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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Rising Stars

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Rising Stars

Raphael Honigstein (taz 18.9.) weint mit den Stuttgartern um eine verpasste Chance nach. „Ein paar Sekunden nachdem Kevin Kuranyis Abstauber zum 0:1 das vor archaischem Lärm berstende Ibrox urplötzlich in ein ganz normales Stadion verwandelt hatte, kam ein Mann mit einer blauen Lostrommel auf den Platz. Die bedröppelten Anhänger der Rangers wurden noch stiller. Auf der Videoleinwand leuchteten die Wörter Rising Stars auf, dann griff der Herr in den sechseckigen Behälter, und für einen Moment war man sicher, dass er gleich die Namen Kuranyi, Hleb oder Hildebrand verlesen würde – die jungen Wilden vom VfB Stuttgart schienen an diesem dramatischen Abend wirklich zu Sternen am europäischen Fußball-Firmanent werden zu können. Begonnen hatten die Schwaben hingegen da, wo sie sich nach der unnötigen Niederlage wiederfanden: am Boden. Von den riesigen Schallwellen der Kulisse aus der Bahn geworfen, war der VfB auf dem glitschigen Rasen gleich arg ins Schleudern geraten; die falsche Wahl des Schuhwerks hatte die Sache nicht leichter gemacht. Erst nach zwei famosen Paraden von Hildebrand gegen Mitte der ersten Hälfte hatte Felix Magaths Elf bemerkt, dass sie dem Gegner taktisch und technisch einiges voraushat: Kuranyis Treffer nach Bordons Freistoß an den Pfosten war keineswegs unverdient, wie Rangers-Trainer Alex McLeish hinterher befand; in Wahrheit hätte man gegen die ideenlosen Gäste mit konsequenterem Spiel nach vorne in der zweiten Halbzeit noch das eine oder andere Tor schießen müssen. Stuttgart war dem schottischen Meister deutlich überlegen, bewies Qualität und Reife. Zumindest bis 15 Minuten vor dem Ende.“

James Bond trank allein mit den Stuttgarter Vereinsbossen

Oliver Trust (Tsp 18.9.) fasst enttäuschte Stuttgarter Reaktionen zusammen. “Die meisten hasteten davon, als würden sie für jeden Meter extra bezahlt. Wortlos, mit leerem Blick und hängendem Kopf eilten die Profis des VfB Stuttgart in ihren Mannschaftsbus wie in eine Zone der Schweigsamkeit. Ein ganzer Verein schien in dieser Nacht auf der Flucht. Die Augen von Trainer Felix Magath sahen so gerötet aus als habe er ein paar Tränen vergossen, aber es waren nur die Kontaktlinsen, die seine Bindehaut reizten. Nach dem 1:2 im ersten Spiel der Champions League bei den Glasgow Rangers gaben sich die Schwaben alle Mühe, ihren Frust zu verbergen. Nicht einmal die Aussicht auf einen Whisky mit Sean Connery konnte die Stuttgarter dazu bewegen, auf der VIP-Party im Hotel Radisson vorbeizuschauen. Der schottische Schauspieler und Rangers-Fan, einem Millionenpublikum als James Bond bekannt, trank dann allein mit den Stuttgarter Vereinsbossen. Felix Magath saß mit seinen Spielern in einem Nebenraum und schaufelte lustlos in sich hinein. Zuvor hatte der Trainer seiner Verärgerung Luft gemacht und seine Mannschaft scharf kritisiert. „Beim 1:1 haben wir uns angestellt wie eine Amateurmannschaft. Solche Fehler werden sogar in der zweiten Liga bestraft, das 2:1 fälschte Bordon unhaltbar ab“, sagte der Trainer. Ruhe fanden sie in dieser Nacht der Enttäuschungen keine. In ein paar Minuten hatten sie einen sicher geglaubten Erfolg aus der Hand gegeben, das konnte keiner fassen.“

Wer immer noch behauptet, Beckham sei ein mittelmäßiger Fußballspieler, der hat keine Ahnung

