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Situation Leverkusens
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| Donnerstag, 25. März 2004zur Situation Leverkusens siehe auch die Nachbetrachtung des Pokalfinales
Die Erfahrungen mit Auseinandersetzungen mit deutschen Teams werden Real Madrid, nach Auffassung von Roland Zorn (FAZ 15.05.02), wenig hilfreich sein. „In Glasgow bekommt es der Favorit auf jeden Fall mit einer deutschen Spitzenmannschaft zu tun, die anders, nämlich leidenschaftlicher und spieltechnisch ausgefeilter, als der im Viertelfinale besiegte FC Bayern zu Werke geht.“
Harald Irnberger (Tsp 15.05.02) referiert die facettenreiche Geschichte Reals. „Für politisch sensible Fußballfreunde ist die bisherige Vereinsgeschichte trotz beispielloser Erfolge freilich nicht ohne dunkle Flecken. Fiel die bislang triumphalste Epoche doch ausgerechnet mit dem Höhepunkt der Franco-Diktatur zusammen, als Real Madrid autoritär von einem Präsidenten Santiago Bernabeu geführt wurde, der schon im Bürgerkrieg an der Seite der Putschisten stand. Der Traummannschaft mit der legendären Angriffsformation Kopa, Rial, Di Stefano, Puskas und Gento haftete somit der üble Geruch an, die Regime-Elf zu sein: Opium für das Volk zum Nutzen einer faschistischen Diktatur. Diese Einschätzung ist nicht gänzlich gegenstandslos – aber keineswegs rundum richtig. Das geht aus einer Reihe von seriösen historischen Studien hervor, die pünktlich 100. Geburtstag eben in Spanien veröffentlicht wurden. Demnach verlief die Geschichte des Vereins stets zuverlässig parallel zur spanischen Politik im 20. Jahrhundert. Im Gegensatz zum Vorurteil, ein Instrument des militant-provinziellen kastilischen Zentralismus zu sein, der seit der Reconquista im 15. Jahrhundert in Spanien meist unduldsam den Ton angab, war der Verein indes von Anfang an ein Schmelztiegel für alle Facetten des vielfältigen Landes. Und dazu weltoffen.“ (Volltext)
Roland Zorn (FAZ 14.05.02) beschreibt Chance und Strategie von Bayer Leverkusen nach zwei vergebenen Titelchancen. „Endlich kann der Beinahe-Meister und verhinderte Deutsche Pokalsieger wieder in seiner internationalen Lieblingsrolle auftreten: als furchtloser Herausforderer der wahren wie der eingebildeten Größen des europäischen Fußballs (…) Immerhin treffen die Leverkusener einen weiteren Fußkranken des europäischen Fußballs: den zweimaligen Champions-League-Gewinner Real Madrid. Die Spanier wurden im Jahr ihres hundertjährigen Geburtstages weder Landesmeister noch Pokalsieger. Unter Leidensgenossen wollen die Leverkusener nun wenigstens den Part des kleinen Bruders spielen.“
Ronald Reng (FR 14.05.02) hat ein paar taktische Tipps für Bayer parat. „Das Wichtigste für Leverkusen wird sein, das Spielfeld auf 40 Meter zu reduzieren. Soll heißen, zwischen Bayers Abwehrreihe und den Stürmern darf der Abstand nicht größer als 40 Meter sein: Dazwischen bleibt Real dann wenig Platz, sein Passspiel aufzuführen. Reißt das Spielfeld jedoch auf 50 oder 60 Meter auf, sind in diesem Freiraum Techniker wie Zidane oder auch der Argentinier Santiago Solari nur schwer zu bremsen. Dabei sollte Carsten Ramelow, der zuletzt als wenig überzeugender Ersatz des verletzten Jens Nowotny den Innenverteidiger gab, auf seine angestammte Position im defensiven Mittelfeld zurückkehren. Es braucht dort zwei Bodyguards wie Ramelow und Michael Ballack, die Zidane, Solari und den zurzeit die rechte Form suchenden Figo auf die Flügel drängen. Auch lässt ein Partner wie Ramelow Ballack mehr Möglichkeiten, sich in den Angriff einzuschalten. Mit ziemlicher Sicherheit wird es eine ungleiche Partie werden, aber nicht was die Spielanteile zwischen diesen gleichermaßen offensiv ausgerichteten Teams betrifft, sondern was den Verkehr auf den beiden Flügeln angeht: rechts, aus Bayers Sicht, wird deutlich mehr Betrieb sein, deshalb sollte Toppmöller diese Außenseite auf jeden Fall doppelt besetzen, mit Zoltan Sebescen als Verteidiger und davor Bernd Schneider. Denn Real greift vermehrt über diese Flanke an, im Wechsel mit Solari weicht Zidane oft und gerne vom Zentrum auf den linken Flügel aus, zudem sucht dort Verteidiger Roberto Carlos permanent den Weg nach vorne. Ein Leverkusener alleine wäre überfordert. Schneider wiederum, von Sebescen gut abgesichert, könnte den Raum für Vorstöße nutzen, den ihm der notorisch vorwärtsdrängende Carlos anbietet. Schafft er es, exzellent zu verteidigen und gleichzeitig die Attacke anzukurbeln, ist viel gewonnen.“
1960 standen sich die Mannschaften von Real Madrid und Eintracht Frankfurt im Finale des Europapokals gegenüber. Spielstätte war – so will es der Zufall – ebenfalls der Hampden Park in Glasgow. Mit 7:3 bezwangen die hoch favorisierten Königlichen den Außenseiter aus Deutschland. Das mitreißende Match, in dem die Spanier sich zum fünften Mal in Folge zu den Königen Europas krönten, wählte das englische Fachmagazin Four-Four-Two zum „Spiel des Jahrhunderts“.
Walter Haubrich (FAZ 14.05.02) erinnert an die politische Bedeutung der goldenen Ära Reals. „Spanien hatte damals während der engstirnigen Diktatur des Generals Franco international wenig vorzuzeigen. Bekannt und geschätzt in Europa, ja in der ganzen Welt, war eigentlich nur der spanische Fußball und da vor allem Real Madrid. Der nach irgendeiner Anerkennung im Ausland gierige Diktator Francisco Franco und seine militärischen und zivilen Hofschranzen schmissen sich an Real Madrid ran, wollten unbedingt mit den Spilern aufs Foto. Doch wurde Real Madrid keineswegs zur Mannschaft des Regimes, wie man sich das jetzt noch in der Umgebung des CF Barcelona fälschlicherweise erzählt. Dem alten Republikaner und Vereinspräsidenten Bernabéu, der im Bürgerkrieg auf der Seite der Gegner Francos gestanden hatte, passten die Annäherungsversuche der Diktatur keineswegs; er ließ Minister und Generäle Francos häufig nicht auf die Ehrentribüne, doch eine offene Opposition kontte auch er sich nicht erlauben.“
Christoph Biermann (SZ 14.05.02) befasst sich mit dem deutschen Verliererteam. „Die Eintracht schrieb dieses Kapitel der Geschichte zwar nur im Windschatten von Real Madrid mit, trug aber auch ihren Teil dazu bei. Zudem kamen die Frankfurter aus einem Fußballdeutschland, wo der Profikick noch nicht erlaubt war. Stein etwa arbeitete als technischer Angestellter in einem Konstruktionsbüro, während die argentinischen, ungarischen und spanischen Wunderspieler in Reals Weltelf alle Vollprofis waren. „Wir waren damals viel zu brav“, sagt Stein, „wenn Alfredo di Stefano zu mir gesagt hätte, ich soll seinen Koffer zum Auto tragen, hätte ich das gemacht.“ Diese Ehrfurcht legten viele Spieler auch auf dem Rasen nicht ab, und nach Abpfiff wies Trainer Paul Oßwald sein Team sogar an, für Real Spalier zu stehen und ihnen beim Verlassen des Platzes zu applaudieren.“
Erik Eggers (Tsp 14.05.02) fragt, ob sich Geschichte wiederholen kann. „Die Klasse etwa, mit der Real Madrid seinerzeit auftrat, wird kaum zu überbieten sein. Auch wenn morgen mit Roberto Carlos, Raul, Zidane und Figo die zweifellos teuersten Spieler der Welt auflaufen, erscheinen sie doch nicht derart übermächtig wie die Koryphäen vor knapp einem halben Jahrhundert, die den fünften Europapokalsieg in Folge anstrebten und diesen zum Teil lediglich als Pflichtübung ansahen. Nach dem Spiel holten sich die Frankfurter von ihren Gegnern Autogramme. Über allen thronte Alfredo di Stefano, der argentinische Stürmerstar, unter dem sogar Mitspieler wie Ferenc Puskas verblassten. Dazu kamen schnelle Außenstürmer wie Gento und der uruguayische Verteidiger Santamaria, genannt „die Wand. Vermutlich wünscht sich die Mannschaft von Trainer Klaus Toppmöller morgen exakt jene Überheblichkeit, die Real seinerzeit auszeichnete. Beim Ergebnis indes werden die Leverkusener vorzugsweise auf die Unwiederholbarkeit historischer Tatsachen verweisen.“ (Volltext)
