Ballschrank
Remis zwischen Lyon und Bayern – Felix Magath, „der nächste Ottmar Hitzfeld“ (Tsp) – die SZ blickt hinter Stuttgarter Kulissen – der Stuttgarter „Märchen-Heldt“ (FAZ), von der österreichischen Ersatzbank in die Champions League – Panathinaikos Athen, international erfahren – Alex Ferguson kehrt für einen Abend in seine Glasgower Heimat zurück
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| Donnerstag, 25. März 2004Die NZZ (22.10.) berichtet das Remis zwischen Lyon und Bayern München: „Die Farbtupfer setzten zunächst lange Zeit die Bayern, zum Beispiel Roy Makaay. Der Niederländer dosierte zwar ebenso wie sein Vorgänger Elber das Leistungsvermögen in homöopathischen Rationen, im entscheidenden Moment aber schlug er zu: Nach einer in traumwandlerischer Sicherheit vorgetragenen Kombination mit den Stationen Santa Cruz und Ballack als Zuträger erzielte der Internationale in der 25.Minute das 1:0, sein drittes Tor in der diesjährigen Champions League. Auch wenn der direkte Head-to-Head-Vergleich zwischen Elber und Makaay nur eine Momentaufnahme darstellte – die im August vorgenommene Rochade scheint den Bayern-Verantwortlichen immer deutlicher Recht zu geben. Stundenlang soll Lyon-Trainer Le Guen mit Elber über der Taktik gebrütet haben, mit einer strategischen Massnahme aber hatten wohl beide nicht gerechnet. Nicht der Bosnier Salihamidzic, sondern der erstarkte Deisler interpretierte die Rolle im rechten Mittelfeld. Und der ehemalige Berliner tat dies mit durchschlagendem Erfolg, sein erster internationaler Auftritt seit geraumer Zeit nach langwierigen Verletzungen geriet zur gelungenen Rentrée. Neben Deisler bestimmten Regisseur Ballack und der defensive Argentinier Demichelis das Geschehen deutlich. Le Guen hatte vor allem vor Ballack gehörigen Respekt bekundet: Ein „unglaubliches Arbeitspferd“ sei der Mittelfeldspieler, hatte der OL-Coach gesagt. Vor allem beim einzigen Treffer sollte sich zeigen, dass Ballack nicht nur über grosses Lungenvolumen, sondern vor allem auch über eine blendende Vista und viel Gefühl verfügt: Sein Pass auf Makaay dürfte Le Guen in seinen tiefsten Ängsten bestärkt haben. Der FC Bayern bestach lange mit überzeugenden Stilmitteln: In der Abwehr stand der deutsche Meister kompakt, in der neutralen Zone bestach er durch Solidität und Kontrolle, um so immer wieder gradlinige Angriffe zu lancieren. Ein spielerisches Feuerwerk zündeten die Bayern jedoch nicht, und nach dem Schlusspfiff mussten sie sich sogar den Vorwurf gefallen lassen, den Gegner zu stark aufkommen gelassen zu haben. Denn der französische Meister versteckte sich nach der Pause keineswegs, er erhöhte im Gegenteil die Kadenz merklich.“
Der nächste Ottmar Hitzfeld
Der Tagesspiegel (22.10.) stellt fest, dass nicht nur die Stuttgarter Spieler von anderen Klubs begehrt sein können: „Es gibt Experten, die nach dem Auftritt von Felix Magath im Weserstadion sicher waren, sie hätten den nächsten Ottmar Hitzfeld gesehen. Wie nüchtern und souverän sich der 50-Jährige nach dem 3:1-Sieg seines VfB Stuttgart bei Werder Bremen bewegte und wie die junge Mannschaft den Stil ihres Trainers selbst in kritischen Situationen durchzog. Eine solche Attitüde zeichne die rar gesäten Topkräfte der Branche aus, einer wie Magath sei deshalb erste Wahl auf der Kommandobrücke des FC Bayern München, falls Hitzfeld dort aufhören