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Überschätzung und Kalendersprüche

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Überschätzung und Kalendersprüche

„Bayern im Reformstau“ (FAZ); „Überschätzung und Kalendersprüche“ (SZ); VfL Bochum, „die Lieblinge des Monats“ (SZ) – „Bayer Leverkusen, das in der Hinrunde federleicht im Bundesliga-Ring tänzelte, hat seine Schlagkraft verloren.“ (FAS) – Schalke: „Vom Stiefelputzer zum Torschützen: Das Talent Delura drängt in die Spitze“ (FAZ) – VfL Wolfsburg, „im Hurra-Stil auf dem Weg nach unten“ (SZ) – VfB Stuttgart, „Zauberlehrlinge mit roten Ohren“ (FR) u.v.m.

VfL Bochum – Bayern München 1:0

Michael Horeni (FAZ 16.2.): „Den gesamten Herbst und die Winterpause hindurch hatte die bayrische Troika mit dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge, Manager Uli Hoeneß sowie dem unabhängigen Meinungsinstitut Franz Beckenbauer für ihre sportliche Reformagenda geworben: Besser, schöner, erfolgreicher – so sollte der Fußball der Meister von gestern werden. Mit dem härtesten Trainingslager sollten die Münchner Topangestellten fit gemacht werden für Deutschland und Europa. Die volle Konzentration für den Arbeitgeber mahnte der Chef der Basis, Ottmar Hitzfeld, an. Und es fehlte nicht viel, und er hätte auf dem Platz gleich noch eine Praxisgebühr eingefordert. Aber aus alldem rhetorischen Furor folgte im Jahr 2004 auch im vierten Versuch rein gar nichts. Nach dem 0:1 in Bochum reduzieren die ehemaligen Bayern-Realos ihre Schwierigkeiten im Berliner Politikstil nun zum reinen Vermittlungsproblem. Hoeneß spricht sogar in der Niederlage von der Wende, der Fußballverantwortliche Hitzfeld hält die Leistung für in Ordnung – zur Hälfte wenigstens; man muß die erste Bayern-Niederlage in Bochum seit knapp 20 Jahren eben auch mal positiv sehen (…) Tatsächlich ist bei allem rednerischen Talent, die auf dem Platz seit Monaten immer wieder offensichtlichen Schwächen des Meisters zu verschleiern, die Krise des deutschen Rekordmeisters ganz real. Der Mannschaft, obwohl in sie rund 25 Millionen Euro für Rau, Demichelis und Makaay investiert wurde, fehlt es an Substanz. Das von Hitzfeld im sechsten Jahr angeleitete Edelpersonal scheint nicht in der Lage, die vor allem von Beckenbauer laut geforderten und von Hoeneß still erhofften sportliche Reformen umsetzen zu können. Das unsachliche Lob des Managers nach längerem Schweigen kann als Indiz dafür gelten, daß Hoeneß die Schwäche längst erkannt hat, die Konsequenzen daraus ziehen wird und bis zu den Duellen gegen Real Madrid jede Kontroverse zu vermeiden sucht, weil schnelle Veränderungen ohnehin nicht zu erwarten stehen.“

Roland Zorn (FAZ 16.2.): „War da ein Hauch Sozialdemokratie der Abteilung Traditionsfundis vom nahen RuhrCongress ins Ruhrstadion geweht? Während Kanzler Gerhard Schröder und Franz Müntefering, sein designierter Nachfolger als Parteichef, die Genossen beim nordrhein-westfälischen Landesparteitag der SPD bei Laune und auf Kurs zu halten suchten, äußerte sich Uli Hoeneß nebenan wie so mancher nostalgische Sozi dieser Tage: gern das Gute beschwörend und noch lieber die böse Realität ausblendend. Nach der 0:1-Niederlage des FC Bayern München beim Tabellenfünften VfL Bochum machte sich der Schwabe in München seinen merkwürdigen Reim auf ein im Ergebnis deprimierendes Spiel seiner Mannschaft: The trend is your friend. Welcher Trend nach nur vier Punkten aus den ersten drei Rückrundenspielen? Vielleicht war es auch der zu Liebesbeweisen jeglicher Art beflügelnde Valentinstag, der Hoeneß so überaus rosig gestimmt in die grauen Wolken über dem Ruhrgebiet blicken ließ. Tatsächlich nämlich vergrößert sich allmählich der Abstand des zweitplazierten Titelverteidigers auf den die Bundesliga anführenden SV Werder Bremen. Hoeneß aber sah an diesem Samstag alles anders. Die schlappe erste Halbzeit der Münchner? Interessiert mich nicht. Die Tabelle? Interessiert mich auch nicht. Was interessierte ihn dann? In der zweiten Halbzeit, dozierte der Manager aus der Münchner Abteilung Trotz und Optimismus, war das unsere beste Saisonleistung. Ich bin zuversichtlich, das war die Wende. Zum Titelhelden? Glaubt man dem Visionär Hoeneß, dann wird sich Werder noch wundern – und die Fachwelt staunen. Es wird nicht der Meister, der schlecht spielt und punktet. Am Ende wirst du nur Meister, wenn du selbst gut spielst. Und ich habe deutliche Fortschritte gesehen.“

