Ballschrank
Privatfernsehen – nur mit ARD-Kulissen
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| Donnerstag, 25. März 2004
„Wie war sie, diese erste Sportschau der neuen Zeitrechnung?“, fragt sich Jörg Hahn (FAZ 4.8.). „Ein bißchen wie Privatfernsehen – nur mit ARD-Kulissen, ARD-Moderator, ARD-Kommentatoren. Spiel eins, Spiel zwei, Werbung kurz, Spiel drei, Werbung lang, Tagesschau kurz, Spiel vier, Spiel fünf, Werbung lang, Spiel sechs, das heißt die Partie des Tages, Schalke gegen Dortmund, dann noch mal Werbung kurz, schließlich Trainer-Interviews mit Jupp Heynckes und Matthias Sammer. Dazwischen, nicht zu vergessen, Small talk von Moderator Gerhard Delling mit Uli Hoeneß. Hätte Hoeneß das Flugzeug von München nach Köln verpaßt, wir wären auch nicht dümmer. Das erste Programm hat nicht mehr versprochen, als es halten konnte. Auch das Fernseharchiv aus der schwarzweißen Frühzeit der Sportschau wurde reichlich genutzt, und wir wissen deshalb jetzt, daß es Ernst Huberty inzwischen selber komisch findet, wie tief ausgeschnitten sein Pullover und wie schmal seine Krawatte einst waren; und daß er sie als Reporter beide geliebt hat, die Ruhrgebietsrivalen Schalke und Dortmund. Huberty wird diese Derbys oft, sehr oft erlebt haben; für Waldemar Hartmann, den Nebenmoderator auf Schalke (die ARD ermittelte in der Arena eine Betriebstemperatur von über fünfzig Grad), war es eine Premiere, wie für Heynckes in der Trainerrolle übrigens auch. Aber zunächst redete Hartmann über sich (…) Die Sportschau kann, allen großen Tönen zum Trotz, wie jede unter Zeitdruck hergestellte Sendung kein Hochglanzprodukt sein; sie war solides Handwerk, frei von technischen Pannen, aber nicht ohne Platitüden; Breisgau-Brasilianer, Kopfball-Ungeheuer, Aluminum-Allergie, im Tempo von Wanderdünen und so fort; es ist wahrscheinlich ungerecht, in den Kommentarkrümeln zu suchen. Aber die Struves und Faßbenders haben hohe Erwartungen geweckt, irgendwie sogar den Anspruch verkündet, Sat.1 und RTL und allen anderen zu zeigen, wie man es richtig macht. Man kann es so machen wie die ARD, muß man nun festhalten. Aber man könnte es auch sicher ganz anders machen.“
Lassen-Sie-sich-von-Matthias-Sammer-zusammenfalten
Wolfgang Hettfleisch (FR 4.8.). „So wenig wie Gastgeber Gerhard Delling hat lang keiner mehr aus Hoeneß herausgeholt, der eigentlich die Gabe besitzt, der deutschen Sportjournaille mit einem einzigen O-Ton das Wochenende zu retten. Doch entscheidend is ja aufm Platz. Und da, bei den Einspielern der Bundesliga-Partien vom ersten Spieltag, zeigen sich die Mannen der ARD meist auf Ballhöhe. Nüchtern, ja bieder sind die Spiele aufbereitet. Keine Zeitlupen-Orgien mehr wie bei der Infotainment-Kamarilla von Sat 1, möge sie in Frieden zuschauen. In der Sportschau feiert die Totale ihr Comeback – eine Einstellung, die Kameraleute bei den Privaten nur mehr dem Namen nach kennen. Spannender wird Fußball im Fernsehen durch den hartnäckigen Gebrauch des Tribünenblicks und den Verzicht auf die bei ran üblichen Kurz-Statements von Spielern nach Abpfiff nicht. Aber Puristen werden sagen, so gehöre sich das. Wer’s doch barocker mag, dem blieben – nebst drei Werbeblöcken inklusive der Erkenntnis, Oliver Kahn rieche nach billigem After Shave – die Interviews von Waldemar Hartmann aus der Schalke-Arena. Mit einem netten Beitrag zum Volkssport Lassen-Sie-sich-von-Matthias-Sammer-zusammenfalten und der Mutter aller Fragen an Jupp Heynckes: Wann soll’s denn richtig jucken auf Schalke? Damit zurück zu Gerhard Delling nach Köln.“
NZZ (4.8.). „In Bezug auf Bildführung und Interviewthemen wurde – so der erste Eindruck – ins Zentrum gerückt, was dorthin gehört. Nasenbohrende, auf die Tribüne verbannte Ersatzspieler oder gähnende Spielerfrauen wurden ebenso gemieden wie irrlichternde Reporter auf der Recherche nach der Herkunftsgeschichte eines Talismans. Die Reduktion auf das Wesentliche ist hier eine Wohltat.“
Emig verwechselte Kopfbälle mit Freistößen
