Bundesliga
Unverzichtbarer Cardoso, die Arena AufSchalke: ein wirtschaftliches Risiko
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| Donnerstag, 25. März 2004Über den neu entfachten Machtkampf in Kaiserslautern berichtet Christian Zaschke (SZ 26.11.). „Zur Zeit kämpft der neue Präsident René C. Jäggi gegen den Aufsichtsrat des Vereins. Jäggi hat diesem jetzt erst einmal „Stillosigkeit“ und einen Satzungsverstoß vorgeworfen. Der Aufsichtsrat hatte seinerseits offenbar beschlossen, an Jäggi vorbei Karl-Heinz Feldkamp als Sportdirektor zu installieren. Diese Idee gilt in Fußballerkreisen als ungefähr so gut wie seinerzeit die Berufung Erich Ribbecks zum deutschen Nationaltrainer. Feldkamp lebt – wie damals Ribbeck – in Spanien und genießt dort sein Leben. Geht es nach René C. Jäggi, wird Feldkamp das auch weiterhin tun. Und es spricht einiges dafür, dass es beim 1.FC Kaiserslautern weiterhin so geht, wie Jäggi das will. Der Vorstandsvorsitzende hat mit Rücktritt gedroht, falls der Aufsichtsrat seine Pläne verwirklicht. Das ist eine massive Drohung. Ohne den Vorstandsvorsitzenden, so viel gilt als sicher, hätte der finanziell angeschlagene FCK Probleme bei den Banken. Jäggi gilt als Sanierer (…) Jäggis Macht beruht darauf, dass er von einer breiten Koalition gestützt wird. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck hat sich für den 53-Jährigen stark gemacht. Beck unterstützt mit 25 Millionen Euro Steuergeldern den Umbau des Fritz-Walter-Stadions, das Land und die Stadt haben Bürgschaften für den Verein übernommen. 2004 ist Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, die Opposition wittert bereits ein Wahlkampfthema. Selten wohl hatte ein Politiker ein so elementares Interesse am Erfolg eines Fußballklubs.“
Roland Zorn (FAZ 26.11.) schreibt. „Hans-Peter Briegel druckste am Telefon herum, als wollte er gar nichts sagen. Der frischgewählte stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende beim vermeintlich eben erst dem blanken Chaos entronnenen 1. FC Kaiserslautern rückte dann aber doch mit seiner Meinung heraus. „Ich wäre sicher dafür, daß Kalli Feldkamp zurückkommt“, sagte der ehemalige Fußball-Nationalspieler zum Thema des Tages beim schulden- und sorgenbeladenen Tabellenletzten der Bundesliga. Der ehemalige Meistertrainer und Chefmotivator der Pfälzer Fußballprofis soll nach Ansicht Briegels baldmöglichst „mithelfen, das sinkende Schiff zu retten, denn soviel ist klar: Ein Abstieg in die zweite Liga wäre für den Verein in jeder Hinsicht eine Katastrophe.“ (…) Briegel kündigte „für die nächsten ein, zwei Tage eine abgestimmte Antwort des Aufsichtsrats auf die Aussagen von Jäggi“ an, „denn wir sind am Sonntag angegriffen worden“. In der Lage, in der sich der Klub befinde, gehe es „nicht um den Trainer, den Herrn Briegel und den Herrn Jäggi, sondern nur um den Verein“. Jäggi, der sich sein weiteres Engagement in der Pfalz gewiß überlegen wird, habe die „von ihm erzeugten Turbulenzen jedenfalls in Kauf genommen“. Das Pfalztheater geht weiter, die nächste Vorstellung kommt bestimmt – bis der Vorhang ganz fällt.“
1860 München – 1. FC Nürnberg 2:2
