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Real Madrids fragwürdige Entschuldung – Mythos Ronaldo

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Real Madrids fragwürdige Entschuldung – Mythos Ronaldo

Geflecht von Sport, Politik und Wirtschaft

Peter Burghardt (SZ 21.1.) begutachtet skeptisch die Entschuldungspolitik Real Madrids: „Die fantastische Genesung galt als Ergebnis einer Operation, mit der Wunderheiler Perez im Wahlkampf geworben hatte: dem Verkauf der Sportstadt Ciudad Deportivo im Norden der spanischen Metropole an die Kommune. Der Ertrag lag bei mindestens 480 Millionen Euro, das genügte dem Vernehmen nach bisher für Entschuldung und Einkaufsbummel, dazu kam eine moderne Vermarktung. Seltsam allerdings fanden den Deal nicht nur die Feinde und Neider der weißen Gemeinde – er beschäftigt auch die Europäische Kommission. Im Zuge der Durchleuchtung von Sportklubs widmet sich EU-Kommissar Mario Monti der interessanten Frage, wie sich der fantastische Preis für die besagte Sportstadt rechtfertigt. Das riesige Grundstück war Real Madrid während des Regimes von Diktator Franco in den fünfziger Jahren von einem Adligen überlassen worden und ausschließlich für Leibesübungen vorgesehen. Vor der Übernahme hatten die Städteplaner das Areal auf einmal zum Baugrund für kommerzielle Investoren hochgestuft, worauf sich der Wert mehr als verdoppelte. Geplant sind dort vier Hochhäuser, außerdem gehört das Gebiet zur Madrider Olympiabewerbung für 2012, die zufällig mit der Verwandlung von Real Madrid zur Weltelf zusammenfällt. Kritiker vermuten ein politisches Manöver zugunsten eines Bewerbers, was nach den EU-Richtlinien unzulässig wäre. „Untypische Einkünfte“ durch ein „urbanistisches Abkommen“, schreibt der frühere EU-Abgeordnete Pere Esteve, ein Katalane, den Real Madrid und seine Freunde schon lange nerven. Der zuständige Wächter Mario Monti hat die Unterlagen angefordert, im schlimmsten Fall droht ein Verfahren. Doch vorläufig bleibt es bei Gerüchten. Eingeweihte aber wissen längst um dieses Geflecht von Sport, Politik und Wirtschaft, das als Metapher für das zeitgenössische Spanien und seine Machtstruktur taugt.“

Ingo Durstewitz (FR 20.1.) bewundert kopfschüttelnd Ronaldo: “Der junge Mann mit der berühmtesten Zahnlücke der Welt ist mit einer klaren Direktive nach Sevilla gekommen: Den Begriff Standfußball neu definieren und dabei verdammt gelangweilt aussehen. Das klappt prima. Ronaldo (ja, der große, einzigartige, gefürchtete, verehrte, der Ronaldo) steht. Er steht, wenn Real verteidigt, wenn Real sich mit spielerischer Eleganz befreit, wenn Real stürmt. Wenn er nicht steht, dann geht er, er spaziert, stolziert, schreitet, wie immer man es drehen will. Er schlendert ins Abseits, dann heraus, manchmal ist er nicht mal dazu schnell genug, aber wir wollen ja nicht pingelig sein. Ballkontakte nach zehn Minuten: null. Nach 30 Minuten: fünf. Nach 45 Minuten, sieben. In der Halbzeit schüttelt einer den Kopf und raunt: Der sieht aus wie Muhammad Ali nach seinem zweiten Comeback. Ali, der Große, sah übel aus damals. Die spanischen Zeitungen nennen den brasilianischen Wunderstürmer (pah) nur den Dicken, und das ist, man mag es kaum glauben, geschmeichelt. Das Schlimmste aber: Er hat keinen Bock. Die anderen aus dem Königshaus, dem Ensemble der Außergalaktischen, die anderen Mega-Hyper-Monster-Superstars lösen gemischte Gefühle aus: Einmal Strumpfkicker, Freibad-Maradonas, dann wieder Genies, Magier. Sie bemühen sich aber wenigstens: Luis Figo (über seinem Zenit, reibt sich gegen einen pfeilschnellen, giftigen Kerl mit Pferdeschwanz auf), Roberto Carlos (matt, nur am Maulen), Zinedine Zidane (vielleicht vom Mars, auf jeden Fall nicht von dieser Welt), David Beckham (mit Zöpfchen, halbrechts, aber: besser als gedacht, kämpft und räumt ab, der Beau), Raul (mit so einem Sturmpartner gestraft), Ronaldo, der Klops am Tag circa 20 000 Euro schwer, indes tut so, als ginge ihn das alles nichts an. Die Führung für Betis, Tabellen-Fünfzehnter, tangiert das regungslose Denkmal in Kickstiefeln nicht. Das Hirn schreit nach Gerechtigkeit für diese grenzenlose Arroganz, aber Betis schwächelt, versiebt das 2:0 mehrfach. 59. Minute: Zidane mit einem wunderhübschen, traumhaften Zuckerpass, vorne startet der Dicke, er explodiert, wie aus dem Nichts, er hängt seinen Verfolger locker ab, er schaut auf, ganz kurz nur, dann patsch, patsch, düpiert er den Keeper mit einem atemberaubenden Übersteiger, er ist vorbei und schiebt den Ball aus sauspitzem Winkel ins Netz. 1:1. Es ist die Szene, die im Gedächtnis haften bleiben wird. Um 20 nach 10 ist der Mythos auferstanden.“

