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Retorten-Begeisterung in Tokio

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Retorten-Begeisterung in Tokio

„Retorten-Begeisterung in Tokio, eine überschwappende rote Welle in Seoul – der Fußball zog die beiden organisierenden Länder unterschiedlich in seinen Bann.“ (NZZ)

Roland Zorn (FAZ 1.7.) fasst zusammen. „Zwei Länder, eine Weltmeisterschaft – keine Verbindung? Gar so weit voneinander getrennt, wie Pessimisten befürchtet hatten, haben die Japaner und die Koreaner ihren halben Anteil am ganzen Fußballfest nicht in Szene gesetzt. Am Ende des 31 Tage dauernden Turniers überwiegen sogar die Stimmen, die der ersten Weltmeisterschaft auf asiatischem Boden gute Noten geben. Die Wirtschaftsweltmacht Japan und das Schwellenland haben den sportlichen und organisatorischen Kraftakt mit 32 Mannschaften gemeinsam gemeistert. Diese Erfahrung hat beide Nationen einander näher gebracht. Beide Gastgeber durften sich zudem in ihrem Stolz auf die Leistungen ihrer Nationalmannschaften bestätigt sehen.“

Mark Schilling (NZZ 29.6.). „Man wappnete sich gegenüber den Unwägbarkeiten eines „westlichen“ Großanlasses mit einem eindrücklichen Organisationsapparat. Gerade in den ersten Tagen der Veranstaltung wirkte Letzterer ziemlich überladen, um nicht zu sagen reziprok zur anfänglich höchstens diffus wahrnehmbaren Begeisterung. Und wahrscheinlich wäre einem diese WM-Endrunde auch fürderhin als krampfhafter Bekehrungsversuch, als Retorten-Event in Erinnerung geblieben, hätte das Korea Fighting Team in der Vorrunde dreimal sec den Kürzeren gezogen (…) Diese Euphorie darf aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in erster Linie als ein Bekenntnis zur nationalen Identität und nicht als Ablegen eines Gelübdes zu verstehen war, sich für Fußball auch weiterhin zu interessieren. Hier macht sich bemerkbar, dass der Fußball nicht wie in Europa zur Kulturgeschichte und ein minimaler Fußballsachverstand nicht zur Allgemeinbildung zu zählen sind.“

Peter B. Birrer (NZZ 29.6.). „In Nippons Metropole hat der Fremdling das japanische Fußball-Fieber jedenfalls vergeblich gesucht. Dieser Moloch von einer Stadt schien die WM schlicht und einfach zu schlucken (…) In den Stadien wirkte die Atmosphäre oft künstlich und klinisch. Im Besucher setzte sich das Gefühl fest, eine Art Retorten-Begeisterung zu erleben. In Japan erfuhr man nur in Fragmenten, was sich gleichzeitig in Südkorea ereignete (…) Ein Anlass, zwei Realitäten. Fast an jedem WM-Ort auf der Inselkette schoss einem dieselbe Frage durch den Kopf: Wurden diese wunderschönen Stadien nur für drei WM-Spiele gebaut? Das Gefühl der Japanerinnen und Japaner für den Tanz mit dem runden Ball kam selten direkt aus dem Bauch. Japan und Fuß ball, das scheint eine (noch?) sprunghafte Liebesbeziehung zu sein. Vielleicht belehrt uns die Zukunft eines Besseren.“

Anne Scheppen (FAZ 1.7.). „Die einzigen Misstöne, die zu hören waren, wurden nach Einschätzung der Veranstalter nicht auf eigenem Boden erzeugt: Dass trotz ausverkaufter Stadien einige tausend Plätze leer blieben, lasten die Organisationskomitees Kowoc (in Südkorea) und Jawoc (in Japan) dem Internationalen Fußballverband (FIFA) und ihrer britischen Agentur an. Das Beste an dieser WM aber ist für Koreaner und Japaner nicht die Leistung als Ausrichter, sondern der Erfolg als Teilnehmer: Der Ruf Asiens als Fußball-Niemandsland ist widerlegt. Das Turnier hat, vor allem wegen der eigenen Leistungen, dem Fußballsport in beiden Ländern einen enormen Auftrieb verschafft (…) Die Veranstalter haben sich vorgenommen, das entzündete Feuer am Lodern zu halten. Südkorea und Japan wollen gemeinsam mit dem früh ausgeschiedenen WM-Neuling China zusammenarbeiten, um den Fußball in Asien weiter zu etablieren. China ist im übrigen für 2014 als WM-Ausrichter im Gespräch. In den kostspieligen neuen Stadien beider Länder sollen Spiele unter Klubs und Nationalmannschaften ausgetragen werden. Weil das Niveau der Nationalmannschaft und der Vereinsteams der koreanischen K-League weit auseinander klafft, soll die Nachwuchsförderung in den nächsten Jahren verbessert und der Ligawettbewerb erweitert werden. Geplant wird eine asiatische Liga nach dem Vorbild der europäischen Champions League.“

Über asiatische Fankultur berichtet Urs Schoettli (NZZ 2.7.). „Sieht man einmal davon ab, dass „crowd control“, das Verhalten und Benehmen in großen Massen, in Asien generell viel höher entwickelt ist als im Westen, so hat sich für die WM auch positiv ausgewirkt, dass der Fußball in Japan und Südkorea nicht die lange Geschichte hat wie in Europa und Südamerika. Er wurde und wird entdeckt zu einer Zeit, da beide Länder stark mittelständisch geprägte Gesellschaften haben. Bis heute gilt beispielsweise in England, im Mutterland dieses Sport, dass die „besseren Schichten“ sich mit anderen Disziplinen, Tennis, Cricket und Rugby, vergnügen und im Fußball der soziale „Underdog“ seine billige Unterhaltung findet. Es mag sich besonders in Kontinentaleuropa in den Jahren der allgemeinen Wohlstandssteigerung einiges geändert haben, doch noch immer hängt dem Fußball zumindest der Geruch einer eher rauen Freizeitaktivität an. Beim genaueren Blick auf die Zuschauerränge von Yokohama bis Seoul musste auffallen, dass der Anteil der jungen Frauen im Vergleich mit Europa sehr viel größer war. Es wurde unter Girls, die sonst eher an teuren Modeartikeln und hochklassigen Restaurants ein Interesse haben, plötzlich chic, einem Match beizuwohnen oder sich für die WM zu interessieren.“

Zur Wahrnehmung der Fußball-WM in Nordkorea, dem wohl traditionsreichsten asiatischen Fußballland, schreibt Jutta Lietsch (taz 22.6.). „Die Weltmeisterschaft ist eine willkommene Abwechslung im faden nordkoreanischen TV-Alltag, das Zirkus und Reden, Loblieder auf die Armee und Huldigungen auf den „Großen“ Kim Il- Sung und seinen Sohn, den „Lieben“ Führer Kim Jong-Il, bis zur Erstarrung wiederholt (…) In Nordkorea sind die Spiele ein Politikum. Jahrzehntelang hat die Regierung in Pjöngjang ihren Untertanen erklärt, dass die Landsleute im Süden viel schlechter dran sind als die Menschen im Arbeiterparadies der Kim-Dynastie. Direkte Kontakte sind bis heute nahezu unmöglich. Nichts fürchten die nordkoreanischen Machthaber daher so sehr wie Fernsehbilder von der WM aus einem wohlhabenden und erfolgreichen Südkorea, dessen Fußballteam in luxuriösen Stadions vor jubelnden Massen spielt – und auch noch gewinnt.“