Elisabeth Schlammerl (FAZ 26.11.). „Michael Weiner, dem Unparteiischen vom Sonntag, muß das Olympiastadion allmählich vorkommen wie ein verwünschter Ort. Vor zwei Wochen hat er an gleicher Stelle das Spiel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund geleitet und dafür reichlich verbale Hiebe verpaßt bekommen. Der 33 Jahre alte Polizeibeamte aus Hildesheim hat bei seiner Rückkehr nach München nicht sehr viel falsch gemacht, jedenfalls nicht mehr als andere Schiedsrichter jede Woche auf anderen Plätzen, aber dennoch unglücklich agiert. Der Stein des Anstoßes war die Wiederholung eines Foulelfmeters in der 21. Minute. Sasa Ciric hatte im ersten Versuch getroffen, mußte aber noch einmal antreten, weil Weiner neben vielen Münchnern auch einen Nürnberger zu früh in den Strafraum stürmen sah. Hätte Ciric auch das zweite Mal getroffen und nicht am Tor vorbeigeschossen, hätte sich niemand über diese zwar regelkonforme, aber etwas kleinliche Entscheidung aufgeregt. Augenthaler hatte auch drei Gegenspieler im Strafraum gesehen, allerdings noch nie, „daß ein Schiedsrichter deshalb wiederholen läßt“. Die Nürnberger fühlten sich benachteiligt, denn zu diesem Zeitpunkt hatten sie schon 1:0 geführt und mit einem frühen zweiten Tor wäre die Partie vielleicht schon entschieden gewesen. So aber wurden die „Löwen“ stärker, ohne zu überzeugen. Die bessere Mannschaft, die stürmischere, spielfreudige war der 1. FC Nürnberg, aber die Offensivkräfte Cacau, Müller, Jarolim und Ciric vergaben ein halbes Dutzend Chancen. Die beiden Nürnberger Tore erzielte ein Verteidiger, einer ohne viel Profierfahrung dazu. Der 22 Jahre alte Thomas Stehle stahl in seinem 18. Bundesligaspiel den Etablierten im Team die Show.“
Volker Kreisl (SZ 26.11.) ist angetan vom Nürnberger Spiel. „Zu sehen war in München insbesondere ein Mittelfeld, das die Vorgaben für die Zukunft erfüllt: Die Defensiveren entlasteten die Abwehr und schnürten die Räume der Sechziger zu, die Offensiveren übernahmen die Bälle für kreative Darbietungen. David Jarolim tat sich rechts mit Rade Todorovic und links mit Lars Müller zusammen, gemeinsam spielten sie Doppel- oder Dreieckspässe und erwiesen sich geistig und körperlich schneller als 1860. Der 1. FC Nürnberg spielte elegant – bis zum Fünfmeterraum, der Zone der Dämonen. In fremden Stadien gab es eine derartige Nürnberger Überlegenheit bislang nicht zu sehen, neu war auch, dass dem Gegner zwar der Ausgleich, nicht aber der Sieg gewährt wurde. Der Club spielt immer besser, aber er wird noch lange gegen den Abstieg kämpfen.“
Bundesliga
Zu den Spekulationen um eine Rückkehr Fredi Bobics nach Stuttgart heißt es bei Marko Schumacher (NZZ 26.11.). „Nur bis zum Saisonende läuft Bobics Vertrag in Hannover, und Gespräche über eine Verlängerung will er erst dann führen, wenn der Klassenerhalt gesichert ist. Schon jetzt aber mehren sich die Anzeichen, der 31-Jährige könnte im Herbst seiner Karriere zurück nach Stuttgart wechseln. Aus seiner Liebe zum VfB hat Bobic nie ein Hehl gemacht. Wohl auch deshalb wurde ihm bei seinem Gastspiel am Samstag ein begeisterter Empfang bereitet. Die ganze Partie über wurde der einstige Publikumsliebling in Sprechchören gefeiert, und es schien, als wolle ihn der schwäbische Anhang zu einer Rückkehr an den Neckar geradezu drängen. Noch verweist der Sportdirektor Rüssmann auf leere Kassen – aber auch er wird sich überlegen, ob der jungen VfB-Mannschaft, die überraschend auf Platz drei liegt und derzeit der ganzen Republik als Vorbild in Sachen Nachwuchsarbeit dient, ein Leader vom Schlage Fredi Bobics nicht gut tun könnte.“