Philipp Selldorf (SZ 16.2.): „In den Ohren der Bayern-Fans müssen solche Deutungen alarmierend klingen. Sind sie nicht das Zeichen des Versuchs einer radikalen Schönwetter-Therapie für die von Angst und Schwermut verfolgten Fußballer? Hoeneß hat sich in den bald 25 Jahren seiner Managerlaufbahn angewöhnt, Lob und Kritik antizyklisch zu verteilen. Lob als mentale Stärkung nach Niederlagen (wenn sie nicht komplett blamabel sind), Kritik als Herausforderung an die Profis nach glanzlosen Siegen wie zuletzt gegen Hannover. Diese Sitte ließ ihn nun behaupten, er sei „viel zuversichtlicher als vor dem Spiel“. Allerdings wirkt die Strategie dieses Mal als Fortsetzung der Hilflosigkeit, die seine Bayern auf dem Platz erlebten, wo sie zu weiten Teilen nicht fähig waren, ihren Anspruch und ihre Favoritenrolle auszuspielen. Zwar hatten die Münchner in der Tat nach der Pause mehr Chancen als vorher. Das war aber eine Selbstverständlichkeit. Erstens hatten sie in der ersten Halbzeit, in der das Münchner Ensemble einen zusammenhanglosen, fahrigen Eindruck machte, nur eine einzige gefährliche Szene vor dem Bochumer Tor heraufbeschworen, zweitens zogen sich die Bochumer in ihre Deckung zurück, um die nach Kovacs schlimmen Abspielfehler früh erzielte Führung zu sichern und die Voraussetzung zum Kontern zu schaffen. Die Münchner Überlegenheit war also nur zum Teil der Effekt gesteigerter Anstrengungen und Aggressivität. Und jeder besseren Gelegenheit des Meisters hatte der VfL eine ebenso gute entgegenzusetzen.“

Frank Hellmann (FR 16.2.): „Als hätte es die Hohngesänge der eigenen Anhänger nie gegeben, hat Uli Hoeneß noch am Samstag seine neue Losung kund getan. The trend is your friend. So also der neue Leitsatz eines Vereins, der gerade wieder zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Worten und Taten, eine große Lücke lässt. Hoeneß zufolge ist der Verein auf dem richtigen Weg – so als gäbe es das Resultat von Bochum und Besorgnis erregende Entwicklungen im Gebilde gar nicht. Des Managers Wahrnehmung gehorcht ganz den Club-Interessen. Der verbale Selbstbetrug ist Teil der Taktik. Und doch verliert der Manager genau wie die Mannschaft immer häufiger den Überblick.“

