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Römer Derby

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Römer Derby

das Römer Derby fordert Helden und verursacht Gereiztheit – die „Buchhalter-Tricks“ (FTD) italienischer Funktionsträger – Leeds United, ganz tief gefallen – FC Portsmouth, Englands Aufsteiger setzt auf „Ausgemusterte“ (NZZ) – dieses Mal gibt es kein 3:8 für Deportivo La Coruña – das Derby von Buenos Aires zwischen River Plate und Boca Juniors, der Höhepunkt im argentinischen Vereinsfußball

Steigt noch nicht ab, wir wollen noch ein bisschen Spaß haben mit euch

Birgit Schönau (SZ 11.11.) berichtet Heldentum und Gereiztheit beim Römer Derby (AS besiegt Lazio mit 2:0): „Er ist erst 23 Jahre alt und hat noch viel vor sich. Aber egal, was geschieht, alle werden bei seinem Namen an dieses Tor denken. An den lässig, doch kraftvoll geschlagenen Freistoß von Antonio Cassano und an ihn, Mancini, wie er in die Luft hüpft, mit dem Rücken zum Tor, das Gesicht in Vorfreude strahlend, und den Ball mit der Hacke ins Netz feuert. Unhaltbar, unfassbar, dieser Führungstreffer für den AS Rom. „Seit Monaten reden sie hier nur vom Derby“, hat Mancini später berichtet, „und ich dachte immer: die spinnen, die Römer. Die ganze Stadt steht still, es gibt überhaupt kein anderes Thema mehr. Aber als ich getroffen habe und auf die Südkurve blickte, habe ich begriffen.“ (…) Es soll Menschen geben, die noch nicht einmal beim Fußball an die Macht des Schicksals glauben, aber Mancini, Roberto Mancini, gehört bestimmt nicht dazu. Roberto Mancini, der Lazio-Trainer, hat einst selbst der Roma ein Tor mit der Hacke versetzt – vor vielen, vielen Jahren war das, als Lazio noch Derbys gewann. Mancini, der Brasilianer, wird ihm jetzt als Abgesandter der Rachegöttinnen erschienen sein. Die Roma-Fans sagen „Mansini“, um ihn von Lazios „Manschini“ zu unterscheiden. Eigentlich heißt er Alessandro Faiolhe Amantin, sein Großvater rief ihn „mancine“, weil er so ruhig war, sein Trainer Toninho Cerezo machte aus Alessandros Kinderspitznamen dann „Mancini“. Cerezo war an der Seite von Roberto Mancini mit Sampdoria Genua Meister geworden. So ist das im Fußball-Leben, am Ende löst sich immer alles auf, und Zufälle gibt es nicht, lediglich beruhigende (oder beunruhigende) Gewissheiten. Nach seinem ersten Derby steht Mansini mit dem AS Rom auf Platz zwei, hinter Juventus, punktgleich mit Milan. Manschini fünf Punkte dahinter auf Platz 6. „Steigt noch nicht ab, wir wollen noch ein bisschen Spaß haben mit euch“, hatten die Romanisti in der Südkurve gespottet, dabei droht beiden, Lazio und Roma, die finanzielle Pleite. Die Fans machten Witze darüber (Roma: „Wir zahlen für euch, haut nicht ab“, Lazio: „Bezahlt erst einmal eure Schulden!“), aber in ein paar Tagen ist Aktionärsversammlung. Da spielen Mansini und Manschini keine Rolle mehr. Es ist nämlich eine Partie im schicksalsfreien Raum.“