Die Stimmung in Südkorea beleuchtet Ralf Wiegand (SZ 27.6.). „Das Land Korea, das sich von dem Stimmungshoch nun sogar eine noch schneller wachsende Wirtschaft erhofft, ist sicher der Hauptprofiteur des vierwöchigen Fußballrausches im Reich des „Kleinen Tigers“; der Imagegewinn weltweit ist enorm. Ob allerdings der Fußball selbst zu den langfristigen Gewinnern der WM zählen wird, bleibt fraglich. Die K-League, Koreas Profi-Spielklasse mit zehn Mannschaften Arbeitgeber für 16 der 23 koreanischen WM-Spieler, hat nach europäischen Maßstäben nur drittklassiges Niveau. Zudem wird auch die Nationalelf ab Juli wieder sich selbst überlassen, wenn Hiddink mit seinem holländischen Trainerstab und geschätzten 4,5 Millionen Euro Honorar wieder das Weite suchen wird.“

Martin Hägele (FR 27.6.) beschreibt, wie das Ausscheiden Südkoreas in Japan aufgenommen wird. „Nicht dass nun etwa die geschichtsträchtige Allianz zwischen Berlin und Tokio neu aufgelebt wäre, die Deutschen sind auf dem Inselreich traditionell gern gesehen, aber wohl noch nie im Verlauf ihrer Beziehungen war Nippon den alten Freunden gegenüber so dankbar, wie in jener Nacht, da Kahn und Ballack ihren Besuch in Yokohama buchten. Es hätte ja auch zur Invasion der roten Armee und einer Luftbrücke zwischen Seoul und den Flughäfen Narita und Haneda kommen können, und solch eine koreanische Party hätte die übers Turnier hinweg sorgfältig gepflegte Harmonie der Organisations-Partner doch stark strapaziert. (…) Allerdings sollte man auch erwähnen, dass sich gerade im Verlauf dieser WM die Fußball-Anhänger beider Nationen einander schon angenähert haben. Der Hass bezieht sich vor allem auf die Großväter und Väter; die jüngere Generation unter der Dreiviertel Million Koreaner, die ursprünglich als Zwangsarbeiter, später als Gastarbeiter in Osaka und Sapporo, Tokio und Kyoto gelandet sind geht viel unbefangener miteinander um.“

„Ganz Südkorea sieht rot“, lesen wir von Anne Scheppen (FAZ 25.6.) über die Bedeutung des sportlichen Aufschwungs. „die Genugtuung, es der Welt einmal gezeigt zu haben, verbunden mit dem schlecht übertünchten Zweifel an der eigenen Leistungskraft; ein übergroßes Bedürfnis, von den führenden Wirtschaftsnationen als ebenbürtig anerkannt zu werden, und ein tiefsitzendes Minderwertigkeitsgefühl, das von Stolz überlagert wird. Südkorea sieht sich selbst noch immer als den kleinen Bruder, der endlich mit den Erwachsenen am Tisch sitzen will (…) Sehr defensiv reagieren die Medien auf die ausländischen Vorwürfe, Südkorea habe nur mit Hilfe der Schiedsrichter das Halbfinale erreicht. Man sieht darin die Missgunst der Verlierer. Wenn überhaupt, dann sind höhere Mächte im Spiel: Die Schiedsrichter seien möglicherweise unbewusst vom Eifer der koreanischen Spieler und Fans geleitet worden.“

Henrik Bork (SZ 25.6.) zum selben Thema. „Die jungen koreanischen Fans wollen Partys feiern, keine Schlachten schlagen. Dasselbe gilt für die jungen Japaner. Bisher haben die asiatischen Ausrichter dieser WM den an Fußball-Rowdys und Straßenschlachten gewöhnten Europäern eine Lektion erteilt. Der sich momentan am Fußball entzündende Nationalismus der Asiaten mag überraschend und auf manche auch übertrieben wirken. Aggressiv ist er bislang nicht. Sollte das auch dann noch so bleiben, wenn Südkorea ausscheiden sollte, hätten die Koreaner wirklich Grund, stolz zu sein. Die Aufwallungen der Koreaner, deren Präsident Kim Dae Jungvom „glücklichsten Tag in der fünftausendjährigen Geschichte“ des Landes schwadronierte, wecken Erinnerungen. Etwa an das deutsche „Wir sind wieder wer“ nach dem WM-Sieg von 1954 in Bern. Oder an das vom Nationalismus trunkene Argentinien nach dem 78er Finalsieg auf heimischem Boden. Genau wie damals in Deutschland oder Argentinien erfüllt der Fußball auch in Südkorea eine Ventilfunktion. Die Freude über ein paar Tore ist immer dann umso größer, je weniger das Volk sonst zu lachen hat.“

Wie wird eigentlich der südkoreanische Erfolg in Japan aufgenommen? Henrik Bork (SZ 25.6.) dazu. „Seit dem Ausscheiden der japanischen Mannschaft am 18. Juni jubeln viele Japaner für die „asiatischen Tiger“ aus Südkorea. Natürlich hat die WM-Begeisterung der Japaner seit dem Ausscheiden des eigenen Teams nachgelassen. Doch zumindest die bisweilen nationalistischen japanischen Medien haben sich diesmal keinerlei Neid oder Missgunst anmerken lassen (…) Die sportliche Unterstützung der Japaner für ihre Nachbarn verwundert manche Beobachter, die um die historisch gespannten Beziehungen zwischen dem einstigen Kolonialherren Japan und Korea wissen. Gerade die Fußball-Geschichte zwischen beiden Ländern war jahrzehntelang von einer verbissenen Rivalität geprägt.“

Die französische Tageszeitung Le Monde (22.6.) meint zur Begeisterung in Südkorea: „Seitens der Medien werden die Feiern auf den Straßen mit den großen Stunden der nationalen Geschichte verglichen, so zum Beispiel mit dem Ende der japanischen Besatzung im August 1945. Die Begeisterung spielt sich dabei auf drei Ebenen ab: Zunächst im Bereich der nationalen Einheit, die in einem geteilten Land und einem von Seoul zentralistisch regierten Südkorea bislang schwerlich zu generieren war. Durch den Erfolg der Nationalmannschaft sind nationaler Stolz und kollektives Selbstvertrauen in ungeahntem Maße gestiegen. Von der Mobilisierung der Massen könnte der Chef des koreanischen Organisationskomitees Chung Moong-Joon profitieren, der angesichts der aktuellen Krise der Partei des Präsidenten, sich als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen bewerben wird. Dem Erben der Hyundai-Dynastie wird bereits das Image desjenigen verliehen, der die Südkoreaner geeint hat. Der zweite Bereich, der die nationale Begeisterung begründet ist eher nationalistischer und chauvinistischer Natur. Jüngere Südkoreanern erfreuen sich aufgrund antiamerikanischer Ressentiments über die Niederlage der USA, während sich bei allen Südkoreanern eine überwältigende Freude über das Ausscheiden Japans breit macht. Der dritte Aspekt der Begeisterungswelle ist ein panasiatischer. Nachdem Südkorea als einziger asiatischer Vertreter das Achtelfinale überstanden hat, vertritt das Land, nach eigener Einschätzung, nun die Hoffnungen eines Großteils derjenigen, die Asien bevölkern. Hiermit misst sich Südkorea die Rolle des derzeit zentralen Repräsentanten des bevölkerungsreichsten Kontinenten zu.“

