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RSC Anderlecht, keine große Nummer mehr

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für RSC Anderlecht, keine große Nummer mehr

RSC Anderlecht, Gegner Bayern Münchens, ist eine große Nummer in Belgien und keine große Nummer mehr in Europa – Lobeshymne auf Aliaksandr Hleb (VfB Stuttgart)

Wer einmal besticht, besticht immer

Alois Berger (BLZ 30.9.) referiert die Hartnäckigkeit eines schlechten Rufs. „Elfmeter und Schiedsrichtergeschenke sind ein heikles Thema in Anderlecht, seit der frühere Vereinspräsident Constant Vanden Stock 1997 überraschend zugab, dass er 1983 für eine Million Francs (rund 25 000 Euro) einen Elfmeter gekauft hatte. Der Strafstoß brachte Anderlecht damals den Sieg über Nottingham Forest und den Einzug ins Europacupfinale. Der Verdacht, dass sich Anderlecht öfter mal einen Schiedsrichter durch kleine und größere Aufmerksamkeiten gewogen stimmte, war damals in Belgien sehr verbreitet. Gegen Nottingham wurde der Verdacht dann ziemlich dicht, weil ein Anderlechter Stürmer zwar im Strafraum zu Fall gekommen war, aber ohne Ball und Gegner. Ans Tageslicht kam die Geschichte, weil Präsident Vanden Stock erpresst wurde und die Vereinskasse nach 14 Jahren nicht weiter belasten wollte. Juristisch war die Geschichte verjährt, deshalb schloss die Uefa den Verein aus moralischen Gründen für ein Jahr von allen internationalen Wettbewerben aus. Für Anderlecht aber will die alte Elfmetergeschichte einfach nicht aufhören, weil die Fanclubs aller britischen Vereine, die irgendwann einmal gegen Anderlecht verloren haben, immer wieder eine Korrektur des Ergebnisses und Schadenersatz fordern. Nach dem Motto: Wer einmal besticht, besticht immer. Und weil der Hauptstadtclub Anderlecht ähnlich wie sein Gegner aus München als Schnöselverein gilt, wärmen auch zahlreiche belgische Fans die alten Storys gerne auf.“

Die Großen kriegen Siege geschenkt, die Kleinen müssen sie kaufen

Christian Eichler (FAZ 30.9.) berichtet eine weitere Frechheit: „Neulich, als der RSC Anderlecht in Lyon durch einen seltsamen Elfmeter verlor, entwickelte der Präsident eine interessante Theorie: Die Schiedsrichter wissen, bei wem sie sich gut verhalten müssen, um ihrer Karriere einen Impuls zu geben. Ich sage nicht, daß sie ein Spiel mit schlechten Absichten beginnen. Aber sie werden durch irgend etwas beeinflußt. Belgien hat keine Machtposition und ist dabei allzuoft der Benachteiligte. Ob er vor dem Spiel gegen Bayern München wieder so eine böse Ahnung hegt, hat er nicht verraten. Vor dem Schiedsrichter sind alle gleich, doch einige sind gleicher als andere? Diese Theorie ist um so bemerkenswerter, da ihr Urheber einen Namen trägt, der von Vorkenntnissen zeugt. Roger Vanden Stock, der Vorsitzende des belgischen Rekordmeisters, ist der Sohn und Amtsnachfolger von Constant Vanden Stock, mit dem der königliche Brüsseler Fußballklub seine größten Erfolge erzielte, Europapokal der Pokalsieger 1976 und 1978, Uefa-Pokal 1983 – und nach dem heute das Vereinsstadion benannt ist. Es ist derselbe Constant Vanden Stock, der 1984 eines der schmutzigsten Kapitel des europäischen Fußballs schrieb, als er Schiedsrichter Gurucete Muro am Tag nach dem Rückspiel des Uefa-Cup-Halbfinales gegen Nottingham Forest mit einem zuvor verabredeten (und nie getilgten) Darlehen von einer Million belgischer Franc ausstattete (mehr als 50000 Mark). Der Spanier hatte sich die Gabe verdient, indem er den Belgiern einen grotesken Elfmeter gab und den Engländern ein reguläres Tor in den Schlußminuten aberkannte. Es war ein Fall, den man im Rückblick als praktische Konsequenz des Vaters aus der nun vom Sohn beklagten Theorie verstehen könnte: Die Großen kriegen Siege geschenkt, die Kleinen müssen sie kaufen.“