Gerd Schneider (FAS 15.2.): „Klappern gehört schon lange nicht mehr zum Geschäft, statt dessen gehen die Konkurrenten ausgesprochen wohltemperiert miteinander um: Nur nicht auffallen, das ist die Maxime. Aber warum nur? Der Bochumer Trainer Peter Neururer hat vorgemacht, daß ein bißchen Ballyhoo nicht schaden kann. Erst recht, wenn die Bayern im Spiel sind. Was die anderen können, das können wir auch, hatte Neururer getönt, und es war wohl genau der richtige Augenblick, aus der Deckung zu gehen, ohne einen schweren Gegentreffer zu riskieren. Der Meister verbreitet keinen Schrecken mehr. Bayern in Not: Das ist die Botschaft dieses Spieltages. Die entfesselnde Wirkung, die sie sich beim Branchenführer vom Sieg gegen Hannover erhofft hatten, war eine Schimäre. Die Bayern sind von ihren eigenen Ansprüchen weit entfernt, und es mehren sich die Signale, daß die Rechnung Ottmar Hitzfelds nicht mehr aufgeht. Dem gelernten Mathematiklehrer fiel nach dem 0:1 nichts anderes ein, als vorzurechnen, daß Bremen auch mit neun Punkten Vorsprung vor dem Titelverteidiger noch lange nicht am Ziel sei.“

Christoph Biermann (SZ 16.2.): „Klar, dass alle überschnappten. Verständlich, dass sie beim VfL Bochum wie im Rausch waren. Und irgendwann fragte man sich, wie der FC Bayern gegen die Überspannten aus dem Revier eigentlich hätte gewinnen können. Gegen eine Mannschaft, die direkt aus dem Panoptikum zu kommen schien. Die mit einem Heavy-Metal-Keeper zwischen den Pfosten antrat und einen Torschützen aufbot, der sich nach seinem Siegtreffer das Jubeln untersagte. Deren „Spieler des Tages“ der Reservist Miroslav Stevic war, obwohl er nicht eine Minute auf dem Platz war und deren Taktik sich der Zeugwart ausgedacht hatte. Nach dem historischen Sieg über den deutschen Rekordmeister präsentierte sich der VfL als eine Art kickende Freakshow, und Dirigent des Irrsinns war wieder Peter Neururer. Offensichtlich wollte der Trainer alle bisherigen Pointen der Saison noch einmal übertrumpfen. Für den Anstoß zu einer unveränderten, also aktiven und offensiven Ausrichtung, bedankte er sich etwa bei Zeugwart Andreas Pahl. Der hätte schon in der Winterpause vorgeschlagen, sich taktisch nicht aufs Spiel der Bayern einzulassen. Auf diese Weise wäre es sowieso immer danebengegangen, deshalb könne man es doch mal anders versuchen. „In der zweiten Halbzeit haben die Spieler allerdings wieder meine Taktik umgesetzt und nur das Ergebnis verwaltet“, witzelte der Trainer, und das war ja fast noch schief gegangen. Zur Absicherung des Vorsprungs wollte Neururer zudem Miroslav Stevic einwechseln. Der jedoch hatte sich beim Warmmachen eine Zerrung zugezogen und signalisierte seinem Coach, dass es nicht gehe. „Das macht ihn für mich zum Spieler des Tages“, sagte Neururer, „denn sein Vertrag verlängert sich nur nach einer bestimmten Anzahl von Spielen, die er noch nicht erreicht hat.“ Während an der Seitenlinie also Mannschaftsgeist über Egoismus siegte, rettete auf dem Rasen wiederholt ein eigentlich verletzter Keeper, den Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld „van Dühnhofen“ nannte. Rein van Duijnhoven hatte seinen gebrochenen Mittelfinger zwischen zwei Eisenplatten fixiert. „Der Finger ist so betäubt, dass er auch amputiert werden könnte“, sagte Neururer. Der teilsedierte Torwart hüpfte nach dem Abpfiff so ausgelassen feiernd über das Feld, dass von der neuen Bochumer Jubelpolitik nichts mehr zu sehen war. Denn als Peter Madsen den einzigen Treffer des Spiels erzielte, war sein Jubel derart unterkühlt ausgefallen, als hätte er gerade einen Eckball herausgeholt. Doch nicht irgendein persönlicher Groll stand dahinter, sondern ein Anstoß aus der Mannschaftssitzung. „Wir wollen dahin kommen, einen Treffer gegen die Bayern als selbstverständlich anzusehen“, hatte Neururer dort gesagt. Das ist er zwar noch lange nicht, aber Madsen hatte es zumindest mal ausprobiert. Diese Spiralnebel bunten Geredes und all der Hokuspokus waren letztlich aber nur Verzierungen grundseriöser Arbeit.“