Zum Stellenwert des Fußballs in Südkorea heißt es bei Holger Gertz (SZ 24.6.). „In den Fußball wird eine Bedeutung hineingelegt, die vielen abenteuerlich vorkommt, der deutsche Sieg 1954 in Bern ist ein Beispiel, das 1:0 der DDR-Mannschaft über die BRD 1974; das rote Fußballwunder von Korea wird künftig als ein anderes genannt werden können. Von 1910 bis 1945 waren die Koreaner in japanischer Gewalt, wurden drangsaliert und vergewaltigt. Die Elite wurde eliminiert, das Volk zu Bauern gemacht, nach der Befreiung dann die Teilung, derKorea-Krieg, Militärdiktatur, schließlich das mühsame Heranrobben an die Wirtschaftskraft des verhassten und bewunderten Nachbarn. Die Financial Times hat, zu Beginn der WM, eine Beilage herausgebracht, darin abgebildet eine Karikatur mit einem südkoreanischen Fußballer und einem japanischen, die sich, Wut im Blick, am Trikot zerren. Dasselbe Spiel, unterschiedliche Ziele, so kann man es sehen, denn Japan und Korea, die diese WM gemeinsam ausrichten, die Feinde von damals, sind unterschiedlich noch immer. Man hat das in den Fußballstadien gut beobachten können, die Japaner mit ihrer bunt frisierten Mannschaft, als wären die Spieler gecastet wie die Kandidaten für Popgruppen in Amerika. So spielten sie auch, um Schönheit bemüht, launisch (…) Die Koreaner rennen und werkeln wie eine Armee von Ameisen, sie erlauben sich keine Auszeit, keinen Luxus, keine Eigenheiten. Die Japaner haben seit Jahren alte Fußballer aus Südamerika oder Europa in ihre Liga gelockt, Buchwald und Littbarski, Toninho Cerezo und Zico: um von ihnen zu lernen, aber auch, um etwas westliches Flair in ihre Stadien zu holen. Die Südkoreaner sind in ihrer Liga unter sich geblieben, verließen sich auf ihre eigenen Stärken, die Show war dem Ergebnis untergeordnet.“

Ein großes Lob für die Organisatoren hat Felix Reidhaar (NZZ 21.6.) übrig. „es gibt definitiv keinen Grund, den Schritt auf neues Fußball-Territorium weit entfernt von den Wurzeln des Turniers in Europa und Lateinamerika zu bereuen. Japaner und Koreaner sind auf Grund ihrer typischen Verhaltensmuster prädestiniert, dem Großanlass ein freundliches Gesicht zu verleihen. Sie brauchen in organisatorischen Belangen keinen Vergleich zu scheuen und arbeiten auf einem ungleich höheren Level als Holländer und Belgier vor zwei Jahren an der Europameisterschaft. Ihr Geschick, Sicherheitsvorkehrungen immensen Ausmaßes so unauffällig wie nur möglich zu handhaben, wird man dankbar in Erinnerung behalten. Stadieninfrastruktur und Rasenbeschaffenheit sind vom Feinsten. Jetzt kommt ihnen auch noch das Verdienst zu, durch ihre Fußballauswahlen besonders inspirierenden Momente auf dem Rasen geliefert zu haben – und weiter zu liefern.“

Zur euphorischen Stimmung in Südkorea meint Felix Reidhaar (NZZ 22.6.). „Älteren kritischen Beobachtern in Korea kommen die Straßenbilder dieser Tage seltsam vor. Nicht nur nehmen für sie die Ausschweifungen überschwänglicher Jugendlicher gar chauvinistische Züge an und warnen sie vor dem Danach. Auch haben sie ordentlich Mühe, sich mit der Einheitsfarbe anzufreunden. Noch vor bolschewistischer Revolution und Kommunismus stand Rot für Krieg (…) Es sehen aber noch andere rot bei diesem Anblick dieser nicht enden wollenden Masse wippender, kreischender und fähnchenschwingender Menschen. Etwa jener ergraute Mann, der nicht einschwenken will in die nächtelang anhaltenden Lobpreisungen, weil ihn der Auflauf irritiert und an dunkle Stunden koreanischer Geschichte erinnert. Kwangju, Schauplatz des Viertelfinals der Einheimischen gegen Spanien und Herkunftsort des jetzigen Staatschefs Kim, war 1980 Brutstätte des Studentenprotests gegen die Diktatur von Chun Do-Hwang und für mehr Demokratie. Zehntausende junger Leute hatten sich damals in der südwestlichen Universitäts- und Kulturstadt den schwer bewaffneten Sicherheitskräften entgegengestellt. Hunderte starben im Hagel von Kugeln, Molotowcocktails und anderen Wurfgeschossen. Gedanken an diese selber erlebten Bilder lassen den Rentner erschaudern und Abstand nehmen vom heutigen Jubilieren.“

Zum Verhältnis zwischen den beiden Gastgebernationen meint Thomas Kistner (SZ 19.6.). „Während Japan an der Türkei zerschellte, die bisher nirgendwo ernsthaft im Kalkül stand, zwang der Erzrivale Südkorea das (gar nicht so) große Italien in die Knie – und bleibt als letzter Vertreter Asiens im Turnier. Schlimmer kann der Gesichtsverlust wohl nicht sein am Ende eines Jahre langen Kalten Fußballkriegs, den die zwei verfeindeten Stämme seit dem Zuschlag für ihren Doppelevent ausgefochten haben. Mal sehen, wie bekömmlich diese Entwicklung dem Binnenklima in den Gastgeberländern ist. Seit Beginn der WM wurde ja mit wachsender Irritation registriert, dass sich hier in den Straßen und Stadien gern ganz besondere patriotische Energien entladen. Und die Fifa selbst schloss vorsorglich über die Setzliste aus, dass beide Teams vorm Finale aufeinander treffen könnten – also gar nicht, die stille politische Vorgabe ließ sich leicht erfüllen.“

“Die Fußballbegeisterung befreit eine Farbe vom stalinistischen Stigma” bemerkt Anne Scheppen (FAZ 17.6.) zur Stimmung in Südkorea. “Wie schon die Olympischen Spiele 1988 soll auch die Fußball-Weltmeisterschaft als Schaufenster genutzt werden: Das Land will sich als jung, energiegeladen, vibrierend präsentieren, weg von den alten Metaphern der Morgenstille, des Einsiedlerstaates, des Kalten Krieges. Koreanische Analysen über die koreanische Fanbegeisterung spannen fast alle den großen Bogen, bemühen die Geschichte, die Volksmentalität. Mit dieser Kraft habe man Jahrhunderte der Invasion überstanden, mit dieser Energie habe man sich nach dem Korea-Krieg vom Agrarstaat zur Industrienation emporgearbeitet. Mit persönlichem Einsatz vieler habe man auch die Währungskrise 1998 gemeistert, die Zweifler im Ausland überzeugt. Damals hatten Millionen Koreaner sogar ihren Goldschmuck dem Staat gegeben, um die nationalen Reserven aufzustocken. Zusammen ans Ziel, gemeinsam stark für Korea – dieses patriotische Credo gilt auch jetzt, für die Fußball-Weltmeisterschaft. Beeindruckend sind das Farbenmeer der T-Shirts, die Schlachtgesänge, die Trommelwirbel. Doch die Fußballekstase, so uniform und synchron sie zum Ausdruck kommt, trägt schon Züge der Hysterie – als wäre es eine religiöse Bewegung, deren gedrillte Anhänger einer neuen Gottheit huldigen: dem koreanischen Fußball.”

