz der Liga entgegentorkelte, nur durch einen überragenden Torwart Jörg Butt im Spiel gehalten, gelangte auf wundersame Weise zu einem 2:1-Sieg, der nun die Rettung aus dem Elend verheißt. Ein Erfolg, herausgeschossen von den Spielern, von denen man es am wenigsten erwarten konnte (…) Dieses 2:1 bildete genau das Fußballwunder, das Bayer Leverkusen benötigte, um wieder aufgerichtet zu werden. Sich selbst aufzubauen, dazu waren die Spieler nicht in der Lage. Der neue Trainer Thomas Hörster maß dem Sieg eine ungeheure Bedeutung zu: Jetzt sind wir aus dem Gröbsten raus. Die Köpfe sind wieder frei, jetzt können wir wieder in Ruhe arbeiten. Wenn er das wörtlich meinte, überschätzte der 46 Jahre alte Essener den Wert. Das Erfolgserlebnis bedeutete lediglich den ersten von zwei notwendigen Schritten weg vom Abgrund. Das Abrutschen bis auf den Boden wurde vermieden, aber noch nicht der Aufstieg begonnen. Dazu gehört eine Mannschaft, die ohne Panikanfälle ein Bundesligaspiel bestreiten kann. Es ist keine böswillige Unterstellung, daß der erzitterte Sieg kaum als dauerhaftes Beruhigungsmittel taugt. Ein frühes Gegentor im nächsten Bundesligaspiel gegen Bremen nähme dem Sieg in Hannover wohl jeden psychologischen Effekt. Worauf Leverkusen hoffen kann im Abstiegskampf, ist ein Konkurrent wie Hannover 96. Der Aufsteiger wird in dieser Spielzeit von einer Pechserie gepeinigt, die schon ins Tragikomische spielt. Spielerisch dem oberen Drittel der Bundesliga zuzuordnen, kämpferisch fast immer überzeugend, versteht es die Mannschaft von Trainer Ralf Rangnick, fast jede Gelegenheit zur Niederlage wahrzunehmen. Der sonst so gerne fußballphilosophierende Trainer Rangnick enthielt sich nach dem Spiel jeden Fachkommentars: Da gibt es nichts zu analysieren. In meiner Profilaufbahn hat noch nie eine Mannschaft von mir einen Gegner über 90 Minuten so beherrscht wie heute. Ein Hauch Verzweiflung schwang mit. Die Leverkusener konnten gut mitfühlen.“
1. FC Kaiserslautern – Hamburger SV 2:0
Zur Situation in Kaiserslautern meint Hans-Joachim Leyendecker (FAZ 24.2.). „Der aktuelle Stand im Keller der Tabelle ist immer noch alarmierend; wie der Klub bei den Banken in der Kreide steht, sowieso. Aber so stabil, wie der 1. FC Kaiserslautern neuerdings in den Stadien auftritt, animiert er zu der gar nicht mal mehr so riskanten Wette: Der FCK bleibt drin. Die Kette der Indizien ist so überzeugend wie der neuerliche Auftritt der Viererkette vor Torhüter Tim Wiese (…) Wohin man auch hörte, jeder erzählte vom bewährten Rezept, wonach jeder zu ersetzen sei. Inzwischen aber hat der 1. FCK ein paar Fixpunkte, die nicht mehr aus dem Team wegzudenken sind: Torhüter Wiese, der mit jeder Partie an Souveränität hinzugewinnt, der Kameruner Bill Tchato, an dem es für keinen Hamburger ein Vorbeikommen gab, die Torjäger Lokvenc und Klose, dazu die Wiederentdeckung von Sforza und die Entdeckung Markus Anfang. Wie dieser vor dem 2:0 Klose in Szene setzte, erinnerte an einen Mario Basler in seinen besten Tagen. Die Aufbruchstimmung dürfte auch das Klima bei den Gläubigerbanken des FCK beeinflussen.“