Hannover 96 – Bayer Leverkusen 2:2

Peter Heß (FAZ 16.2.): “Runter vom Feld, rauf auf die Couch: Die Quintessenz kann nur heißen, daß die Fußball-Lehrbücher neu geschrieben werden müssen. Nach dem 2:2 vor 21 000 Zuschauern erscheint es weitgehend sinnlos, Fähigkeiten wie Schußtechnik, Kopfballspiel und taktisches Verständnis mit hohem zeitlichen Aufwand weiter zu verfeinern. Weit wichtiger ist es, psychologisch die Voraussetzungen zu schaffen, daß die Bundesligaprofis ihre zuvor in der Ausbildung erworbenen Fertigkeiten auch umsetzen können. Spielen können sie im Prinzip alle, aber kaum jemand kann es in psychologisch schwierigen Situationen (…) Was sich in den Köpfen der Profis abgespielt hatte, war faszinierend zu beobachten gewesen. Das glückliche, unvermutete 1:2 durch Berbatow hatte sofort die Versagensängste der Hannoveraner geschürt. Die schwächste Abwehr der Liga, die durch den neu verpflichteten portugiesischen Nationalspieler Abel Xavier eine Stunde lang stabilisiert schien, erinnerte sich an die zahllosen Partien zuvor, in denen sie einen Vorsprung verspielt hatte. Im Gegenzug besannen sich die Leverkusener ihrer Fähigkeiten, die sie in der Hinrunde an die Tabellenspitze der Bundesliga geführt hatten. Das Spiel hat gezeigt, wie viel sich in den Köpfen von Spielern abspielt, sagte Rangnick. Ein einziges Tor hatte wie eine Gehirnwäsche gewirkt. Augenthalers Gedankengang bei seiner Analyse geriet ein wenig kurz: Ich hoffe, die Mannschaft hat jetzt kapiert, was Fußball ausmacht: Ohne kämpfen geht es nicht. Die verpaßten drei Punkte für den Sieg waren für den Leverkusener Trainer von zweitrangiger Bedeutung: Entscheidend ist, daß die Spieler gemerkt haben, wie weit man mit Leidenschaft kommen kann. Man darf allerdings annehmen, daß das seine Leverkusener schon vorher wußten. Wichtiger wäre die Erkenntnis, wie man Leidenschaft und Aggressivität in schwieriger Lage mobilisieren kann. Wichtiger wäre, Techniken der Frustbewältigung zu erlernen, sich in seinem Leistungsvermögen unabhängiger von Erfolgserlebnissen zu machen. Augenthalers Probleme sind Rangnicks Probleme, sind die Probleme fast aller Bundesligamannschaften. Die ewigen Diskussionen über Trainer, Spieler und Taktiken erscheinen wenig relevant. Ob Dreier- oder Viererkette, ob Konter- oder Strafraumstürmer, ob moderner Coach oder altmodischer: das alles scheint vergleichsweise geringe Auswirkungen auf die Erfolgsbilanz eines Teams zu haben. Glauben an die eigene Stärke, Unverzagtheit, Freude am Beruf, das sind die Tugenden, die in der Bundesliga Berge versetzen.“

Javier Cáceres (SZ 16.2.): „Abel Xavier ist kaum mehr als eine Woche für Hannover 96 tätig, doch die Diskursrealität rund ums Niedersachsenstadion hat er bereits nachhaltig verändert. Seit der Verteidiger mit der einerseits individuellen, andererseits stark an P-Funk-Gottvater George Clinton gemahnenden Frisur die 96-Abwehr stärkt, ist in manchen Presseerzeugnissen verstärkt von Haarnover die Rede. Auch die Aufbereitung von Bundesligapartien hat sich etwas verschoben – weniger Taktiktafel, mehr Taschenspiegel. Am Samstag stellte die Sportpresse Abel Xaviers Kollegen Clint Mathis nach. Der US-Amerikaner war nämlich nicht nur fußballerisch, sondern auch frisurtechnisch aufgefallen. In den Façonschnitt hatte er Wellen hineinrasiert, auch seine allmählich zu einem Vollbart auswachsenden Koteletten der Marke Walrosszähne wurden verändert: Die Backenpartien ähneln einem Union Jack aus Haaren. „Ich hatte einen Fight mit meinem Rasierer“, informierte Mathis. Und ließ eine überflüssige Auskunft folgen: „Ich habe verloren.““