Felix Reidhaar (NZZ 02.05.02) über die „unmögliche Mission“ von Barcelona, das 0:2 aus dem Hinspiel wetzumachen. „Die Katalanen und ihr Coach Charles Rexach hatten wenig gelernt aus dem ersten Match vor acht Tagen. Xavi, Puyol und Coco standen wieder in der Startformation, Overmars dagegen hatte auf der Bank Platz nehmen müssen, und Rivaldos Absenz belastete das Rendement Barças. So fehlte denn etwas Geniales auch diesmal in dieser ziemlich hausbackenen Mannschaft, in der sich Fehlpass an Ungenauigkeit reihte und die spielerischen Schematas kaum Variationen kannten. Die Madrilenen liessen dem Gegner in der ersten Halbzeit mit aggressivem Pressing nur wenig Zeit und Raum zur Entfaltung und demonstrierten ihre schon am Mittelmeer mannschaftlichen Vorteile. Obwohl Barça fünf Minuten nach Wiederbeginn auf glückhafte Weise der Ausgleich gelang und die Real-Innenverteidigung darauf alles andere als einen sicheren Eindruck hinterliess, erwies sich das Unterfangen der Katalanen als unmöglich. Erstens hatte Real überhaupt noch nie auf europäischer Ebene ein Heimspiel mit mehr als zwei Toren Differenz verloren, zweitens blieb der Auftritt der auch im eigenen Land sehr instabilen Barcelonesen zu fahrig, zu enttäuschend. Der Einzug in die vorletzte Champions-League-Runde war für sie ein Optimum.“ (Volltext)
Walter Haubrich (FAZ 03.05.02) zum Spiel und zu einem Sieger, der nicht übermächtig spielte. „Madrid zeigte sich schwächer als sonst; die Pässe von Zidane und Figo landeten häufig beim Gegner – vielleicht, weil diese beiden teuersten Spieler der Mannschaft ihre Verletzungen noch nicht ganz ausgeheilt haben. Sie wurden in der zweiten Halbzeit denn auch ausgewechselt. Ohne den Dirigenten Zidane im vorderen Mittelfeld ist der Madrider Angriff aber nur halb so gefährlich. Und so lag die Stärke des achtfachen europäischen Meisterpokalgewinners diesmal vor allem im Kampfeswillen der Mannschaft. Barcelona griff nämlich wie in dem glücklich von Madrid gewonnenen Hinspiel häufiger an und war längere Zeit als der Gegner im Ballbesitz.“
Mit dem Besuch Toppmöllers in Madrid und den daraus erwachsenen Erkenntnissen beschäftigt sich Ronald Reng (taz 03.05.02). „Ins Bernabéu wollte Toppmöller schon die ganze Saison, um Real Madrid zum 100. Geburtstag zu gratulieren, wie er immer sagte. Der Spruch wurde zum Sinnbild für Leverkusens Ambitionen in der Champions League: einfach was erleben, so viele berühmte Gegner und Stadien wie möglich kennen lernen. Nun kam Toppmöller in die spanische Hauptstadt, um zu sehen, ob vielleicht mehr drin ist für seine Mannschaft, als Real nur die Hand zu schütteln beim Champions-League-Finale am 15. Mai in Glasgow. Die Quintessenz seiner Studienreise kannte er jedoch schon, bevor er erlebte, wie sich Real Madrid, einen Tag nach Leverkusens Triumph über Manchester, im anderen Halbfinale mit einem 1:1-Unentschieden dank eines 2:0-Sieges im Hinspiel seines ewigen Nebenbuhlers FC Barcelona entledigte: Gegen den spanischen Meister wird Leverkusen einen Tag brauchen, an dem ihnen schon morgens beim Frühstück das Ei runterfällt und nicht zerbricht; an dem ihnen einfach nichts schief geht. Ich war im Stadion, als Dortmund 1997 im Champions-League-Finale Juventus Turin 3:1 besiegte, sagte Toppmöller: An hundert Tagen hätte 99-mal Juve gewonnen. Aber es gibt immer diesen einen Tag. Ob ihm das Spiel am Mittwoch viel mehr Detailerkenntnis gebracht hat, darf bezweifelt werden. So wie gegen Barça wird Real wohl nie wieder spielen. Ihr 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel machte ihnen Angst. Sie trauten sich nicht zu stürmen. Ungewollt ließen sie sich von Barça das Spiel diktieren.“ (Volltext)
Michael Horeni (FAZ 02.05.02) weiß, wem die europäische Aufmerksamkeit nunmehr gehört: „einer Mannschaft und ihrem Trainer, die einen belächelten und oftmals sogar verlachten nationalen Gernegroß in einer unglaublichen sportlichen Metamorphose zu einem stolzen Angehörigen des europäischen Fußball-Hochadels verwandelten.“
Erik Eggers (Tsp 02.05.02) über die eine sphinxhafte Mannschaft, deren Leistungen in Bundesliga und Champions League unvorhersehbar geworden sind. „Eine rätselhafte Verwandlung vollzog sich in einem Team, das drei Tage zuvor in Nürnberg die Initiative in der Meisterschaft aus der Hand gegeben hatte. „Der Trainer hat uns durch seine Mimik und Gestik das Selbstvertrauen zurückgegeben“, sagte Bernd Schneider. Eine Sphinx ist dieses Team, ein unerklärliches, charismatisches Gebilde. Der verzückende Beweis dafür, dass Erfolg im modernen Fußball noch immer nicht gekauft werden kann.“ (Volltext)
Thomas Kistner (SZ 02.05.02) freut sich, dass Erfolg nicht immer nur mit Geld zu tun hat. „Bayer erwächst, sobald der Druck des Siegen-Müssens fehlt, zu imposanter Größe. Wenn es dann all die für viel (zu viel) Geld zusammengerafften Ensembles aus England und Spanien mit Lupfern, Hackentricks und einer Eleganz vorführt, die schon an Arroganz stößt, dann ist das als Triumph für den Fußball an sich zu werten: Seht alle her, es geht mit etwas weniger Geld. Das ist ohnehin die Zukunftslosung für die in ökonomische Anarchie abgedriftete Branche.“
Christoph Biermann (SZ 02.05.02) musste erneut seinen „Blick ändern“ über den „Meister der Schmerzen“, der „in den letzten Wochen so viel Ratlosigkeit ausgelöst hat. Irgendwann schien sich Bayer Leverkusen allen Analysen entzogen zu haben. Denen für solch hinreißende Leistungen wie gegen Liverpool und in Manchester ebenso wie für die Einbrüche gegen Bremen und in Nürnberg. Doch als Toppmöller endlich sagen durfte, „unser Traum ist wahr geworden“, waren all diese Exegesen nebensächlich geworden. Der Erfolg über Manchester United und die Reise zum Finale im Hampden Park haben eine neue Realität geschaffen. „Selbst wenn wir keinen Titel holen sollten, können wir stolz auf uns sein“, sagte Michael Ballack. Im Licht des Spiels gegen Manchester United waren auch alle Spötteleien über Bayer Muffensausen oder Bayer Neverkusen hinfällig geworden.“
Thomas Kilchenstein (FR 02.05.02) zu Bayers Imagewandel: „Wenn es eine Mannschaft verdient hat, um die höchste Krone im Vereinsfußball zu spielen, dann Bayer Leverkusen. Denn der große Klub aus der kleinen Stadt hat als einziger nahezu alle europäischen Spitzenvereine aus dem Weg räumen müssen. Bayer, das sich als letztjähriger Tabellendritter gar noch zu qualifizieren hatte für einen Wettbewerb, den es jetzt womöglich gewinnt, musste sich durchsetzen gegen: Olympique Lyon, Fenerbahce, FC Barcelona, Juventus Turin, Deportivo La Coruña, FC Arsenal, FC Liverpool und jetzt Manchester United. Das ist die Crème de la Crème des europäischen Fußball-Hochadels (…) Mit den Einzug ins Finale dürfte Bayer Leverkusen auch langsam, aber sicher das Negativimage loswerden: Es wird schwer fallen, künftig von einem Plastikklub, Pillendreherverein oder von einer Betriebsmannschaft zu reden, wenn man gesehen hat, mit welchem Herzblut, welcher Leidenschaft, mit welcher Hingabe und welchem unbändigen Einsatz sich diese von Minute zu Minute mehr abbauende Elf ins Zeug legte. In diesem Spiel besonders, aber auch in vielen vorangegangenen hatte das Team, dessen spielendes Personal begrenzt ist, immer am Limit oder sogar noch drüber agieren müssen. Am Ende einer Kräfte raubenden Runde tanzt Bayer noch immer auf drei Hochzeiten.“
Michael Horeni (FAZ 02.05.02) weiß Leverkusens Siegeswille historisch einzuordnen und sorgt sich um den WM-Auftritt Deutschlands. „Der Blick in die Leverkusener Kabine und auf die Kämpfernaturen gegen Manchester auf dem Platz erinnerte an die letzte große und erfolgreiche Kraftanstrengung des deutschen Fußballs: Bei der Europameisterschaft 1996 war die Nationalmannschaft nach dem Halbfinalsieg gegen England auch nicht mehr gut zu Fuß, aber Wille und therapeutische Höchstleistungen reichten, um auch sportlich ein letztes Mal zum europäischen Maßstab zu werden (…) Der Ausfall von Nowotny, den Leverkusen gegen Manchester jetzt sogar zum zweiten Mal dank seiner Ausländer verkraften konnte, dürfte für den deutschen Fußball bei der WM zu einem konventionell kaum mehr zu behebenden Fall werden. Bayer siegt – und Völler leidet.“
