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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Schwalbenvergangenheit

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Schwalbenvergangenheit

Christoph Biermann (taz 6.2.). „Es ist nicht einfach, sich vorzustellen, wie schwer es ist, den ganzen Tag Bernd Hölzenbein zu sein. Man wacht morgens auf und ist Bernd Hölzenbein, beim Frühstück kommt man so wenig um den Umstand herum, Bernd Hölzenbein zu sein, wie später beim Einkaufen oder auf dem Golfplatz. Und ist abends wieder ein ganzer Tag als Bernd Hölzenbein vorüber, droht für den nächsten das Gleiche. Nun mag man sich fragen, was denn daran so schlimm sein soll, Bernd Hölzenbein zu sein, wo es einen noch viel übler erwischen könnte. Nicht auszudenken, als Paul Breitner aller Welt stets ihre Unfähigkeit vorhalten oder als Udo Lattek den Großtrainerdarsteller geben zu müssen. Doch anders als bei denen, sieht man Bernd Hölzenbein auf den ersten Blick an, wie schwer er an der Bürde trägt, Bernd Hölzenbein zu sein (…) 0:1 stand es, als Bernd Hölzenbein über die linke Seite in den niederländischen Strafraum lief und über die Beine von Wim Jansen stürzte. Stolperte? Zur Schwalbe abhob? Oder doch: gefoult wurde? Schiedsrichter Jack Taylor, der Metzger aus Wolverhampton, sah es jedenfalls so, entschied auf Elfmeter, den Paul Breitner zum Ausgleich verwandelte, bevor Gerd Müller den Siegtreffer erzielte.Bernd Hölzenbein ist seitdem nicht nur in Holland unvergessen. Als er die launige Begrüßung gehört hatte, kam er schmollend auf die Bühne, und da wurde jedem klar, warum es so schwer ist, Bernd Hölzenbein zu sein. Wenn dieser Elfmeter als Einziges von mir in Erinnerung geblieben ist, dann ist das schade. Ich finde, man sollte das Thema beenden, sagte Bernd Hölzenbein, und da gab es keinen Millimeter Platz für Ironie, selbst Franz Beckenbauer schaute für einen Moment fassungslos drein. Schließlich, sagte Bernd Hölzenbein jammernd, hätte er 420 Bundesligaspiele gemacht und dabei 160 Tore für die Eintracht geschossen. Das solle man nicht vergessen. Da nahm mich ein Kollege aus Frankfurt zur Seite, der mit Bernd Hölzenbein zusammen Fußball spielt, und sagte, dass der arme Mann seine Mitspieler daran fast jede Woche erinnern würde. Denn Bernd Hölzenbein lebt unter dem Fluch der Schwalbe, die sein Leben seit 29 Jahren zur Hölle gemacht hat. Ein freier Mann ist der 57-Jährige nie mehr geworden.“

Gesetzesverstoß

Der Verstoß von Alemannia Aachen gegen das Vertragsamateursrecht bleibt für diese ohne Folgen. Aber nicht für alle, wie Jan Christian Müller (FR 6.2.) einwirft. „Aachen wird seine verbandsgesetzwidrig eroberten sieben Punkte also nicht zurückgeben müssen, es sei denn, ein ordentliches Gericht entschiede, dass die entsprechenden DFB-Ordnungen gegen Treu und Glauben verstoßen, wovon beileibe nicht auszugehen ist. Laut Verband können persönliche Geldstrafen (Verjährungsfrist: fünf Jahre) gegen die vielleicht ja nur schusseligen, vielleicht doch arglistigen Aachener Lügenbarone ausgesprochen werden, die den arglosen Schiedsrichtergespannen die falsch ausgefüllten Spielberichtsbögen untergejubelt haben. Aber davon hat Unterhaching rein gar nichts. Irgendwie kann einem der Underdog aus dem Alpenvorraum inzwischen wirklich Leid tun, weil ihm so viel Böses widerfährt: Rein in die Liga zwo, weil Reutlingen Bilanzen frisiert und raus muss, Reutlingen wieder rein, Haching wieder raus, die Eintracht aus Frankfurt raus, Haching wieder rein, die Eintracht doch drin, die Hachinger wieder raus. Und jetzt die Chose mit Aachen. Es gibt keinen lieben Fußball-Gott. Noch nicht mal in Bayern.“