Bernd Müllender (FTD 4.8.). „Die neue Sportschau! Neu war die Information, dass Waldemar Hartmann nach doppelter Selbstbekenntnis noch nie beim Revierderby gewesen war. Gibt’s in Bayern auch nicht! Schlimmste Neuigkeit war das Auftreten des bis dahin bei allem Werbetrommelwirbel wohlweislich verschwiegenen Dr. rer. „ja“ Jürgen Emig („Toi, toi, toi“) als Interviewer. Mit welchem erpressungsfähigen Geheimwissen schafft es dieser Mann („Toi, toi, toi“) immer wieder vor die Kamera? Kennt er („Toi, toi, toi“) Faßbenders Intimleben? Wer trotz Emigs freitäglicher Performance auch am Samstag einschaltete, geriet in eine nette Sendung. Mit ungeheurem Tempo, fast schon hektisch, aber es war „ja“ (Emig) auch viel los in den Stadien. Wir Zuschauer müssen uns umgewöhnen: Nicht mehr wenige Szenen ein halbes Dutzend mal, wie bei „ran“, sondern eine schnelle Folge von immer neuen Momenten. Den lange stillgelegten ARD-Fußballreportern merkte man an, dass sie elf Jahre Tatenarmut durch Kommentarstakkato zu kompensieren trachteten. Und es fehlt ihnen die genaue Erinnerung an die Anatomie des Kickerkörpers. Am Samstag wurde der Außenrist einmal zur Hacke und einmal zum Vollspann umorthopädiert. Emig verwechselte sogar Kopfbälle mit Freistößen.“
Christopher Keil (SZ 4.8.) kritisiert die ARD-Personalpolitik. „Ein Städtevergleich München, Frankfurt hat in der ARD unweigerlich zur Folge, dass Doktor Emig, Sportchef des Hessischen Rundfunks, und Waldemar Hartmann vom Bayerischen Rundfunk während der Übertragung mitmischen. Um so erstaunlicher ist es gewesen, dass der Waldifunk am Samstag für die erste Sportschau aus der Gelsenkirchener Arena im Einsatz war. Hartmann vermeldete schon Freitag vergnügt, dass es sich um sein erstes so genanntes Revierderby handele und wiederholte diesen Sachverhalt tags darauf. Eigentlich komisch, dass er ins Revier geschickt wurde? Hat der Westdeutsche Rundfunk nicht die mächtigste ARD-Sportredaktion und demzufolge auch ein paar kompetente Schalke/Dortmund-Kundige? Nächste Woche wird Michael Antwerpes, Sportchef des Südwest-Rundfunks, vom „Spiel des Tages“ grüßen. Vielleicht aus Stuttgart, was im Falle von Antwerpes ein Heimspiel wäre. Der VfB kickt gegen Hertha BSC, in der sportlichen Einschätzung beider Teams gibt es in sechs Tagen keine höherwertige Partie. Wobei Quote bekanntlich mit dem FC Bayern gemacht wird, der in Hannover antritt. Warum braucht die neue Sportschau zum Moderator im Studio einen Moderator beim „Spiel des Tages“. Der Anspruch, den die Findungskommission Sportschau unter Leitung von Ulrich Deppendorf (WDR-Programmdirektor), Heribert Fassbender (WDR-Sportchef) und Steffen Simon (Sportschau-Redaktionsleiter) hatte, war mehr Fußball. Und weniger Werbung, weniger Schau, weniger Wortgeklingel. Weniger Besetzungspolitik gibt es nicht. Andererseits ist das Versprechen trotzdem eingelöst worden. Die Sportschau ist dem ersten Eindruck nach sogar weniger ran-light, wie in Anlehnung an das Sat-1-Vorläufermodell prognostiziert wurde, sondern mehr Sportschau light. Sportschau steht als Qualitätsbegriff für sonore Abwicklung in Ton und Bild. Was früher bieder war, ist heute zum Gegenentwurf des schreihalsigen event-Fernsehens geworden.“
Es geht nicht mit rechten Dingen zu, daß Real Madrid jedes Jahr Verlust macht
Andreas Platthaus (FAZ 4.8.) rückt die Aussagen von Uli Hoeneß zurecht. “Bisweilen spricht gerade aus dem Munde der Prominenz das gesunde Volksempfinden. So etwa aus Uli Hoeneß, dem ersten Gast in der ersten neuen Sportschau, die dank der neuerworbenen Erstrechte an der Ersten Bundesliga zum erstrangigen Ereignis geworden ist – soviel Anfang jedenfalls war nie im deutschen Fernsehen wie am vergangenen Samstag nachmittag. Hoeneß also sprach, und man hörte seiner Stimme die Empörung nur zu deutlich an: Es geht nicht mit rechten Dingen zu, daß Real Madrid jedes Jahr Verlust macht. Dem ehrlichen Kaufmann, der der Manager des FC Bayern München nun einmal ist, will unbegreiflich bleiben, daß solch unsolides Geschäftsgebaren auch noch mit vermehrter Aufmerksamkeit belohnt wird. Dabei hätte Hoeneß sich nur kurz einmal um sich selbst drehen müssen, um ein wunderbares Beispiel für ein ähnliches Phänomen zu finden: die Sportschau selbst. Mittlerweile ist wohl klar, daß auch sie bestätigen wird, was schon die Privatsender RTL und Sat.1 leidvoll erfahren mußten: Fußball im Fernsehen ist ein Zuschußgeschäft. Als Frucht der kostspieligen Verbindung zwischen ARD und Deutscher Fußball-Liga zeichnet sich bislang für den Sender allein ein irrlichtirisierender Umriß ab: Als werde die Sportschau vom bösen Geist ihres Vertragspartners verfolgt, wird in der unteren rechten Ecke während der Spiele schemenhaft das Signet der DFL eingeblendet – jene Silhouette eines Fußballers, der gerade eine Aktion durchführt, die von jedem verantwortungsvollen Schiedsrichter als gestrecktes Bein abgepfiffen würde. Solche Einblendungen waren bislang für Dauerwerbesendungen reserviert, doch die wurden wenigstens vom Lieferanten der Bilder bezahlt.“
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