sollte. Sollte die Stuttgarter Mannschaft weiter in der Champions League erfolgreich bleiben, rücken dabei nicht nur die jungen Asse wie Andreas Hinkel, Kevin Kuranyi oder Aliaksandr Hleb ins Interesse. Es werden auch Chefs gesucht, die ein Spitzenteam auf die Beine stellen und international positionieren können. Das zeigen die fast verzweifelten Bemühungen bei Hertha und beim HSV. Aber auch in London und Mailand und irgendwann mal wieder in München und Dortmund werden sie nach Führungskräften vom Kaliber Magaths fahnden. Nun ist das Stuttgarter Idyll in Gefahr geraten, weil die ersten von Magaths Entdeckungen zu Hoffnungsträgern der ganzen Nation aufgestiegen sind. Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel stehen plötzlich nicht mehr als Musterprojekte für vernünftige Talentförderung da – seit ein paar Monaten gelten die beiden 21-Jährigen als Deutschlands billigste Nationalspieler mit ihren 200 000 bis 300 000 Euro Jahresgehalt.“
Magaths reservierte Haltung hat mit seiner Trainer-Vergangenheit zu tun
Martin Hägele (SZ 22.10.) schaut hinter Stuttgarter Kulissen: „Magath möchte mit seinem Ensemble nicht nur ein einmaliges Champions-League-Abenteuer erleben. In diesem Fall ist weniger der Trainer als vielmehr der Manager gefordert, nachdem Magath diese beiden Jobs seit einem dreiviertel Jahr in Personalunion versieht. Die Bindung der zwei Vorzeigeprofis (Kuranyi und Hinkel) wäre der erste sichtbare Leistungsnachweis Magaths in der neuen Position, ein Erfolg, der seine exponierte Stellung im Klub bestätigen und öffentlich die Perspektiven zeigen würde. Erstaunlicherweise hat der Lehrmeister der jungen Wilden, der zuletzt einer der meistinterviewten Menschen in Deutschland war, sich dabei kein Mal klar zu seiner Mission im Schwabenland bekannt. Trotz der Euphorie um seine Person stört sich Magath an einer Fraktion im Klub, „die glaubt, dass ich zu viel Macht habe. Die werden dann quer schießen, wenn es mal nicht so gut läuft“. Magaths reservierte Haltung hat mit seiner Trainer-Vergangenheit zu tun. Er möchte nie mehr abhängig sein wie zu Bremer, Nürnberger oder Frankfurter Zeiten, als er dem populistischen Werder-Manager Willi Lemke unterstellt war, sich mit dem chaotischen Präsidenten Michael Roth oder gleich einer ganzen Führungsriege von Dilettanten wie bei Eintracht Frankfurt auseinander setzen musste. Gerade deshalb hätte sich Magath gefreut, wenn ihm der VfB im Mai ein entsprechendes Angebot als Sportchef gemacht hätte. Lebenslänglich, eine Art Rehhagel fürs Rote Haus. Der neue Präsident Erwin Staudt, der in diese Entscheidung nur teilweise eingebunden war, würde Magath heute gerne diesen Kontrakt geben. Er tut alles, um das Verhältnis seines Teamchefs zum Klub wieder zur Herzensangelegenheit zu machen. Staudt weiß, dass es sich bei der Person, die Magath misstraut, um den Finanzvorstand Ulrich Ruf handelt: ein Buchhaltertyp, der fast 25 Jahre alle Revolutionen der Ära Mayer-Vorfelder überstanden und dabei bald zwanzig Trainer ausgesessen hat. Staudt versucht nun, die beiden zusammenzubringen. „Einmal in der Woche ein Sechs-Augen-Gespräch mit mir“, sagt er, „so kommen sie sich zwangsläufig näher und müssen einander dabei verstehen lernen.“ Wie Magath hat nämlich auch der Vorstandsvorsitzende die einmalige Chance erkannt, die sich dem VfB durch die Champions League bietet. Wobei es weniger um die ein oder zwei Millionen Euro mehr geht, welche die Qualifikation fürs Achtelfinale brächte. „Im Leben eines Nationalspielers ist vor allem die sportliche Perspektive entscheidend“, sagt Magath. Offensichtlich ist Magath mit seinen Gefühlen schon wieder ein Stück näher an den VfB gerückt.“
