Nachschuss
Ronald Reng – Der Traumhüter
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| Donnerstag, 25. März 2004
Die mit einigem Kritikerlorbeer bedachte Erzählung Der Traumhüter von Ronald Reng besticht in der Tat nicht allein durch die schicke Aufmachung: das grasgrüne Bändchen ziert eine zentrale Eins, das Erkennungszeichen schlechthin für den einzigen im Spiel der ungestraft die Hände benutzen darf. Der England-erfahrene Sportjournalist (Süddeutsche Zeitung, Tagesanzeiger) hat den in Deutschland weitgehend unbekannten Ballfänger Lars Leese über einen Zeitraum von mehreren Jahren begleitet und nicht allein aus der sportlichen Perspektive portraitiert. Heraus gekommen ist eine Doku-Soap zum Lesen, die die Außensicht des Journalisten immer wieder mit den subjektiven Stellungnahmen des Traumhüters kombiniert. Rengs kenntnisreiche Beschreibungen des internationalen Fußball-Business blicken dabei auf die den Zuschauern häufig verborgen bleibenden Personen, Strukturen und Mechanismen hinter den Glitzerfassaden der sportiven Unterhaltungsmaschinerie.
Dass dabei nicht alles aus dem sprichwörtlich glänzenden Gold ist, zeigt sich schnell am rasanten Karriereverlauf des portraitierten Towart-Hünen. Die Charakterfigur Leese opfert zunächst im Stile des zornigen jungen Mannes die vorgezeichnete Laufbahn im Nachwuchsteam des 1. FC Köln den Verlockungen einer freien Jugendzeit, um sich dann ein halbes Jahrzehnt später als Keeper einer Kreisligamannschaft im Westerwald wieder zu finden. Dem Wechsel ins Spitzenteam der Provinz folgen Mitte der 90er Jahre Engagements in der dritten Liga und von dort der Sprung ins Profiteam von Bayer Leverkusen – als wenig aussichtsreicher dritter Torwart.
Bei der Beschreibung des Wechsels ins Profilager kommen die dokumentarischen Qualitäten des Traumhüters zum Vorschein: die Modalitäten der Vertragsverhandlungen zeigen einen unerfahrenen, unsicheren Profi und einen gewieften, aber keineswegs unfairen Manager bei einem fußballerischen Allerweltsgeschäft – Rainer Calmund. Auch wenn die Saison bei Leverkusen für Leese sportlich nicht den erhofften Sprung ins Team bringt, so wird das verspätete Profijahr doch zum Katalysator. Durch die Vermittlungsdienste von Tony Woodcock erhält Leese, inzwischen verheiratet und Vater einer Tochter, einen Vertrag beim Premier League-Neuling Barnsley, der ihm bessere sportliche Perspektiven bieten sollte. Zwei wechselvolle Jahre erlebt Lars Leese schließlich, vom Kulturschock im rauhen britischen Profifußball, der Tristesse eines nordenglischen Provinznests bis zu überschwänglichen Fans und dem Highlight eines Auswärtssieges beim FC Liverpool an der Anfield Road ist alles dabei. Leese lebt Hobbyfußballers Traum und Alptraum, denn sein Vertrag wird nicht verlängert und nach einer quälenden Zeit in der Arbeitslosigkeit geht er inzwischen einer geregelten Tätigkeit als Büroartikelverkäufer nach.
Rengs Text erzählt einerseits die mit sportlichen wie privaten Facetten sehr ungewöhnliche Geschichte vom Aufstieg und Fall des Provinzkeepers und beschreibt nebenbei exemplarisch Normalitäten und Fallstricke im Geschäft mit dem Ball. Die Vermengung dieser unterschiedlichen Bestandteile ist durchaus gelungen und macht den Traumhüter zu einer auffälligen Neuerscheinung auf dem Fußball-Büchertisch, wo sich derzeit viel Nachgemachtes, neu Aufgelegtes und nur wenig Originelles drängt.
Christoph Bieber
Ronald Reng. Der Traumhüter. Kiepenheuer Witsch, 256 S., 8,90 .
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