Thomas Fromm (FTD 11.11.) erläutert die „Buchhalter-Tricks“ italienischer Fußball-Funktionsträger: “Worum es bei dem Streit im Einzelnen geht: Im Land der teuersten Transferkosten können Klubs nun steuerlich abschreiben, was ihnen unangenehm auf die Bilanzen schlägt. Zum Beispiel dann, wenn der Wert eines Spielers sinkt und mit ihm auch die Ablösesumme. Diese Abschreibungen, Schulden und Verluste können auf zehn Jahre verteilt gebucht werden – was angesichts der galoppierenden Verbindlichkeiten der Klubs eine komfortable Rechnung zu sein scheint. Bis auf den zur Fiat-Familie Agnelli gehörenden Verein Juventus Turin sollen Insidern zufolge alle Klubs auf diese Bilanzierungstechnik angewiesen sein, um dem Bankrott zu entgehen. Allein die großen vier A-Liga-Vereine Inter Mailand, AC Mailand, AS Rom und Lazio Rom verbuchen in der Saison 2002/2003 Verluste in Höhe von rund 1 Mrd. Euro. Der Verdacht liegt nahe: Die in Italien „Spalmadebiti“-Dekret genannte Verfahren (Spalmare heißt so viel wie „vor sich hinschmieren“) kommt einem de-facto-Schuldenerlass gleich. Und da es nicht um irgendwelche kleinen Sportvereine geht, sondern um millionenschwere Aktiengesellschaften, sprach Wettbewerbskommissar Monti in der vergangenen Woche auch von „legalisierter Bilanzfälschung“. In den Hinterzimmern der Fußballstadien ist die Panik groß. Sportfunktionäre, Verbandssprecher, Hinterzimmer-Staatssekretäre, von deren Existenz man bisher nicht einmal etwas ahnte – sie alle wollen nun ihre Sicht der Dinge darlegen und beweisen, dass das Spalmadebiti-Dekret nichts mit Staatshilfen zu tun habe. Nicht einmal mit versteckten. „Wenn man seine Schulden jetzt nicht mehr einfach wegschmieren kann, hat man ein großes Problem – sie bleiben dann nämlich kleben“, sagt der Mailänder Sportjournalist und Fußballexperte Marco Liguori. Und das könnte für viele Teams den sicheren Ruin bedeuten. Nun müssen Berlusconis Finanzakrobaten darüber nachdenken, wie der Profifußball künftig finanzierbar ist, ohne Buchhalter-Tricks anzuwenden.“

Die dekadente Seite des Fußballbooms

Christian Eichler (FAZ 11.11.) widmet sich der Lage von Leeds United, verschuldeter Premier-League-Klub: „Längst rächt sich der Größenwahn der späten neunziger Jahre, als Leeds um jeden Preis auf Pump in die Liga von Arsenal und ManU vorstoßen wollte. Aber plötzlich ist alles auseinandergefallen, sagte Harry Redknapp, der Trainer von Portsmouth, am Samstag, nun müssen sie aufpassen, daß sie nicht ein zweites Sheffield Wednesday werden. Sollte Leeds absteigen und damit von den Fernsehgeldern der Premier League abgeschnitten werden, droht der Konkurs und damit ein Niedergang wie beim heute drittklassigen Pionierklub aus Sheffield. An der Börse ist der Klub derzeit keine zehn Millionen Pfund mehr wert. Im Frühjahr 2001 betrug die Börsenbewertung das Zehnfache. Das Vabanquespiel schien aufzugehen: Leeds erreichte das Halbfinale der Champions League. Doch der Versuch, mit irren Gehältern einen Stammplatz an den europäischen Geldtöpfen zu erzwingen, führte in der Rezession zum finanziellen Desaster. Seit 2002 hat der Klub fast alle Spitzenspieler verkaufen müssen. Und obwohl man etwa für Verteidiger Rio Ferdinand die Rekordsumme von 46 Millionen Euro von Manchester United bekam, steht der Verein immer noch mit Schulden von fast 120 Millionen Euro da. Seit der Verwicklung von Lee Bowyer und Jonathan Woodgate in den brutalen Überfall auf einen dunkelhäutigen Studenten steht Leeds, obwohl die beiden Nationalspieler vor Gericht glimpflich davonkamen, auch für die dekadente Seite des Fußballbooms.“