Michael Ashelm (FAZ 23.11.) analysiert die Position des VfB-Trainers. „Magath genießt mittlerweile in dieser Stadt eine hohe Popularität, seine Position beim Traditionsklub ist stärker als je zuvor. Die von ihm betreute Mannschaft gehört zu den positivsten Überraschungen der Saison, und vielleicht ist gerade der enge Zusammenhalt der „VfB-Familie“ das Geheimnis des Erfolgs dieser Tage bei der hochverschuldeten Fußball-Unternehmung (…) So einen starken Typen könnten sie hier in Stuttgart gebrauchen. Allein Bobic bringt an diesem Samstag 10.000 oder 15.000 Zuschauer mehr ins Gottlieb-Daimler-Stadion, heißt es. Da kann Magath derzeit mit seinen Mannen noch so tolle Arbeit abliefern und dem kränkelnden Betrieb wenigstens sportliche Erfolge bescheren, seiner Mannschaft fehlt ein unverwechselbares Profil, sagen Werbefachleute. Das Label der „Jungen Wilden“ reicht derzeit nicht aus, mehr Menschen anzuziehen und zu begeistern. Auch die schöne Serie im Uefa-Pokal bringt da keine Verbesserung. Mit einer erstarkten Ikone wie Bobic sähe das natürlich anders aus. So schließt VfB-Manager Rolf Rüssmann nicht aus, nochmals einen Anlauf zu unternehmen, den 31 Jahre alten Stürmer im nächsten Jahr aus Niedersachsen wegzulotsen. „Alles ist möglich“, sagt Rüssmann. Vor dieser Saison hätten die Stuttgarter vergeblich angestrebt, Bobic aus Dortmund zu verpflichten. Doch ihnen fehlte das Geld, „sonst wäre Fredi hier gewesen“, bestätigt Rüssmann.“
Uwe Marx (FAZ 23.11.). „Gerets gilt zwar als guter, engagierter Trainer, aber auch er kann nur auf das zurückgreifen, was er bei seinem Dienstbeginn Anfang September vorgefunden hat – und das ist wenig. Also hat er variantenreich versucht, die Wende zu erzwingen: mal mit erfahrenen Spielern, mal mit jungen, mal mit Thomas Hengen als Abwehrchef, mal mit Ciriaco Sforza, mal mit Koch im Tor, zuletzt, beim 3:5 in Bremen, mit dem jungen Tim Wiese. Geändert hat das alles nichts. Zu viele Spieler sind außer Form, und zu viele passen nicht zusammen. Von einigen will sich der Verein schon im Winter trennen; das hat der neue Vorstandsvorsitzende René C. Jäggi bereits angekündigt. In einer nicht funktionierenden Mannschaft ist Sforza so etwas wie der Getriebeschaden in Person. Seit seiner Rückkehr Mitte August hat der Schweizer, der mit viel Geschick einen Anschlußvertrag als Sportmanager in Kaiserslautern aushandelte, noch kein gutes Spiel absolviert. Sforza, eine Hinterlassenschaft der alten Vereinsführung, wird gegen die Bayern, seinen früheren Verein, nicht spielen. Er sitzt eine Gelb-Rot-Sperre ab. Sein Platzverweis sei verantwortlich für die Niederlage zu zehnt in Bremen gewesen, sagte Gerets. Sforzas Beliebtheit innerhalb des Kaders hat das nicht gefördert.“
„Die Traditionsklubs 1860 München und 1. FC Nürnberg leiden: der eine am großen Nachbarn, der andere an der Glorie von einst“ erzählz Volker Kreisl (SZ 23.11.). „1860 und der Club verbindet mehr als der Streifen 30 Kilometer nördlich und südlich der Donau, in dem sie um junge Fans buhlen. Beide waren in den sechziger Jahren Deutscher Meister und haben daraus eine Verpflichtung. Beide sind danach sportlich bedeutungslos oder heruntergewirtschaftet worden. Beide wurden gerettet von geltungsfreudigen Präsidenten. In der Zwischenzeit mussten ihre Anhänger mit ansehen, wie andere abgestürzte Traditionsklubs in eigene große Arenen oder in die Champions League einzogen. Selber verharren beide im Mittelmaß, der Club im unteren, 1860 im gehobenen. 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser sagt, es sei undenkbar, neben dem FC Bayern ein großer Verein zu werden. Der Rekordmeister trainiert nur drei Häuserzeilen östlich und daraus wird gerne ein dunkler Schatten gemacht, der über dem Sechziger-Gelände liege (…)Der 1. FC Nürnberg hatte keinen Rekordmeister in der Nähe, der seine Entwicklung blockiert. Nürnbergs Rekordmeister-Dämon liegt in der Vergangenheit, bis 1987 hatte der Club ja die meisten Titel in Deutschland und viele Zuschauer hängen den Erfolgen der zwanziger Jahre nach. Die Nürnberger Spieler der Vergangenheit werden verklärt. Deshalb muss die Mannschaft, die heute von Klaus Augenthaler trainiert wird, hohe Hürden nehmen. Mal werden sie von den Fans auf den Händen getragen, mal nach der Rückkehr vom Auswärtsspiel mit Eiern beworfen.“
