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Sonntagsspiele der Bundesliga in Stuttgart und Berlin – Spielabbruch nach Ausschreitungen in Turin – die Lage in Mainz und St. Pauli u.v.m.
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| Donnerstag, 25. März 2004VfB Stuttgart – Borussia Mönchengladbach 4:0
Martin Hägele (SZ 25.2.) vermeldet die Rückkehr der Stuttgart Erfolgsfans. „Alles bestens also? Nicht unbedingt, denn da waren diese Pfiffe im zweiten Spielabschnitt gewesen, die Magath aufs Gemüt geschlagen haben: „Das muss man doch verstehen, dass man nach einem solch harten Programm, wie wir es hatten, einen Gang zurückschaltet bei solch einer Führung.“ Selbst beim FC Bayern würden die Fans im Olympiastadion Ergebnisfußball tolerieren – „obwohl die keine internationalen Partien mehr zu bewältigen haben“. Es war dies die erste Begegnung des gebürtigen Franken mit der Sippe der Bruddler. Deren Mitglieder hatten sich zwei Jahre lang in ihren Kneipen an den Stammtischen verkrochen. Nun aber, da der VfB wieder etwas darstellen möchte, wollten sie auf den besonderen spielerischen Anspruch aufmerksam machen, der im Ländle einst in der Epoche des Magischen Dreiecks gepflegt worden war. Irgendwie reizt der Blick auf die Tabelle zu Illusionen und Irritationen. Vor lauter Freude, oben dabei zu sein, nur einen Zähler hinter Meister Dortmund, und da das nächste internationale Geschäftsjahr womöglich schon schon gebucht werden kann, verkennen manche Anhänger, dass es sich noch immer um eine Mannschaft im Lern- und Entwicklungsprozess handelt. In dieser Phase sei praktisch jeder Profi gefährdet, die Situation nicht verkraften zu können, erklärt Magath (…) Die Reisegruppe aus Mönchengladbach machte sich dagegen mit schlimmen Befürchtungen auf den Heimweg. Diese Borussia ist keine Mannschaft mehr. Es genügt nicht, dass Arie van Lent jedes Kopfballduell gewinnt, und die halbe Liga neidisch auf Mikael Forsell, den finnischen Ausleihstürmer vom FC Chelsea London, blickt. Der einzige Schuss aufs Stuttgarter Tor entsprang eher dem Zufall – als der Ball plötzlich an die Latte krachte, war keiner mehr erschrocken als der, der geschossen hatte: Jeff Strasser, der Luxemburger Mann fürs Grobe. „Unterirdisch“ nannte TV-Reporter Werner Hansch das Gesehene. Sachlicher betrachtet lautet das Urteil: Borussia Mönchengladbach ist derzeit Abstiegskandidat Nummer eins.“
Michael Ashelm (FAZ 25.2.) vermutet eine „aufbauende Wirkung“ für das Stuttgarter Rückspiel gegen Glasgow diese Woche. „Die Wiederkehr des Torglücks beruhigte den VfB und seinen zwanzig Jahre alten Stürmer ungemein. Nach den vergangenen zwei Niederlagen (0:2 gegen Schalke und 1:3 gegen Celtic Glasgow) war im Ländle Unsicherheit aufgekommen. Sorge bestand beim Trainer-Fuchs Magath, daß gerade die jüngeren Spieler möglicherweise von der Spur kommen. Selbst Kuranyi gab zu, die Konzentration etwas verloren zu haben, weshalb er nach dem enttäuschenden Schalke-Spiel von Magath zur Rede gestellt wurde. Ich war im Training zu locker. Aber der Trainer hat mit mir gesprochen und mir geholfen, behauptet Kuranyi. Und wie es so oft ist im Fußball, alles sei nur eine Kopfsache gewesen, so Kuranyi. Also einfach klick – und alles ist wieder in Ordnung. Durch die Stuttgarter Köpfe schwirrt in diesen Tagen