VfB Stuttgart – Borussia Mönchengladbach 1:1

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 16.2.): „Dem Meisterschaftskandidaten der Vorrunde ist nun wohl doch dauerhaft der Elan vom Herbst abhanden gekommen. Der VfB fing zielstrebig an, überzeugte im Gegensatz zum Auftritt in Berlin auch kämpferisch, aber spielerisch wertete Magath das Gebotene als Katastrophe. Nach der Roten Karte für Zivkovic war es vorbei mit dem Fußball für höhere Ansprüche. Das einst für seinen Schwung gerühmte Ensemble wollte am Samstag nach der Pause nur noch bewahren statt erobern. Wir müssen sehen, daß wir wieder zu unserem Spiel finden, mahnt Magath. Wer die Mannschaft aus der Bahn geworfen hat, steht für ihn außer Zweifel: Schulterklopfer. Wenn einer toll ist, glaubt er vielleicht, es geht von selbst, hegt Magath einen Verdacht, den er in dieser Phase der Bundesliga stets auf neue bestätigt sieht. Dazu käme der Druck einer Erwartungshaltung im Schwabenländle, dem seine jungen Leute nicht gewachsen seien. Als Musterbeispiel führte er Philipp Lahm an. Statt eines Schubs nach der Nominierung durch Völler für die Nationalelf registrierte nicht nur Magath die Verkrampfung des Zwanzigjährigen im Bundesliga-Alltag. Während sich Magath so anhört, als seien aus den viel strapazierten Jungen Wilden Sorgenkinder geworden, zeigt sich Fach ausgesprochen angetan von seinen sechs Spielern, die 24 Jahre alt und jünger sind. Das macht Freude, da kann was wachsen. Der Borussen-Trainer stand noch unter dem Eindruck der aus Gladbacher Sicht überzeugenden zweiten Halbzeit. Die Leistung in der ersten Hälfte verdiente ein Armutszeugnis, wie es Abstiegskandidaten ausgestellt wird.“

Rainer Moritz (FTD 16.2.): „Stuttgarts Neuzugang Boris Zivkovic hätte gegen Mönchengladbach mühelos den Abpfiff auf dem Rasen erleben können, wenn er sich damit begnügt hätte, Schiedsrichter Keßler mit kroatischen Derbheiten zu bedenken. Stattdessen griff der Abwehrspieler zur unmissverständliche Zeichensprache und wurde für sein Den-Vogel-Zeigen natürlich in die Kabine geschickt. Auf Dauer ist der Gerechtigkeitssinn natürlich gestört, wenn Beleidigungen ungeahndet bleiben, nur weil sie in fremdem Idiom vorgetragen werden. Die Schiedsrichter werden folglich nicht umhin können, fremdsprachliche Kurse zu besuchen, um die Schmähungen der Micouds, Takaharas oder Xaviers zu verstehen. Hilfestellung könnte dabei der Mainzer Linguist Dieter Seelbach leisten, der an einem multilingualen Fußballlexikon arbeitet. Dank Seelbach wissen wir, dass der schöne Satz „Olizeh tunnelt Kuffour“ auf Italienisch „Olizeh a fatto un tunnel a Kuffour“ und auf Englisch „Olizeh nutmegged Kuffour“ heißt. Das ist hilfreich, und es bleibt zu hoffen, dass die Mainzer Uni bald auch ein Glossar der landesüblichen Schimpftiraden herausbringt und Schiedsrichter dadurch verbale Unbeherrschtheiten besser bestrafen können, so wie früher. Nicht alle machen es einem so leicht wie Zivkovic.“