Jörg Marwedel (SZ 23.11.). „Zum beliebten Zeitvertreib der Statistiker ist es geworden, auch Fußballspiele in Strichlisten zu verwandeln. Emsige Zähler ermitteln etwa, wie viele Pässe der Spieler X gespielt und an den eigenen Mann gebracht hat. Das sagt, wie alle Zahlenwerke, alles und nichts. Dem Statistiker ist nämlich egal, ob ein paar dieser Pässe den Gegner in arge Not gebracht haben, oder ob es sich um risikolose Routinearbeit handelte. Jetzt gibt es, dem Fachmagazin kicker sei Dank, eine Statistik mit verblüffender Aussagekraft. Sie erzählt uns fast alles über die Mannschaft des Hamburger SV und den Spieler Rodolfo Esteban Cardoso, 34. Nämlich: In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat der HSV in 68 Spielen ohne Cardoso 72 Punkte geholt, was mageren 1,05 Punkten pro Spiel entspricht; die 19 Spiele, in denen Cardoso mitwirkte, erbrachten dagegen 35 Punkte, also 1,78 pro Begegnung. Hochgerechnet bedeutet dies: Hätten die Hamburger sämtliche Spiele ohne Cardoso bestritten, wären sie dreimal in den vergangenen vier Jahren abgestiegen. Die Quote mit Cardoso wiederum hätte immer für einen Uefa-Cup- Platz gereicht. Einmal, als er praktisch die komplette Saison 1999/2000 durchspielte, qualifizierte sich der HSV sogar für die Champions League. Selten ist die Abhängigkeit einer Mannschaft oder gar eines ganzen Klubs von einem einzigen Spieler so eindrucksvoll belegt worden. Selten aber hat ein Klub auch so fahrlässig auf einen Profi gebaut, der eigentlich schon Invalide wäre, hätte er nicht immer weiter gekämpft.“
„Wenn der Kredit der Fans verlorenginge, würde es kritisch“, schreibt Christian Eichler (FAS 24.11.) über die Wirtschaftlichkeit der Arena AufSchalke. „Es ist das modernste Stadion Europas, eine Arena fürs 21. Jahrhundert, eine Zeit, in der ein Fußballklub wie andere Unternehmen gar nicht genug wissen kann über seine Kunden. Wer dabei ein bißchen an Orwell denkt, ist in der falschen Arena. Für Orwell war Fußball „ein Krieg ohne Schießen“. Genau das ist er im Fußball der Zukunft, dem sie in Schalke ein Zuhause geben, schon lange nicht mehr. Ein friedlicher Ort, hell und zaunlos (…) Spieler und Schiedsrichter haben sich immer noch nicht gewöhnt an die atmosphärischen Bedingungen im großen Druckkochtopf des Fußballs. Der Überdruck von 1,6 Milliarden Kubikmetern Luft entlädt sich durch bauliche Ventile wie den Schlitz im Schiebedach. Doch für die Akteure da unten ist die Arena dichter, drückender, drängender als andere. Die Schalker mußten lernen, nicht überzukochen. Noch heute passiert das manchmal, wie gegen Leverkusen vor zwei Wochen, als das reizbare Verhalten mancher Spieler an Tropenkoller erinnerte. Noch schwerer haben es die Schiedsrichter. Trainer Neubarth wirft ihnen gar vor, eher gegen Schalke zu entscheiden, um ja nicht dem Druck der Arena nachzugeben (…) Im Parkstadion (Vorgänger der Arena, of) hing der Besuch vom Wetter ab, der Durchschnitt lag bei 38.000. In die Arena kommen fast immer 60.600. Zum alten Fan-Publikum hat sie das neue Fun-Publikum geholt. Das sind die Konsumenten mit Gespür fürs Kultige, mit Spaß am Spektakel (…) Fußball funktioniert; das teure Wörtchen heißt „multifunktional“. Die Entcheidung, die Arena nicht nur für Fußball auszurichten, war kostspielig und bleibt es. Die Zahlen zeigen: Die Kernkompetenz subventioniert die Löcher im Nebengeschäft (…) Weil Fußball eine Religion ist, muß auch der blau-weiß umrahmte gläserne Palast, der sich im industriellen Brachland zwischen Schalke und Buer als einträglicher Tempel des Schalker Glaubens erhebt, die kleinen, peinlichen Sentimentalitäten pflegen. Kinder werden in der Arena-Kapelle getauft. Ehen werden in der Arena-Außenstelle des Standesamtes Gelsenkirchen geschlossen. Dabei weiß jeder echte Fan, daß der dauerhafte Bund des Lebens der mit Schalke ist.“
