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Sicherheitsvorkehrungen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Sicherheitsvorkehrungen

Ulrich Hesse-Lichtenberger (taz 10.05.02) fragt sich, warum die Sicherheitsvorkehrungen ausschließlich die deutschen Fans betrafen:

„Für viele der 14.000 Dortmunder Fans hatte sich die Reise zum Fußballfest als der befürchtete Horrortrip erwiesen. Die von den Veranstaltern großspurig angekündigten Sicherheitsmaßnahmen waren kaum vorhanden – und betrafen ohnehin nur die friedlichen Gäste. Dortmunder Fans wurden auf der Anreise angegriffen, wie bei einer Verlegung nach Alcatraz ins Stadion gepfercht und während des Spiels mit bengalischen Feuern beworfen. Vielleicht nahm man beim BVB die Niederlage auch deshalb so gefasst auf, weil bei einem Sieg eine Eskalation der ohnehin feindseligen Stimmung gedroht hätte. In Stilfragen immerhin waren die Dortmunder die Gewinner.“ (Volltext)

Josef Kelnberger (SZ 10.05.02) widmet sich holländischen „Stilfragen“:

„Noch vor zwei Jahren galt es als schick, sich als Liebhaber der holländischen Schule zu erkennen zu geben (…) Der niederländische Fußball habe endlich wieder etwas zu feiern, verbreitet die Agentur Reuters – wie schön, diese Feiern: Ausnahmezustand, Straßenschlachten, Luftpistolenschüsse auf einen Dortmunder Fan-Zug. Es hätte, zumal nach der Ermordung des Politikers Fortuyn, noch schlimmer kommen können in Rotterdam, auf Fußball-Europas heißestem Pflaster (…) Jetzt müssen sich die Niederländer mit diesen Siegern anfreunden, zum Beispiel Johan Cruyff, der Hohepriester des schönen Spiels. Sie haben während der WM viel Zeit für eine ihrer beliebten Stil-Debatten. Wir Deutschen jedenfalls erwarten mehr von ihnen. Einfach nur siegen, das können wir selbst.“ (Volltext)

Christian Eichler (FAZ 10.05.02) bezeichnet den Uefa-Cup als „europäischen Wandertrostpreis und internationalen Länderfinanzausgleich“:

„Am Ende also doch: ein Spiel wie jedes andere. Die Austauschbarkeit des europäischen Fußballvergleichs, einst etwas Besonderes und heute Alltag, mag man beklagen, weil sie Konturen verwischt und Emotionen verwässert; doch manchmal, wenn man Schlimmes nicht ausschließen kann, wie am Mittwoch in Rotterdam, zwei Tage nach dem Mord an Pim Fortuyn, muss man froh sein, dass das Überangebot an Fußball die Gefühle nicht mehr so hoch schlagen lässt; dass Fußball nicht mehr so wichtig wirkt, als böten seine Resultate Antworten auf existenzielle Fragen. Man könnte es auch so formulieren: Gut, dass der Uefa-Cup ein so schwacher Wettbewerb geworden ist. Darüber können auch die beiden letzten sehenswerten Endspiele mit insgesamt vierzehn Toren nicht hinwegtäuschen. Wer im UEFA-Cup verliert, muss nicht so frustriert sein; das Verlieren ist ja mitunter eines der Qualifikationskriterien für diesen Wettbewerb. Wo sonst gibt es das im Sport, dass man die Grundlage für einen Titelgewinn am Saisonende mit der richtigen Anzahl an Niederlagen am Saisonanfang legen kann?“ (Volltext)

Mit dem tragischen Abschied Jürgen Kohlers, der in seinem letzen Spiel als Fußballprofi die Rote Karte (es war die erste in seiner Karriere) erhielt und damit die Niederlage einleitete, befasst sich Michael Ashelm (FAZ 10.05.02):

„So kalt kann sich der Abschied von der großen Bühne anfühlen. Bedrohlich wie ein großes Haifischmaul öffnete sich schon nach wenig mehr als einer halben Stunde seines Abschiedsspiels die Stahlklappe vor der Haupttribüne von De Kuip, hinter der es abwärts in die Katakomben des Stadions geht. Man wartete auf den dramatischen Abtritt eines der Großen des deutschen Fußballs: Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf leistete der Welt- und Europameister Jürgen Kohler der Entscheidung des Schiedsrichters Folge und verließ auf dessen Anweisung hin das Feld. Als trauriger Krieger verschwand der 36 Jahre alte Profi von der Bildfläche – auf Nimmerwiedersehen als Spieler.“ (Volltext)

Wolfgang Hettleisch (FR 10.05.02) dazu :

„Der jungen Generation wird Kohler also womöglich als jener Spieler in Erinnerung bleiben, der Borussia Dortmund 2002 den Sieg im Uefa-Cup versaut hat. Doch der frisch gebackene Fußball-Rentner, fortan Trainer der deutschen U 21-Auswahl, hat in seiner langen Laufbahn genug Höhen und Tiefen erlebt, um auch diesen bitteren Abgang von der großen Bühne verarbeiten zu können. Erklang der Schlussakkord auch in Moll. Der Mann aus dem pfälzischen Lambsheim, als Halbwaise in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und ein wohltuend leiser Vertreter seiner Zunft, hat Bemerkenswertes erreicht. Weltmeister, Europameister, Champions-League-Sieger.“

Martin Pütter (NZZ 09.05.02) über die „vergällte Abschiedsvorstellung“ Kohlers:

„Tausende Hände winkten Jürgen Kohler zum Abschied nicht anerkennend zu, sondern wiesen dem 105-fachen Nationalspieler nach einer halben Stunde den Weg in die Kabine – Rote Karte. Wenn Kohler dereinst als Coach des deutschen U-21-Nationalteams Videos über ungeschicktes Defensivverhalten vorführt, dann darf sein Foul an Tomasson, der zum besten Spieler des Abends gewählt wurde und im Kielwasser der drei nominellen Spitzen immer wieder Unruhe in die Dortmunder Abwehr brachte, nicht fehlen. Dabei hatte man dem einstigen Raubein mit zunehmendem Alter (mit 36 ist er zwei Jahre älter als Trainer Matthias Sammer) immer mehr Stil und Qualitäten als moderner „Abfangjäger“ bescheinigt – und dann das.“ (Volltext)

Freddie Röckenhaus (SZ 08./09.05.02) über den „Eros Ramazzotti der Stehplätze“:

„Die paar Dissonanzen zum Ende der Spielzeit wird Kohler, einer der erfolgreichster deutschen Spieler seit der Ära der 74er Weltmeister, bald weggesteckt haben. Klasse-Manndecker zeichnen sich schließlich längst nicht mehr als Dauergrätscher aus. Und Kohler hat jede Metamorphose der Verteidiger- Rolle in seinen 398 Bundesliga-Spielen, 102 Serie-A-Spielen für Juventus Turin und 105 Länderspielen mitgemacht. Als er in Waldhof, Köln und beim FC Bayern und schnell auch für die Nationalmannschaft auf Grasnarbenhöhe sein Existenzrecht als Profi verteidigte, war Kohler schnell die Hassfigur für alle vermeintlichen Schöngeister des Spiels. Einem Walter Jens wird Kohler noch heute nicht viel bedeuten, aber nach seinen vier Jahren in Turin kam 1995 ein anderer Mensch zurück. Kohler hatte sich den Charme und die Genuss-Philosophie aus Italien mitgebracht, trug Kinnbärtchen und Nickelbrille wie ein Bologneser Popstar und Armani-Klamotten mit der Grandezza eines Eros Ramazzotti. Außerdem hatte Kohler sich von seinem Turiner (und späteren Dortmunder) Nebenmann Julio Cesar die Gentleman-Art des Verteidigens abgeschaut: das geräuschlose Abdrängen, Abfangen, Abmelden des Gegners. Die Grätschen und krachenden Zusammenstöße gab es nur noch in höchster Alarmstufe. Auch die verbalen Pressschläge hatte Kohler, als er in Dortmund begann, längst aufgegeben.“ (Volltext)

Felix Meinignhaus (FR 10.05.02) über den Einfluss des Mordes am niederländischen Politker Pim Fortuyn auf das Spiel:

„Die Ereignisse um die Ermordung des rechtspopulistischen Rotterdamer Politikers Pim Fortuyn, die eine pünktliche Austragung des Finales bis Dienstag in Frage gestellt hatten, wirkten sich nicht spürbar auf die Partie aus. Von Niedergeschlagenheit oder gar schockähnlichen Zuständen war in und um De Kuip nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die fanatischen Anhänger Feyenoords verwandelten die heimische Schüssel in einen brodelnden Whirlpool, und auch die rund 14 000 mitgereisten Dortmunder Fans machten sich lautstark bemerkbar. Da mochte die Uefa als Veranstalter des Endspiels nicht zurückstehen: Von der angekündigten pietätvollen Zurückhaltung war in Rotterdam nichts zu sehen. Nach dem Schlusspfiff gab es das volle Programm mit Triumphmärschen und Konfettiregen.“

Christian Eichler (FAZ 10.05.02) über das niederländische Stimmungsbarometer Fußball:

„Der Fußball der Niederlande scheint über Jahre hinweg manche der kaschierten Probleme hinter der harmonischen Fassade des Landes, die Fortuyn mit populistischem Geschick thematisierte, vorweg genommen zu haben: das Gefühl der Unsicherheit, das nicht nur die Gewalt der Hooligans verbreitete; das Gefühl, trotz glanzvoller Arbeit und gelungenem Zusammenspiel zwischen allen Mannschaftsteilen nicht vom Fleck zu kommen, ob im Erfolgsstau des Oranje-Teams oder im Dauerstau des immobilen Autofahrers. Nun nimmt der Fußball vielleicht als Frühindikator auch eine nationale Stimmungswende zum Besseren vorweg.“

Freddie Röckenhaus (SZ 10.05.02) über das Spiel und die Dortmunder Analyse:

„So blieben sich Sammer und seine Dortmunder an diesem Fußball-Abend treu. Sammer analysierte wie gewohnt gegen den Strich. Und die BVB-Mannschaft beschenkte beinahe schon in Standard-Manier zunächst den Gegner, um dann mit gewaltiger Aufholjagd an der eigenen Legende zu stricken, das Team zu sein, das man niemals abschreiben kann (…) Sammers Team hatte zu spät erkannt, dass man die biederen Rotterdamer von Beginn an mit mehr Initiative hätte bedrängen müssen. Das Handicap, wegen der Beton-Politik der Uefa, die eine Verlegung ablehnte, de facto ein Auswärtsspiel in De Kuip bestreiten zu müssen, wollte keiner als Alibi annehmen (…) Dortmund hat am Tag nach dem Finale mit nahezu einer halben Million BVB-Fans auf den Straßen die Deutsche Meisterschaft nachgefeiert. Für die Mannschaft schien der Verlust des Uefa-Cups da schon nur noch eine Fußnote der Saison zu sein.“ (Volltext)

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