1. FC Köln – Schalke 04 0:2

Richard Leipold (FAZ 16.2.): “Michael Delura hat eine harte Woche hinter sich. Neben Schule und Sport mußte der achtzehn Jahre alte Stürmer des FC Schalke 04 eine dritte Aufgabe bewältigen. Sein Fußball-Lehrer Jupp Heynckes hatte ihm eine Strafarbeit auferlegt, die für Schüler in diesem Alter heutzutage ungewöhnlich scheint. Weil Delura auf dem Weg zu einem Fanklubtreffen das Flugzeug verpaßt hatte, mußte er seinen Kollegen eine Woche lang die Schuhe putzen. Der Trainer sah sich als Pädagoge bestätigt. Die Strafe ist ihm nicht schlecht bekommen. Nach gut einer Stunde eingewechselt, erzielte Delura in der 81. Minute den Treffer, der den Kölner Sturm und Drang endgültig zum Scheitern verurteilt und Schalkes vierten Auswärtssieg in Serie abgesichert hat. Vom Stiefelputzer zum Torschützen, das klingt so ähnlich wie: vom Tellerwäscher zum Millionär – und paßt gerade nach Schalke, wo Mythos, Märchen, Maloche und Millionen auf eigentümliche Weise zusammengehören. Heynckes sah das zweite Tor nicht nur deshalb mit Wohlgefallen, weil es die Illusion der Kölner zerstörte, ihr Sturmlauf in der zweiten Halbzeit könnte mit dem Ausgleich belohnt werden; der Trainer darf sich auch zugute halten, daß er parallel zur Schalker Transferoffensive heimische Talente fördert – indem er sie am Wochenende als Bundesligaspieler adelt, im Alltag aber zur Demut erzieht. Der säumige Delura sollte zunächst fünfhundert Euro in die Mannschaftskasse zahlen, berichtet Heynckes. Doch was hätte so eine Geldbuße für einen Charme gehabt? Nicht einmal ein Achtzehnjähriger hätte sich darüber sonderlich gegrämt, vor allem hätte er die Strafe (und den Anlaß dafür) rasch vergessen. Die Idee, den jungen Mann zum Stiefelputzer zu machen, war viel besser, sagt Heynckes. Sich als junger Spieler auf diese Art in den Dienst der Mannschaft zu stellen sei in England nichts Ungewöhnliches.“

Milan Pavlovic (SZ 16.2.): “Hohn ist gewöhnlich Ausdruck arroganter Überlegenheit. Oder letzte Zuflucht enttäuschter Liebender. In Köln, wo der zweite Umstand schneller erreicht wird als an den meisten anderen Orten, war an diesem Wochenende eine neue Definition zu bestaunen: Hohn als Ergebnis von Ahnungslosigkeit. Es war die 51. Minute des Weg weisenden Ligaspiels zwischen dem 1. FC Köln und Schalke 04, als den Gastgebern erstmals eine flüssige Kombination gelang. Ausgehend von Oliver Schröder lief der Ball von der rechten Seite ohne Schnörkel über Podolski, Lottner und Woronin zum linken Strafraumeck, wo Alexander Voigt völlig frei an den Ball kam. Der Verteidiger schaute noch einmal nach innen, wo etliche Kölner auf das Zuspiel warteten. Dann trat er gegen den Ball – fast wäre er übers Fangnetz hinter dem Tor geflogen. Ein Schrei des Entsetzens ging durch das Stadion, selbst die Schalker Fans schienen für einen Moment eher schockiert denn schadenfroh zu sein. Für die richtige Demütigung war ein anderer zuständig – derjenige, der zu verantworten hatte, dass nach dem anfängerhaften Flankenversuch folgende Service-Meldung auf der Videoleinwand erschien: Schussgeschwindigkeit 75 km/h. Gemeiner hätte kein Sadist die Bemühungen der Kölner auf den Punkt bringen können. Und trostloser hätte die Stimmung in einer ausverkauften Arena kaum sein können: In nur 180 Spielminuten haben die Profis des 1. FC Köln die Fußball-Begeisterung einer Stadt zum Erliegen gebracht (…) Nur einem Fachmann hatte die Partie richtig Spaß gemacht. „Ich bin ein anspruchsvoller Trainer, aber was wir in der ersten Hälfte gezeigt haben, hat mich zufrieden gestellt“, sagte Schalkes Jupp Heynckes: „Wir haben dominiert, den Rhythmus diktiert und nur kurz den Taktstock aus der Hand gegeben.“ Wenn man dem Trainer zuhörte, konnte man glauben, gerade einer großartigen Opernaufführung beigewohnt oder Juventus Turin in Hochform erlebt zu haben. Die manisch um Kontrolle bemühten Gäste sind auswärts erfolgreich wie nie: Das 2:0 in Köln war der vierte Auswärtssieg in Serie – durch die Kunst, die gegnerische Initiative zu lähmen, nimmt Schalke immer wieder die Fans der Heimmannschaften aus der Gleichung. Schalke 2004, das ist Fußball ohne überbordende Emotionen oder Inspiration, aber mit viel Hirn. Beim 1. FC Köln wäre man froh, über einen Bruchteil davon verfügen zu können.“