Fanprotest

Marc Basten (vom Gladbacher Fanzine Torfabrik) kritisiert die Anstoßzeit des Mönchengladbacher Nachholspiels. „Die DFL beugt sich dem Diktat der Geldgeber vom Fernsehen, in diesem Fall die Freunde von Premiere. An diesem Mittwoch gibt es ab 20.45 Uhr live den 3. Spieltag der zweiten Gruppenphase der Champions-League. Wenn die Königsklasse übertragen wird, möchte Premiere das Pflichtprogramm Bundesliga hinter sich haben und daher wird das Spiel Gladbach gegen Wolfsburg eben um 18.15 Uhr angepfiffen. Auch zu früheren Zeiten wurden Nachholspiele so gelegt, dass sie etwaigen Live-Übertragungen anderer Spiele nicht in die Quere kamen. Damals allerdings unter dem Aspekt, dass die Zuschauer nicht ins Stadion gehen um Bundesliga zu schauen, wenn gleichzeitig ein vermeintliches Top-Spiel im Fernsehen übertragen wird. Man wollte also die Vereine vor Mindereinnahmen bewahren, waren doch seinerzeit die Zuschauer die größte Einnahmequelle. Heute gibt es das große Geld vom Fernsehen und was der gemeine Fan will, zählt schon lange nicht mehr. Für den Großteil der Anhänger von Borussia Mönchengladbach bedeutet die Anstoßzeit um 18.15 Uhr ganz einfach, dass sie dieses Spiel nicht im Stadion erleben können. Viele Fans reisen von weit her an, aber selbst diejenigen, die „gleich um die Ecke’ wohnen, werden im berühmt berüchtigten Feierabendverkehr auf den Autobahnen rund um Mönchengladbach verdammt viel Glück brauchen, um den Bökelberg pünktlich zu erreichen. Und nicht alle werden einen Tag Urlaub opfern (können), um sich rechtzeitig auf den Weg zu machen. Diese Spielansetzung ist eine bodenlose Frechheit. Nicht nur die Fans werden veräppelt, sondern auch der Verein benachteiligt. Der Bökelberg wird bei dieser eminent wichtigen Partie ziemlich trostlos besetzt sein und damit schrumpft der Heimvorteil ganz eindeutig. Doch gegen die Macht der Geldgeber scheint es keine Mittel zu geben. Der Verein schluckt die Kröte mit allen Konsequenzen, den treuen Fans bleibt der nackte Hintern der DFL im Gesicht.“

Das DFB-Aufgebot für das Länderspiel in Spanien (12. Februar) FR

Ligareformen in Italien?

Zum italienischen Reformvorhaben, die beiden oberen Ligen zusammenzulegen, meint Birgit Schönau (SZ 5.2.). „Bis jetzt ist es nur eine Idee, aber was für eine. Der italienische Profiligaverband Lega Calcio, angeführt von dem Berlusconi-Statthalter beim AC Mailand, Adriano Galliani, will die Serie B, die italienische 2. Liga, abschaffen. Das Argument: Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft könne sich der Profifußball angesichts eines Defizits von 1,5 Milliarden Euro nicht mehr leisten. Deshalb: Alle in die Serie A, 40 Mannschaften, Nichtabstiegsgarantie für die großen Klubs, ewiges Mauerblümchendasein für die Chievos, die meinen, gut Fußball spielen reiche aus, um etwa einen Champions- League-Platz zu ergattern. „Der Abstieg in die zweite oder dritte Liga kostet unsere Klubs zu viel“, sprach Adriano Galliani, und wie sein großer Boss („90 Prozent der Italiener stehen hinter mir“) jongliert auch der ewige Vize souverän mit der Statistik. Eine Klasse tiefer bedeute 60 Prozent weniger Umsatz. Was lernt man daraus? Trainer wechseln und besser spielen, könnten diejenigen antworten, die nichts begriffen haben. Von wegen. Wenn das Absteigen zu teuer sei, so Gallianis Kopernikanische Wendung, müsse man es eben abschaffen (…) Und wie geht es jetzt weiter? Wie soll man 40 Klubs in einer Saison aufeinander treffen lassen? Da gibt es mehrere, putzige Modelle. Etwa die Organisation nach Gruppen wie in der Champions League. Vorteil: Die Kleinen dürfen anfangs ein bisschen mitspielen, die Großen bleiben später unter sich. Chievo? Wozu hat man Schiedsrichter. Nachteil: Wissenschaftlich erwiesene Langeweile. Aber man kann sich nicht um alles kümmern, schon gar nicht ums Publikum. So groß ist der Sparzwang doch nicht, dass man auf den Einsatz von Bällen verzichten würde. Na also. Jetzt behauptet die ansonsten ganz und gar linientreue Gazzetta, Galliani wisse selbst sehr gut, dass sein Vorschlag überhaupt nicht funktionieren könne. In Wirklichkeit schwebe ihm eine „Superliga“ vor wie die amerikanische NBA „unabdingbar sind ein großes Stadion, ein großer Flughafen und viele Tifosi.“ Für den Anfang täten es auch ein paar Damenklos in den Stadien, möchte man den Erneuerungswütigen zurufen. (Wissend, wie abwegig das ist, Mailand hat schließlich auch keine Kläranlage.)“