Christian Eichler (FAZ 02.05.02) über die Ursachen des Misserfolgs von Manchester United. „Unverkennbar wurde, dass sich die stärkste englische Mannschaft nicht weiterentwickelt hat, dass entscheidende Spieler stagnieren und neue sich nicht zurechtfinden. Einzige Ausnahme ist der famose Ruud van Nistelrooy (…) Die erste Kritik (der englischen Öffentlichkeit, of) richtete sich vor allem gegen zwei Stellen: die Abwehr und Juan Verón.“
„Manchester hatte in der BayArena sein Unterhaching zelebriert“, schreibt Bernd Müllender (taz 02.05.02) zum selben Thema. „Manchester kopierte an diesem Abend Leverkusens Drama in Deutschland: versagen, wenn es drauf ankommt, durch unangemessene Vorsicht, gepaart mit Arroganz. Manchester musste gewinnen. Und wartete ab.“ (Volltext)
Von einem „Kulturschock in der Fußballwelt“ berichtet ein vom Leverkusener Spiel restlos begeisterter Christoph Biermann (SZ 26.04.02). „Die Mannschaft von Klaus Toppmöller kombinierte mit einer fein ineinander greifenden Reihe kurzer Pässe erfolgreich gegen das nicht nur auf der Insel tief verhaftete Bild des deutschen Fußballs an (…) spätestens am Mittwoch dürfte Bayer für einen nicht zu unterschätzenden Wandel der Wahrnehmung gesorgt haben. „Man muss schon sehr weit zurückspulen, um eine deutsche Mannschaft zu finden, die so viel Geschmack für guten Fußball hat“, schrieb El País , die gegenüber deutschen Kickern stets äußerst kritische spanische Tageszeitung in einer ausufernden Eloge. Auch die italienische Gazetta dello Sport bejubelte „die Mannschaft des rotierenden Kombinationsfußballs, die Europas Fußballadel die Schamröte ins Gesicht schreibt“. Selbst aus Holland gab es Beifall, De Telegraaf lobte zurückhaltend, aber immerhin „den gepflegten Fußball der Deutschen“. Auf der ganz großen Bühne eines europäischen Semifinals in Manchesters Theatre of dreams entpuppte sich das Team von Klaus Toppmöller gleich in doppelter Hinsicht als Idealbesetzung: Es gab den Underdog und war zugleich Bannerträger des schönen Spiels (…) Bayer begegnete dem großen Favoriten mit fußballerischen Mitteln und agierte am Ende nicht nur auf Augenhöhe. Gegen die zunehmend verwirrten und müde gespielten Engländer hätten überlegene Kreativität und Ballsicherheit schließlich sogar zum Sieg führen können. Schön war das anzuschauen, leicht, elegant und so undeutsch, dass Manchester United daneben fast schwer wirkte (…) Trotz aller Konzentration, trotz des unbeugsamen Kampfeswillen, den Leverkusen ebenfalls aufbrachte, hatte dieser Teilerfolg für Bayer eine fast leichte Note und wurde mit einem Lächeln auf den Lippen errungen.“
Michael Horeni (FAZ 26.04.02) über Bayers „rauschhaftes Erlebnis“. „Von der ersten Minute an hatte sich Leverkusen darangemacht, seinen wundersamen Aufstieg in die europäischen Höhen von Manchester, Madrid und Barcelona spielend auf die Spitze zu treiben. Von Ehrfurcht gegenüber der englischen Fußball-Großmacht oder von Selbstzweifel nach dem letzten Bundesliga-Rückschlag war rein gar nichts zu spüren. Zur allgemeinen Verblüffung brachte erst der unglückliche Rückstand nach einer knappen halben Stunde durch Solskjaer, dessen Schuss von Boris Zivkovic ins eigene Tor abgefälscht wurde, das Beste hervor, was Bayer zu bieten hat. Das exzellente Mittelfeld mit einem diesmal besonders beeindruckenden Bastürk sowie Schneider, Zé Roberto und Ballack trieb mit Manchester dann sein atemberaubend schnelles und sicheres Kurzpaßspielchen, bei dem die englischen Seriensieger nicht mehr mitkamen (…) Nach knapp einer Stunde jedenfalls, als die Leverkusener Kombinationen in der Hälfte von Manchester kein Ende nehmen wollten, war auch atmosphärisch ein Punkt erreicht, den weder Borussia Dortmund noch Bayern München bei ihren Erfolgen auf dem Weg zum Sieg in der Champions League in Old Trafford zu erleben vergönnt war. Mit jedem Leverkusener Ballkontakt wurde die dröhnende Masse immer ruhiger, bis für einige Sekunden im Stadion nur noch Raum war für ein unheimliches, stilles Staunen.“
Die Engländer scheinen „die Konkurrenz aus Deutschland nicht richtig für voll genommen“ zu haben, schreibt Martin Hägele (NZZ 26.04.02). „Manchester United erweckte nicht den Eindruck, als sei der Leader der Bundesliga eine besonders hohe letzte Hürde vor dem Final in Glasgow. In Old Trafford hat man diesen deutschen Vertreter empfangen, als gehörten die Professionals aus der 160000 Einwohner zählenden Stadt und mit einem 22 000 Zuschauer fassenden Stadion nicht in eine Kategorie mit den europäischen Superschwergewichten. Weiss der Teufel, wie diese Deutschen ohne Superstars auf ihrer Reise durch Europa deren Hautevolee geschockt hatten wie beispielsweise den FC Barcelona oder gar aus dem Geschäft eliminierten wie Arsenal, Juventus und den FC Liverpool. An der prominentesten Fußball-Adresse des Mutterlandes würde der Marsch der deutschen Aufsteiger, die noch nicht einmal einen einzigen nationalen Meistertitel besitzen, deren Nerven man blosslegen kann, indem man sie nur mal nach ihrer Niederlage in dem bayrischen Dorf Unterhaching fragt –, was die englischen Reporter in der Pressekonferenz am Tag vor dem Spiel auch fleißig getan haben – hier würde die Fußball-Filiale vom Weltkonzern ihre Grenzen aufgezeigt bekommen.“
Nach den Spiel gab es jedoch reichlich Anerkennung für die Bayer-Elf seitens der Engländer, erfahren wir von Raphael Honigstein (FR 26.04.02). „You‘ll never walk alone, ausgerechnet die Hymne des Rivalen FC Liverpool, schallte fast akzentfrei aus der Ecke der Bayer-Fans. Selbst auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions, über dem Spielertunnel, wurden die Deutschen gefeiert. Ein paar Tausend United-Fans hatten extra ausgeharrt, um Michael Ballack und Carsten Ramelow mit Ovationen im Stehen zu verabschieden. So viel Anerkennung für die Leistung des Gegners hatte es in Old Trafford zuletzt vor zwei Jahren gegeben; damals hatte Real Madrid hier auf dem Weg zum Gewinn der Champions League mit 3:2 gewonnen.“
„Fulminante Angriffsoperationen“ hat Erik Eggers (taz 26.04.02) gesehen. „Es war nicht anderes als eine veritable Sensation, die sich der Welt des Fußballs am Mittwoch in Old Trafford bot, in diesem von Bobby Charlton einst als Theater der Träume bezeichneten Stadion. Mit einem breiten Kreuz und einem famosen Willen ausgestattet, hatten die Leverkusener zweimal einen Rückstand in einer Art und Weise aufgeholt, die ein großes Team von einer gewöhnlichen Fußballmannschaft unterscheidet. Zweimal zogen sie völlig unbeeindruckt weiterhin ihr fantastisches Kombinationsspiel durch und kamen so zu derartig klaren Möglichkeiten, dass eine Niederlage an diesem Tage im Bereich des Unmöglichen lag.“ (Volltext)
Martin Hägele (NZZ 26.04.02) über mögliche Auswirkungen auf Bayers Meisterschaftschancen. „In aller Euphorie schwebte auch Trainer Toppmöller temporär auf Wolke sieben, den Bodenkontakt verlor er trotzdem nie. Weil im Bayer- Team die Bundesliga absolute Priorität geniesse, habe er Nowotny, Berbatow und Bastürk ausgewechselt: Sie wurden im Hinblick auf Nürnberg geschont. Möglicherweise sieht die fränkische Metropole am Samstag ja den neuen deutschen Meister. Das 2:2 vom Mittwoch könnte nämlich bei Ballack und Kollegen die entscheidende Portion Selbstvertrauen freisetzen.“ (Volltext)
