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Sonntags-Spiele in München und Leverkusen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Sonntags-Spiele in München und Leverkusen

Leverkusener können ihre Euphorie nicht mehr lange unterdrücken – Bayern bleiben nach Sieg bescheiden und wollen eine Zugabe – Lars Ricken, ehemaliger Teenie-Star, nun erwachsen und nachdenklich – Werder Bremen, die Fußball-Familie, reagiert trotzig und erfolgreich auf Nebenbuhler – Johan Micoud, Star von Werder Bremen und in Frankreichs Nationalteam verschmäht, im Spiegel-Interview

Bayer Leverkusen – Schalke 04 3:1

Ein Urbayer bleibt weiter stoisch im Rheinland des Lächelns

Thomas Klemm (FAZ 11.11.) befasst sich mit Leverkusener Rausch und Nüchternheit: „An der guten Laune kommt in Leverkusen derzeit keiner vorbei. Nicht nur, weil an diesem Dienstag im Rheinland die närrische Zeit beginnt, sondern vielmehr, weil das Umfeld nach einem Jahr der Depression wieder völlig in den Bundesligaklub vernarrt ist. So wimmelt es auch im Stadionheft seitenweise von Überschriften, in denen sich der Verein selbst bejubelt. Seite eins: Eine Überdosis Emotionen. Seite drei: Eine unglaubliche Geschichte. Seite sieben: Der Aufschwung. Seite zwölf: Voll im Soll. Wir sind wieder wer, lautet die vielstimmige und doch immergleiche Botschaft bei Bayer Leverkusen, das im vorigen Jahr gerade so dem Abstieg entronnen und in dieser Saison drauf und dran ist, sich dauerhaft in der Tabellenspitze festzusetzen. Selbst die Spieler berauschen sich an ihrem mal leidenschaftlichen, mal abgeklärten Auftreten. Mit strahlenden Augen sagte Daniel Bierofka, wir sind gut drauf, strahlen Selbstbewußtsein aus. Robson Ponte grinste in die Fernsehkamera und betonte: Wir wollen oben bleiben. Alle finden alles ganz prima in Leverkusen. Alle? Ein Urbayer bleibt weiter stoisch im Rheinland des Lächelns. Er lobt dosiert, kritisiert punktuell.“

Christoph Biermann (SZ 11.11.) fügt hinzu: „In Leverkusen, wo man neumodischem Gedöns stets aufgeschlossen ist, wird gerade das Fußballgucken der Zukunft getestet. Das Fraunhofer Institut für Software- und Systemtechnik stellt dazu kleine Taschencomputer für die mobile Sportinformation von morgen zur Verfügung. Irgendwann sollen dazu nicht nur Zwischenstände von anderen Plätzen, ständig aktualisierte Tabellen und Videos zur genaueren Betrachtung von Spielszenen gehören, interaktiv ist wieder einmal das Zauberwort. „Die Nutzer können ihre Meinung äußern und an Befragungen teilnehmen“, heißt es in einer Presseinformation, und dazu wäre am Sonntag eine gute Gelegenheit gewesen. Hätte man die mitgereisten Fans von Schalke 04 in der BayArena mit Personal Digital Assistants ausgerüstet, hätten sie mit deren Hilfe wahrscheinlich ordentlich auf Schiedsrichter Heribert Fandel eingeteufelt. Die Gelsenkirchener fühlten sich vom Referee dramatisch benachteiligt und um den Lohn für eine gute Leistung gebracht.“