Felix Reidhaar (NZZ 11.11.) meldet: „Die Sunday Times muss einen Draht ins Direktorium des AFC Leeds United haben – als einziges Sonntagsblatt nahm sie die in den nächsten 24 Stunden umgesetzte Vollzugsmeldung vorweg. Manager Peter Reid, zuletzt in Sunderland nicht sonderlich erfolgreich, muss seine Zelte an der Elland Road nach kurzer Zeit wieder abbrechen. Was nicht weiter verwundern kann: Nach der 1:6-Schlappe in Portsmouth sitzt dem Traditionsklub aus Yorkshire das Abstiegsgespenst neben der Schuldenlast von 78 Millionen Pfund im Nacken. Es starre, heisst es anderswo dramatischer, nach der fünften Niederlage im sechsten Spiel und mit der roten Laterne im Premiership geradewegs in den Abgrund. Vom permanenten Krach zwischen dem Manager alten Stils und dem besten Goalgetter, dem Australier Mark Viduka, war ein besonders schlechter Einfluss auf das Team ausgegangen. Letztlich hat das arrogante Verhalten des am Samstag zu Hause gebliebenen Stürmers, das die Moral im Team drückte und die Spielermeinungen dividierte, Reids Schicksal besiegelt.“

Die Ausgemusterten wollen es sich selbst und den anderen noch einmal zeigen

Martin Pütter (NZZ 11.11.) beschreibt die Erfolgsstrategie bei Aufsteiger FC Portsmouth: „Welten trennen den FC Portsmouth und Leeds United. Der Marktwert der Mannschaft des Aufsteigers von der englischen Südküste beträgt weniger als 7 Millionen Pfund (15,4 Millionen Franken), was der Gegner aus der Grafschaft Yorkshire allein für Mittelfeldspieler Seth Johnson ausgegeben hat. Etliche Leeds-Spieler beziehen einen Wochenlohn von 30000 Pfund – davon können die Spieler bei „Pompey“ nur träumen. Dazu trennten Portsmouth und die United vor dem direkten Match neun Plätze in der Tabelle der Premier League – zugunsten des Aussenseiters. Und der untermauerte die neue Hierarchie: 6:1 wurde Leeds vom Platz gefegt. Es war nicht das erste Mal in dieser Saison, dass „Pompey“ einem Gegner einen empfindlichen Nasenstüber verpasste (…) Das Erfolgsrezept ist ein einfaches. Coach Redknapp vertraut auf Spieler, die anderswo ausgemustert worden sind. Dazu gehören etwa Torhüter Shaka Hislop (früher Newcastle United), Tim Sherwood (Blackburn Rovers, Tottenham Hotspur), Steve Stone (Aston Villa), Patrick Berger (Liverpool) und als Prominentester der ehemalige englische Nationalstürmer Teddy Sheringham, der im Sommer mit 37 Jahren vom Spurs- Manager Glenn Hoddle (mittlerweile entlassen) als zu alt befunden worden war. Nicht beim englischen Meister von 1949 und 1950. Die Routine ist der eine Vorteil, der Kostenfaktor – alle kamen ablösefrei – der andere. Weitere Spieler wurden für einen minimen Betrag verpflichtet, wie etwa der Senegalese Amdy Faye oder aus der Jugendabteilung Gary O‘Neill, der in seinem Début am Samstag gegen Leeds United gleich zwei Tore erzielte. Doch der wichtigste Faktor für den grössten Teil der Mannschaft ist die Motivation – die Ausgemusterten wollen es sich selbst und den anderen noch einmal zeigen.“