Mit der schwierigen Aufgabe Bayer Leverkusens bei Manchester United befasst sich Michael Horeni (FAZ 24.04.02). „Trainer Klaus Toppmöller konnte auf der internationalen Pressekonferenz am Tag vor dem größten Auftritt des fast einhundert Jahre alten Werksklub richtig ärgerlich werden, als er sogar auf englisch auf die vermeintlich notorische Versagensangst von Bayer angesprochen wurde: Wir stehen im Halbfinale der Champions League, sind Tabellenführer der Bundesliga und stehen im Pokalfinale. Nennen Sie mir einen Matchball, den wir in dieser Saison nicht verwandelt haben, sagte Toppmöller, nachdem das Schreckenswort Unterhaching sogar den Sprung über den Kanal bis vor die Tore von Old Trafford geschafft hatte. Der Unmut ist verständlich für einen Trainer, der seine Mannschaft in Europa auf eine Stufe mit Manchester United, Real Madrid und dem FC Barcelona geführt hat, aber für den die aktuelle Bezugsgröße immer noch ein Münchner Vorort sein soll – und nicht etwa der Finalort Glasgow. Also erhofft sich Toppmöller, als wäre nichts gewesen, dass sein Team beim großen Favoriten die Basis schafft, um im Heimspiel die große Sensation zu packen. Aber auch wenn sich der Trainer bei der prickelnden Bayer-Dienstreise am liebsten nur mit den Stars wie Barthez, Blanc, Verón, Giggs und van Nistelrooj befassen würde – die Bundesliga holte ihn in Manchester ein.“
Christoph Biermann (SZ 24.04.02) zum selben Thema. „Nach der Niederlage gegen Werder Bremen hat sich beim Tabellenführer der Bundesliga wieder ein wenig Zauber der großen, weiten Welt eingestellt. Doch das Spiel bei Manchester United ist kein isolierter Feiertag, sondern Teil einer schwierigen Dialektik auf der Zielgerade der Saison. Gerard Houllier, der Coach des FC Liverpool, hatte nach dem Ausscheiden seines Teams aus der Champions League gegen Leverkusen die Niederlage auch damit erklärt, dass der Gegner fliegen würde. Bayers spektakuläre Ergebnisse der letzten Wochen entsprangen einer Art von Dauerrausch, bei dem sich die Erfolge wechselseitig anstießen: Siege in der Bundesliga sorgten für Sicherheit in den internationalen Spielen, Triumphe in der Champions League beeindruckten die Gegner in der nationalen Konkurrenz. Dieser Mechanismus ist nach der Niederlage gegen Bremen zumindest ausgesetzt.“
Martin Hägele (FR 24.04.02) über die möglichen Wechselwirkungen von Champions League und Bundesliga. „Bayer darf nicht hoch verlieren in Old Trafford und keinesfalls seine Moral, denn sonst setzt sich schon vor der Weiterreise nach Nürnberg ein psychologischer Prozess in Gang, den nicht einmal die wortgewaltigen Toppmöller und Calmund stoppen können. Wenn dieses bayerische Dorf Unterhaching die Gedanken der Bayer-Kicker besetzt, ist es nicht mehr weit bis zum nächsten Meister der Herzen. Bei Schalke gibt man den Titel gern zurück.“
Raphael Honigstein (taz 24.04.02) beschreibt, wie Manhester Unitend seinen deutschen Gegner wahrnimmt. „Trotz bestechender Leistungen in der Bundesliga und einem famosen Sieg gegen Liverpool im Viertelfinale weiß man auf der Insel mit dem Team von Trainer Klaus Toppmöller noch immer nichts Rechtes anzufangen. Mit seinem eleganten Angriffsfußball und dem Ruf des ewigen Zweiten mag das Team so gar nicht in das in England gepflegte Klischee von den Deutschen – ergebnisorientierte Kämpfer mit eisernem Siegeswillen, aber beschränkten spielerischen Möglichkeiten – passen.“ (Volltext)
Manchesters Trainer Alex Ferguson „sieht nun Hände reibend, wie sich nach Ruud van Nistelrooy und Laurent Blanc auch seine dritte große Akquisition zu amortisiern scheint“, schreibt Christian Eichler (FAZ 24.04.02). „Nun kann der 27jährige Argentinier ein Zauberkunststück vollenden, das, weil der Cupsieger-Wettbewerb ausgestorben ist, wahrscheinlich keinem anderen mehr gelingen wird: den Gewinn aller drei Europapokale. Dazu muss Verón mit Manchester United die Champions League gewinnen, an diesem Mittwoch also das zentrale Mittelfeldduell mit dem Leverkusener Ballack für sich entscheiden. Für den Argentinier ist es die Chance, die englischen Fans zu versöhnen am Ende einer Saison, in der er die Transfersumme von 90 Millionen Mark, die höchste des britischen Fußballs, nicht immer rechtfertigen konnte. Alex Ferguson sieht die Kosten-Nutzen-Rechnung seines teuersten Einkaufs anders, schließlich ist Kritik an Verón auch Kritik an ihm (…) Der Trainer des englischen Meisters hat vor zwei Wochen von einer Hexenjagd gesprochen; einer Hexenjagd der englischen Medien. Er bediente sich dabei eines bewährten, bequemen Erklärungsmusters: der argentinisch-englischen Animosität. Seit England gegen Argentinien für die WM gelost wurde, gibt es eine Kampagne gegen Seba. Natürlich haben, mehr als die WM-Auslosung, Verón und Ferguson selbst zu der negativen Rezeption beigetragen: Verón, weil er mit dem Tempo und der Intensität des englischen Fußballs zunächst nur schwer zurechtkam, weil er überdies in seiner kühlen, kontrollierten Art nicht dem auf der Insel populären Beißertyp entspricht; Ferguson, weil er lange brauchte, um für Verón die passende Rolle zu finden.“
„Die Essenz des Fußballs heißt Real Madrid gegen den FC Barcelona“ weiß die FAZ (23.04.02) über die Stimmung im Land im Vorfeld des spanischen Duells CF Barcelona gegen Real Madrid zu berichten. „Noch nicht einmal im heimischen Stadion gilt Barcelona als Favorit. Die Katalanen haben in diesem Jahr sehr unterschiedlich gespielt (…) Für die „Königlichen“ (Real, of) wäre es unerträglich, wenn sie sich im Rückspiel am 1. Mai im heimischen Bernabeu-Stadion ausgerechnet zum hundertjährigen Vereinsbestehen dem alten Rivalen geschlagen geben müssten.“
Barcas introvertierter Abwehrspieler Patrick Andersson muss im Hinspiel verletzungsbedingt pausieren, könne sich jedoch der Faszination des Spiels nicht entziehen, schreibt Ronald Reng (taz 23.04.02). „Niemand in Spanien kann diesem geschichtsbeladenen Spiel entkommen, auch Andersson nicht, der sagt, er lebe im Tunnel: „Ich schaue nur nach vorne, einzig darauf konzentriert, dass ich wieder fit werde.“ Aber ein bisschen von dem Wirbel um Barça gegen Real, Katalonien gegen Spanien, Eigensinn gegen Hochmut, ist auch durch seine selbst errichteten Schutzwände gedrungen. Der Glaube, die eleganteste Elf der Welt zu haben, gegen die Meinung, das beste Team der Galaxis zu sein. „Es gibt kein vergleichbares Spiel“, sagt Andersson.“ (Volltext)
Über Alex Fergusons – Manager von Manchester United – einprägsames Kindheitserlebnis im Glasgower Hampden Park berichtet Erik Eggers ( Tagesspiegel 23.04.02). „Im Mai 1960 gewann hier Real Madrid zum fünften Mal in Folge den Europacup der Landesmeister. Angeführt vom argentinischen Strategen Alfredo di Stefano, gewann Real 7:3 gegen Eintracht Frankfurt. Vier Tore schoss di Stefano, drei sein kongenialer Partner Ferenc Puskas. Reals Spielkunst war derart überragend, dass die BBC dieses Spiel 30 Jahre lang zu Weihnachten wiederholte – und die britischen Fußballfans haben dieses Geschenk immer als solches zu würdigen gewusst. Am Ende des 20. Jahrhundert wählte es das Fachmagazin Four-Four-Two zum „Spiel des Jahrhunderts. Gento, Puskas und Santamaria wirkten damals so überirdisch, dass sich selbst ihre Gegner nach dem Spiel von ihnen Autogramme erbaten. Jeder Spieler von Real Madrid war eine Legende, und Alex Ferguson hat diese lebende Legenden bewundern dürfen. Als einer von über 130 000 Zuschauern im ausverkauften Hampden Park. Jetzt träumt Ferguson, einen Sieg im Halbfinale gegen Bayer Leverkusen vorausgesetzt, von einem Finale gegen eben jenen Klub. Aber diesmal soll Real Madrid verlieren.“ (Volltext)
Walter Haubrich (FAZ 25.04.02) über die Ursachen des Erfolgs von Real. „Real Madrid gewann, weil es Stärken aus seinen traditionellen Schwächen – Torwart und Abwehr – ziehen konnte (…) El Mundo Déportivo, eine dem CF Barcelona eng verbundene Sporttgeszeitung, schrieb hämisch, Madrid habe nach seinen vielen Spielen gegen die Bayern von diesen wohl endlich das Verteidigen gelernt.“