vor allem eines: die schwere Aufgabe im Achtelfinale des Uefa-Pokals gegen Celtic Glasgow. Die Niederlage im Hinspiel ist nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung wettzumachen – gerade auf die Treffsicherheit der Stürmer wird es ankommen. Magath testete deshalb im Hinblick auf die erwartete Ausnahmesituation gegen Gladbach schon mal die totale Offensive, ließ nach der Pause gleich drei Stürmer zusammenspielen. Mit Erfolg: Denn nicht nur Kuranyi traf, sondern mit Ioannis Amanatidis und Viorel Ganea gleich alle Vertreter der Offensivabteilung.“
Hertha Berlin – Arminia Bielefeld 0:0
Christian Eichler (FAZ 25.2.). „Hinten rechts, in einem Winkel versteckt, stand der Trostspender. Er leuchtete grell-rot im Baustellengerümpel des Berliner Olympiastadions und strahlte eine frohe Botschaft in die Welt: Noch 1232 Tage bis zum Anpfiff des WM-Finales verkündete die kleine Anzeigetafel und zählte die Minuten und Sekunden zurück. Am Sonntagabend war der Countdown eine willkommene Einladung zum Träumen. Beim Besuch der Bundesligapartie Hertha BSC Berlin gegen Arminia Bielefeld mußte man sich einfach in eine bessere Welt flüchten, denn die Gegenwart war schwer zu ertragen. 0:0 endete das Fußballspiel nach 90 trostlosen Minuten. Während sich die Zuschauer langweilten, hatte Manager Dieter Hoeneß keine Probleme, zum mauen Spiel eine emotionale Beziehung aufzubauen. Nach dem Abpfiff marschierte er wütend Richtung Kabine und sagte: Das war heute zu wenig. Mehr möchte ich nicht sagen. Später, als sich sein Puls wieder etwas beruhigt hatte, ging Hoeneß doch noch zu sachlicher Kritik über. Solch einen Gegner muß man im Vollsprint besiegen, sagte er Wir aber sind heute nur gejoggt.“
Zweite Liga
Thomas Becker (SZ 24.2.) berichtet die Lage in Mainz. „Es muss wie nach Hause kommen gewesen sein. Nach Jahren mal wieder in der Heimat. Wo sich nichts ändert: Die Wohnhäuser hinter der Gegengerade sind noch da, die Stimme des Stadion- sprechers verliert sich wie immer im offenen Rund, genauso die Gesänge der paar Hundert treuen Fans – Verbandsliga-Stimmung. Als die Kicker des FSV Mainz 05 das Reutlinger Stadion an der Kreuzeiche betraten, war es für Sekunden wohl so. Lange ging es ihnen in ihrem 50 Jahre alten Stadion am Bruchweg nicht anders. Doch seit ein paar Monaten laufen die 05er zuhause mit einem neuen Gefühl auf: steile, gut gefüllte Tribünen, Gesänge und in die Höhe gereckte Fanschals inklusive „You never walk alone“ – endlich die gewünschte Hexenkessel-Atmosphäre. Das beflügelt, stärkt das eh schon ordentliche Selbstbewusstsein, auch für Auswärtspartien: Nach dem 2:1 in Reutlingen, dem siebten Sieg in den letzten acht Spielen, liegt Mainz weiter auf Bundesliga-Kurs. Das taten sie schon im vergangenen Jahr. 30 von 34 Spieltagen stand Mainz auf einem Aufstiegsplatz, ein Punkt im letzten Spiel hätte gereicht. 20.000 litten vor der Videoleinwand am Gutenbergplatz, als Union Berlin die Party verdarb, Tränen flossen. Der Neuanfang hatte da schon begonnen: Stadionausbau. Die Haupttribüne verdient nun diesen Namen, statt der Mini-Gegengeraden verstellt eine mächtige Tribüne den Anwohnern den Blick auf den Platz. 20.000 statt bisher 15.000 finden Platz, aber wichtiger ist „der Event-Charakter“ wie Manager Christian Heidel sagt: „Wir wollten diese englische Atmosphäre.