Thomas Kilchenstein (FR 22.10.) befasst sich mit Horst Heldts (VfB Stuttgart) Vergangenheit: „Horst Heldt, der trotz seiner 33 Jahre noch immer aussieht wie ein ewiges Talent, ist keiner, der sich forsch in den Mittelpunkt drängen würde. Er ist keiner, der die Klappe groß aufreißt und Ansprüche stellt. Dazu ist der gelernte Kfz-Mechaniker zu schlau, zu lange schon im Geschäft, 13 Jahre, und wahrscheinlich auch noch zu dankbar. Dankbar, dass ihn Felix Magath am zweiten Tag in diesem Jahr in Österreich angerufen und zum VfB geholt hatte. Magath, hat Heldt danach immer wieder gesagt, war für mich wie ein Sechser im Lotto. Magath, der den kreativen Techniker noch aus seiner Frankfurter Zeit kannte, war es, der das Auslaufmodell von Sturm Graz an den Neckar lotse. Heldt war in der Steiermark schon längst ausgemustert. Ein gutes halbes Jahr hatte der Dauerläufer nicht mehr gespielt. Der zweimalige Nationalspieler war abgeschrieben, schon am Ende seiner Karriere, es war ja nicht so, dass Deutschland auf mich gewartet hätte. Die Bundesliga sowieso nicht, eine diffuse Anfrage aus der zweiten Liga habe er seinerzeit erhalten. Er war raus aus dem Geschäft, ohne Perspektive.“
Es ist ein Märchen
Gerd Schneider (FAZ 22.10.) widmet sich Horst Heldts Gegenwart: „Gerade zehn Monate liegt die dunkle Zeit zurück, und wenn Horst Heldt darüber spricht, hat man manchmal das Gefühl, das muß ein anderer Mensch sein, dem man da gegenübersitzt. Er kann ja selbst kaum glauben, was mit ihm passiert ist seit jenem Januartag, als das Telefon läutete und Felix Magath dran war und ihn fragte, ob er nicht zum VfB Stuttgart kommen wolle. Er? Zum VfB? Jetzt sofort? Heldt fackelte nicht lange, zwei Tage später gehörte er zum Stuttgarter Troß, der sich auf den Weg ins Trainingslager nach Portugal machte. Wie das für ihn war? Nur komisch, sagt er. Die Leute und die Spieler, die dachten doch alle dasselbe: Was will denn der Magath mit dem alten Sack? Heute könnte sich Magath, der Schachliebhaber, auf die Schulter klopfen für diesen beinahe genialen Zug. Denn bei aller Begeisterung für den Spieltrieb seiner gefeierten Horde junger Aufsteiger: So ein System funktioniert auf Dauer nur mit erfahrenen Ordnungshütern vom Schlag eines Soldo, die bei aller Kunst den Nutzen nicht vergessen. Nach Balakows Karriereende im Sommer war eine dieser beiden Schlüsselpositionen im VfB-Gefüge frei – und Heldt, so scheint es nun, ist eine Idealbesetzung. Er spielt so gut und geradlinig wie vielleicht noch nie in seiner Karriere, und er hält dem spektakulären Weißrussen Alexander Hleb den Rücken frei. Außerdem war seine Verpflichtung frei von Risiko; Heldt verdient sich seine Gage über Einsatz- und Erfolgsprämien, sein Grundgehalt ist gerade so hoch, daß ich weiter in der privaten Krankenversicherung sein kann. An diesem Mittwoch ist wieder so ein Auftritt, von dem Heldt geträumt hat, seit er einst als hochgehandeltes Talent beim 1. FC Köln in das Profigeschäft einstieg. Champions League, die Königsklasse. Und er, der alte Sack, mittendrin und doch irgendwie auf Wolke sieben schwebend. Drei