Hans-Joachim Leyendecker (FAZ 24.2.) über Ciriaco Sforza, den Mann des Tages. „Er war mit mehr Pfiffen als Beifall begrüßt worden. Als Ciriaco Sforza den Rasen im Fritz-Walter-Stadion verließ, umhüllte ihn rauschender Applaus. Der vom kritischen Publikum auf dem Betzenberg erst unlängst ausgegrenzte Schweizer ist im Schnellverfahren wieder in die Schicksalsgemeinschaft der Pfälzer Fußballgemeinde aufgenommen worden. Weil er beim 2:0 über den Hamburger SV als Mann vor der Abwehr genau dorthin ging, wo es weh tut. Er scheute keinen Zweikampf, rackerte mit und ohne Ball, hatte die meisten Ballkontakte und lebte somit die Tugenden vor, die man ihm in der Vergangenheit aus gutem Grund so oft an gleicher Stätte abgesprochen hatte. Trainer Erik Gerets hatte den am kommenden Sonntag Dreiundreißigjährigen zur allgemeinen Überraschung für die Startelf nominiert. Und vom Anpfiff weg nutzte Sforza die Chance, ein anderes Bild von sich zu zeichnen als dem lamoryanten Dirigenten. Gerets feierte ihn in der Nachbetrachtung als den besten Mann auf dem Platz. Im Überschwang meinte der Belgier eine sensationell gute Leistung im Mittelfeld gesehen zu haben. So beurteilt man leitende Angestellte, die man innerlich schon abgeschrieben hat, an die man aber unverdrossen glauben möchte.“
Werder Bremen – Energie Cottbus 0:1
Raimund Witkop (FAZ 24.2.) erkennt Gegensätzliches. „Die Bremer stolpern derzeit, wenn nicht über die eigenen Füße, dann über die Krater ihres wüsten Rasens. Das negative Spiegelbild der Serie des Gegners – nämlich vier Niederlagen bei einem Remis seit der Winterpause – kam für die Bremer vor allem deshalb zustande, weil Charisteas in der zweiten Hälfte den Ball aus drei Metern Entfernung dem auf der Torlinie stehenden Verteidiger da Silva zuschob – dabei wären links und rechts je drei Meter leeres Tor gewesen. Der Grieche barg sein Gesicht lange in den Händen, wie es nahezu alle Bremer immer wieder hätten tun mögen: ein Bild von tiefer Verunsicherung. Wie ein Stürmer auftrumpfen kann, der auf der Höhe seines Selbstvertrauens ist, das bewies Marko Topic schon in der fünften Minute. Der Bosnier hatte die ganze Woche wegen Muskelbeschwerden nicht trainieren können, spielte aber mit und zeigte mehr Entschlossenheit und Esprit als alle Bremer zusammen. Beim entscheidenden Tor umkurvte er zwei Bremer, etwas später gleich vier. Auf die Frage, was solche Bravourstücke im besonderen und die Cottbuser Wiederbelebung im allgemeinen bewirkt habe, hat Topic die inzwischen oft wiederholte Antwort parat: Da gibt es nicht viel zu erklären. Hier will jeder erste Liga spielen, und wir hatten nichts mehr zu verlieren. Worüber sollten wir uns noch Sorgen machen? Vielleicht ist es wirklich so einfach. Um das mit hoffnungslosen zehn Punkten aus der Hinserie bezogene Wintertrainingslager in Dubai ranken sich nach jedem weiteren Energie-Erfolg mehr Mythen. Das Resultat nach dem Aufenthalt am Arabischen Golf ist jedenfalls beeindruckend. Es ist gar nicht so, daß die Cottbuser nun mit dem Mut der Verzweiflung rackern würden. Vielmehr wird eine Freude sichtbar, sich noch in der höchsten Klasse präsentieren zu dürfen. Altgediente Cottbuser mußten über Jahre mit der beschwörenden Formel leben, sie spielten für die ganze Region, nämlich die wirtschaftlich gebeutelte und nach Identifikation lechzende Lausitz. Die aktuellen Spieler, viele junge darunter, wirken wie von jeder Last befreit: sie spielen nicht für die Region, nicht für den auch auswärts treuen Fanclub namens Senfgurkenmafia, sondern für sich selbst.“