“ Wirkung hat er nicht nur beim eigenen Team ausgemacht, sondern auch beim Gegner: „Die gucken erstmal, wenn die hier reinkommen.“ Der Imagegewinn in Zahlen: Obwohl das Team schlechter platziert ist als im Vorjahr, kommen mehr Zuschauer: im Schnitt 12.500 statt 9.000, davon 4.500 mit Dauerkarten. Trainer Jürgen Klopp, mit 525 Spielen im Mainzer Trikot der Rekordhalter, hat sich beim Neujahrsempfang der Stadt beschwert, dass der Ausbau so spät kommt, dass er selbst nicht mehr spielen kann. Aber auch als Coach hat er seinen Spaß: „Es ist einfach geil.“ Klubpräsident Harald Strutz drückt seinen Stolz gewählter aus: „Hier fängt Fußball an.““
Frank Heike (FAZ 21.2.) war am Millerntor. „Schäbiger könnte kein Vereinsheim aussehen. Alles hier erinnert an den verblichenen Glanz früherer Tage: Die gelbstichigen Aufnahmen von Fußballszenen einer Zeit, als die Paraden der Torhüter noch Robinsonaden hießen, gerahmt in dunkler Eiche. Dazu die entsprechenden Stühle, der angestoßene lange Tisch und auch die braunweiß karierte Decke. Die Heizung wummert, als wäre man am Nordpol. Man ist im Herzen des FC St. Pauli am Hamburger Heiligengeistfeld, im Vereinsheim des, so die Selbstauskunft von Klub und Anhängern, “etwas anderen Vereins“. Es waren auch solche Details – daß ein Bundesligaclub ein Clubheim hat, in dem Profis und Fans nach den Partien wirklich bei der Flasche Astra zusammenstehen – die die Hamburger Volkskundlerin Brigitta Schmidt-Lauber dazu bewogen, ein Seminar über einen Fußballverein anzubieten: “Der FC St. Pauli – Zur Ethnographie eines Vereins. Fußball als soziales Ereignis.“ Nach einem Jahr der Feldforschung sitzen die Studierenden (nicht zufällig sind es elf, der Kader hat sich im Laufe der Saison von 36 Interessenten auf ebendiese Zahl reduziert) mit ihrer Spielführerin Schmidt-Lauber nun am langen Tisch mit der braunweißkarierten Decke und müssen sich vorkommen wie die häufig wechselnden Trainer des FC St. Pauli, so viele Fragen gibt es zu beantworten (…) Es gebe auch Modefans, die nur kämen, weil der Club gerade “in“ sei. Sie seien von dem politisch-toleranten Image der anderen Anhänger eher genervt und wollten vor allem eins: Fußball gucken. Oder die ziemlich vielen St. Pauli-Fans aus den noblen Elbvororten. Für sie sei der Stadionbesuch ein Ausbruch aus den Konventionen des Alltags und der Ort, an dem man schreien und sonntags um drei Bier trinken dürfe. Überhaupt der Sonntag. Nicht umsonst spreche man vom Fußball als Ersatzreligion, sagt Brigitta Schmidt-Lauber, allein der Spieltag zeige die religiöse Dimension.“
Interview mit Bernd Hoffmann, Vorstandschef des Hamburger SV, zur Lage der Liga, Fußball als Entertainment und den Versuch, die Bayern nicht ganz so weit davonziehen zu lassen FR
Ausland
Birgit Schönau (SZ24.2.) berichtet den Spielabbruch in Turin. „Nach 45 Minuten stand es 3:0 für Milan, und das erinnerte in fataler Weise an die Begegnung in der Hinrunde, als der Abstiegskandidat Torino Calcio dem Titelanwärter AC Mailand 0:6 unterlegen war. In der Maratona-Kurve begann es zu rumoren. Die Tifosi montierten Plastiksitze ab und warfen sie aufs Spielfeld, bald folgten Steine und zwei Kühlschränke, die sie aus der Kaffeebar des Alpenstadions entwendet hatten. Ein Absperrgitter wurde eingerissen, während