Wochen liegt das elektrisierende Spiel gegen Manchester United zurück, Heldt gehörte zu den Besten und stellte Größen wie Roy Keane oder Ryan Giggs in den Schatten. Ein einziger Traum, sagt Heldt, in dessen Lebenslauf auch zwei Länderspieleinsätze vorkommen, ich genieße jede Sekunde. Dann schaut er erschrocken auf die Uhr, er muß weg. Draußen vor der Glastür wartet ein halbes Dutzend Teenager auf ihn, den glücklichen Helden. Beim Gehen wendet er sich noch mal um. Es ist ein Märchen, sagt er, das können Sie ruhig schreiben.“
Torsten Haselbauer (FAZ 22.10.) schildert die Ambitionen von Panathinaikos Athen, dem heutigen Gegner Stuttgarts: „Der nationale Titelgewinn steht für Panathinaikos in dieser Saison weit höher im Kurs als ein möglichst erfolgreiches Auftreten in den internationalen Wettbewerben. Das war in den vergangenen Jahren eher umgekehrt – was für die Fans und Spieler von Panathinaikos gleichermaßen den schönen Nebeneffekt hatte, daß sich damit der heimische Fußballfrust hervorragend abbauen ließ. Vor zwei Jahren erreichte Panathinaikos das Viertelfinale der Champions League, nachdem sie in der Vorrunde Schalke 04 aus dem Rennen warfen. Im vergangenen Jahr drang der eher bürgerlich geprägte Verein bis in das Viertelfinale des UEFA-Cups vor. Doch diese erfolgreiche Mannschaft, die als Griechenlands technisch beste galt und einen formschönen, taktisch disziplinierten Fußball spielte, ist fast komplett auseinandergefallen. Der griechische Nationalspieler Giorgos Karagounis wechselte zu Inter Mailand, der finnische Auswahlspieler Joonas Kolkka ging zu Borussia Mönchengladbach, und den Mittelfeldstrategen Nikos Lyberopoulos zog es in die direkte Nachbarschaft zu AEK Athen. Zudem verließ der Erfolgstrainer aus Uruguay, Sergio Markarian, den Verein. Statt dessen sitzt seit August der 55jährige Israeli Itzhak Shum auf der Bank. Shum sammelte in den vergangenen zwei Jahren mit Maccabi Haifa Champions-League-Erfahrung, zuvor war er acht Jahre lang Auswahltrainer der israelischen Olympiamannschaft. Nach nur drei Monaten Amtszeit steht der Trainer jedoch gleich schwer in der Kritik. Vor allem der überaus matte Auftritt bei Manchester United Mitte September, der mit einer blamablen 0:5-Niederlage endete, sorgte für viel Hohn und Spott. Als ob man den erstbesten elf griechischen Gastarbeitern aus England ein grünes Trikot übergezogen und sie dann hinein ins Old Trafford zum Spiel gegen ManU geschickt hätte, umschrieb die Tageszeitung Ta Nea den offensichtlich ambitionslosen Auftritt von Panathinaikos Athen. Ernsthafte Sorgen bereitet Itzhak Shum die sehr nervöse Abwehrarbeit seines Teams.“
Felix Reidhaar (NZZ 22.10.) „fietschert“ die Rückkehr Alex Fergusons in seine Heimat: „Govan ist ein raues Quartier. Südlich des River Clyde breiten sich Industrie- und Hafenanlagen aus, nach Wohngegenden halten Glasgower anderswo Ausschau. Einzig ein mächtiger roter Backsteinbau ragt aus den grau gefärbten Häuserzeilen heraus: Ibrox, das Stadion des weltberühmten Rangers FC, erinnert mit seiner pompösen viktorianischen Hauptfassade an ferne Zeiten; 1887 hatte der protestantische Fussballverein hier Quartier bezogen. Im Innern freilich merkt man schnell, weshalb diese mehrfach in ihrer wechselvollen Geschichte umgebaute Arena vom europäischen Verband Uefa als Fünfsterne-Vorzeigeobjekt geführt wird. Komfort, wohin das Auge