Ronald Reng (taz 25.04.02) über ein Kompliment, das die Madrilenen jedoch nicht als Kompliment begriffen. „Real Madrid war Bayern München an diesem Abend. Das war die Ironie des Spiels – und natürlich wollte sie kein Madrilene erkennen. Achtmal in den vergangenen drei Jahren spielte Real gegen Bayern, jedes Mal blickten sie herab auf den Münchener Hang zur Defensive. Bayern verteidigt nur, das ist primitiver Fußball, sagte etwa Abwehrspieler Francisco Pavón, als sich vor zwei Wochen im Viertelfinale die Wege kreuzten. Am Dienstag spielte Real mit fünf Verteidigern und begnügte sich mit vereinzelten, dann aber hinreißend schönen, meist von Stürmer Raúl González initiierten Kontern: Genauso wie der FC Bayern, als er vergangenes Jahr im Halbfinale 1:0 in Madrid gewann. Noooooo!, rief Sportdirektor Jorge Valdano, geradezu erschrocken über den Vergleich. Bayern hatte damals eine einzige Torchance, sagte er und streckte einen, den Zeigefinger, geradezu anklagend aus. Wir hatten heute sieben Torchancen, er streckte fünf Finger aus. Dabei war es doch als Kompliment gemeint: Dass Real schönen Angriffsfußball spielen kann, ist bekannt; mit ihrem Verteidigungsakt in Barcelona bewiesen sie aber, dass sie eine rundum starke Elf sind. Aber es war unmöglich, ihnen das zu sagen.“ (Volltext)
Felix Reidhaar (NZZ 25.04.02) über den Unterschied der beiden spanischen Klubs an diesem Abend. „Oberflächlich betrachtet sehr schwungvoll und tempostark im Angriffsspiel, bestechend im Raum organisiert und mit individuellen Vorzügen, fehlten ihr Ideengeber wie Vollstrecker. Je länger das Geschehen dauerte und je ungünstiger es sich für die Barcelonesen entwickelte, desto mehr wurde man der Gleichförmigkeit und Umständlichkeit im Vorgehen nach vorne gewahr (…) Wie viel zielstrebiger und direkter gingen da doch die Madrilenen vor! Wann immer sie es für ratsam erachteten, beschleunigten sie das Spiel in die Tiefe oder verlangsamten es mit Quer- und Rückpässen. Dank diesen Tempovariationen, aber ohne je überzeugen und sich beeilen zu wollen, bestimmten sie gegen einen zunehmend angeschlagenen Rivalen den letzten Drittel der Partie. Dass Barça auch in der zweiten Halbzeit ungleich mehr und länger in Ballbesitz blieb, änderte an dieser Aussage nichts.“ (Volltext)
Die NZZ (24.04.02) über das Zustandekommen des Madrider Auswärtserfolgs. „Der in der ersten Halbzeit hochklassige, überdurchschnittlich schnelle und fast ausschließlich von den Barcelonesen bestimmte Match erfuhr zehn Minuten nach Wiederbeginn die entscheidende Zäsur – wie ein Blitz stellte sich die Real-Führung ein, unvermittelt legte sich betretene Ruhe über die Arena. Zidane, bisher so wirkungsvoll kontrolliert, entwich erstmals seinem Bewacher und lupfte den Ball überlegt über den auf dem Torraum postierten Goalie Bonano -Verlauf und Kräfteverhältnis bis zu diesem Zeitpunkt waren auf den Kopf gestellt. Unvermittelt büßte der FC Barcelona an Unwiderstehlichkeit ein, er griff zunehmend ideenloser an, erwies sich im Abschluss als zahm und kaum durchschlagskräftig, auch weil Leute wie der Nachwuchsstar Saviola keine Entfaltungsmöglichkeiten gegen die Abwehrrecken Reals fanden. Bestärkt durch die Führung und wegen der Reaktion des Gegners mit mehr Freiheiten zur Angriffsauslösung, blieb die Mannschaft Del Bosques fortan effizienter mit Gegenstößen und stand weiteren Treffern ungleich näher als die umständlichen Katalanen, die an Elan und Esprit verloren.“ (Volltext)
Mit der Situation des mittlerweile wieder favorisierten Klubs Manchester United befasst sich Christian Eichler (FAZ 22.04.02) und nimmt insbesondere einen Spieler ins Visier, der in der Zwischenzeit bereits als Fehleinkauf gehandelt wurde. „Längst hat United zur alten Abwehrstärke zurückgefunden. Die große Konstante heißt Blanc (…) Seine staatsmännische Ruhe machte die Viererkette der Franzosen mit den Kollegen Desailly, Lizarazu und Thuram von 1994 bis 2000, bis zu Blancs Rücktritt nach 96 Länderspielen, zur sichersten in der Geschichte des Fußballs. Wer die meisterlichen Auftritte der „Bleus“ sah, musste sich immer wieder wundern, wie das mit einem derartig bewegungsökonomischen Abwehrchef möglich war. Der Präsident der Equipe Tricolore schien den profanen Regeln des Verteidigerlebens enthoben. Es war ein Wunder des modernen Fußballs: Im imme ratemloser gewordenen Spiel stand Blanc für die Wiederentdeckung der Langsamkeit.“
Die deutsche Presse bezeichnet den Sieg Real Madrids über den FC Bayern als gerecht und sieht im Ausscheiden des Champions-League-Siegers das Ende einer Ära eingeläutet, das mit dem Namen Stefan Effenbergs verbunde ist.
Philipp Selldorf (SZ 12.04.02) über das Spiel zweier ungleicher Mannschaften. „Die Bayern haben mit all ihren störrischen Mitteln eine letzte Anstrengung unternommen, den übermächtigen Gegner verzweifeln zu lassen. Aber was waren das für bescheidene Mittel? Die Mannschaft wirkte wie programmiert, ohne Geist und Leben, und so bestand ihre einzige Methode darin, sich mit maschineller Routine gegen die stürmischen Spanier zu verteidigen. Wo Real dank überlegenem Pass-Spiel Meter für Meter vorwärtsdrängte, das Mittelfeld in einer Weise beherrschte, die schon unfair wirkte, gaben bei den Bayern nur die beiden Spieler eine gute Figur ab, die per Definition für den Kampf ums reine Überleben ausersehen sind: Die beiden Innenverteidiger Robert Kovac und Thomas Linke.“
In Anbetracht der Tabellensituation in der Bundesliga sieht er die europäischen Ambitionen der Münchner in Gefahr:
„Werden die Europacup-Abenteuer des FC Bayern demnächst dienstags um 14.15 Uhr schwarz-weiß in Craiova aufgeführt?“
Rainer Seele (FAZ 12.04.02) zum Spiel und zur Lage der Bayern. „Nahezu ständig mußten sie Angriffe der Spanier über sich ergehen lassen, und sie selbst waren kaum einmal imstande, zu kontern – auch deshalb, weil ihre Mittel am Mittwoch sehr begrenzt waren. Immerhin hielt der Deckungsverbund des FC Bayern fast 70 Minuten lang dem enormen Druck von Real Madrid stand (…) Der FC Bayern steht ein Jahr nach den Triumphen in der nationalen Meisterschaft und im wichtigsten europäischen Vereinswettbewerb mit nichts da als dem Weltpokal, der zu nichts berechtigt; der keine Türen öffnet zu Bühnen des Fußballs, die Geld und Glanz verheißen. Harte Zeiten also für einen zuletzt vom Erfolg verwöhnten Klub. Das ist die neue, ernüchternde bayerische Realität (…) Die Zeit der Festspiele ist erst einmal vorbei für den FC Bayern München.“
Im Leitartikel des Sportbuchs skizziert Seele (FAZ 12.04.02) die Zukunftsaussichten der Münchner. „In Madrid endete gleichwohl eine Ära. Den Meistern von gestern fehlte die Willenskraft, es sich und aller Welt noch einmal zu zeigen. Von der einstigen Stärke, in dem Moment der Bewährung besser als die anderen zu sein, war nichts mehr zu sehen. Auch in der Liga ist die Verwundbarkeit der in die Jahre gekommenen Stars deutlich geworden (…) Fest steht, dass der Umbruch schnell vollzogen werden muss, da der Erfolg bald wieder zum Dauerbegleiter des deutschen Fußball-Rekordmeisters werden soll. Das ist jetzt die große Herausforderung für Trainer Ottmar Hitzfeld. Eine schwierige Mission.“
Thomas Kistner (SZ 12.04.02) zum selben Thema. „So uninspiriert das Gekicke des teuren Personals zuletzt war, das in der Vorsaison alles erobert hatte, was es zu erobern galt (und danach prompt im Motivationsloch versank), so meisterlich sind die Geschäftsabschlüsse der neuen Bayern AG. Auch abseits des Transfermarkts wurde jetzt die Ernte aus den jüngsten Erfolgsjahren eingefahren (…) Dass nach den Triumphen des Vorjahrs nicht sofort der radikale Schnitt gemacht wurde (wie nun viele fordern), hat dem Klub kaum geschadet. Tiefer wären die Kratzer am Image gewesen, hätten sie die Helden des rauschhaften Fußballsommers 2001 gleich nach dem Abpfiff – ja: abserviert. Nun konnten sich alle erholen von der Münchner Siegmaschine.“