Bayern München – Borussia Dortmund 4:1

Eher ein Pokalspiel der ersten Runde ein Klassiker der Bundesliga

Michael Horeni (FAZ 11.11.) stellt fest, dass die Bayern auf dem Teppich bleiben: “Es war ein Ergebnis, wie es die Bayern genießen – 4:1 gegen Borussia Dortmund. Das wäre in den letzten Jahren ein wie in Stein gemeißeltes Resultat gewesen, das Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge kaltlächelnd vorgezeigt hätten, um jede Krisendiskussion über Spielweise, Führungskräfte und Investitionspolitik mit rekordmeisterlichem Herrschaftsbewußtsein zu ersticken. Wer siegt, hat recht. Und wer hoch siegt, erst recht. Zumal wenn es gegen den größten nationalen Rivalen jenseits der Stadttore geht. Da es am Sonntag auch leicht sechs oder acht Treffer für die Bayern hätten sein können, war den Fakten nach alles gerichtet für den Münchner Triumph über die Kritik. Aber nichts war’s nach dem 4:1-Sieg im Olympiastadion mit der bayerischen Selbstherrlichkeit. Wieso sollte ich erleichtert sein? fragte der Vorstandsvorsitzende Rummenigge dann auch leicht verwundert nach einem kinderleichten Erfolg, der nur eine erste Etappe auf dem Weg zurück zum alten Selbstverständnis sein konnte. Die mit Ricken, Koller und Wörns verstärkte Jugend- und Regionalligamannschaft der Borussia war vermutlich seit Jahrzehnten die unerfahrenste Dortmunder Auswahl, die sich nach München zum Verlieren aufgemacht hatte. Es war ein wichtiges Spiel, okay. Wir haben gewonnen, wunderbar, sagte Rummenigge emotionslos über ein ungleiches Duell, das eher an ein DFB-Pokalspiel der ersten Runde als an einen Klassiker der Bundesliga erinnerte.“

Eindruck von Besorgnis und Hektik

Philipp Selldorf (SZ 11.11.) beobachtet Ottmar Hitzfeld: „Wie ernst die Lage beim FC Bayern war, zeigte sich, als Ottmar Hitzfeld die ersten Tore seiner Mannschaft bejubelte. Im Zustand der Bedrohung haben seine Freudenbekundungen mit der gewöhnlichen spontanen Begeisterung auf der Trainerbank – Arme hochreißen, Tooor schreien, befreit in die Luft hüpfen – nichts mehr gemein. An solchen Abenden wie am Sonntag wirkt es, als ob Hitzfeld in einem strengen Korsett steckt, das Rumpf und Armen keinen Spielraum zur Bewegung lässt. Er nestelt zunächst unsicher am Mantelsaum, reißt dann eine Hand, zur Faust geballt, ruckartig nach oben, und haut schließlich ein paar Mal im Stakkato in die Luft wie ein Richter, der mit dem Hämmerchen auf den Tisch klopft. Das Ganze macht mehr den Eindruck von Besorgnis und Hektik als der Erlösung vom akuten Stress.“

Günstling des Trainers

Richard Leipold (FAS 9.11.) porträtiert Lars Ricken, Borussia Dortmund: “Wenn Lars Ricken die jüngsten unter seinen Kollegen in den Blick nimmt, sieht er nicht nur Fußballspieler, die Freude am Kicken haben, sondern auch sich selbst. Besonders in Salvatore Gambino, einem 19 Jahre alten Mittelfeldspieler, erkennt er sich wieder. Es ist bemerkenswert, wie er schon jetzt die Bälle fordert. Auch Ricken hat in diesem Alter die Bälle gefordert – am Abend in Mailand, und am nächsten Morgen ist er mit der ersten Maschine zurück nach Dortmund geflogen, hat auf dem Großmarkt gefrühstückt und anschließend in der Schule eine Klausur geschrieben. Die Fans lagen ihm zu Füßen, und alles ging wie von selbst vor acht Jahren, als eine Reihe von Stars verletzt war und Borussia Dortmund mit Ricken in der Spitze trotzdem deutscher Meister wurde. Sein Aufstieg schien unaufhaltsam. Mit einem technisch perfekten Tor im Finale der Champions League 1997 gegen Juventus Turin machte Ricken sich im Dortmunder Fußball unsterblich, obwohl sein Sportlerleben noch vor ihm lag. Er war unbekümmert und dachte nicht darüber nach, was mit ihm geschah. Ricken schickte sich an, ein kickender Popstar zu werden wie geschaffen für den Starschnitt der Zeitschrift Bravo. In jener Zeit zeichnete ihn eine Unbeschwertheit aus, die alles leichter aussehen läßt, als es ist. Diese Unbekümmertheit zu erhalten, rät Ricken den Teenagern in der aktuellen Mannschaft. Der inzwischen 27 Jahre alte Profi weiß, wie schwer es ist, die Leichtigkeit des Seins festzuhalten. Ihm selbst ist es nicht gelungen. Dem Aufstieg folgte der Fall. Mitte Zwanzig wirkte Ricken ausgebrannt – in einem Alter, das bei Fußballspielern als Beginn der Blütezeit gilt. Kaum hatte er die Dortmunder Zeit seines internen Konkurrenten Andreas Möller ausgesessen, verpflichtete der Klub Tomas Rosicky für Rickens Wunschposition im offensiven Mittelfeld. Von der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea kehrte Ricken ohne Einsatz zurück; der Körper sandte dennoch Warnsignale aus und erzwang schließlich Pausen, die ihn im Konkurrenzkampf mit hochdekorierten Stars zurückwarfen. Trainer Matthias Sammer mußte die großen Pläne verwerfen, die er mit Ricken hatte. Der Fußball-Lehrer hatte sich vorgenommen, den gebürtigen Dortmunder nach der WM zum Kapitän zu machen. Doch verletzt und frustriert fiel Ricken als Führungskraft aus. Er gilt als Günstling des Trainers, der als Spieler sein Zimmergefährte war; in der Mannschaft sei er ein Einzelgänger, heißt es, ein Spieler, der sich außerhalb der Arbeitszeiten abschottet. Die Zielgruppe der Bravo spricht er längst nicht mehr an. Aber auch in vielen Sportteilen fühlt er sich nicht mehr gut aufgehoben.“