blickt. Kein Platz mehr für 118567 Zuschauer wie anno 1939 in der Old Firm, sondern rund 50444 bequeme Schalensitze. Vergessen die grossen Tragödien, die sich hier während Fussballspielen ereigneten, zuletzt 1971, als anlässlich des Stadtderbies zwischen Rangers und Celtic, zwischen Protestanten und Katholiken, 66 Fans bei einem Einsturz der Rampen ihr Leben liessen. In Govan ist Alex Ferguson in den Kriegsjahren aufgewachsen. Als Bube galt seine Liebe dem Rangers FC. Auf den Rängen des Ibrox Stadium wuchs seine Fussballbegeisterung, die ihn vorerst an andere Adressen trug. St. Johnstone und Queen’s Park hiessen die ersten Stationen einer Karriere, ehe ihn der Ruf der Gers und deren Manager Scot Symon ereilte. Der 25-Jährige galt als treffsicherer Schütze, an spielerischer Begabung gebrach es ihm dagegen. Immerhin traf er innert zweieinhalb Jahren 23-mal. Als 1969 im schottischen Cup-Final im Hampden Park gegen den Stadtrivalen ausgerechnet sein Bewacher McNeill die Celtic-Führung erzielte und damit die 0:4-Schlappe einleitete, war es um Fergusons Position geschehen. Der Mittelstürmer war schnell als Hauptschuldiger ausgemacht, musste sich Anwürfe gefallen lassen wegen der katholischen Konfession seiner Ehefrau Cathy und stand nie mehr in der Startformation. Verdrängt vom vordrängenden Colin Stein, einem der erfolgreichsten schottischen Angreifer, abgeschoben in die 3.Mannschaft und engagiert gegen Universitätsteams, stand seine Entwicklung still, ehe ihn Falkirk verpflichtete. Kein Wunder, findet die schmerzhafteste Episode von Fergusons Laufbahn ein Kapitel in seiner Autobiografie. Am Mittwochabend kehrt Sir Alex nach Govan, ins Ibrox Stadium zurück. Hoch dekoriert, braucht man kaum mehr anzufügen. Der Manager von Manchester United spricht weder von Ressentiments noch von Sentimentalitäten.“
(21.10.)
das Erfolgsmodell VfB Stuttgart – Giovane Elber, Verlust für den FC Bayern und Gewinn für Olympique Lyon – schottischer (Vereins-)Fußball im Aufschwung – Portrait Fernando Morientes, AS Monaco
Magath vertritt konsequent das Prinzip der Leistungsgesellschaft
Martin Hägele (NZZ 21.10.) lobt das Modell Stuttgart: „Wie zu den Zeiten der Trainerlegende Weisweiler lässt sich nun rund ums rote Haus von Cannstatt verfolgen, dass sich pädagogische und technische Arbeit auf dem Trainingsplatz nicht nur in den Resultaten von Bundesliga und Champions League niederschlägt, sondern auch im Selbstbewusstsein. Magaths Fussballer haben mit ihrem neuen Selbstwertgefühl nicht nur die schwäbische Metropole, sondern eine ganze Region, ja sogar ein Land angesteckt. Man kann sich in diesem Metier sehr schnell hocharbeiten vom Talent zum Nationalspieler, und wenn sich eine Mannschaft mit allen Konsequenzen zu höheren Zielen bekennt, lassen sich die angesteuerten Erfolge auch erreichen. Magath vertritt konsequent das Prinzip der Leistungsgesellschaft. Allein seine Ernsthaftigkeit bildet einen deutlichen Kontrast zu den Usanzen der Branche, die sich immer mehr den Gesetzen der Unterhaltung unterwirft. Das Geld schiesst die Tore, heisst es da. Oder: Möglichst viele Stars machen erst eine gute Mannschaft. Wer im Team von Felix Magath spielen will, muss sich diesen Platz im Training hart erarbeiten und seinen Job jederzeit im Kopf haben (…) Doch mit der sportlichen Siegesserie der Schwaben-Gang wachsen die Begehrlichkeiten der