Dirk Schümer (FAZ 6.2.) schreibt zum selben Thema. „Das neue System, nach dem alle in einen Topf geworfen werden, soll deshalb die Großstadtvereine nach amerikanischem Vorbild auf ewig im bezahlten Fußball absichern. Man könne es sich nicht mehr leisten, jede Saison vier Vereine absteigen zu lassen und damit ins wirtschaftliche Nichts zu stoßen. Sportliche Fehler oder Mißwirtschaft würden demnach in Zukunft nicht mehr bestraft, während innovative Klubs von außen gar nicht erst in den erlauchten Zirkel der 40 oder 42 Profivereine vordringen könnten. Kein Wunder, daß dieses Modell nach dem Geschmack manchen Klubeigners wäre (…) Nicht grundlos wird in Italien gemutmaßt, Großvereine wie Inter Mailand, Juventus Turin oder AS Rom könnten die finanzielle und sportliche Bankrotterklärung der Lega Calcio nutzen, eine eigene Meisterschaft der Besten auszurufen und sich auf alle Zeit des Ballasts der Unterklassigen zu entledigen. Bei alldem ist der publizistische Widerstand gehörig. Durchgehend bemängeln die Kommentatoren, hier würden sich genau die Präsidenten, die mit Phantasiegehältern, Trainerkündigungen und kommerzieller Ahnungslosigkeit den italienischen Fußball heruntergewirtschaftet haben, jetzt zu Rettern in tiefster Not aufschwingen. Ich ertrage nicht mehr die immergleichen Gesichter, schrieb der Kommentator der linken Tageszeitung Repubblica, die über den Fußball so reden, als wäre er der Teppichboden bei ihnen zu Hause. Ausgerechnet die Serie A, der einzige Teil der Ligen, der noch echtes Interesse wecke, solle nun zugunsten der Erfolglosen verwässert werden. Daß es mit dem hergebrachten Klüngel und der notorischen Verschwendung nicht mehr weitergehen kann, haben inzwischen, da in vielen Vereinen die Gehälter nicht mehr bezahlt werden, der Spielermarkt quasi zum Erliegen kam und ein reguläres Ende der Saison durchaus fraglich ist, nicht nur die schärfsten Kritiker verstanden. Dennoch riecht dieser Reformversuch, der am 14. Februar als Diskussionsgrundlage zwischen Fußballverband und Liga dienen soll, nach Panik. Nicht einmal die sportliche Kernfrage, wie denn Italiens Spitzenklubs in einer Liga mit vielen Zweitklassigen ihre internationale Konkurrenzfähigkeit erhalten können, hat offenbar eine Rolle gespielt.“

Asien-Trend

Martin Hägele (FR6.2.) ist der Auffassung, dass die Orientierung nach Asien überfällig war. „So langsam schwant der Liga, dass dort ein riesiges Marktpotenzial vorhanden ist. Indes: Das haben andere Ligen in Europa schon viel eher gemerkt (…) Michael Pfad, in der Deutschen Fußball Liga (DFL) zuständig für Kommunikation und PR, räumt ein, man könne nur über außergewöhnliche Maßnahmen den Rückstand gegenüber dem Einfluss und den Einnahmen aus der TV-Vermarktung von Premier League, Serie A und Primera Division aufholen. Pfad schwebt eine Saison-Eröffnung der Bundesliga in Peking oder Yokohama vor, und wieso solle nicht Rudi Völler einmal durchs Land der Mitte reisen und chinesische Talente schulen. Oder Olli Kahn in Japans größter Fernseh-Show auftreten. Man brauche verrückte Ideen, um auch entsprechende Aufmerksamkeit zu erreichen, glaubt Pfad. Es kann tatsächlich nicht schaden, wenn die DFL auf diesem Gebiet strategisch denkt. Das ist weit besser, als Trends oder gar einen Boom zu verschlafen, wie das Klaus Schlappner behauptet. Der Elektromeister aus Biblis hatte zu Beginn der neunziger Jahre als National- Trainer und Berater des chinesischen Verbands alle nur möglichen Türen nach Peking geöffnet, nur wollten deutsche Fußball-Funktionäre ihrem Landsmann nur ungern folgen. Zu jener Zeit, erinnert sich Schlappner, hätten Wirtschaftsminister aus England und Italien ihre besten Fußball-Mannschaften als Präsente zum Staatsbesuch mitgebracht. Die Deutschen schwadronierten derweil von der Bundesliga als besten Liga der Welt, ließen sich Jahrzehnte lang gemächlich vom Deutschen Fußball-Bund führen, und merkten gar nicht, wie allen voran die professionell organisierte englische Premier League sich längst zum Global Player entwickelte. Die Zeiten, da die Bundesliga in China an erster Stelle stand, wenn es um Fußball-Übertragungen ging, sind jedenfalls vorbei. In Japan kommt der deutsche Fußball trotz des heißen WM-Fiebers aus dem vergangenen Sommer praktisch nicht vor, im Gegensatz zur Premier League. Es gibt also einiges aufzuholen.“

Gewinnspiel für Experten

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