Michael Witt (Die Welt 12.04.02) über „die Bruchlandung der Bayern“. „Mutig hatte Hitzfeld vor der Saison sechs Trophäen als Ziel ausgegeben: Meisterschaft, DFB-Pokal, Champions League, Ligapokal, Supercup und Weltpokal. Letzterer wurde es dann – immerhin.“ (Volltext)
Ronald Reng (FR 12.04.02) über „die internationale Abschiedsvorstellung von Stefan Effenberg“. „Zwar hatte der 2:1-Sieg über Real im Hinspiel Illusionen geweckt; doch schon da waren die Grenzen der Münchener sichtbar geworden. Nur mit einer herkulischen Kraftanstrengung hatten sie die Madrilenen niedergerungen. So etwas lässt sich nicht jede Woche wiederholen. All das ist am Mittwoch bestätigt worden. Das Ausscheiden war ganz logisch. Engagiert und geschickt tat der FC Bayern, was er immer noch kann: Verteidigen (…) Das Publikum in den großen Stadien Europas wird Effenberg vermissen: seinen liebsten Bösewicht (…) Die Zuschauer warfen alles. Gummibärchen, Feuerzeuge, Tonbänder, ihre Brillen. Man muss ihn nicht mögen, aber das sagt alles: Wie viel Effenberg als Fußballer erreicht hat. Für welchen Spieler sonst reißen sich Zuschauer ihre Brille von der Nase, werfen sie aufs Spielfeld und verfolgen den Rest der Partie kurzsichtig? (…) 90 Minuten lang hatte Effenberg Real Madrids Verteidiger Roberto Carlos einfach weggerempelt, Luís Figo angebrüllt, Fernando Morientes brüsk gefoult; all die Sachen, die Effenberg immer macht, um sich aufzupuschen. Und auf einmal lag er denen, die er angepöbelt hatte, in den Armen. Er klammerte sich an Reals Spieler, als spüre er, dass er sie nicht mehr wieder sehen würde; sie, die Spieler und sie, die große Zeit. Ein Team ist in der Mittwochnacht im Bernabeu-Stadion am Ende seiner Zeit angekommen.“
Alexander Steudel (Die Welt 12.04.02) spricht bezüglich des personellen Umbruchs vom „Ende einer Monarchie“. „Die sorgfältig entwickelte, hierarchische Struktur bricht auf einen Schlag zusammen. Ein Machtvakuum entsteht. Ballack ist kein Monarch wie Effenberg und muss klein anfangen. Wenn Effe schrie, schwiegen die anderen. Wenn Ballack gleich schreit, werden sie erst mal lachen. So ist das eben bei den Bayern.“ (Volltext)
Die NZZ (12.04.02) über das Duell. „Das Duell auf dem Rasen war ein Abnützungskampf mit komplementären Rollen. Auf der einen Seite die Madrilenen, pfeilschnell, gereizt, in zyklischen Schüben auf das Bayern-Tor stürmend; auf der andern ein stolzer deutscher Riese, wankend in der Abwehr-Festung. Vereinzelten Vorstössen Vorwärtsdrang des Platzklubs gegenüber.“ (Volltext)
Reiner Wandler (taz 12.04.02) sah einen „spielerischen Insolvenzantrag“. „Nach vielen großen Worten lässt Bayern München die entsprechenden Taten vermissen (…) Egal, wer ins Finale der Champions League einzieht. Der Gewinner in Europa ist einmal mehr der spanische Fußball, der mit drei Mannschaften im Viertelfinale stand und zum dritten Mal in Folge mindestens einen Klub im Endspiel hat.“ (Volltext)
Philipp Selldorf (SZ 12.04.02) kommentiert die Abgesänge auf die Bayern. „So spricht man über einen einst famosen Schauspieler, der seine Rolle nicht mehr erfüllen kann, weil ihn die Zeit überholt hat. Man lobt ihn – und wünscht ihn in den Ruhestand. Aber vielen Fußballern, und besonders den Größten, fällt es schwer, den richtigen Punkt für den Rückzug zu treffen. Dieser Tage hat der Nationalspieler Marco Bode seinen Abschied nach der WM versprochen, im relativ geringen Alter von 32 Jahren, und dann denkt man an Stefan Effenberg und dessen letztes Jahr beim FC Bayern, das eines zu viel war. Immer noch sucht Effenberg, bald 34, ein berühmtes Theater, das ihn beschäftigt; doch die Adressen, die sich für ihn finden, bleiben bescheiden. Was für ein Jammer, dass große Spieler wie Effenberg für das Geschäft ihren Ruf und ihr Ansehen als Legende vergeuden.“
Jörg Hanau (FR 12.04.02) über den verspäteten Abgang Effenbergs. „anstatt abzudanken, erfüllte er seinen Vertrag. In gutem Glauben sicherlich – heute, elf Monate nach dem Triumph von Mailand, wissen er und die sich stets schützend vor ihn stellenden Ottmar Hitzfeld und Uli Hoeneß um das falsche Timing. Mit ihm – und nur mit ihm, hieß es damals, sei der FC Bayern in der Lage, die Champions League zu gewinnen. Der Erfolg gab ihnen recht. Der Glaube aber, nur mit dem international angesehenen Effenberg könne der Klub den Titel wiederum verteidigen, führte die Bayern ins Abseits.“
Christoph Kieslich (Tagesspiegel 12.04.02) über Bayerns Konkurrent aus Leverkusen. „Bayer hat dem FC Bayern auf dem Fußballplatz den Rang abgelaufen, was an der Bundesligatabelle abzulesen ist und spätestens mit dem hinreißend herausgespielten 4:2 gegen Liverpool auch einem breiteren Publikum bewusst geworden sein dürfte.“ (Volltext)
Peter Burghardt (SZ 12.04.02) über den engagierten und bisweilen aggressiven Auftritt Reals. „Real entledigt sich des Angstgegners souverän, aber stillos (…) Real Madrid wollte Rache mit allen Mitteln, statt gegen seinen Angstgegner wieder in Schönheit zu sterben. Also wurde nicht bloß gedribbelt und kombiniert, sondern auch gegrätscht und getreten.“
Spanische Pressestimmen
As: Die 9. Sinfonie. 50 Sturmläufe, 16 Ecken, 2 Tore. Übermächtige Überlegenheit von Real. Ein Schlag gegen die Arroganz. Die feige Taktik der Bayern wurde brutal zerstört. (…) Es wird kein Viertes Reich geben!
Marca: Das habt ihr nun davon. Real zerquetschte die Bestie. Adios Bayern, die ihren Stolz schlucken mussten. 2:0 – und das Großmaul Kahn als Torwart (…) Dieser Kahn sollte lieber nicht als Hellseher arbeiten. Man hatte nie das Gefühl, dass die Bayern den Ball kontrollieren wollten.
Sport: Bayern übergab das Kommando an Real. So ist bei den Weißen nichts zu holen. Jetzt Barcelona gegen Real: Das Duell des Jahrhunderts.
El Mundo Deportivo: Bayern zerbricht. Real schlägt schwache Bayern in einem epischen Spiel. Reals Offensivtaktik ging voll auf. Der deutsche Meister kam inKriegsstimmung und verlor.
Ronald Reng (SZ 11.04.02) lobt die risikohafte Spielweise des FC Barcelona im Halbfinale gegen Panathinaikos Athen (3:1). „Nach sieben Minuten bereits 0:1 durch eine feine Einzelaktion des griechischen Stürmers Michalis Konstantinou im Rückstand, trieb Barcelonas Trainer Carles Rexach das Risiko in ungeahnte Dimensionen: Er spielte, was es kaum einmal auf diesem Niveau gegeben haben dürfte, mit fünf Stürmern. Rivaldo, Kluivert und Saviola in vorderster Reihe, Overmars und Enrique leicht zurückversetzt auf den Flügeln. Der wunderbar energische spanische Nationalspieler Luis Enrique mit zwei Treffern sowie der Argentinier Saviola brachten Barca den notwendigen Zwei-Tore-Vorsprung. Und dann standen sie da, mit all ihren Weltklasse-Angreifern, und mussten auf einmal verteidigen, eine halbe Stunde lang. Wie Barca litt! Am Ende kam es mit dem Schrecken davon; was so langsam das Leitmotiv ihrer Saison wird. Dieses Barca, das sich nach der individuellen Stärke der Spieler gemessen mit jeder Elf der Welt vergleichen könnte, ist ein Synonym für Wahnwitz. Große Momente wechseln permanent mit kläglichen Spielen. Mit der Qualifikation fürs Halbfinale bekommt die Saison wenigstens etwas Versöhnliches.“
Die NZZ (11.04.02) berichtet von den Gerüchten um einen dortigen Trainerwechsel. „Angeblich kann selbst ein Triumph in der Champions League den umstrittenen Coach, der in der Mannschaft wenig Rückhalt hat, nicht mehr retten. Nachdem Wunschkandidat Fabio Capello seinen Vertrag in Rom kürzlich verlängert hat, werden nun Xavier Irureta von Deportivo La Coruña, der Argentinier Carlos Bianchi und auch Jupp Heynckes in den spanischen Medien als mögliche Nachfolger von Rexach gehandelt.“ (Volltext)
Die deutsche Presse stimmt Lobeshymnen auf das Team von Bayer Leverkusen an, nachdem dieses im Rückspiel des Champions-League-Viertelfinals den FC Liverpool in einem dramatischen Spiel mit 4:2 bezwingen konnte und damit das Halbfinale der Champions League erreichte.