Konkurrenz. Können Musterschüler wie die beiden 21-jährigen Andreas Hinkel und Kevin Kuranyi, die in den vergangenen Wochen zu festen Grössen bei Bundestrainer Rudi Völler herangewachsen sind, in Stuttgart gehalten werden? So steht das schwäbische Märchen um Magaths Fussballmodell schon auf dem Prüfstand, nachdem es gerade erst begonnen und so richtig schaurig schön geworden ist. Auch der Trainer, der seit einem halben Jahr in Personalunion Manager ist, möchte in seinem neuen Arbeitsbereich die ersten Erfolge melden. Er drängt darauf, mit den Leistungsträgern des Klubs, die allesamt noch bis 2005 an den VfB gebunden sind, schon jetzt zu verlängern und gleichzeitig ihre Gehälter der Leistungssteigerung anzupassen. Das mag für einige konservative Kräfte innerhalb des Klubs zur grossen Nagelprobe werden. Anderseits besitzt auch Magath im Poker mit den Agenten der Profis gute Karten. Dieser Trainer garantiert Karrieren. Und diese Art von Lebenshilfe ist im unübersichtlichen Fussballgeschäft vielleicht doch wichtiger als ein paar hunderttausend Euro mehr auf die Schnelle.“
Das Spiel des FC Bayern ist ohne Elber noch leidenschaftsloser geworden
Elisabeth Schlammerl (FAZ 21.10.) beleuchtet die Situation beim FC Bayern: „Elber ist weg und trotzdem ein wenig präsent. Die Bayern sind noch immer damit beschäftigt, sich auf Makaay einzustellen. Er hat die Rolle von Elber übernommen, spielt sie aber auf eine andere Art und Weise, sagt Trainer Ottmar Hitzfeld. Der Holländer ist manchmal achtzig Minuten lang nicht zu sehen, hat nicht viel mehr als fünf, sechs Ballkontakte, aber die wenigen Chancen, die sich ihm bieten, verwertet er mit einer fast schon beängstigenden Effizienz. Weil Makaay sich oft kaum am Spiel beteiligt, muß sich sein Partner, sei es Claudio Pizarro oder – wie in Lyon – Roque Santa Cruz, stets weit ins Mittelfeld zurückziehen. Der zweite Angreifer hält sich nicht mehr so oft im Strafraum auf wie früher, ist mehr Vorbereiter als Stürmer. Daß Pizarro seit fast zwei Monaten, seit dem Spiel beim Hamburger SV, kein Tor mehr in der Bundesliga erzielt hat, liegt sicher auch an seiner neuen, ungewohnten Rolle. Elber war eingebunden ins Spiel der Bayern. Mal mehr, mal weniger, je nach Lust und Laune des kapriziösen Brasilianers. Sehenswerte Kombinationen der beiden Bayern-Stürmer vor dem Tor sind seltener geworden, weil Makaay den Steilpaß bevorzugt und darauf wartet. Das ohnehin immer schon sehr ökonomische Spiel des FC Bayern ist ohne Elber noch leidenschaftsloser geworden – und bestimmt nicht schöner anzuschauen. Hitzfeld hat deshalb erste leise Kritik an Makaay formuliert. Nur Tore zu schießen genüge nicht, er müsse mehr kombinieren, fordert der Bayern-Trainer.“
Helmut Schümann (Tsp 21.10.) berichtet eine verpasste Begegnung mit Elber: „Ob Giovane Elber, dieser lustige Giovane, der sich schon mal zum Torjubel in Teppich-Auslegware wickelt und auch ansonsten für allerlei Scherzchen zu haben ist – ob dieser Giovane Elber nun ein freundlicher, höflicher, redseliger Mensch ist? Man weiß es nicht. Kürzlich hat Senhor Elber einen deutschen Journalisten zum Interview nach Lyon geladen. „Kommen Sie, gerne, am Montag um zehn Uhr auf die Trainingsanlage in Gerland, das ist ein Stadtteil von Lyon. Da haben wir viel Zeit.