die Polizei am Spielfeldrand alles, was von oben kam, postwendend zurückwarf. Nur mit den Kühlschränken hatten die Ordnungshüter Probleme (…) In keinem anderen Land Europas werde so viel über Fußball diskutiert, bemängelte Galliani. Der Profiliga-Chef kennt sich aus – er war früher Manager beim tonangebenden Berlusconi-Fernsehunternehmen Mediaset. Die untereinander zerstrittenen Führungskräfte des Calcio stehen der Welle der Gewalt hilflos gegenüber. Turin gegen Milan ist bereits die dritte Partie in den beiden obersten Spielklassen, die wegen Fanrandale vorzeitig abgebrochen wurde. In der Saison gab es bei gewalttätigen Auseinandersetzungen vor, während oder nach Spielen 800 Verletzte, die Hälfte davon in den vergangenen vier Wochen. Für Ordnungskräfte in den Stadien gab der Staat an 20 Spieltagen 32 Millionen Euro aus, das ist mehr als das Doppelte der staatlichen Zuwendungen für den Breitensport. Die schlimmsten Übergriffe wurden in den Amateurligen registriert; in Süditalien verwüsteten Tifosi ganze Kleinstädte. Fanprojekte gibt es nirgends. Die Fußballbosse brüten zwar ständig neue, absurde Vorschläge aus, um die drohende Pleite von Vereinen abzuwenden, geht es aber um die Betreuung des Publikums, geben sie weiter an den Gesetzgeber und die Polizei. Die antworten mit Repressalien. Am Wochenende wurden in der Region Kampanien rund 500 Begegnungen von Jugendteams verboten, weil die Sicherheit von Publikum, Schiedsrichtern und Spielern nicht garantiert werden konnte. Die Regierung in Rom hat am Freitag per Notverordnung verfügt, dass gewalttätige Tifosi bis 36 Stunden nach der Tat aufgrund von TV-Bildern verhaftet werden dürfen. Stadien, in denen es öfter zu Ausschreitungen kommt, können künftig behördlich geschlossen werden. Vor zwei Jahren gab es schon einmal eine ähnliche Verordnung, deren Wirkung aber verfiel, weil sie nicht in ein Gesetz umgewandelt wurde.“
Zur Situation beim AS Monaco NZZ
Weiteres
Christian Eichler (FAZ 22.2.). „Möge der Schlechtere gewinnen! So bleibt Sport interessant. Jeder Fußballfreund kennt Spiele, die nicht die bessere Elf gewann. Das geht, weil der zählbare Erfolg, das Tor, eine Seltenheit bleibt, die nicht mal jede halbe Stunde geschieht. So bleibt genug Raum für den kostbaren Zufall. Um die Sache gerecht auszugleichen, hat der Fußball die Liga erfunden und dazu einige patente Mischformen von Pokal- und Ligamodus. So finden Unwägbarkeit und Verläßlichkeit zusammen. Am Ende gewinnt meist der Bessere; vorher aber zum Glück oft der Schlechtere. Selbst wenn Bayern München dank noch unbekannter Geheimverträge diesmal mit zweistelligem Vorsprung Meister werden sollte: Fußball bleibt überraschend genug. Er braucht deshalb auch kein Play-off-System; anders als Spiele wie Basketball, in dem der zählbare Erfolg im Durchschnitt nicht mal eine halbe Minute braucht und die Überlegenheit eines Teams schon im Verlauf einer Partie, nicht erst einer Saison belohnt wird. Man darf dem Zufall nicht Tür und Tor öffnen, aber doch ein Hintertürchen. So hat jeder erfolgreiche Sport seinen Unwägbarkeitsfaktor: Boxen den K.o., Tennis das K.-o.-System, Biathlon den Fehlschuß, Skispringen den Wind, Radsport den Wechsel von Tages- und Tour-Rennen. Zufall und Gerechtigkeit, ein perfektes Team.“
Gewinnspiel für Experten