Thomas Kilchenstein (FR 11.04.02) schreibt. „Bayer Leverkusen im Halbfinale der Champions League. Daran mochte vorher kaum einer glauben. Und hat wahrscheinlich auch keiner – außer vielleicht Klaus Toppmöller, dieser langsam immer unheimlicher werdende Zampano, und seine Spieler. Vier Tore gegen den FC Liverpool? Undenkbar eigentlich (…) Der Sieg gegen Liverpool war tatsächlich eine Sternstunde des Fußballs, ein nahezu „perfekter“ (Michael Ballack) Abend, in der den Leverkusenern praktisch alles gelang. Vor allem im zweiten Abschied, als ich so oft wie nie die Taktik ändern musste (Toppmöller), spielte sich Bayer in einen Rausch und die „Reds“ schwindelig. Hoch und runter wogte die bemerkenswerte Partie, 1:1 zur Pause, raus aus dem Wettbewerb, 3:1 binnen vier Minuten, wieder drin, 3:2 zehn Minuten vor Ende, wieder raus, dann kommt Lucio, dieser momentan beste Spieler in der Liga, und hämmert den Ball von schräg ins Tor. Weiter. In Leverkusen machen sie derzeit alles richtig, macht Klaus Toppmöller alles richtig. Was dieser, zu Unrecht von vielen noch immer nicht ganz für voll genommene Trainer, aus Bayer Leverkusen binnen eines Dreivierteljahres gemacht hat, ist imponierend.“
Udo Muras (Die Welt 11.04.02) zum Leverkusener Triumph. „Ein paar Unverbesserliche mögen ruhig noch widersprechen, aber spätestens seit Dienstag hat der Verein Bayer 04 Leverkusen eine Seele. Wer in einem derart wichtigen Spiel einen so grandiosen Fußball bietet und ihn auch noch mit dem, was man deutsche Tugenden nennt, verbindet, verdient hier zu Lande endlich höchste Beachtung. Verdient Zuneigung. Verdient Sympathie. Und verdient, nicht länger Plastikklub gescholten zu werden (…) Wer Fußballästhet ist, muss Leverkusen sehen, jeden Samstag. Wer leiden will, guckt die Bayern.“ (Volltext)
Uwe Marx (FAZ 11.04.02) über Leverkusens hierzulande ungewöhnichen Offensivstil. „Diesmal schwärmte niemand von hochgekrempelten Trikotärmeln, umgepflügtem Rasen oder eingedrückten Schienbeinschonern. Vielmehr war der Sieg von Bayer ein Erfolg des schönen, des offensiven, des technisch guten Fußballs. Wer den Fußball auch als ein ästhetisches Vergnügen versteht und nicht als bloße Torezählerei, durfte sich an diesem Abend als Gewinner fühlen (…) Die Anerkennung wächst. Keine unwichtige Entwicklung für einen Verein, der seit Jahren um ein Stück mehr Popularität und öffentlicher Anerkennung kämpft (…) denn national wie international gibt es derzeit nur wenige Konkurrenten, die zu dieser Spielkunst fähig sind.“
Christoph Biermann (SZ 11.04.02) zum selben Thema. „Es war vor allem ein Sieg des besseren Fußballs, von dem sich Bayer in keiner Phase abbringen ließ, und der einer Fülle von taktischen Volten (…) Bayer verdiente sich das Weiterkommen über beide Partien betrachtet durch den Willen zum Offensiv- und Kombinationsfußball.“
Bernd Müllender (taz 11.04.02) erinnert dabei gleichzeitig an „tragische Züge“ und meint damit Bayers Verlust vermutlich einiger Stars an die Konkurrenz. „Allmählich wird es Zeit, erste Seiten im Geschichtsbuch des deutschen Fußballs für dieses Bayer Leverkusen zu verfassen: Soll man den permanenten Angriffswirbel, diese zweimal wöchentliche wundervolle Demonstration von Raffinesse, leichtfüßigem Spielwitz und dynamischem Ballstreicheln allmählich auf eine Stufe stellen mit Mönchengladbachs Konterkicken der 70er? Oder ist es, in Zeiten nüchternen Erfolgsfußballs, längst viel mehr? Ein ekstatisches Aufbegehren gegen die kalte Rationalität zeitgenössischen Ballbewegens (…) Ballack lässt sich ab Sommer an den fetten Brüsten des FC Bayern nähren. Für Dynamikmonster Lucio, der zum entscheidenden 4:2 eindrosch (84.), hat halb Fußball-Europa die Netze ausgelegt. Und Zé Roberto, der derzeit unstoppbare Linksfuß mit den Körperdrehungen jenseits aller Gravitationsgesetze, ist angeblich auch mit den hemmungslosen Wilderern aus dem Hause Hoeneß handelseinig. Toppmöller verriet in einem konjunktivischen Nebensatz den wahren Stand der Dinge: Wir hätten gerne mit beiden weitergearbeitet. Das ist das Traurige am Fußball und an Bayer 2002. Das Diktat des Geldes macht ein wunderbares Team kaputt. Und das Groteske: Früher, zu Werksclubzeiten, stand gerade Bayer 04 für grenzenlose Zahlungsmöglichkeiten.“ (Volltext)
Christoph Biermann (SZ 11.04.02) über die Perspektiven des Klubs nach dessem „melancholischen Flug zu den Sternen“. „Noch ist nicht entschieden, was diese Mannschaft in diesem Jahr alles erreichen wird. Calmund räumt ihr auch in den Halbfinalspielen der Champions League „eine Chance von 40 Prozent“ ein, das Finale in Glasgow zu erreichen. In der Bundesliga geht das Team mit vier Punkten Vorsprung in die letzten vier Spiele, und fürs Pokalfinale in Berlin ist es qualifiziert. Schon jetzt kann man sagen, dass es eine großartige Mannschaft ist. Aber auch, dass es sie in der nächsten Saison so nicht mehr geben wird.“
Martin Hägele (NZZ 11.04.02) erkennt in dieser tragischen Situation auch eine Chance für den Klub. Andererseits kann diese Stimmung auch helfen. Langfristige Ziele wurden bisher nur selten erreicht. Die Leverkusener sind nicht nur seit Christoph Daum und dem Trauma von Unterhaching oder seit Berti Vogts theoretischen Planspielen auf diesem Gebiet gebrannte Kinder. Toppmöller wäre deshalb gut beraten, wenn er sich an dem weisen Spruch von Winston Churchill, den er der Delegation aus Liverpool mit auf den Heimweg gab, orientieren würde. Der für seine Wortgewalt bekannte englische Premier war einst in einer Schule als Festredner angekündigt worden. Doch sein Vortrag bestand nur aus wenigen Worten: «Never, never, never give up.»“
und richtet einen Blick auf die Verlierer:
„Für die Spieler des FC Liverpool waren die Geschehnisse dieser Nacht schwer zu begreifen, und wahrscheinlich müssen sie erst einmal selber ihre Gesichter im Fernsehen oder in den Zeitungen gesehen haben: Wie sie dastehen in der BayArena, erst in der Mitte und später am Rande des Rasens, mit konsternierten Blicken, und einfach nicht glauben können, dass soeben ihre Europatournee zu Ende gegangen sein soll. Von draussen prasselte nicht endender Applaus, tönten «Football´s coming home» und «We are the champions». Ihre Lieder, englische Songs – nur leider vom falschen Chor vorgetragen.“ (Volltext)
Über den Imagewandel des ehemaligen Plastikklubs notiert Ralf Wiegand (SZ 11.04.02). „Seit Dienstagabend kann man es einfach nicht mehr leugnen, und, ganz ehrlich, man möchte auch nicht mehr. Widerstand ist zwecklos. Der TSV Bayer 04 Leverkusen ist ein richtiger Fußballverein (…) Wer schenkte uns Rudi Völler? Leverkusen. Wo trainiert die deutsche Nationalelf während der Weltmeisterschaft 2006? Leverkusen. Wer schießt die meisten Tore der Bundesliga? Leverkusen. Bei wem bedient sich der FC Bayern München am liebsten?“
Real Madrid beneide den FC Bayern um seinen Torhüter, meint Peter Burghardt (SZ 10.04.02). „Wenn sich Real Madrid in seiner Funktion als Monarch des Weltfußballs mal wieder über das unverschämte Fußvolk der Bayern aus München aufregt, dann steht im Zentrum meistens ein großer, blonder Mann. Er verkörpert für die Spanier so ziemlich alles, was sie für deutsch halten: Ehrgeiz, Zuverlässigkeit, Kälte. Ein Bauernschrank, mit dem diese Bajuwaren ihr Tor verrammeln, ein Schreihals, der seine Arbeiter notfalls zum Sieg brüllt und gegnerische Künstler zu Boden rammt. In den örtlichen Sportzeitungen heißt er in Verwirrung der Schreibweise öfter mal „Khan“, als handle es sich um einen Mongolenfürsten. Doch wer ehrlich ist, der muss zugeben, dass der teuersten Fußballmannschaft der Welt niemand besser zu Gesicht stünde als eben dieser Oliver Kahn.“