Zur Krise in Bremen wirft Dirk Susen (SZ 24.2.) ein. „Am Brasilianer, mit14 Treffern immer noch die Nummer eins der Bundesliga-Torjägerliste, ist der Bremer Niedergang am deutlichsten auszumachen. Ailton trifft nicht mehr, hat seine alte Vorliebe zum Abseitslaufen wiederentdeckt und saß in diesem Jahr schon zweimal auf der Bank. Gegen Cottbus stand er nur in der Anfangsformation, weil die Sturmspitzen Daun (gesperrt) und Klasnic (Kreuzbandriss) zu ersetzen waren, doch außer großen Worten vorher („Ich werde Werder wieder nach oben schießen“) hatte er nichts zu bieten. Das galt auch für die meisten Mitspieler. Das Selbstbewusstsein des einstigen „Bayern-Jägers“ ist dahin. Nur ein Punkt (2:2 gegen Bielefeld) aus fünf Spielen sprechen eine deutliche Sprache. Das Torwart-Problem der Hinrunde war zwar gegen Cottbus keines mehr, der für Borel ins Team gekommene Wierzchowski macht seine Sache gut. Doch dafür hat Schaaf nun neue Probleme zu lösen. Etwa in der Innenverteidigung, wo Baumann und Krstajic fehlten, was die Langsamkeit der Jung-Senioren Verlaat und Skripnik sehr deutlich werden ließ. Im linken Mittelfeld ist das Defizit so groß, dass Schaaf den Regionalligaspieler Christian Schulz einbaute, der sich recht erfolgreich bemühte, keine Fehler zu machen. Erstaunlich, dass Werder immer noch im oberen Drittel steht. Aber vielleicht sieht die Welt ja schon am Samstag wieder besser aus, nach einem Spitzenspiel der anderen Art: Werder, nun schwächste Mannschaft des Jahres, hat bei Vorgänger Leverkusen anzutreten.“
Bayern München – 1. FC Nürnberg 2:0
(FAZ 24.2.) hat sich beim Bayern-Derby gelangweilt. „Es wurde wieder Fußball gespielt. Allerdings nur von einer Mannschaft, dem FC Bayern. Und deshalb blieb der Unterhaltungswert der Vorstellung am Samstag weit hinter dem der Generaldebatte um Macht und Moral, die sich in den Tagen zuvor in der Bundesliga abgespielt hatte. Die abstiegsbedrohten Nürnberger verweigerten so konsequent ihren Dienst, daß gar der Eindruck entstand, sie seien an diesem Tag als sportliche Amigos nach München gekommen: im Gepäck drei Punkte, eine Gunsterweisung für den designierten deutschen Meister. Vielleicht hatte ja ausgerechnet Club-Trainer Klaus Augenthaler, ein furchtloser Mann, zur Nürnberger Kollektivangst beigetragen. Wenn die Bayern-Maschine mal anläuft, fühlt man sich wie im Gruselfilm, hatte er in einem Zeitungsinterview gesagt. Doch am Samstag mußten die Bayern auf dem Spielfeld gar nicht Angst und Schrecken verbreiten, um ein weiteres Etappenziel auf dem Weg zum Titel zu erreichen. Auch mit halber Kraft spielten sie das verängstigte Club-Ensemble an die Wand (…) Als hätte die Fußball-Kundschaft aus dem Freistaat etwas geahnt, wohnten gerade 45.000 Zuschauer dem Süd-Derby bei: geradezu eine Gespensterkulisse für den einstigen Fußballklassiker Bayern gegen Club. Sie langweilten sich frierend, und manche von ihnen haben womöglich bereut, auf dem Weg ins Stadion nicht in die Körperwelten-Ausstellung im früheren Rad-Stadion abgebogen zu sein. Im Gegensatz zu der umstrittenen Leichenschau verspricht der Titelkampf dieser Bundesliga-Serie das Gegenteil von Aufregung. Schon das Münchner Stadt-Derby eine Woche zuvor hatte das Olympiastadion nicht füllen können; auch die begrenzte Anziehungskraft des Duells der beiden Vereine mit den meisten Meistertiteln dürfte eine Folge der geschäftsschädigenden Bayern-Dominanz sein.“