Zur Stimmung in Japan bemerkt Lukas Schwarzacher (FR 17.6.). „„Was sich hier abspielt, ist eine radikale soziale Wende auf psychologischer Ebene“, urteilt ein europäischer Diplomat mit langer Japan-Erfahrung über die spontanen Gefühlsausbrüche. Etwas, das in Japan bisher negativ beurteilt wurde. Der Fußball hat das, zumindest einstweilen, verändert. Hatten Medien, Werber und Sponsoren vor Beginn der WM-Endrunde noch einen Mangel an Enthusiasmus gefürchtet, steht nun fest, dass Fußball in Japan demnächst Baseball als Nationalsport ablösen könnte – und ein offener Umgang mit den eigenen Gefühl die japanische Zurückhaltung.“

Von der „Massenhysterie“ in Südkorea berichtet Ralf Wiegand (SZ 16.6.). „Die Spirale des Wahnsinns dreht sich weiter, und langsam sollte in Korea mal jemand auf den Gedanken kommen, ob die Sache nicht außer Kontrolle geraten könnte. In einer für Europäer nicht nachvollziehbaren Bereitschaft zur totalen Aufgabe der eigenen Identität, um Teil eines unglaublichen, uniformierten Jubels zu werden, berauschten sich die Koreaner an einem Fußballspiel, das für ihre Mannschaft zum Triumphmarsch geriet und für die Portugiesen in einem Drama endete (…) Der rote Rausch, der gleichzeitig ein Jugendkult ist – man sieht fast nur Teenager im Stadion und auf den Straßen – hat auch groteske Züge. So reagierte die aufgedrehte Menge im Stadion wie programmiert auf die Anzeigentafel, buhte die in Großaufnahme gezeigten Portugiesen aus und bejubelte die eigenen Helden – mitten im Spiel, und wenn Hiddink eingeblendet wurde, „der Fußball-Messias“ (Korean Herald), brach ein Begeisterungssturm los, selbst wenn der Ball gerade ins Aus gerollt war. Mit diesen Leuten könnte Hiddink alles machen, sie würden ihm bedingungslos folgen.“

Zur öffentlichen Euphorie in Japan bemerkt Anne Scheppen (FAZ 15.6.). „Das Stadion in Osaka – blau wie die See. Blau sind die Straßen in Tokio, in Yokohama, in Sendai. Zehntausende in den Trikots der Nationalmannschaft, lachend und singend. Manche weinen. Wer wird jetzt noch behaupten dürfen, die Japaner seien ein kontrolliertes Inselvolk, das nichts vom Feiern, nichts vom öffentlichen Freuen versteht? Wer wird jetzt noch das Vorurteil bemühen können, die Koreaner wären die Italiener und die Japaner die Eskimos Asiens? Japan freut sich ungezwungen über einen Erfolg, den es sich lang ersehnt und redlich erspielt hat. In nur einer Woche ist die Fußballwelle über das Land geschwappt, hat alle mitgerissen: Alte und Kinder, Männer und Frauen. Menschen, die den Ballsport lieben, und Menschen, die ihr Land lieben und es siegen sehen wollen. Ob es ein Omen war, dass am Mittag unter Tokio die Erde wackelte, erschüttert von einem – glücklicherweise harmlosen – Beben der Stärke fünf?“

Von der Atmosphäre in Japan nach dem Sieg gegen Russland berichtet Martin Hägele (FR 11.6.). „Viele Japaner sind dann doch erschrocken über sich selbst: Dass sie einem Gaj-jin, einem Ausländer also, den Blick in ihre Gefühlswelt preisgegeben haben, indem sie von ihren Tränen erzählten. Dass einander unzählige wildfremde Menschen in den Armen lagen, wo sie doch für ihre distanzierte Etikette und körperliche Berührungsängste berühmt sind. Diese Emotionen hatten nichts mehr mit ihrer Mentalität zu tun. Zum erstenmal empfanden nicht die Besucher Nippons einen Kultur-Schock, jetzt kam der Impuls von innen. Und sie selbst hatten ihn ausgelöst. Das blaue Fieber. Ein Land entdeckt seinen Patriotismus in einem neuen Sport (…) Vielleicht ist nach jener historischen Nacht überm Land der aufgehenden Sonne nicht nur eine rote Kugel, sondern tatsächlich ein Fußball aufgegangen.“

Der FR (11.6.) verdanken wir diesen Hinweis. „Niemanden auf diesem Planeten trifft es indes unvorbereitet zu hören, dass der Reinlichkeits-Preis dieser WM an die braven Helden des Gastgeberlandes Japan geht. Tipptopp habe man die Umkleide der Elf Nippons nach dem Sieg über Russland vorgefunden, heißt es bei der Fifa. Kein Tape, keine Bananenschale, nicht mal ein in die Ecke gepfeffertes Pflaster, nada. „Es sah aus, als ob überhaupt niemand da gewesen sei“, staunte Fifa-Mediendirektor Keith Cooper. Der Putzfimmel der Profis habe dem Reinigungspersonal alle Arbeit abgenommen.“

Anne Scheppen (FAZ 11.6.) berichtet von nahezu „südländischen Verhältnisse“ in Japan. „Die Freude in Japan mag im Vergleich zu koreanischen und europäischen Gefühlsausbrüchen immer noch sehr zurückhaltend wirken, doch für die junge Fußballnation war dies schon eine Nacht der Ekstase. In Japan stellt man Gefühle nicht öffentlich zur Schau, den Polizisten vor dem Sports Cafe ist die Verwunderung über das Spektakel anzumerken. Zum Schluss bleibt alles so brav, wie man es gewohnt ist: Den Ordnungshütern, die hauptsächlich damit beschäftigt waren, zu verhindern, dass freudestrunkene Fans auf die Straße stolpern, wird artig gedankt. Bei aller Begeisterung will niemand ein Ärgernis sein, anderen unnötig Arbeit machen. Kellner und Fans kehren noch vor ein Uhr früh den Gehweg, der Unrat kommt ordentlich in Plastiktüten. Zwei Stunden nach Spielende ist Ruhe eingekehrt.“

Anne Scheppen (FAZ 10.6.) zum selben Thema. „Wenn sich Südkorea und Amerika in Daegu gegenüberstehen, ist mehr im Spiel als Fußball. Das Kräftemessen geht über die sportliche Konkurrenz hinaus: das kleine, geteilte Korea gegen die Übermacht des großen Amerika. Für die koreanischen Medien ist die Partie am Montag das Spiel der Spiele. Amerika ist für Südkorea Beschützer und Besatzer, ein bewunderter Bruder, dessen Dominanz auch Ablehnung weckt. Südkorea verdankt den Vereinigten Staaten die Freiheit und hat doch, nach fast einem halben Jahrhundert, den Schmerz der Teilung nicht überwunden (…) Die Ressentiments gegen die Amerikaner sind nicht zu übersehen, an Universitäten gibt es immer wieder antiamerikanische Proteste, die sich mit nationalistischen Parolen mischen, das Verbrennen des Sternenbanners ist ein politisches Ritual. Die Gegner kommen aus den konservativen Reihen, aber sind ebenso in linken Kreisen zu Hause. Sie verlangen eine Reduzierung oder den Abzug der Truppen, erheben den Vorwurf, dass die Amerikaner in Südkorea nur ihre eigenen Interessen vertreten, sehen sich als Partner an den Rand gedrängt.“

Die Umgangsweise des US-Teams mit solchen Situationen beschreibt Roland Zorn (FAZ 10.6.). „Claudio Reyna, der von einer Muskelverletzung wieder genesene Kapitän der amerikanischen Auswahl, hält die heiße Diskussion der vergangenen Tage über Ressentiments bis hin zur Feindseligkeit gegenüber der Schutzmacht, die noch immer 37.000 Soldaten in Südkorea stationiert hat, für aberwitzig (…) Wie er teilen seine Kollegen die Ansicht, dass das Straßentheater zum Vorspiel auch dazu dienen soll, die Begegnung selbst zu einer patriotischen Demonstration koreanischer Stärke auch auf den Rängen zu stilisieren. Wer aber wie das Team von Arena in den Qualifikationsspielen der Nord- und Mittelamerikazone daran gewöhnt ist, antiamerikanische Schmähungen, ob in Mexiko, Jamaica oder Trinidad/Tobago, auszuhalten, den schreckt die Kraftprobe von Daegu auch nicht mehr.“

