Am Grünen Tisch
Schiedsrichterdiskussion
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| Donnerstag, 25. März 2004
Zur Schiedsrichterdiskussion schreibt Jan Christian Müller (FR 24.6.). „Am liebsten wären die Koreaner derzeit einfach nur stolz auf ihre Fußball-Nationalmannschaft. Das können sie aber nicht ungetrübt, weil es eine ganze Reihe Menschen aus Europa gibt, die ihnen Machenschaften mit der Fifa und deren Schiedsrichtern unterstellen. Oder die behaupten, der Druck, der durch den Ohren betäubenden Lärm der roten Menge in den Stadien auf die Unparteiischen und deren Assistenten wirkt, beeinflusse deren Entscheidungen zugunsten des Co-Gastgebers. Bei vielen Koreanern mischt sich in den Stolz und die Freude über das Unerwartete daher ein schlechtes Gewissen. Was ausgesprochen schade ist. Denn dieses gastfreundliche, gegenüber Ausländern (und also auch Schiedsrichtern) höchst rücksichtsvolle Volk trägt selbstverständlich nicht die Verantwortung für Entscheidungen, die – viel mehr noch als den auf peinlichste Art und Weise überreagierenden Italienern – den Spaniern das Weiterkommen verwehrt haben. Solange es für die Konspirationstheorie nicht den Ansatz eines Beweises gibt, verbietet sie sich die These. Die Unterstellung, die Unparteiischen würden ihre Unparteilichkeit aufgrund der Atmosphäre in den Stadien verlieren, ist noch grotesker. Kaum ein koreanischer Fan würde es überhaupt merken, wenn ein gegnerischer Spieler ein Tor weit aus dem Abseits heraus erzielt hätte. Dazu fehlt es den meisten Koreanern schlicht an Fachwissen.“
„Wenn bei der K.-o.-Runde der Weltmeisterschaften mehr als über Spiele und Spieler über die Unparteiischen geredet wird, steht die Glaubwürdigkeit einer großen Sportveranstaltung auf dem Spiel“, konstatiert Roland Zorn (FAZ 24.6.). „Zufall? Pfeift da wer auf Wunsch? Das fragen sich inzwischen manche Fußballfreunde, ohne sogleich ein Komplott zu unterstellen. Auch wer die bösesten und schlimmsten Gedanken im Blick auf die Schiedsrichter unterdrückt, kommt zu dem Schluss, dass bei einer Weltmeisterschaft in Zukunft nicht mehr 36 Unparteiische und 36 Assistenten eingeladen werden sollten – noch dazu ausgesucht unter Quotierungs- und Paritätsgesichtspunkten. Die Masse macht’s bei dieser WM eben nicht, wenn wie am Samstag in Gwangju zwei Linienrichter aus Trinidad-Tobago und Uganda vom Tempo des Spitzenfußballs überfordert sind und von der Kulisse eingeschüchtert werden.“
Ralf Wiegand (SZ 24.6.) kritisiert die Schiedsrichterschelte aus Europa. „Unfähige, womöglich angestiftete „Unparteiische“ hievten Südkoreas müdes Fighting Team ins Halbfinale. Erst Italien, jetzt Spanien. Das ist das Bild, das in Europa nun gezeichnet wird. Gastfreundliches Asien? Pah! Es ist ein ebenso primitiver wie unhöflicher Akt, den Frust, den die so genannten Fußball-Nationen empfinden, in die finstere Theorie einer konspirativen Bevorzugung der Koreaner münden zu lassen (…) Der blanke Hass, der dem Golden-Goal-Schützen Jung Hwan Ahn aus Italien entgegenschlägt, und die Andeutungen einer Verschwörung, die nun vor allem in Europa kursieren, treffen ein aufgeputschtes Korea mitten ins glühend heiße Herz. Diese Nation ist gerade dabei, sich mittels Fußball vom Komplex zu befreien, Europa und Amerika unterlegen zu sein und gibt deshalb eine ganze Menge auf die Meinung des Auslandes. Den Respekt spüren Gäste in Korea auf Schritt und Tritt. Dass die Koreaner nun hören müssen, die vermutlich größte Sensation der WM-Geschichte sei nur eine kleine Mogelei, macht sie traurig und wütend. In den Zeitungen des Landes werden die Reaktionen aus Europa heute ein entsprechendes Echo finden, die Korea Times etwa bezeichnet die hochnäsige Art, den koreanischen Erfolg unfähigen Schiedsrichtern zuzuschreiben und nicht den leidenschaftlichen Spielern, als eine besondere Form des Rassismus, der nur Ländern mit einer Vergangenheit als Kolonialherren einfallen könnte.“
Philipp Thommen (NZZ 25.6.) analysiert das Anforderungsprofil eines Linienrichters. „Während bei Schiedsrichtern die Athletik und die Intuition im Vordergrund stünden, sind im Gebiet zwischen Mittellinie und Cornerfahne andere Eigenschaften entscheidend. Ein Assistent könne fast immer nur Fehler machen, sagt Züger. Um mit dieser ganz eigenen Drucksituation umzugehen, müsse ein Linesman mental in hohem Masse belastbar sein. Im Gegensatz zum Schiedsrichter, der auch einmal intuitiv entscheiden müsse, dürfe sich ein Assistent allein auf seine optische Wahrnehmung verlassen, was ein hohes Maß an Konzentration erfordert. Dass ein Assistent daher idealerweise schielen müsste, um bei Spielzügen über große Distanz sowohl den Moment der Ballabgabe als auch den letzten Mann im Auge zu behalten, hört Züger (Schweizer Schiedsrichter-Assistent u.a. beim Champions-League-Finale 2002, of) zwar nicht gern, dies treffe aber dennoch dem Grundsatz nach zu. Weil er aber nicht schielt, gelte seine höchste Priorität stets der idealen Position auf der Höhe des letzten Abwehrspielers. Diese Position stets richtig einzunehmen, sei eine Frage der Erfahrung, welche nur routinierte Linesmen mitbrächten, nicht aber unbedingt noch so routinierte Schiedsrichter, denen auf einmal eine Fahne in die Hand gedrückt wird.“
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