Klaus Höltzenbein (SZ24.2.) kommt eine Idee. „Allen Frühresignierern, Tabellengläubigen (sie lügt nie!) und Schicksalsergebenen zum Trost: Es ist auch nach dem 22. Spieltag nicht Schluss mit dieser Saison, weiterhin besteht Hoffnung für all jene, die es ablehnen, bei zehn Punkten Vorsprung zum Meisterschaftsgewinn zu gratulieren. Denn die Ideen, wie der FC Bayern in seiner Dominanz noch zu behindern ist, die liefert der FC Bayern selbst. Es sind nicht wenige Anregungen zum eigenen Sturz, einige davon sogar ausgesprochen unterhaltsam. So auch jene Halbzeiteinlage beim 2:0 im Bayernderby, in der das Modell der Pärchenbildung vorgestellt wurde. Je zwei Kandidaten aus dem Publikum wurden an je einem der Fußknöchel zusammengebunden, mit auf den Schultern gekreuzten Armen stabilisierten sie diese Positur, und dann ging’s los: Hupfdohlengleich wurden Fußbälle über den Rasen getrieben, und wer’s am schnellsten konnte, der gewann eine Reise zum Auswärtsspiel zu Hertha BSC Berlin. Einzulösen am Wochenende des 10./11. Mai, drei Spieltage vor Saisonende – hochgerechnet, Stand heute, reisen die Bayern als Meister in die Hauptstadt. Es sei denn, Trainer Hitzfeld verteilt die Fußfesseln demnächst in der Kabine. Heraus kämen dann der Lizarazu, der versuchen könnte, seinen Partner, den Dauerläufer Zé Roberto, enger an die linke Außenlinie zu binden, Elber dicht gedrängt mit Pizarro, die beiden Stürmer, die ihr Verständnis schulen sollten, oder Scholl/Ballack, dicht verbandelt zum absoluten Rhythmus fürs Mittelfeld strebend. Dies haben sie am Samstag auch getan, nur eben noch frei laufend.“
René Hofmann (SZ 24.2.) kommentiert die Position des FCN-Trainers. „Es braucht viel, bis Klaus Augenthaler die Geduld verliert. Gegen den FC Bayern brauchte es 78 Minuten. Zwei Tore hatten seine Spieler zugelassen, sich selbst nur eine winzige Chance erarbeitet, als der Ball vom Bein eines Bayern-Spielers Augenthaler vor die Füße hüpfte. Zwölf Minuten blieben seiner Elf noch, einer seiner Spieler stand schon zum Einwurf bereit. Doch Augenthaler lupfte ihm den Ball vom Rand der Coaching-Zone nicht in die Hände, er drosch ihn mit dem Spann hinter die Werbebande. Ein deutliches Zeichen. Der Trainer hatte offensichtlich den Glauben an seine Mannen verloren, und was er nach dem Spiel von sich gab, lässt ahnen: Der Riss könnte über die 90 enttäuschenden Minuten in München hinausgehen (…) Inzwischen ist er 45 und leitet bald seit drei Jahren die Nürnberger an. Ein Job, der viel Gram bringt, und Augenthaler ist einer, dem man das ansieht. Wie früher Ottmar Hitzfeld, dem der Druck in Dortmund tiefe Falten ins Gesicht fräste. Nach zwei Jahren Auf- und zwei Jahren Abstiegskampf erinnert Augenthalers Antlitz mittlerweile an den Steinbeißer aus der Unendlichen Geschichte: zerfurcht von Rissen, die wie Gletscherspalten wandern, wenn er spricht. Klaus Augenthaler redet langsam, vor allem nach Niederlagen. Das Andante verleiht seiner Stimme so viel Bedrohlichkeit, als würde er nach jedem Satz ein Ausrufezeichen setzen. „Es kann nicht sein! Drei Minuten nach dem Spiel sehe ich lachende Brasilianer in der Dusche!“, hat Klaus Augenthaler am Samstag gesagt. Und: „Wenn nach so einem Spiel keiner einen Verband braucht, läuft etwas schief!“ Er weiß, dass seinen Brasilianern Cacau und Carlos de Jesus Junior der Ball nie so eng an den Fuß wachsen wird wie Elber und Zé Roberto, aber deswegen können sie sich trotzdem bemühen, laufen und raufen. Augenthaler selbst hat ja auch nicht ein überragendes Talent sieben Meistertitel beschert. Er hat sie sich erkämpft.“