Lieblingsverein der Bohème

Birgit Schönau (SZ 21.1.) rezensiert Mailänder Theater: „Am Dienstag trat Massimo Moratti mit sofortiger Wirkung zurück. Mit ihm verließen sein Sohn Angelo, sein Neffe Angelo und sein Freund Marco Tronchetti Provera, der Chef des Hauptsponsors Pirelli, den Verwaltungsrat. Vom Auszug der Familie Moratti vernahm Trainer Alberto Zaccheroni in einem Mailänder Theater. „Das ist jetzt aber kein Drama“, betonte der nächtens vor seinem Haus interviewte Ex-Präsident, und damit hat Massimo Moratti natürlich Recht. Sein zweiter Rücktritt nach 1999 wirkt eher wie ein neuer Akt der altbekannten Inter-Operette. Denn Inter bleibt im Besitz des schwerreichen Erdöl-Magnaten, der den Klub 1995 mit dem erklärten Ziel übernommen hatte, die Grande Inter seines Vaters Angelo zu neuem Leben zu erwecken. Es war, selten genug in Italien, ein Schritt ohne politisches und ökonomisches Kalkül, vielmehr Handeln aus purer Nostalgie, das Moratti junior zur letzten, hamletischen Figur des von Machtinteressen jeglicher Art korrumpierten calcio werden ließ. Dem übermächtigen Vater, dessen Vorname die Enkel-Generation in der Klubführung nach italienischer Familientradition führt, ein weiteres Denkmal zu setzen und gleichzeitig an der Spitze der Internazionale aus seinem Schatten zu treten. Das trieb Massimo Moratti um, aber nach neun Jahren Regentschaft hat der Patron sein Ziel noch immer nicht erreicht (…) Man hat ihn weinen sehen, nach der schweren Knieverletzung Ronaldos und versteinern, als sich Inter im Mai 2002 den sicher geglaubten Meistertitel aus den Händen reißen ließ. Ein Fluch schien auf der Internazionale zu liegen, dem neben Juventus einzigen, nie aus der Serie A abgestiegenen Klub, dessen graue Eminenz Giuseppe Prisco einst sagte, in seiner letzten Stunde wolle er noch schnell ein Fan des AC Mailand werden, „denn so stirbt einer von denen“. Prisco ist tot und Helenio Herrera, der 1997 verstorbene „Mago“ des Großvaters Angelo, hat noch immer kein Grab in seiner letzten Wahlheimat Venedig gefunden. Es sind diese düsteren, unheilschwangeren Geschichten, an denen die Inter-Fans sich berauschen. Die Internazionale, deren Name dem faschistischen Diktator Mussolini zu links klang, weswegen er sie in „Ambrosiana“ umbenennen ließ, ist der Lieblingsverein der Bohème, der Intellektuellen und der Mailänder „radical chic“-Bourgeoisie. Ein Klub der unerfüllten Sehnsüchte, das Fußball gewordene Hamlet-Syndrom. 600 Millionen Euro hat Massimo Moratti für seine Leidenschaft hingeblättert, 102 Fußballer gekauft und neun Trainer verschlissen. Er liebe den Fußball, aber er verstehe ihn nicht, finden Morattis Kritiker.“

Dazu teilt Peter Hartmann (NZZ 21.1.) mit: „„Wenn ihr Inter kauft, werde ich euch enterben”, drohte Erminia, die Witwe des Familienpatriarchen Angelo Moratti, ihren Söhnen halb im Scherz. Doch 27 Jahre nach dem Tod des Vaters, der in den sechziger Jahren mit dem „Magier» Helenio Herrera auf der Bank vier Meistertitel und zweimal den Meistercup gewonnen hatte, konnte Massimo Moratti der nostalgischen Versuchung nicht widerstehen. Sein erster Coach war Roy Hodgson, der ihm erklärte, weshalb Roberto Carlos, der beste Offensivverteidiger der Welt, nicht in sein Spielkonzept passte: der Beginn eines immer gleich gestrickten Melodramas mit ständigen Wechseln auf der Bank und einem hektischen Import-Export-Geschäft mit prominenten Spielern – bis hin zum Machtkampf zwischen dem argentinischen Beton-Trainer Hector Cuper und dem frustrierten Ronaldo, einer Neuauflage des Hodgson-Carlos-Konflikts. Moratti, hin und her gerissen von den Einflüsterern seines Hofstaates, entschied sich für die Vernunftlösung, also für Cuper. Ronaldo triumphierte mit der brasilianischen Weltmeistermannschaft und legte mit Real Madrid eine glänzende Saison hin. Dafür beharrte der Präsident weiterhin auf seinem Liebling Recoba, der in Mailand als völlig überschätzte Maradona-Attrappe wie die Made im Speck lebt.“