“ Der Journalist war daraufhin nach Zentralfrankreich gereist, verbrachte den Sonntag in der Stadt zwischen Saone und Rhone und war am Montag zum verabredeten Zeitpunkt am verabredeten Ort. Nur, wo war der lustige Giovane? Nach zahlreichen vergeblichen Anrufen auf Elbers Handy meldete sich Herr Elber gegen Mittag. „Oh, in Lyon sind Sie“, sagte er, „das ist aber dumm, ich bin in Glasgow. Wir sind früher geflogen.“ Und vergessen habe er, die Terminverschiebung anzukündigen. „Aber ich bin ja Donnerstag wieder in der Stadt, bleiben Sie doch so lange.“ Womit auf jeden Fall feststeht, dass Giovane Elber keine Ahnung hat von den Dienst- und Freizeiten eines deutschen Journalisten. Als Giovane Elber noch in Deutschland stürmte, erst für den VfB Stuttgart, dann für den FC Bayern München, insgesamt neun Jahre, erwarb er sich den Beinamen „der Deutsche“. Für einen Brasilianer wie ihn ist dieser Verweis auf Korrektheit und Disziplin eigentlich rufschädigend – ein brasilianischer Fußballspieler hat per Definition ein Hallodri zu sein, der unpünktlich zum Training erscheint, in der Sonne brilliert mit Artistik und Wärme braucht in der Kälte. Als Elber noch in Deutschland stürmte, war er indes ganz stolz auf die deutschen Tugenden, am Ende bekundete er sogar, dass er Edmund Stoiber wählen würde, wenn er wählen dürfte.“
Zu lieb, zu brav, zu bescheiden, zu ruhig
Peter Heß (FAZ 21.10.) widmet sich Elber und Olympique Lyon: “Zwei Monate später kann Giovane Elber mit einem Lächeln im Gesicht von seinem Vereinswechsel nach über fünf Jahren in München erzählen. Der Schock ist längst verwunden. Mit Olympique Lyon, dem französischen Meister der vergangenen zwei Jahre, hat es der Stürmer gut getroffen. Und wenn er in Lyon die Bayern wiedersieht, dann wird er nicht nur die alten Mannschaftskameraden freundlich begrüßen, sondern auch das Management des deutschen Meisters. Sie wären ja wirklich geisteskrank gewesen, wenn sie mich behalten hätten, sagt Elber und spielt damit auf die sehr plastisch formulierte Rechtfertigung von Manager Uli Hoeneß an, den Bayern-Fans ihren Lieblingsspieler zu nehmen. Wie bitte? Das Opfer in diesem mitleidlos aufgelösten Fall des Fußballgeschäftes argumentiert wie die Täter? Tja, da bin ich eiskalter Profi. Vielleicht wäre Elber weniger leicht über den halben Rauswurf hinweggekommen, wenn er mit seinem neuen Klub nicht so zufrieden wäre (…) Was Olympique zum weiteren Aufstieg in der Königsklasse fehlt, ist nach Elbers Meinung vor allem eins: Die Bayern-Mentalität. Zu lieb, zu brav, zu bescheiden, zu ruhig seien die meisten seiner neuen Kollegen, zu wenig aggressiv, zu wenig konsequent, zu wenig effektiv. Als ich noch für den VfB spielte, nörgelte ich auch über die ach so arroganten Bayern. Aber in München merkte ich, wie nötig diese Einstellung ist: Wenn man nur fest genug daran glaubt, mir kann keiner, ich gewinne schon noch die Spiele, auch wenn es schlecht läuft, dann wird es irgendwann auch so sein. Die spielerische Klasse für den großen Sprung bescheinigt Elber seiner neuen Mannschaft. Es ist unglaublich, wie gut wir kombinieren können. Aber das reicht nur, um sich in der französischen Liga durchzusetzen. In der Königsklasse bedarf es des Extrakicks Chuzpe und Selbstvertrauen der Marke unverschämt.“
Schritt zum modernen Fussball des 21. Jahrhunderts