Das ambivalente Verhältnis zwischen Südkorea und den USA skizziert Ralf Wiegand (SZ 10.6.). „Rund 37.000 US-Soldaten sind in Südkorea als Außenposten der westlichen Welt gegen die Kommunistische Volksrepublik Nordkorea stationiert. Das schätzen die Südkoreaner einerseits, andererseits fühlen sie sich mit den geknechteten Nachbarn in der Seele verbunden. Viele verwandtschaftliche Beziehungen wurden durch die Teilung Koreas auf genauso dramatische Weise abgeschnitten wie beim Mauerbau 1961 in Deutschland. Beide Länder feiern den 15. August zudem als Jahrestag der Unabhängigkeit von Japan (1948). Die südkoreanische Bevölkerung befürwortet deshalb die „Sonnenscheinpolitik“ genannte Annäherung von Präsident Kim Dae Jung an den Norden. Die allerdings liegt in Trümmern, seitdem der amerikanische Präsident Georg W. Bush Nordkorea in die Reihe der Schurkenstaaten einreihte. Bei einem Besuch an der Demarkationslinie im vergangenen Februar streifte Bush Regime in Pjönjang ausdrücklich noch einmal als „böse“.“

Völkerverbindende Ambitionen der WM stellt Ralf Wiegand (SZ 8.6.) in Abrede. „Vielleicht hatte ja jemand in der Fifa insgeheim darauf gehofft, für den Friedensnobelpreis in Betracht gezogen zu werden durch diese WM. Es ist nämlich in der Sportpolitik eine populäre Schwärmerei, die einigende Kraft des Sports möge auf Länder wirken, die ein paar Probleme mit sich selbst oder mit anderen haben. Auf diese Weise gelangte China an die Olympischen Spiele 2008, deshalb flatterten Friedens-tauben durchs schwerst- kommunistische Moskau, und gerne glauben die Sportführer der Welt, der Ausschluss Südafrikas vom Rennen, Laufen und Springen habe geholfen, die Apartheid zu überwinden. Friedensstifter Sport – welch’ eine Vision.“

Die Reaktionen der japanischen Medien auf das 2:2-Remis ihrer Mannschaft gegen Belgien analysiert Anne Scheppen (FAZ 8.6.). „Die Presse betätigt sich als Cheerleader für die Nation. Wieder und wieder werden die beiden Tore von Junichi Inamoto und Takayuki Suzuki im Fernsehen bejubelt. Nachdem sich die Gegner der nächsten Begegnung erstmals beim Training einem größeren Publikum gezeigt hatten, stellte die Zeitung Sankei Sports voller Genugtuung fest, die russischen Eisbären hätten offensichtlich größere Schwierigkeiten mit den hohen Temperaturen in Japan und der großen Luftfeuchtigkeit: Die Siegeschancen stehen also gut, denn der Wetterbericht sieht für Sonntag in Yokohama Hitze voraus. Die nicht zu ekstatischer Begeisterung neigende, überaus seriöse Yomiuri Shimbun vermerkte immerhin, es gebe keinen Grund, warum die Japaner sich nicht gegen die wechselhaften Russen durchsetzen sollten. Schließlich zögen Troussiers Soldaten mit etwas ins Stadion ein, das vor vier Jahren unter dem unerfahrenen Okada noch gefehlt habe: Vertrauen. Die Asahi Shimbun orakelt mit Weitblick: Japans Schicksal steht auf dem Spiel.“

In Südkorea hat sich Helmut Schümann (Die Zeit 6.6) auf Spurensuche begeben und nur das „Imitat einer Weltmeisterschaft“ vorgefunden. Er berichtet vom Eröffnungsspiel in Seoul. „Knapp 64.000 Menschen sind im Stadion, ein paar Franzosen sind da, ein paar Senegalesen, insgesamt vielleicht 1.000 Menschen. Die singen, schreien, stöhnen. Die anderen schauen auf die Anzeigentafel, wo eine digitale Farbskala die Lautstärke im Stadion anzeigt und auffordert zu singen: »La, la, la!« Die Fans bleiben stehen nach dem Abpfiff, die Zuschauer gehen.“ Und die Unterstützung der teilnehmenden Mannschaften durch 32 koreanische Konzerne gestaltet sich derart: „Sie haben Nationaltrikots angefertigt, den Firmennamen mit aufgeflockt und verdienten Mitarbeitern ausgehändigt. Und die sitzen dann mit Freikarten im Stadion und entrollen große Transparente, auf denen zum Beispiel steht: “Ulsan citizen supports Denmark. Hyundai.” Wenn dann der Uruguayer Rodriguez einen langen, aber doch völlig harmlosen Pass auf den Flügel schlägt und die südkoreanischen Dänen entsetzt aufschreien, dann wird der Verdacht Gewissheit, dass das Gros dieser Supporter noch nicht viele Fußballspiele gesehen hat.“

Über die „ausgiebigen Feiern“ der Gastgeberländer nach deren überaus gelungenen Turnierauftakten berichtet Anne Scheppen (FAZ 6.6.). „Wenn bisher abseits der Stadien noch weitgehend Ruhe herrschte, so ist mit dem gelungenen Auftakt gegen Belgien in Saitama auch bei den Baseball-Fans das „Sokka“-Fieber ausgebrochen. Am Dienstag Abend war Tokios gewöhnlich überfüllte Flanierstraße Omotesando menschenleer. Vor überfüllten Sportlerkneipen standen Fernseher, weil man des Andrangs im Inneren nicht anders Herr werden konnte. Sogar Ministerpräsident Koizumi, der es erst zur zweiten Halbzeit ins Stadion nach Saitama schaffte, zeigte, ein wenig verblendet allerdings, Begeisterung: Das war das bewegendste Spiel, das ich je gesehen habe“ (…) „Endlich Sieg!“ Die Schlagzeile der KoreaTimes spiegelt die Gefühle einer stolzen Nation, die es satt hat, immer nur die zweite Geige zu spielen.“

„Blaues Fieber, was ist das eigentlich?“ fragt Holger Gertz (SZ 6.6.) bezüglich der Fußballbegeisterung in Japan. „Also, blaues Fieber ist erst mal eine Marketingidee einer großen Sportartikelfirma, die in diesem Jahr in ihren Werbespots die Begeisterung für den Fußball in der Welt als eine Art Krankheit darstellt, besser gesagt als Macht, der sich niemand entziehen kann. Sie nennen das „Footballitis“. Das blaue Fieber ist eine Vorstufe der Footballitis, und es greift um sich in Japan, dessen Nationalspieler blaue Trikots tragen, wie auch deren Fans. „I got blue fever“, steht auf den Reklameplakaten in der Stadt, und nach einer Woche Weltmeisterschaft kann man schon sagen, dass aus der Werbeidee ein Teil der Wirklichkeit geworden ist. In den Zügen zum Beispiel, die in und um Tokio fahren: die Yamanote line ist grün eingezeichnet im Bahnplan, die Ginza line orange, die Hanzomon line rosa – aber die Reisenden darin sind blau, japanblau, fantrikotblau, fieberblau. Und die, die ins Büro fahren, die anzugschwarzen Manager, sie schauen fragend und etwas ratlos. Wohin? Ins Blaue.“