Peter Hartmann (NZZ 20.1.) kommentiert die Tabellenspitze der Serie A: „Von den reichen „sieben Schwestern“ des Calcio, die in den vergangenen neunziger Jahren ihre Überlegenheit mit Geld zementierten, haben nur drei noch Erfolg. Die AC Fiorentina ging schon vor zwei Jahren pleite. Der Parmalat-Klub Parma droht im Milliardenskandal seines Besitzers Calisto Tanzi unterzugehen. Lazio Rom verlängert die Agonie im Schuldenmeer von 415 Millionen Euro mit einer Kapitalerhöhung, der vierten innert 30 Monaten, falls denn die überlebensnotwendigen 120 Millionen Euro bis zum Fälligkeitstermin am 5.März überhaupt einbezahlt werden. Und „la pazza“ (die verrückte) Internazionale verbohrt sich, wie jedes Jahr, in einer hausgemachten Krise, die sich diesmal um den renitenten Stürmerstar Vieri rankt. Die AS Roma hat die Niederlage gegen den Rivalen Milan vom 6.Januar überwunden und Sampdoria Genua mit einer „Doppietta“ des unwiderstehlichen Regisseurs Francesco Totti besiegt. Ein vorweggenommenes Tor des Jahres, sein zweites innert sieben Minuten zum endgültigen 3:1, das elfte in dieser Saison, entsprang einem Alleingang des 27-jährigen Ballkünstlers, der vor zehn Jahren im gleichen Stadion gegen den gleichen Gegner in der Serie A debütiert hatte, über das halbe Feld des hingerissenen „Olimpico“. „Die gegnerische Mauer schien sich ihm zu öffnen wie das Rote Meer vor Moses (oder die Verteidigung der Engländer vor Maradona)“, delirierte die Gazzetta dello Sport. Als Dessert zu seinem Solo lieferte Totti noch seine Spezialität ab, den „Cucchiaio“, das Löffelchen, den beiläufigen Heber aus dem Fussgelenk. Und zur Abrundung der Vorstellung im Zirkus Roma parierte der Ersatztorhüter namens Zotti einen Elfmeter des Sampdoria-Stürmers Flachi, den er selber verursacht hatte. Der 21-jährige Carlo Zotti hatte seinen ersten Auftritt in der Meisterschaft; vor drei Jahren war er drauf und dran, seine Fussballkarriere aufzugeben und sich mit seiner Gitarre als Rockmusiker zu versuchen.“

Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich

Martin Pütter (NZZ 20.1.) beobachtet Alex Ferguson, Manager Manchester Uniteds: „Neben all seinem Ehrgeiz und seiner Fachkenntnis, die ihn zum bisher erfolgreichsten Manager in England gemacht haben, verfügt er über die Begabung, jede Woche mindestens eine grosse Schlagzeile zu liefern. Meistens ist ein Streit der Grund für die Headlines. Entweder sind es die Football Association, die Fifa, die Konkurrenz (vor allem in Person von Arsenals Manager Arsène Wenger) oder Spieler seiner Mannschaft, mit denen er nicht zufrieden ist (siehe David Beckham). Sein Motto scheint zu sein: Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich. Dabei geht er verbal ähnlich vor wie sein Captain Keane auf dem Spielfeld. Ferguson kann durchaus als Querulant unter den englischen Managern bezeichnet werden. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Als die FA Ende September letzten Jahres eine Disziplinaruntersuchung gegen Ryan Giggs und Christian Ronaldo wegen ihrer Beteiligung an den Rangeleien im Spiel gegen Arsenal einleitet, schäumt der Schotte vor Wut. Nachdem Martin Keown, Lauren und andere Spieler der „Gunners“ zwei Monate später deswegen gesperrt worden sind, behauptet Ferguson, dass die Londoner (deren Vizepräsident David Dean im FA-Vorstand sitzt) und der Verband einen Deal geschlossen hätten – ihm waren die Sperren zu niedrig. Den neuen FA-Chief-Executive Mark Palios beschuldigt er, an seinem Verteidiger Rio Ferdinand wegen eines verpassten Dopingtests ein Exempel statuieren zu wollen. Und Ende Dezember droht er, notfalls vor einem Zivilgericht gegen Ferdinands Sperre vorgehen zu wollen – und widerspricht damit gleichzeitig dem Fifa-Präsidenten Sepp Blatter. Spanischen Spielern wirft er öffentlich vor, dreckige Tricks anzuwenden, und die Uefa hatte er auch schon einmal beschuldigt, die Auslosung zur Champions League zuungunsten von Manchester United manipuliert zu haben. Wenn es um Kontroversen und Schlagzeilen in der Presse geht, ist Alex Ferguson eine Klasse für sich.“

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