Martin Pütter (NZZ 21.10.) beschreibt den Aufschwung des schottischen Fußballs: „Die Traditionalisten in Schottlands Fussball hatten Anfang Oktober Grund, traurig zu sein. Das Glasgower Stadtrivalenderby zwischen den Rangers und Celtic war in der Form, in der es Weltberühmtheit erlangt hatte, an diesem Tag gestorben. Wo sonst Leidenschaft herrschte, dominierte taktisches Kalkül. Anstatt kompromissloser Zweikämpfe mit mitunter krachenden Knochen waren Position und Raumdeckung plötzlich wichtig. Ununterbrochen hohes Tempo und simpelster Angriffsfussball waren durch sorgfältigen Aufbau mit Ausnutzung sämtlicher Räume ersetzt worden. Doch was für manche ein Verlust ist, beweist für andere, dass der schottische Fussball den Schritt zu modernem Fussball des 21. Jahrhunderts gemacht hat – das können die Rangers am Mittwoch unterstreichen, wenn sie in der Champions League gegen Manchester United antreten. Auch eine Entscheidung der Uefa letzte Woche kann als Indiz dafür gewertet werden, dass der schottische Fussball Fortschritte gemacht hat. Der europäische Verband gab bekannt, dass Schottlands Meister ab nächster Saison einen garantierten Startplatz in der Champions League hat und nicht mehr durch die Vorqualifikation muss. So sehr sich die Fans in Schottland darüber freuen können, dieser Erfolg hat auch eine Kehrseite: Verantwortlich sind nämlich nicht einheimische Spieler. Ein Blick auf das letzte Derby der Glasgower „Old Firm“, wie die Rangers und Celtic auch genannt werden, verdeutlicht das. Nur zwei Schotten standen im Ibrox Stadium auf dem Spielfeld. Die ausländischen Spieler sind dafür verantwortlich, dass die Glasgower Derbies nicht mehr sind, was sie einst waren. Für sie ist Rangers gegen Celtic ein wichtiger Match, aber nur wegen der Tabellenlage – mehr als drei Punkte stehen da nicht auf dem Spiel. Das war Anfang Oktober deutlich zu sehen. In der Vergangenheit spielten Rangers und Celtic mehr mit dem Motto „zuerst tun, dann nachdenken“, nun war es genau umgekehrt. „Das ist alles viel zu taktisch“, hatten unzufriedene Fans gebrüllt (und einige Schimpfwörter zugefügt). Doch genau das hat der schottische Klubfussball gebraucht, um wieder respektiert zu werden.“
Wolfram Eilenberger (Tsp 21.10.) porträtiert Fernando Morientes, AS Monaco: „Morientes ist ein gescheiterter Spieler, ein gefallener Stern. Für einen spanischen Nationalstürmer im besten Fußballeralter, der wiederholt Meisterschaft, Champions-League und Weltpokal gewann, mag dieses Urteil wie eine überdrehte Unverschämtheit klingen. Und das ist sie auch. Vor allem aber ist dieses Urteil wahr – wahr in den Augen von Fernando Morientes. Sein trotziger Unwille, den sicheren Sitz auf der Ersatzbank von Real Madrid gegen einen Stammplatz in Europas Spitzenklubs zu tauschen, bezeugt dies. Was den 27-jährigen Morientes für höchste Weihen disqualifizierte und ihn als Madrider Jungen scheitern ließ, ist sein noch menschliches Wesen. Morientes war nicht Überstürmer genug, kein Jahrhundertgenie, kein Fußballgott, kein „Galaktischer“, oder mit anderen Worten, zwar ein außergewöhnlich guter Spieler, aber kein Spieler für das Sturmzentrum von Real Madrid.Schließlich gibt es sie im Fußball wie in jeder anderen Sportart, jene seltsame, fast mythische Schwelle, die einen überragend begabten Sportler in die absolute Weltklasse führt. Im Trikot der königlich Weißen näherte sich Stürmerstar Morientes jahrelang und vor aller Augen dieser Schwelle. Erreichen durfte er sie nie.“
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