Über die Stimmung in Südkorea schreibt Christoph Biermann (SZ 6.6.). „Nach Abpfiff hatte es im ganzen Land so enthusiastische Siegesfeiern gegeben, als hätte die Nationalmannschaft den WM-Titel gewonnen. Die sonst so kontrollierten Koreaner wurden erstmals der gerne kolportierten Behauptung gerecht, dass sie die Italiener des Fernen Ostens sind. Während des Spiels war bereits das Unvorstellbare geschehen: Die Straßen von Seoul, Busan und überall sonst im Land waren leer, wie die staunenden Koreaner am Fernseher sehen konnten. Als das Spiel vorbei war, stürzten die Leute nach draußen, um mit südländischen Autokorsos den Sieg zu feiern. In der Innenstadt von Seoul brach selbst auf den zehnspurigen Straßen der Verkehr zusammen. Noch süßer machte den Erfolg, dass am asiatischen Tag der 17. Weltmeisterschaft weder Japan noch China ein Sieg gelungen war.“

Die beiden Gastgebernationen greifen erst zum Schluss ins Geschehen ein. Anne Scheppen (FAZ 4.6.) dazu. „In Europa oder Südamerika mag diese Terminplanung die ohnehin knisternde Spannung nochmals künstlich anfachen, für die beiden fernöstlichen Gastgeber wird sie aber zur Qual. Man ist sich der Leistungskraft der eigenen Mannschaft eben nicht so sicher. In beiden Ländern hat es der Fußball in den vergangenen Jahren zwar weit gebracht; im Vergleich mit den Großnationen dieses Sports aber ist die Außenseiterrolle geblieben.“

Die Anteilnahme der beiden Gastgeber am Turniergeschehen kommentiert Roland Zorn (FAZ 3.6.). „In Seoul und in vielen anderen Städten des Landes schauten sie am Freitag Abend stolz auf ihr Land. Bei den zahlreichen Begegnungen im öffentlichen Raum scharten sich die Menschen vor Großleinwänden in den Zentren der Kommunen oder in den mit Fernsehgeräten reichlich ausgerüsteten Bars und Kneipen zusammen. Als dann der spezielle Alltag dieses Turniers am Samstag in Japan und Korea begann, waren die ersten ernüchternden Beobachtungen ausgerechnet beim Blick auf die Tribünen zu machen. Keines der Stadien war zu hundert Prozent ausgelastet.“

Georg Blume (Die Zeit 29.5.) berichtet vom Schattendasein des Fußballs in Japan. „Fußball ist in Japan ein Sport der Unangepassten, der Außenseiter (…) Anders als in Europa ist er nicht Volks-, sondern Subkultur, Fluchtstätte für Pubertierende, für Außenseiter oder für solche, die zumindest am Wochenende am Rande der Gesellschaft stehen wollen.“ Dies gilt auch für Hidetoshi Nakata. „Der 25-jährige Spielmacher der Nationalelf ist bisher der einzige Japaner, der im Fußball auch auf internationaler Ebene mit seinen Leistungen auffällt: zuletzt beim Pokalfinale in Italien, als er seinem Verein, dem AC Parma, mit einem spektakulären Volleytor den Sieg über Juventus Turin sicherte (…) Nakata, der Mann mit den rot gefärbten Haaren, gilt als Einzelgänger.“ Auf seiner Homepage gibt er zu, wie er „beim jüngsten Gastspiel der Nationalelf in Warschau Hotel und Mannschaft am Abend allein ließ, um die polnische Küche auszuprobieren.“

Die Stimmung in Sapporo – Austragungsort des Spiels Deutschland gegen Saudi-Arabien – ist getrübt, was durch die Intensität der dortigen Sicherheitsvorkehrungen zusätzlich verstärkt wird. Anne Scheppen (FAZ 1.6.) dazu. „Kurz vor dem ersten Spieltag in Japan herrscht im hohen Norden mehr Unsicherheit als Freude. Aus Angst vor den Gästen werden Geschäfte geschlossen, Kinder im Haus gehalten. Die Aussicht auf Horden betrunkener Fußballfans hat den Enthusiasmus gebremst, noch ehe er richtig ausbrechen konnte. Seit Wochen berichten die Medien landauf, landab über ein Schreckensgespenst: den Hooligan. Kaum ein Tag verging, ohne dass die Polizei mit großem Aufgebot an einem der zehn Austragungsorte den Ernstfall probte und mit Helmen und Schlagwaffen zum Einsatz schritt. Die Bilder sollten beruhigen, sie bewirkten aber das Gegenteil (…) Die Ängste – zumindest vor den Hooligans – wirken so überzogen, dass sogar Prinz Takamado, der als Mitglied der kaiserlichen Familie für die Eröffnung nach Seoul gereist ist, warnt, bei all den Sicherheitsvorkehrungen könnte die Freude auf der Strecke bleiben.“

Die Eröffnungsfeier kommentiert Andreas Burkert (SZ 1.6.). „Die Gastgeber haben wie gewohnt den Anspruch, die Bestmarken der Vorgänger zu übertreffen. Bei den Kosten ist ihnen ein Rekord bereits sicher: Einen Etat von 560 Millionen Euro hat der Weltfußballverband Fifa für die erste WM in Asien veranschlagt, womit sich das Budget im Vergleich zur WM ’98 in Frankreich verdoppelte. 50 Millionen Euro sind allein für die massiven Sicherheitsvorkehrungen verplant, welche die Fifa nach den Terroranschlägen des 11. September anordnete. Trotzdem soll diese WM ein Fest des Sports, der Farben und der Verständigung werden. Da passte es gut, dass ein Friedensnobelpreisträger vor dem Auftaktspiel die Eröffnungsformel sprach: Kim Dae Jung, Südkoreas Staatspräsident, der den Versöhnungsprozess mit dem kommunistischen Nordkorea in Gang gebracht hat. „Durch die Fußballspiele wird sich die ganze Welt vereinen, unabhängig von Abstammung und Religion“, sagte er.“

Für die beiden Ausrichternationen gelten jedoch andere Voraussetzungen, wie Henrik Bork (SZ 31.5.) bemerkt. „Die Wunden, die Japans brutale Okkupation der koreanischen Halbinsel zwischen 1910 und 1945 geschlagen haben, liegen so offen wie lange nicht mehr. Ein Grund ist die Weigerung vieler Japaner, ihre historische Verantwortung einzugestehen. Selbst während der gemeinsamen Vorbereitung der WM hatte es im vorigen Jahr einen neuen Streit über japanische Geschichtsbücher gegeben. Viele historische Gräuel der Japaner in Korea, etwa die Zwangsprostitution koreanischer Frauen in japanischen Bordellen, waren geschönt oder ausgelassen. Seoul war empört.“

Über die Motivlage der Fifa, eine WM erstmals nach Asien zu vergeben, schreibt Ralf Wiegand (SZ 31.5.). „Für die Machthaber dieses Sports, die gerade in Seoul beim Wahlkongress des Weltverbandes Fifa eindrucksvoll bewiesen haben, wie selbstherrlich sie die Befehlsgewalt zu verteidigen bereit sind, wird ein durchorganisierter Spielbetrieb auf diesem Kontinent einen enormen Machtzuwachs bedeuten. Fußball steht mit anderen globalen Sportverbänden im Wettstreit um Absatzmärkte und Einflusszonen. Außerdem brauchen die Sportartikelhersteller neue Kundschaft für Stollenschuhe und Kunstfaser-Trikots. Die so genannten Weltstars des Fußballs, Werbe-Lokomotiven ihrer Ausrüster, sind ja so lange nicht wirklich welche, wie man sie in Gwangju und Oita nicht kennt.“