SC Freiburg – Hertha BSC Berlin 2:3

Nadeschda Scharfenberg (SZ 16.2.): „Hans Meyer hat sich ruhig etwas gönnen können nach diesem Spiel, seine Hertha hatte ja das geschafft, worauf sie schon die ganze Saison gewartet hatten in Berlin: einen zweiten Sieg in Serie. Die Fragen dazu hatte der Berliner Trainer hinreichend beantwortet, jetzt war Kollege Volker Finke an der Reihe, er grummelte vor sich hin – da griff Meyer zum Joghurt. Fruchtjoghurt. Fummelte den Deckel vom Becher, stieß den Löffel hinein und schob ihn rasch in den Mund. Genüsslich ließ er die Creme von Backe zu Backe wandern, den Blick an die Decke geheftet. In diesem Moment muss sich Hans Meyer ganz leicht gefühlt haben. Leicht wie ein Löffel Joghurt. Es gibt wieder eine Perspektive für Hertha BSC Berlin im Kampf gegen den Abstieg. Und so gab jeder Berliner denselben Satz von sich an diesem freundlichen Samstagnachmittag im Dreisamstadion, Trainer, Manager, Spieler, gefragt und ungefragt: „Dass wir nachgelegt haben, war wichtig.“ Manager Dieter Hoeneß wedelte dabei so heftig mit den Armen, dass ihm beinahe die Apfelsaftschorle aus dem Glas geschwappt wäre (…) Das Spiel in Freiburg ist erst das dritte des vormaligen Fußball-Rentners Meyer auf der Hertha-Bank gewesen – und schon feierte ihn der Berliner Anhang als Wunderheiler. Die Fans tanzten wild in ihrem blau-weißen Käfig, stimmten bald das Lied von der ewigen Erstliga-Zugehörigkeit an, und als der Trainer am Ende seines Arbeitstages die Stufen zum Mannschaftsbus erklomm, verabschiedeten sie ihn mit warmem Beifall. Dieter Hoeneß sah die Rückkehr zum Erfolg weniger pathetisch, er senkte die Brauen tief über die Augen, als er sagte: „Wunder musste Hans Meyer keine bewirken, er musste nur herausholen, was in der Mannschaft steckt.“ Der Trainer selbst knurrte: „Ich weiß, wie schnell man Denkmäler aufbaut – und wie schnell man sie wieder anpinkelt.“ Der Erfolg der Berliner hatte tatsächlich so gar nichts Phantastisches an sich, Meyers Team spielte solide, aber nicht überragend, doch Freiburg hätte an diesem Tag vielleicht auch gegen den FC Pipinsried Probleme bekommen (…) Meyers Schlusswort lautete: „Bei uns stimmt noch nicht alles.“ Zu viel Leichtigkeit tut auch nicht gut. Hans Meyer ließ den Joghurtbecher sinken, seine Augen schweiften durch den Raum – und blieben an einem Stapel Schinkenbrötchen hängen. „Darf man da eines nehmen?“, fragte er. „Klar“, antwortete der Bub neben dem Tablett. „Dankeschön, und hier ist ein Autogramm für dich.“ Dann biss Hans Meyer zu.“

Eintracht Frankfurt – Hansa Rostock 1:1

FAZ (16.2.): „Alle waren längst in bester Feierlaune, was fehlte, war nur noch das zweite Tor. Zehn Minuten vor Ende führte die Frankfurter Eintracht 1:0 gegen Hansa Rostock, hatte sich nach anfänglichen Schwierigkeiten zu einer guten Leistung aufgeschwungen, hatte alles im Griff, erspielte sich eine Chance nach der anderen – und stand im Abstiegskampf plötzlich doch nur mit einem einzigen Pünktchen und ziemlich verloren da, nachdem Magnus Arvidsson zum 1:1 getroffen hatte; es war der einzige Schuß, den die Rostocker in der zweiten Halbzeit in Richtung des Frankfurter Tores brachten. Da saßen sie nun, die Frankfurter, und wunderten sich angesichts ihres großen läuferischen und kämpferischen Aufwands über den kläglichen Ertrag (…) Nicht nur der schlampige Umgang mit großen Chancen läßt bei den Frankfurtern auf Konzentrationsschwächen schließen, die sich ein Abstiegskandidat auf Dauer nicht leisten kann. Wie schon gegen Bayern München und Bayer Leverkusen überboten sich die Frankfurter auch gegen Hansa in den ersten zwanzig Minuten mit Fehlpässen und Querschlägern und nervösen Zuckungen. Aber auch diesmal fanden sie ins Spiel und wurden nach der Pause immer stärker.“