Trotz in Bremen

Nicht nur Martin Hägele (NZZ 11.11.) findet Gefallen an Werder Bremen: „Das Urteil des Hannoveraner Coachs Ralf Rangnick haben sie im Nachbarland mit grosser Freude vernommen: „Bremen ist neben Stuttgart und Leverkusen im Moment das Mass aller Dinge.“ Solche Sätze brauchen die Menschen in Bremen zurzeit dringend – schliesslich muss im und ums Weserstadion wieder einmal ein Minderwertigkeitskomplex verarbeitet werden. Werder sei nur Ausbildungsstätte oder Durchlaufstation für hochkarätige Professionals, heisst es in dem kleinen Stadtstaat. Und als vor fünf Wochen der Goalgetter Ailton und der serbische Internationale Kristajic, zwei der Besten, für die nächste Saison von Schalke 04 weggekauft wurden, weil der Rivale aus dem Revier das Doppelte an Gehalt geboten hatte, schien wieder einmal die grün-weisse Welt unterzugehen. Die Ohnmacht der Bremer Kaufleute, mit den Grössen der Branche wirtschaftlich nicht mithalten zu können, dauerte allerdings nicht lange. Es heisst ja auch, dass Werder Bremen eine riesige Familie sei und schon viel überstanden habe. Auf den Verlust ihrer zwei Leistungsträger im Frühsommer reagierten die Bremer mit Trotz (…) In den Himmel jubeln, das passt nicht zu diesen Hanseaten. Man braucht schliesslich gar nicht oft auf Werders Erfolgsgeschichte zu schauen. Schon auf den zweiten Blick erkennt der Betrachter, dass es sich hier überwiegend um Professionals handelt, die im Verlauf ihrer Karriere bisher zu kurz gekommen sind. Und diese These lässt sich am leichtesten aus der Vita der Mittelfeldspieler ablesen – derzeit das Schmuckstück des Vereins. Die zwei defensiven Kräfte Baumann und Ernst zählen bei Teamchef Völler zur Verschiebemasse der DFB-Auswahl, zwei fleissige Arbeiter und Kämpfer; beide sind nicht übermässig schnell. Der Ungar Lisztes ist einst von Stuttgart nach Bremen geflüchtet, weil er im Schwabenland aus dem Schatten von Balakow nicht herauskam. Und Regisseur Micoud fühlt sich als ein Opfer der Grande Nation. Es gibt auf seiner Position zu viel Weltklasse im Team von Europameister Frankreich – Zidane, Vieira, Pires, und Co. Und zudem scheint der Coach Santini offensichtlich nicht viel von ihm zu halten. Bei Werder Bremen aber kann der 30-Jährige, den Parma vor eineinhalb Jahren verkaufen musste, seinen ganzen Esprit ausstrahlen. Diese Kreativität steckt auch die Kollegen an. – So konstant schön und erfolgreich funktionierte das norddeutsche Ensemble zuletzt, als Werder noch als Otto Rehhagels Reich galt – gut dreizehn Jahre lang.“

Was mühelos aussieht, ist die Ernte harter Arbeit

Spiegel-Interview mit Johan Micoud, Werder Bremen

Spiegel: Seit der italienische Startrainer Arrigo Sacchi Ende der achtziger Jahre beim AC Mailand das offensive Pressing einführte, ist der Raum für Spielgestalter, wie Sie einer sind, immer kleiner geworden. Wie entziehen Sie sich dem Zugriff der athletisch immer besser ausgebildeten Jäger?