Ob des Vorhabens, die Interessen beider Länder konfliktfrei vereinbaren zu können, ist Roland Zorn (FAZ 31.5.) skeptisch. „Erstmals nämlich versucht die Fifa in zwei Ländern gleichzeitig, ans Ziel ihrer Wünsche zu kommen. Ausgerechnet in Südkorea und Japan, wo die gemeinsame Geschichte die Menschen eher trennte, als sie einander näher zu bringen, soll ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter sportlichen Vorzeichen wachsen. Wenn sich die Fifa da mal nicht übernimmt. Tatsächlich war die Vergabe der WM an Südkorea und Japan vor sechs Jahren nicht etwa das Ergebnis eines großen, historisch gemeinten Wurfs, sondern ein Formelkompromiss unter den schon damals nahezu verfeindeten Spitzen der auf Japan fixierten Fifa einerseits und der mit Südkorea verbündeten Europäischen Fußball-Union andererseits.“

Nicht zuletzt ringen Japan und Südkorea um wirtschaftliche Überlegenheit. Anne Scheppen (FAZ 31.5.) sieht jedoch Möglichkeiten zur Überwindung nationaler Schranken. „Daneben steht aber auch die natürliche Rivalität von großem und kleinem Bruder, von wirtschaftlicher Weltmacht und aufstrebendem Tigerstaat. Überlegenheitsgefühl und Minderwertigkeitskomplex, Neid und Überheblichkeit erschweren den Dialog von zwei Nationen, die ebenso viel gemeinsam haben, wie sie trennt (…) Doch die junge Generation überwindet die Gräben schneller als die Älteren. Junge Japaner finden Korea cool und haben die koreanische Mode und Küche für sich entdeckt. Junge Koreaner folgen den Trends aus Tokio. Noch nie haben so viele junge Japaner Koreanisch gelernt wie in den vergangenen Jahren. Und die japanische Popmusik, die Kulturwächter in Seoul zu bannen versuchen, holen sich die Fans aus Korea ohnehin schon aus dem Internet.“

Über die ökonomische Bedeutung, die der Ausrichtung der Fußball-WM im Gastgeberland Südkorea beigemessen wird, schreibt Felix Reidhaar ( NZZ 31.5.). „14 Jahre nach den Olympischen Sommerspielen, die für das isolierte und von seinen Nachbarn in der Geschichte wiederholt angegriffene Land wirtschaftlich wie politisch bahnbrechenden Charakter bekamen, ist die Chance günstig, sich ins Gedächtnis einer Weltöffentlichkeit zurückzurufen. Wichtig für die Imageförderung und den ökonomischen Einfluss. Denn die Milliardeninvestitionen in Sportinfrastruktur sind zu amortisieren.“

Holger Gertz (SZ 29.5.) über japanische Wahrnehmungsmuster. “Eine ferne Galaxie ist dieser Spielplatz hier sowieso, für jemanden, der Fußball in Deutschland gewohnt ist, und Fußball in Deutschland heißt doch: Sich einen Fan-Schal umbinden, sich eine Bratwurst kaufen im Stadion und mehrere Biere, sich gepflegt gehen lassen, den Schiedsrichter ein dummes, womöglich blindes Schwein nennen; heißt schließlich reden und reden und reden, im Stadion schon und in der Kneipe danach. Reden über einen Ball, der drin war oder nicht; eine ganze Woche lang reden, palavern, schwätzen bis zum nächsten Spiel. In Japan debattieren sie ganz anders über Fußball, man hat das in den letzten Tagen im Fernsehen hier beobachten können, wo es vorkommt, dass ein am Tor vorbeigeschossener Ball nicht besprochen, sondern analysiert wird, mit minutenlangen Wiederholungen in Zeitlupe und Superzeitlupe und Standbild, mit Schaubildern und Grafiken, auch dann, wenn es um eine ziemlich simple Aktion geht. Ein Stürmer zum Beispiel, der aus fünf Metern den Fußball nicht in den Kasten tritt, wird in Deutschland verhöhnt, dass es kracht. Als bei der vergangenen WM in Frankreich der Japaner Masashi Nakayama aus fünf Metern gegen Kroatien versagte, spürten japanische Reporter, auf der Suche nach Ursachen für seinen Fehlschuss, seine Familie und seine Nachbarn auf, recherchierten, dass der Kellner im Hotel des japanischen Teams Kroate war, fanden, da müsse doch ein Zusammenhang bestehen, fragten Experten für solche Zusammenhänge, wollten schließlich ermitteln, was nicht zu ermitteln ist: Die Gründe dafür, dass einer manchmal vor dem Tor alles vergisst, was er gelernt hat.”

Die FAZ (28.5.) befasst sich mit dem Prestigewert Fußball-Weltmeisterschaft in Südkorea. „Das größte Sportfest, das zusammen mit Japan ausgetragen wird, hat in Südkorea nationalen Ehrgeiz entfacht, als hätte man nur diese dreißig Tage, um sich der Welt zu beweisen. Vierzehn Jahre ist es her, dass Südkorea ähnlich hell im Rampenlicht stand. Die Olympischen Spiele in Seoul waren ein Wendepunkt für das kleine Land, das sich unter den Augen der Welt von der Militärdiktatur löste und zu einer demokratischen Industrienation aufstieg. Mit einem Schlag wurde Südkorea wahrgenommen – ein „Tigerstaat“, der anderen Furcht und Respekt einflößte. Doch mit der Finanzkrise 1997 nahm auch das koreanische Selbstbewusstsein Schaden. Nun erhofft man sich von der WM zumindest wirtschaftlich ähnliche Impulse wie von den Sommerspielen 1988. Während Japan von Großereignissen verwöhnt ist, hat Südkorea erst jetzt wieder eine Chance, sich international zu präsentieren. Das ist ein nationales Anliegen (…) In den südkoreanischen Enthusiasmus mischen sich viele Emotionen: ein ungewöhnlich starker Nationalstolz, Minderwertigkeitsgefühle und Rivalität gegenüber Japan, der Wunsch, als erfolgreiche Wirtschafts- und Technologienation wahrgenommen zu werden.“

Anne Scheppen (FAZ 28.5.) berichtet über die Stimmung im anderen Gastgeberland. „Wenn Japan etwas macht, dann richtig und ohne Kosten und Verschwendung zu scheuen. Für seine zehn Stadien und die Infrastruktur hat Tokio umgerechnet fünf Milliarden Euro ausgegeben – Südkorea etwa 1,9 Milliarden. Und dennoch: Wer in beide Gastgeberländer einreist, mag in Japan den kindlichen Patriotismus der Koreaner vermissen, für die eine WM noch immer ein Beweis der eigenen Wettbewerbsfähigkeit ist. Japan hingegen hat das nicht mehr nötig, die zweitgrößte Industrienation der Welt braucht nach drei Olympischen Spielen – 1964, 1972 und 1998 – sowie ungezählten Meisterschaften nicht mehr den Sport, um sich auf der internationalen Bühne Anerkennung zu verschaffen. Nationalstolz findet andere Ventile, Fußballbegeisterung wird in Japan nicht mehr von der Regierung verordnet (…) Die größte Begeisterung für die Weltmeisterschaft 2002 pflegten in den vergangenen Monaten jene, die von dem Fußballturnier zu profitieren hoffen: Japans High-Tech-Industrieunternehmen.“

Auch Lukas Schwarzacher (FR 28.5.) ist bezüglich japanischer Begeisterungsfähigkeit skeptisch. „Was noch fehlt, ist landesweiter Enthusiasmus für das bevorstehende Großereignis. Inzwischen werden an die 3 000 Produkte mit einem lizenzierten WM-Logo verkauft, von der Papiertüte über Sake(Reiswein)-Flaschen bis zu Maskottchens aus Plüsch und sogar einem „WM-BH“, doch Japan ist vom WM-Fieber noch weit entfernt.“