Hamburger SV – VfL Wolfsburg 2:0

Jörg Marwedel (SZ 16.2.): „Immer wenn es brenzlig wird, setzt Peter Pander eine Art Sprechautomat in Gang. Als habe man ein paar 50-Cent-Stücke in einen Schlitz geworfen, fallen dann all diese Floskeln aus seinem Mund, die man braucht, um eine Lage nicht eskalieren zu lassen. Peter Pander kennt die Aufgaben eines Fußballmanagers in Krisenzeiten: „Das Umfeld beruhigen, Zweckoptimismus verbreiten.“ Und: zur Verfügung stehen für ein paar unverfängliche Statements, denn „dass nach drei Niederlagen in Folge Fragen nach dem Trainer kommen, ist normal“. Man könnte sagen, der VfL habe es weit gebracht, wenn schon auf dem neunten Tabellenplatz Alarm ausgerufen wird. Andererseits ist es wirklich beunruhigend, wie weit sich das zu Saisonbeginn für 14 Millionen Euro verstärkte Team von den gehobenen Ansprüchen des Hauptgesellschafters VW entfernt hat, weshalb auch in den Klubgremien die Fragen zur Rolle des Trainers Jürgen Röber zunehmen. Hatte Röber die Kritik an der Flut von Gegentoren (jetzt 39) stets mit dem Hinweis auf starke Offensivleistungen gekontert und stur am riskanten Hurra-Stil festgehalten, blieb es nun Kapitän Stefan Schnoor vorbehalten, auch den „offensiven Offenbarungseid“ (Sportinformationsdienst) zu beschreiben. „Wir haben“, sagte er nüchtern, „nach vorne nicht stattgefunden.““

Frank Heike (FAZ 16.2.): „Jürgen Röber redete und redete. Er redete so viel, wie er es auch schon vor einer Woche nach der Niederlage gegen Borussia Dortmund getan hatte. Nun aber prasselten die Fragen noch härter, noch drängender auf ihn ein. Denn der VfL Wolfsburg, Saisonziel UEFA-Cup, langfristiges Ziel Champions League, hatte gerade zum dritten Mal in dieser Rückrunde verloren; dieses Mal gab es ein 0:2 beim Hamburger SV. Es ehrt den Fußball-Lehrer, immer so ausführlich Rede und Antwort zu stehen, auch nach Niederlagen. Doch dieses Mal war es eine Niederlage, die nachdenklich stimmte: Die Wolfsburger, die in der Hinrunde zu Recht für ihren offensivfreudigen Erlebnisfußball gelobt worden sind, erspielten sich nicht eine einzige Torchance. Während Röbers Wortschwall auch einiges an Ratlosigkeit verriet, brachte der altgediente Wolfsburger Manager Peter Pander die Sache auf den Punkt: Über den UEFA-Cup müssen wir nicht mehr diskutieren, sondern aufpassen, daß wir nicht nach unten durchgereicht werden. Die Diskussionen um den VfL, die bisher vor allem relativ unbemerkt in den lokalen Medien stattfanden, werden nun überschwappen und auch überregional ihren Niederschlag finden. Denn, so lautet der common sense der Bundesliga, wer vor der Serie so einkauft wie der VfL, der muß mehr erreichen als einen Platz im Niemandsland der Tabelle. Fast genüßlich halten einige nun der Wolfsburger Führung vor, beim sommerlichen Einkaufsrausch in Argentinien die Offensive zwar deutlich gestärkt, die Defensive aber wohl komplett vergessen zu haben.“

Europas Fußball: Ergebnisse, Tabellen, TorschützenNZZ

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