VfL Wolfsburg – 1860 München 1:1
Christian Zaschke (SZ 24.2.) sieht schwere Zeiten für den VfL Wolfsburg entgegenkommen. „Vielleicht ist das Wolfsburger Humor: Dass der Stadionsprecher der neuen Arena die Mannschaften des VfL und des TSV 1860 München am Samstag auf dem „Heiligen Rasen“ begrüßte. Rasen? Meinte er jenes Stückchen Acker, das wie frisch gepflügt zwischen den Tribünen lag und darauf wartete, dass nun vor 15.000 Zuschauern die Aussaat begänne? Man hätte einen feinen Weizen säen können oder Kartoffeln in die offenen Furchen streuen. Gut, es ist nicht die Zeit der Saat, aber wissen sie das in der Autostadt Wolfsburg? Vielleicht war es Humor, dann wäre es ein schöner Witz gewesen. Es ist jedoch zu befürchten, dass der Stadionsprecher das völlig ernst meinte, und das sagt zur Zeit alles über den Fußball in Wolfsburg. Sie haben sich ein Stadion gebaut für ihre Träume von der Champions League, mit Vip-Logen und ein paar Fans darin, und sie haben das Wichtigste nicht beachtet: den Rasen, das Herz des Stadions. Sie haben eine Mannschaft in dieses Stadion gestellt, die einen – wenn auch alternden – Star in ihren Reihen weiß, eine Mannschaft voll von begabten Einzelspielern, und sie haben das Wichtigste nicht beachtet: dass so eine Elf mehr sein muss als die Summe ihrer Spieler, dass sie einen Mannschaftsgeist braucht, das Herz des Spiels. Am Samstag wurde deutlich, dass das Projekt Fußball in Wolfsburg zu scheitern droht.“
Achim Lierchert (FAZ 24.2.). „Fans haben oft das beste Gespür für die Situation. Das Spiel in Wolfsburg war gerade einmal eine halbe Stunde alt, Tore waren noch nicht gefallen, da stimmten die Anhänger des VfL hinter dem Tor ein Lied mit der bitteren Wahrheit an, die nun auch der letzte im Lager der Niedersachsen einsehen muß: Uefa-Cup, Uefa-Cup ade . . .. In ihrer Woche der Wahrheit drohte den Wolfsburgern statt dessen lange ein kapitaler Tiefschlag. Den beiden Niederlagen in Hamburg und am Mittwoch in Mönchengladbach folgte nun gegen München 1860 ein mühsames 1:1. Nur einen statt der erwarteten fünf Punkte geholt, das war es mit den hochgesteckten Zielen der ambitionierten Niedersachsen (…) Unweigerlich rückt Trainer Wolf, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft, in den Mittelpunkt. Nicht seine mögliche vorzeitige Entlassung jedoch, sondern vielmehr seine umstrittene Maßnahme, dem seit der Winterpause formschwachen Effenberg die Führungsrolle zu übertragen, stieß auf Kritik. Effenberg aber, der abermals lediglich bei Standardsituationen sein Können aufblitzen ließ, mußte sich von den Fans erstmals im eigenen Stadion Pfiffe anhören. Seine Auswechslung, bedingt durch eine Wadenverletzung, wurde dagegen mit zustimmendem Applaus bedacht. Es ist eine Frage der Zeit, wann Volkes Stimmung auf die auf den teureren Plätzen sitzenden Vertreter des mächtigen Sponsors Volkswagen übergreift und es zu einschneidenden Maßnahmen kommt, die auch der bislang noch mächtige Manager Pander nicht mehr alleine beeinflussen kann.“
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ
Gewinnspiel für Experten