„Seit 40 Jahren spielt Anderlecht ununterbrochen im Europapokal, nur die Serien von Benfica Lissabon und FC Barcelona sind länger“, schreibt Christoph Biermann (SZ 30.9.) über den Gegner von Bayern München. „Wäre es möglich, einen Fußballverein mit einem Schauspieler zu vergleichen, könnte man versucht sein, den RSC Anderlecht einen alternden Mimen zu nennen. Die Stimme ist immer noch sonor, die Präsenz auf der Bühne nicht geschwunden, doch die Rollen sind immer unbedeutender geworden. In den späten siebziger Jahren spielte der Klub aus dem Vorort von Brüssel international noch in der ersten Reihe, er gewann zweimal den Europapokal der Pokalsieger und 1983 den Uefa-Cup. Inzwischen reüssiert der belgische Rekordmeister nur noch auf der kleinen Bühne seines Landes – aber zumindest das wieder. ‚Wir können nicht mehr mit den internationalen Topklubs mithalten‘, sagt Anderlechts Trainer Hugo Broos. Mit einem Etat von 30 Millionen Euro kalkuliert Belgiens reichster Klub – weniger als der 1.FC Köln, und bei Nicht-Teilnahme an der Champions League wäre der Betrag noch um fünf Millionen niedriger gelegen. Der heimische Fernsehmarkt ermöglicht nicht mehr als bescheidene Beträge, dort erlöst Anderlecht aus den Übertragungsrechten des Provinztheaters belgische Liga lediglich eine Million Euro. Der Vergleich zwischen Schauspielern und Fußballklubs hinkt jedoch, denn letztere können sich erneuern. Und genau das ist dem Gegner des FC Bayern gelungen, der einen zarten Aufschwung konstatieren kann. Nach zwei mittelmäßigen Spielzeiten dominiert Anderlecht wieder die heimische Liga.“

Wolfram Eilenberger (Tsp 30.9.) porträtiert Aliaksandr Hleb – ach was: er preist ihn: „Von all den aufregenden Talenten (Hildebrand, Hinkel, Kuranyi), die sich unter Felix Magaths eigensinniger Führung in den letzten beiden Jahren zu Spitzenspielern entwickelt haben, verfügt der 22 Jahre alte Weißrusse Hleb über das reichste Potenzial. Hleb hat das Zeug zu wahrer Weltklasse. Der VfB Stuttgart wird ihn selbst kurzfristig nicht halten können. Auf dem Feld ist Hleb (sprich: Chleb) ein Leichtfuß im besten Sinne. Wenn er sich den Ball aus den Tiefen des eigenen Feldes schnappt, ihn ohne Tempoverlust mit sich führt, sogar weiter Geschwindigkeit aufnimmt und mit seinen Dribblings dann regelmäßig einen Raumgewinn von dreißig Metern erzielt, geraten Körper und Kugel aufregend in Fluss. Hlebs Bewegungsabläufe wirken bei alldem sagenhaft unangestrengt. Er sprintet nicht, sondern gleitet dahin. Er spielt seine Gegner nicht aus, sondern lässt sie hinter sich. Und einmal in der heißen Zone vor dem Strafraum des Gegners angelangt, hat Hleb dann tatsächlich alle Möglichkeiten in der Hand – oder besser, auf dem Fuß. Schussstark rechts wie links, mit einem offenen Auge für die Situation, ist er dort in der günstigen Lage, seine wichtigste und eigentlich stilprägende Stärke auszuspielen: Bei vollem Tempo lässt Hleb den Ball zwischen den Füßen pendeln, um sich darauf mit ein, zwei blitzschnellen Rotationsbewegungen den nötigen Freiraum zum präzisen Abschluss zu verschaffen. Wo andere Stürmer erfolgreich abrupte Haken schlagen, windet sich Hleb hüftgewandt um seine meistens machtlosen Kontrahenten.“

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