Georg Bucher (NZZ 11.11.) bemerkt, dass bei Deportivo La Coruña wieder fast alles im Lot sei: „Anderthalb Jahre hatte Djalminha Feitosa keinen Meisterschaftsmatch mehr mit Deportivo La Coruña gespielt. Am Samstag wurden der Brasilianer sowie der Topskorer Pandiani im zweiten Abschnitt eingewechselt. Die Galicier lagen gegen Real Sociedad in Rückstand, schienen unfähig, das Spiel noch umzubiegen. Also machte Javier Irureta den Aficionados Zugeständnisse und sprang über seinen Schatten. Weil Djalminha ihm im Training eine (leichte) Kopfnuss verpasst hatte, war der Sohn des legendären Selecção-Captains Djalma Santos marginalisiert und später an Austria Wien ausgeliehen worden. Mangels Interessenten kehrte er im Sommer an die alte Wirkungsstätte zurück. Mit Pass auf Capdevila und einem nahe aufs Tor gedrehten Cornerball hatte er Jaureguis zwei Eigentore vorbereitet, beim Siegtreffer in der 87.Minute verwirrte Pandiani den baskischen Unglücksraben Jauregui. Nicht zum ersten Mal bescheinigten die Beobachter Iruretas Auswechselgeschick, doch jetzt taten ihm die Elogen besonders gut. Nach der ersten Heimniederlage (gegen Mallorca) und einem torlosen Remis in Murcia hatte sich das Malaise letzten Mittwoch verstärkt. Durch La Coruña geisterte der „Monacazo“, das 3:8-Desaster im Prinzipat, das sich wie dichter Nebel über die Köpfe legte und Ratlosigkeit verursachte. Zu einem verbalen Befreiungsschlag hatte indessen Andrade nach dem Desaster im bisher torreichsten Champions-League-Match ausgeholt. Der portugiesische Internationale angolanischer Herkunft griff tief in die historische Kiste und bemühte die WM 1954. Damals habe Deutschland nach einer 3:8-Niederlage in der Vorrunde die übermächtigen Ungarn im Berner Endspiel besiegt, warum sollte Deportivo in einer finalen Neuauflage gegen die Monegassen nicht zu einem ähnlichen Husarenritt in der Lage sein. Zweckoptimismus mag dem Ausblick zugrunde liegen. Präsentiert sich Deportivo auch in den nächsten Wochen als Karikatur des einstigen Superdepor, wäre das Thema Champions League schon im Dezember erledigt. Irureta beherrscht die Kunst, eine Baisse mit wenigen Schrammen zu überstehen.“

Heinrich Geiselberger (Tsp 11.11.) berichtet die 0:2-Niederlage River Plates gegen Boca Juniors im Stadtderby von Buenos Aires, dem Höhepunkt im argentinischen Vereinsfußball: „Der Held war in seine Heimat zurückgekehrt. Und er hatte einen guten Grund. Andres D’Alessandro, der Spielmacher des Fußball-Bundesligisten VfL Wolfsburg, der Mini-Maradona, wie sie den schmalen Argentinier nennen, wollte sich den 175. Klassiker von Buenos Aires zwischen River Plate und Boca Juniors nicht entgehen lassen. Das ist für Argentinier der Höhepunkt eines jeden Jahres. Umso bitterer war es für D’Alessandro, den früheren Kapitän von River Plate, dass er mit ansehen musste, wie seine Mannschaft gegen Boca sang- und klanglos mit 0:2 verlor. Die beiden Hauptstadtvereine zählen zu den ruhmreichsten der Erde. Beide gewannen jeweils das Weltpokalfinale, das Duell des Südamerikameisters mit dem Sieger der Champions League. Und seit Jahren bedienen sich ambitionierte europäische Vereine ihrer Stars. In diesem Sommer traf es besonders River Plate. Allein an den VfL Wolfsburg verlor der Klub neben D’Alessandro (9,5 Millionen Euro) auch noch Juan Carlos Menseguez. Zudem hatte sich der FC Bayern Martin Demichelis eingekauft. Vor allem an der Person D’Alessandros lassen sich die Schwierigkeiten von River Plate erklären: Während in den letzten Jahren die Verkäufe von Stars wie Aimar, Saviola oder Crespo schnell durch Nachwuchsspieler kompensiert werden konnten, geriet dieser Mechanismus nun zum ersten Mal ins Stottern. Die Abgänge von sechs weiteren Stammspielern konnten nicht verkraftet werden. Der Plan, die Mannschaft durch „Re-Importe“ erfahrener Legionäre zu stabilisieren, scheiterte. Marcelo Salas und Angel Gallardo sind seit ihrer Rückkehr verletzt. Nelson Vivas trat nach Streitigkeiten mit den Fans ebenso zurück wie Ariel Ortega, der seinen Widerstand gegen die nach Streitigkeiten mit Besiktas Istanbul gegen ihn verhängte Sperre aufgab.“

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