Peter Burghardt (SZ 18.9.) schnalzt mit der Zunge. „Die Madrider Tore waren Folge eines vereinten Wutanfalls und individueller Ideen von Künstler Zidane, Roberto Carlos und Beckham. Wer immer noch behauptet, der Engländer sei ein großer Popstar, aber mittelmäßiger Fußballspieler, der hat keine Ahnung. Er half sogar selbstlos in der Abwehr aus, denn dort ist die Achillesferse der Madrider Risikogesellschaft zu finden. „In diesem Team gab es immer defensive Probleme“, sagt Ronaldo, der in fünf Pflichtspielen fünfmal getroffen hat. „Aber wir sind darauf vorbereitet.“ Wirklich? Man weiß nicht, was passiert, wenn technisch und taktisch bessere Gegner als Valladolid und Marseille vorstellig werden. Queiroz hält die Millionäre bisher bei Laune und auffällig in Schwung – Roberto Carlos rennt trotz zweier Länderspiele vergangene Woche in Südamerika wie aufgezogen über den Rasen, als Leichtathlet wäre er verdächtig. Doch der brave Manndecker Raul Bravo ist ein wackliger Ersatz für den verletzten Ivan Helguera und Francisco Pavon als Abwehrchef ein Frischling, spätestens zur Winterpause wird nach Verstärkung gefahndet. Die Geniestreiche der Offensive dürften ja nicht immer genügen. Andererseits machen die Zweifel den Reiz dieses Experiments aus – es ist ein Balanceakt ohne Netz, wie es sich für einen guten Zirkus gehört. Bislang bleibt Perez seinem Entwurf „Zidanes und Pavones“ treu, also Weltstars und Nachwuchsspieler in einer Elf zu binden. Am Ende standen sechs junge Männer auf dem Platz, die in Madrid geboren sind: Casillas, Bravo, Pavon, Guti, Raul, Portillo.”

Gute Kontakte zum organisierten Verbrechen

Dario Venutti (NZZ 18.9.) schildert die Verbindungen von Partizan Belgrad. “Die Symbolik des sportlichen Erfolgs fügt sich gut ein in einen generellen Trend, der in Serbien seit dem Sturz des Regimes Milosevic eingesetzt hat. „Europa“, „Europäisierung“ und „europäische Standards“ gehören zum festen Wortschatz der Phraseologie von Politikern und Unternehmern, die im Ancien Régime noch das Gegenteil postuliert hatten. Dasselbe gilt für Exponenten von Partizan Belgrad. Der Verein war früher regimetreu; man organisierte beispielsweise am zweiten Tag der Nato-Angriffe 1999 ein Spiel gegen AEK Athen als surreal anmutendes Happening. Die Symbiose ging so weit, dass der hohe Klubfunktionär Mirko Marjanovic eine Zeitlang das Amt des jugoslawischen Ministerpräsidenten bekleidete. Mit der Wende in der Politik gab sich auch der Verein ein neues Antlitz. Auf der mittleren Hierarchiestufe dominiert nicht mehr der zähe Apparatschik, der jedes Anliegen zunächst abschlägt, sondern der smarte und zuvorkommende Marketingmann. Partizan hat am Stadtrand von Zemun bei Belgrad ein modernes Trainingszentrum erstellt, das in sportlicher, medizinischer und infrastruktureller Hinsicht höchsten Ansprüchen genügt. Wie der Bau finanziert wurde, ist allerdings schleierhaft. Offiziell wurde dem Verein das Bauland gratis zur Verfügung gestellt. Belgrader Journalisten sind jedoch der Ansicht, dass Partizan gute Kontakte zum organisierten Verbrechen unterhält und von diesem Geld erhält. Beweisen kann dies freilich niemand. Ein weiteres Indiz für die Nähe zur Mafia ist die Tatsache, dass dem Verein gegen Ende der neunziger Jahre die finanzielle Basis wegbrach. 1945 als Armeeklub gegründet, war Partizan im sozialistischen Jugoslawien neben Roter Stern Belgrad, Dinamo Zagreb und Hajduk Split der erfolgreichste Klub und stand 1966 im Final des Meistercups (1:2 gegen Real Madrid). Weil das Geld der Armee ausblieb, gründete Partizan ein Import-Export-Unternehmen, das unter anderem mit Salz und Keramik handelt. Der Verein unterhält überdies ein eigenes Wettbüro. Diese euphemistisch Diversifizierungen genannten Geschäftsbereiche erlauben es dem Klub, sich in der Bundesrepublik Jugoslawien als sportliche Top-Adresse vor Roter Stern zu positionieren.“

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