Thomas Klemm (FAS 24.11.) kommentiert die Schiedsrichterdebatte. „Bei manchen Kommentatoren hat es den Anschein, als ob sie vor lauter Nabelschau blind für ihre Umwelt geworden sind. Immer wieder heißt es, gerade in der Bundesliga ließen Spieler und Trainer jeglichen Respekt vor den Unparteiischen vermissen, seufzend ergänzt um die Behauptung: Italien, Spanien, England – ihr habt es besser! Oder gar: Ihr seid besser! Doch der angebliche „deutsche Weg“ entspringt auch einer Portion Verklärung. Verdrängt oder vergessen scheint das jüngste Treffen der Fußballkulturen in Asien, als die Schiedsrichter und ihre Assistenten auch – und zu Recht – in der Kritik standen. Gerade die hierzulande als diszipliniert im Umgang mit den Unparteiischen gelobten Südeuropäer hielten ihr Temperament nicht im Zaume, attackierten die Schiedsrichter nicht nur verbal: Die folgenreich benachteiligten Italiener warfen Schiedsrichter Moreno nach dem Aus gegen Südkorea „Komplott“ und „Korruption“ vor, die ebenfalls dem Mit-Gastgeber unterlegenen Spanier wetterten nicht minder gegen die Unparteiischen, versuchten, handgreiflich zu werden. Der Portugiese Joao Pinto wurde sogar nach einer Tätlichkeit gegen Schiedsrichter Sanchez von der Fifa gesperrt. Vorkämpfer für Fairplay und Vorbilder für gegenseitigen Respekt sehen anders aus.“
Jürgen Ahäuser (FR 23.11.) wirft dazu ein. „Mit ihm an der Seitenlinie geht ein Ruck durch Deutschland einig Fußball-Land. Kein Meckern, kein Grimassen schneiden, keine Beleidigungen mehr. Nur noch die armen Dienstmägde Jesu Christi werden respektvoller miteinander umgehen als die Kickerzunft in diesem unserem Lande. So jedenfalls haben es sich die Funktionäre gedacht, die mit beachtlicher Geschwindigkeit auf die außer Kontrolle geratene Balltreter-Szene reagierten und den vierten Schiri aus dem Hut zauberten. Viel mehr als eine Beruhigung an der Außenlinie, was dringend notwendig ist, und ein paar fromme Wünsche werden aber nicht übrig bleiben. Valium für das Fußballvolk. So lange in den Kicker-Köpfen steckt, dass Schiedsrichter blind und irgendwie minderbemittelt sind, so lange Fehlentscheidungen der Unparteiischen als Frevel am Fußball angeprangert werden, so lange wird die Respektlosigkeit bleiben. Schiedsrichter, die falsch entscheiden, sind (und bleiben wahrscheinlich) die Idioten. Fußballer, die das leere Tor nicht treffen, sind einfach nur Menschen.“
Christian Eichler (FAZ 23.11.). „Gesucht wird: die Zukunft der deutschen Linken. In der Mitte Ideenstau. Rechts Überangebot. Und links? Böhme. Manchmal Ziege. Früher Bode. Oder Tarnat. Vielleicht bald gar ein gewisser Münch. Dem stellte ein Reporter die anatomisch interessante Frage: „Wie sehen Sie als Linksfuß die Lage der deutschen Nationalmannschaft?“ Ja, wenn die Füße Augen hätten, die könnten was erzählen! Die Lage der Nation jedenfalls ist so, daß sich, in einer anderen Liga, Kollege Lafontaine wieder für linke Positionen ins Gespräch bringt. All das sind bestimmt fähige Profis. Aber leider meist nicht mal mit Stammplatz im eigenen Heimteam. Offensichtlich wird: Seit Marx und Engels, Rahn und Overath hat die deutsche Linke kein Weltniveau mehr erreicht. Zusammenhänge zwischen Fußball und Politik mögen mitunter zufällig sein. Doch geschah es auffällig knapp nach der Wahl, daß Rudi Völler klagte: „Wir haben keinen klassischen Linksfuß.