JM: Den Regisseur der alten Schule, der auf dem Platz alle Zeit der Welt hatte, den gibt es nicht mehr. Dennoch: Mir reicht der Raum, den ich in der Bundesliga vorfinde. Nicht nur die Zerstörer haben sich im Fußball fortentwickelt. Ich selbst habe viel Krafttraining gemacht, für die Beine, auch für den Oberkörper.

Spiegel: Das heißt, den Vormarsch der destruktiven Kraftmeier bekämpfen die eleganten Ästheten, indem sie sich selbst zu robusten Athleten wandeln? Ist das nicht traurig?

JM: So schlimm ist es auch nicht. Die körperlichen Anforderungen sind nun mal höher als vor zwölf Jahren, als ich bei AS Cannes anfing. Aber es gibt auch heute Mannschaften, die beispielhaft darin sind, wie man das Spektakel immer wieder neu kreiert: Manchester United etwa oder Real Madrid. Diese Teams versuchen ständig in Ballbesitz zu sein. Das ist auch bei Werder Bremen unser Ziel.

Spiegel: Der Schriftsteller Gabriel García Márquez hat auf die Frage, wie man es schaffe, einen Roman wie Hundert Jahre Einsamkeit zu schreiben, geantwortet: Acht Stunden am Tag auf dem Hintern sitzen. Und das zwei Jahre lang. Ist kunstvoller Fußball letzten Endes auch nur das Ergebnis von Disziplin?

JM: Dem Fußballer geht es ähnlich wie dem Autor: Was mühelos aussieht, ist die Ernte harter Arbeit. Die Kunst besteht darin, dass man die Anstrengung nicht erkennt.

Spiegel: Das gelingt den Franzosen mehrheitlich besser als den deutschen Kickern. Worin besteht das Geheimnis der französischen Fußballschule?

JM: Im Mittelpunkt der Ausbildung steht bei uns immer der Teamgedanke. Wir haben früh verinnerlicht: Nur wer seine Fähigkeiten mannschaftsdienlich einsetzt, bringt sein besonderes Talent wirklich zur Geltung. Erst dann, in einer funktionierenden Mannschaft, fallen die herausragenden Spieler richtig auf.

Spiegel: Sie haben in Bremen schon einen Reporter geohrfeigt und die Taktik des Trainers kritisiert. Einmal sollen Sie eine Lauftrainingseinheit geschwänzt haben. Müssen Spielmacher-Typen eigentlich immer auch ein wenig kapriziös sein?

JM: Als ich das einzige Mal beim Training fehlte, war ich am Bein verletzt. Zweitens: Mit Boulevardreportern gibt es halt manchmal Probleme, aber diese Geschichte ist vergessen. Und wenn ich, drittens, mal etwas sage, denke ich dabei immer an die Mannschaft. Ich mische mich ein, wenn ich der Ansicht bin, die Dinge laufen in die falsche Richtung.

Spiegel: In Deutschland scheint es eine Sehnsucht nach so genannten Chefs auf dem Rasen zu geben. So hat man bei Bayern München den Eindruck, dort solle Michael Ballack in die Rolle eines Wortführers gedrängt werden, die ihm nicht liegt. Glauben Sie, dass er sich unwohl fühlt?

JM: Ich kenne es aus Frankreich so, dass eine Mannschaft unter sich ausmacht, wer den Chef gibt. Oft ist es der Spieler, der vor der Abwehr spielt – wie früher bei uns der Nationalmannschaftskapitän Didier Deschamps. Wenn jedoch auf Ballack von außen Druck aufgebaut wird, dass er den Boss spielen soll, ist das nicht authentisch. In Deutschland sagt man leicht: Oh, das ist der Spielgestalter, also muss er viel reden.

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