und zitiert Reals Ehrenpräsident und Fußballlegende Alfredo di Stefano:
„dass die Torleute Bälle ins Tor fliegen lassen, das mache ihm (di Stefano, of) nichts aus, daran habe er sich gewöhnt, aber sie sollten sich die Bälle bitte nicht selbst ins Tor hauen.“
Raphael Honigstein (FR 05.04.02) hat eine überzeugende Leistung der Bayer-Elf gesehen. „Leverkusen, von den englischen Medien als vermeintlich leichter Gegner belächelt, zeigte in Anfield die Qualitäten, die das Team von Klaus Toppmöller zum deutschen Meister in spe gemacht haben. Flüssig liefen die Kombination, schlaue Doppelpässe ließen das sonst so kampfstarke Mittelfeld der Hausherren ins Leere laufen, es gab kaum Ballverluste. Selbst die mitgereisten Fans zeigten Kreativität und Einfallsreichtum. „Ihr werdet nie Deutscher Meister“, riefen sie in Richtung der Liverpooler. Schade nur, dass die Gäste neben hoher Spielkultur eben auch ein altes, längst überwunden geglaubtes Manko mit auf den Platz gebracht hatten: Im Strafraum des Gegners fehlte jegliche Durchschlagskraft (…) Liverpool ist das defensivste Spitzenteam der Premier League, aber die Beschränkung auf Konter im eigenen Stadion hatte diesmal, versicherte Houllier, keineswegs Methode gehabt; Bayer hätte einfach nicht mehr zugelassen.“
Erik Eggers (taz 05.04.02) geradezu entsetzt über die unasehnliche Mauertaktik der Gastgeber. “ „True Heroism“, hatte der von ihnen so verehrte französische Trainer Gerard Houllier vor dem Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen Bayer Leverkusen formuliert, ein wahres Heldentum werde sich gewiss auszahlen. Sie lieben solche Sätze auch dann noch, wenn sich die eingeforderte Übermenschlichkeit selbst an der heimischen Anfield Road nahezu ausschließlich auf eine brachiale Defensivarbeit beschränkt, auf ein substanzraubendes Ablaufen jedes Balles, auf die erbitterte Verteidigung des eigenen Strafraums, die blanke Zerstörung des gegnerischen Spielaufbaus. So wie Mittwochabend, als den deutschen Gästen ein Defensivmonster in Rot gegenüberstand (…) Es steht zu vermuten, dass es vor allem der süße Nektar des Sieges ist, von dem die Fans der Reds so gern naschen, ein Saft, der in dieser tristen Gegend wahrlich nicht in Strömen fließt.“
Ähnlich sieht Uwe Marx (FAZ 05.04.02) „eine Abwehr, die etwas von der Undurchlässigkeit und Sicherheit ausstrahlt, die sonst Tresore vermitteln (…) Der FC Liverpool, instruiert von seinem französischen Trainer Gérard Houllier, kümmerte sich nicht um Fußball fürs Auge, sondern um eine makellose Bilanz in der Abwehr. Vorne zwei, manchmal sogar nur ein schneller Konterstürmer, hinten der große Rest zum Schutz des eigenen Tores: So spielte die defensiv wohl beste Mannschaft Europas.“
„Kein bisschen schön“ findet auch Christoph Biermann (SZ 05.04.02) und sorgt sich über Leverkusens Chancen auf ein Weiterkommen. „Die Aussichten von Bayer Leverkusen aufs Halbfinale kommen nach dem 0:1 der Besteigung eines Achttausenders ohne Sauerstoffgerät gleich. Toppmöller nannte es „ein ganz gefährliches Ergebnis“. Dass man es auch für fast aussichtslos halten könnte, belegt nicht nur die Statistik, die den FC Liverpool zur gefürchtesten Gastmannschaft des internationalen Fußballs macht. Seit November 1998 sind sie vom europäischen Kontinent nicht mehr als Verlierer zurückgekehrt (…) Es wäre schon verblüffend genug, wenn Bayer Leverkusen überhaupt ein Treffer gegen die Betonierer in den roten Trikots erzielen würde. Es gibt derzeit in Europa wohl keine Mannschaft, gegen die zu spielen so frustrierend ist wie gegen Liverpool. Selbst das 1:0 im eigenen Stadion verteidigte das Team mit erschütternder Konsequenz, oft zogen sich acht, neun Spieler hinter den Ball zurück. Eine Freude für den Zuschauer ist das nicht (…) Der FC Liverpool wird spätestens seit dem letzten Jahr wieder von dem Gefühl getragen, Anschluss an eine Vergangenheit gefunden zu haben, in der er Europa von der Anfield Road aus dominierte (…) bei aller Anerkennung fantastischer Physis, äußerster Geschlossenheit und fast perfekter Defensivordnung. Der alte Fußballadel aus Liverpool mag seine Dekadenzphase überwunden haben. Aber er hat auf dem Spielfeld den Charme eines Maschinenparks.“
Jörg Hanau (FR 04.04.02) kommentiert das Spiel zweier Mannschaften unähnlicher Spielanlage. „Es ist dem deutschen Rekordmeister ein weiteres Mal gelungen, mit schnöder teutonischer Effizienz die königliche Magie zu entzaubern. Und das nach einer ersten Halbzeit, in der die Madrider Varietékicker um Zinedine Zidane die Gastgeber nach allen Regeln der Kunst vorführten. Schön anzusehen, aber unter dem Strich eben wenig effektiv. Sie beherrschten den Ball, nicht aber das Spiel. Künstler eben, die den Sinn eigenen Tuns gerne vergessen.“
Thomas Becker (taz 04.04.02) über die Siegermantalität der Münchner. „Das Phänomen FC Bayern: Egal wie schlecht und magensäuretreibend die Mannschaft auch spielen mag, sie ist jederzeit in der Lage zurückzukommen, das Spiel zu drehen (…) Gerade noch rechtzeitig wurde dann der Sieger-Automatismus aktiviert, ein Chip, der jedem Bayern-Spieler bei Ankunft an der Säbener Straße implantiert wird und auf dem steht: „Du kannst immer und gegen jeden gewinnen – du musst es nur wollen.““
Ralf Wiegand (SZ 04.04.02) über die uneffektive Spielweise der Spanier. „Trotz aller Warnungen vor dem Kollektiv der Deutschen waren die Madrilenen mit dem Selbstverständnis von Hollywoodstars kurz vor der Oscar- Verleihung nach München gekommen. Sie planten eine Gala – einfach dieses Spiel zu gewinnen, wäre wohl unter ihrer Würde gewesen (…) Vor allem um den bedauernswerten Franzosen Willy Sagnol tanzten Zinedine Zidane, Santiago Solari und Roberto Carlos so ausgelassen herum wie die Dorfjugend um den Maibaum (…) Klar war, dass Real Madrid aus den zauberhaften Ansätzen viel zu wenig machte; so wenig, dass die Statistik später Zahlen ausspuckte, als seien die Spanier hergespielt worden und nicht die Bayern. Nur zwei Torschüsse in 90 Minuten registrierten die Erbsenzähler der Uefa für Real, acht für die Münchner.“
Die NZZ (04.04.02) über die „Mentalitätsgeschichte“ beider Vereine. „Fleiß konkurriert hier mit Schönheit, Effizienz mit Selbstverliebtheit; Im Betriebswirtschaftlichen vielleicht auch Vernunft mit Verschwendung.“
Rainer Seele (FAZ 04.04.02) erinnert das Spiel an die letzte Saison. „Real zeigte hohe Fußballkunst, aber es vernachlässigte dabei Wesentliches – es vergaß zu stürmen. Das taten schließlich die Münchner, als sie sich neu gesammelt, als sie sich zu einer Trotzreaktion aufgerafft hatten und jene Passion wiederentdeckt hatten, mit der sie einst im Mai ihre Gegner niedergekämpft hatten.“
Stimmen aus Spaniens Presse:
„Madrid hielt der Strumflut der Bayern nicht stand.“ (El País)
„Wir warten hier auf Euch! (Ass)
„Die Bayern machen sich lustig über Real. Madrid macht sich in die Hosen, sagt Salihamidzic.“ (Marca)
Die NZZ (04.04.02) sieht den Sieger nunmehr in einer Favoritenrolle des Wettbewerbs. „Stilsicher und schnell in der Angriffsauslösung, ungewohnt solide in den hiteren Reihen (…) Sir Alex Ferguson bescheinigte seinen Spielern die beste Leistung seit 1999, als in Barcelona der Champions-League-Final gegen Bayern München, wenn auch mit Glück, gewonnen wurde. Aus dem Herbst waren noch zwei Rechnungen offen. Deportivo hatte den keinesfalls enttäuschenden Favoriten in der Vorrunde zwei Mal besiegt und und seine Limiten über die Außenseiten aufgedeckt. Zur Überraschung vieler Beobachter änderte Ferguson das System. Linksaußen Giggs musste im Mittelfeld auch defensiv arbeiten, sein