“ Klassische Linksfüßer waren zum Beispiel Kafka, Nietzsche, Goethe, Einstein. Klassische Rechtsfüßer dagegen Walter, Beckenbauer, Matthäus, Sammer. Der deutsche Fußballstar als solcher ist gebürtig Rechtsfüßer. Nur zur Beimischung in Weltmeisterteams waren auch linke Vögel nötig: Rahn 1954, der Rechtsaußen, der mit linker Klebe traf; Overath 1974; Brehme 1990, der links spielte und schoß, aber den WM-Elfmeter rechts verwandelte. „Linksbeiner“ nennt die Fachliteratur das gesuchte Phänomen. Das klingt nach aussterbender Gattung auf deutscher Wildbahn. Auf der wuchs nie ein Maradona oder Puskas. Aber auch in anderen Sportarten kamen deutsche Heroen stets über rechts. Graf und Becker brauchten den linken Arm nur zum Ballwurf. Schmeling fällte Louis mit der rechten Geraden. Selbst Ferrari-Schumi, bei dem es egal wäre, ist Rechtshänder (…) Im Fußball wiederum haben die Rechtsfüßer dank beidbeiniger Ausbildung die Arbeit der Linksfüßer oft gleich mit übernommen. Ein Zidane oder Ballack schießt links wie rechts. Eine Studie zeigte, daß Topspieler bei einer Torchance keine Zeit darauf verschwenden, das Lieblingsbein zu suchen. Dennoch, der Linke wird gebraucht. Die Wissenschaft bescheinigt ihm strategisches Denken, vernetzte Wahrnehmung, Phantasie, Individualismus – Talente, ohne die Fußball langweilig wird. Tröstlich, wenn man mit dem Mangel nicht allein dasteht. Bei der EM 2000 mußte der Engländer McManaman rechtsfüßig auf links spielen, das Aus kam in der Vorrunde. Warum, erklang die Frage auf der Insel, verschwinden die Linksfüßer? Als eine mögliche Ursache wurde genannt: die evolutionären Folgen des Linksverkehrs. Klarer Fall von Rechtsunsicherheit.“
Zweite Liga
Zur komfortablen Situation von Eintracht Frankfurt lesen wir von Thomas Kilchenstein (FR 26.11.). „Dass der Klub, der im Sommer mit eineinhalb Beinen schon in der Amateurliga stand, finanziell unterbelichtet, momentan derart gut in der Tabelle positioniert ist, ist allein das Verdienst des gelernten Karosseriebauers. Reimann, der sich nach seiner Karriere als Bundesligaprofi (Hamburger SV, Hannover 96) als Trainer beim Landesligisten SC Egenbüttel erste Meriten verdiente, hat binnen kurzem ein Team zusammengefügt, das funktioniert und Erfolg hat. Es kommt wieder an beim Publikum, wirkt sympathisch und ehrlich. Er hat es fit gemacht, taktisch wie konditionell (…) Eintracht Frankfurt ist in der Zweiten Liga angekommen mit allem, was dazu gehört: Kampf, Engagement und der Fähigkeit, im Notfall den Ball auch mal auf die Tribüne zu schlagen. Dazu genießt der Coach großen Respekt bei der Mannschaft, in der es, wie Uwe Bindewald findet- auch einer, der schon immer da ist – „so harmonisch zugeht wie lange nicht mehr“. Bild nennt ihn schon „Wunder-Willi“. Reimann, Typ harter Hund, legt viel Wert auf Ordnung, Fleiß und Disziplin, die guten, alten deutschen Tugenden eben, und wenn einer dagegen verstößt, wie David Montero, früher Stammspieler, dann senkt der „eiserne Willi“ den Daumen. Montero hat seine Zukunft bei Eintracht Frankfurt hinter sich, trotz angespannter Personaldecke. Dazu schafft es der Fußball-Pädagoge durch seine spröde, von Grund auf bodenständige, unaufgeregte Art jedwede, gerade in Frankfurt sehr leicht aufkommende Euphorie zu bremsen. Wer von Aufstieg spricht oder Eintracht Frankfurt als Spitzenmannschaft bezeichnet, kriegt regelrecht Ärger mit ihm.“
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