Martin Hägele (NZZ 27.5.) schreibt über die Methoden der Nationaltrainer aus den beiden Ausrichterländern. „Mit Sicherheit ist kein Kader an diesem Turnier so fit wie jenes Troussiers (Trainer Japans). Dafür hat der Franzose mit einem äußerst strikten Ernährungsplan gesorgt. Sollte er ein Fitzelchen Fett auf dem Teller der Spieler entdecken, wäre wohl einer der elf Küchenchefs, die in dem japanisch aufgezogenen Hotel im WM-Quartier exakt nach den Vorschriften des Konditionstrainers kochen, sofort seinen Job los (…) In der Endphase der Turniervorbereitung hat Troussiers holländischer Kollege Guus Hiddink im Nachbarland Südkorea mit noch viel mehr Tradition gebrochen. Nicht n ur, was die Ernährung betrifft, hat Hiddink seine Klientel kaserniert wie Klosterschüler: keine Interviews mehr, Natel-Verbot im Camp, das wie Fort Knox bewacht wird. Ausgerechnet Hiddink als Korporal, der früher mit seinen Holländern immer auf die lockere Tour gereist ist. Plötzlich aber scheinen all diese Maßnahmen zu fruchten.“

Michael Ashelm (FAS 26.5.) bezeichnet das Weltturnier als Ausdruck einer „Welle kommerzieller Expansionspolitik des Fußballs (…) Seit dem vergangenen Fest vor vier Jahren in Frankreich, als der Boom so richtig in Schwung gekommen war, hat sich im Weltfußball viel verändert. Bis zum letzten Cent ist das Produkt auf dem Kernmarkt Europa ausgequetscht, sind alle Möglichkeiten der Vermarktung ausgeschöpft worden. Die Krise, die mit dem Bankrott des FIFA-Partners ISL/ISSM begann und sich mit der Kirch-Insolvenz fortsetzt, hat viele Beteiligte eines maßlos überstrapazierten Systems in existenzielle Nöte gebracht (…)Wenn der Ball die nächsten Wochen zig Stunden durch die zwanzig Stadien rollt, dann sollen via Fernsehen die Märkte zwischen Japan und Arabien stimuliert werden.“

Der Oman Daily Oberserver (25.5.) berichtet von einer Untersuchung über den Stellenwert des Fußballs und der Weltmeisterschaft in den beiden Gastgeberländern. Man hat festgestellt, dass der Engländer David Beckham den Brasilianer Ronaldo als beliebtester Spieler Asiens abgelöst hat. „Ronaldo Co sehen die asiatischen Fans hingegen als Favorit auf den WM Titel, gefolgt von Titelverteidiger Frankreich. Nur in Thailand liegen die Engländer als erster Titelanwärter vorne, da englischer Fußball dort einen hohen Stellenwert genießt und Beckham den Status einer kleinen Gottheit besitzt.“ Eine deutliche Differenzierung führt der „Oman Oberserver“ (Ausgabe vom 25. Mai) an: „Die asienweite Umfrage fand heraus, dass 89% der Koreaner an der WM interessiert sind, hingegen nur jeder Dritte Japaner angab, an dem Fußballfest interessiert zu sein.“

Ralf Itzel (SZ 27.5.) hat bei einem Testspiel einen Vorgeschmack auf japanische Stadionatmosphäre bekommen. „Im Stadion gilt es auch einiges zu beachten, aber immerhin wird man per Leuchtanzeige stets höflich gebeten: Zu sitzen, wenn die Teams den Rasen betreten, aufzustehen bei den Hymnen, nicht zu rauchen, keine Gegenstände auf den Rasen zu werden, den Abfall zu trennen und doch bitte nach Spielende mit auf zu räumen! Schließlich gilt es, das Gesamtbild zu wahren.“

Zu den Sicherheitsbedenken und -vorkehrungen in Japan und Südkorea bemerkt Roland Zorn (FAZ 27.5.). „Für den harten Kern der europäischen Fußball-Krawallbrüder dürfte diese WM zu teuer und zu weit weg sein, um ihr nachhaltig schaden zu wollen. Ernster zu nehmen sind da schon die Vorkehrungen vor möglichen terroristischen Anschlägen auf die WM, gegen die man sich im Fernen Osten mit Überwachungsflügen und militärischer Prophylaxe bis hin zu möglichen Raketenschlägen wappnet.“

Ein Zwischenfall illustriert die problematische Beziehung der beiden WM-Gastgeberländer Südkorea und Japan. Es ist nicht der erste. Henrik Bork (SZ 22.5.) berichtet. „Japan und Südkorea richten diese WM gemeinsam aus. Und da wollen beide Länder zumindest für die Dauer des Turniers gute Nachbarn sein (…) Dass es da noch viel Nachholbedarf gibt, ungeachtet all des Übens und des guten Willens, hat sich schon im Vorfeld dieser ersten Fußball-WM, die auf zwei Länder aufgeteilt worden ist, gezeigt. Japan und Südkorea hatten sich ursprünglich getrennt um die WM beworben. Als der damalige Fifa-Präsident Joao Havelange am 31. Mai 1996 überraschend verkündete, beide Länder sollten sie gemeinsam bestreiten, war man weder in Tokio noch in Seoul erfreut. Die Ränkespiele im Exekutivkomitee der Fifa hatten zwei Rivalen ins Rennen geschickt, deren gegenseitiges Misstrauen aus einer schmerzhaften Vergangenheit gespeist wird (…) Auf Regierungsebene sind sich beide Länder bislang kaum näher gekommen. Der Ballkünstler Koizumi hat hier das größte Eigentor geschossen. Vergangenen Monat, also bereits mitten in der WM-Vorbereitung, besuchte der Premier erneut den umstrittenen Yasukuni-Schrein. Dort gedenkt Japan seiner Kriegstoten, leider auch einer Reihe toter Kriegsverbrecher. In Korea, das von 1910 bis 1945 unter einer brutalen japanischen Besatzung gelitten hat, wird das als Affront gesehen. Erboste koreanische Veteranen hackten aus Protest auf offener Straße ein quiekendes Schwein zu Tode, auf das sie „Koizumi“ gepinselt hatten. Die alten japanisch- koreanischen Wunden klaffen so offen wie eh und je, Fußball-WM hin oder her.“

Anne Schneppen (FAZ 11.4.) berichtet von der Angst des WM-Veranstalters Japan vor britischen Fußballfans und der “Jagd auf das Ungetüm Hooligan”. “Den Anwohnern empfiehlt die Polizei, alles, was als Waffe dienen könnte, wegzuschließen: Blumenkübel, Fahrräder, Besenstiele. Gegen das Ungetüm Hooligan entwickelten japanische Forscher einen ultraleichten, ultramodernen dreiteiligen Schutzanzug aus Plastik und Duraluminium. Kleine Gruppen unkontrollierbarer Hooligans will die größte Walfangnation nicht torpedieren, sondern mit einem sanften Netz zur Räson bringen. Erfunden wurde die Netzpistole, die gleichzeitig drei Menschen zu Fall bringen kann. Für den Schützen fand die heimische Presse schon einen passenden Namen: Spiderman. Von den Sportjournalisten des Landes werden all diese Bemühungen um die nationale Sicherheit allerdings kaum gewürdigt, sie machen sich eher darüber lustig und verweisen auf den – wenig geliebten – südkoreanischen Partner, dessen Waffen größeres Kaliber haben. Südkoreas Militär wird Flugabwehrraketen in der Nähe der Stadien positionieren.”

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