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Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Sonstiges

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Karlheinz Pflipsen (Alemannia Aachen) trifft auf seinen Heimatverein – Sorge über Sicherheit in Portugal – Soziologen beschäftigen sich mit St.Pauli-Fans (FTD) – Fußball tröstet Haiti (NZZ) u.v.m.

Einmaliger Nationalspieler

Im DFB-Pokal spielt Aachen gegen Gladbach, Roland Zorn (FAZ 17.3.) drückt Karlheinz Pflipsen die Daumen: „In dem kleinen Konferenzraum der Geschäftsstelle von Alemannia Aachen hängt ein großes Bild, auf dem ein Spieler im schwarzen Trikot durch einen neonbeleuchteten gelben Tunnel schreitet. Auf dem Rücken des in künstlerische Unschärfe getauchten Kickers ist nur eines klar sichtbar: die Nummer 10 und der Name Pflipsen. Das Foto beweist, daß dieser Pflipsen ein ganz besonderer Profi beim Tabellenvierten der Zweiten Bundesliga ist. Er nämlich ordnet und lenkt dort das Spiel in die rechten Bahnen. Der 33 Jahre alte Kapitän des Aufstiegskandidaten steht Woche für Woche im Mittelpunkt der Aachener – und an diesem Mittwoch ganz besonders. Dann nämlich treffen Pflipsen und seine Mannschaftskameraden im DFB-Pokal auf den abstiegsbedrohten klassenhöheren Nachbarn Borussia Mönchengladbach. Jenen Verein, für den der Mann mit den Qualitäten eines Fußballregisseurs fünfzehn Jahre gespielt hat. Noch immer wohnt der dunkelhaarige Sensible mit den braunen Augen in Mönchengladbach, und noch immer ist die Borussia ein Herzensklub für ihn. Ich bin dort groß geworden, das kann man nicht wegreden, sagt der einmalige [sic!] Nationalspieler – 1993 beim US-Cup gegen die Amerikaner (4:3) – und bekennt sich sogleich zu seinem jetzigen Arbeitgeber. Es ist mein Traum, mit Aachen noch einmal in die erste Liga aufzusteigen.“

Thomas Klemm (FAZ 17.3.) berichtet Sorge und Sicherheitsvorkehrung in Portugal: „Es war Montag, der 8. März, als sich Leonel de Carvalhou zum letzten Mal über die Angst seiner Landsleute wunderte. Eine Sicherheitspsychose bescheinigte der Sicherheitskoordinator der Fußball-Europameisterschaft 2004 an jenem Tag den Portugiesen, einen Hang zur Schwarzmalerei. Unvernünftig erscheine ihm daher die dauerhafte Diskussion um die Sicherheitsvorkehrungen während der EM-Endrunde, sagte Carvalhou in Prag bei einer Werbeveranstaltung für die Europameisterschaft. Denn: Fußballstadien sind weder Flughäfen noch Hochsicherheitsgefängnisse. Es war Donnerstag, der 11. März, als der scheinbar heile westeuropäische Teil der Welt auch in Portugal zusammenbrach. Nach fast gleichzeitigen Terroranschlägen auf drei Bahnhöfe in Madrid, bei denen 201 Menschen starben und mehr als 1500 verletzt wurden, fühlt sich das Nachbarland der Iberischen Halbinsel nun zunehmend gefordert. Hatten sich Regierung, EM-Organisatoren und Sicherheitskräfte in den Monaten zuvor beinahe ausschließlich damit beschäftigt, wie mit gewaltbereiten Fans vor allem aus England umzugehen sei, so müssen sie sich plötzlich auch mit einer Terrorgefahr für die Zeit vom 12. Juni bis 4. Juli auseinandersetzen. Zwar gebe es derzeit keine Hinweise auf eine derartige Bedrohung, wie Ministerpräsident José Manuel Durão Barroso am Dienstag abermals betonte; doch hat die Regierung eine Intensivierung präventiver Maßnahmen beschlossen. Zur Sicherheit werde alles Notwendige ernsthaft und vertraulich getan, kündigte José Luis Arnaut an, der für den Sport zuständige Minister des Regierungschefs. Aber keine Regierung kann die totale Sicherheit garantieren gegen Anschläge wie in Madrid. Nach jenen verheerenden Attentaten hat das Land am Südwestzipfel Europas begonnen, Flughäfen und Bahnhöfe verstärkt zu sichern. Für die Zeit vor und nach der Europameisterschaft sind, obwohl Portugal zu den Unterzeichnern des Schengener Abkommens gehört, Kontrollen an den Grenzübergängen zu Spanien geplant; wiewohl Terroristen kaum zu identifizieren sind, weil sie in der Regel mit gewöhnlichen Reisepässen einreisen. An den EM-Spieltagen sollen nach Informationen der Wochenzeitung Expresso Jagdflugzeuge des Typs F-16 den Luftraum über den Austragungsorten überwachen. Auf Wunsch erhalten die Mannschaften aller 16 Endrundenteilnehmer Polizei-Eskorten, in jedem Falle das spanische Team.“

Idealisierte Konstruktion einer möglichen Gesellschaft

René Martens (FTD 17.3.) studiert Soziologie über St.Pauli-Fans: „Unter dem Titel „FC St. Pauli. Zur Ethnographie eines Vereins“ haben Studenten des Instituts für Volkskunde der Universität Hamburg zwei Semester lang versucht, die Symbolkraft des Vereins zu erforschen. Kein Fußballklub war bisher Subjekt eines ethnologischen Seminars, geschweige denn eines wissenschaftlichen Buchprojekts. Doch: „Der FC St. Pauli hat und ist Kultur“, sagt Brigitta Schmidt-Lauber, die Leiterin des Seminars. Wie kommt es zum Kultstatus? Welche Bilder und Vorstellungen sind mit dem sozialen Phänomen verknüpft, und wie real ist ihr Hintergrund? Solchen Fragen haben sich ihre Studenten genähert. Teilweise wirkten auch Fans mit: Einer hat bei einem Viertelrundgang alle Orte fotografiert, die er an einem Heimspieltag aufsucht. Die Lösung des Rätsels FC St. Pauli fanden die Autoren überwiegend im unmittelbaren Stadionumfeld. 500 Kneipen, Bars und Restaurants sind innerhalb von zehn Minuten zu erreichen. Wer am Freitag Abend mit Freunden zum Fußball geht und sich danach um die Ecke ins Nachtleben stürzt, schwört dieser lieb gewonnen sozialen Gewohnheit nicht ab, weil die Gegner plötzlich VfR Neumünster oder 1. FC Köln-Amateure heißen. Auf St. Pauli wird laut Autoren des Buches „der Wunsch nach einer Andersartigkeit gegenüber Rest-Hamburg“ gelebt, der sich auf die Fanszene und ihr Verhältnis zur restlichen Fußball-Welt übertragen habe. „Das den FC St. Pauli umgebende Wertegefüge ist eine idealisierte Konstruktion einer möglichen Gesellschaft, die unabhängig von der tatsächlichen Lebenswelt ihrer Anhänger besteht“, resümiert das Buch. Die Ethnologen beendeten ihre Untersuchung im Sommer 2003, als dieses Wertegefüge schwer beschädigt wurde, weil der Verein in einer Retter-Kampagne 2,35 Mio. Euro für die Regionalliga-Lizenz zusammen trommelte und dabei alte Feinde wie die CDU, Mc Donald’s und den FC Bayern mitmischen ließ. Die Verbitterung darüber sei groß, sagt Schmidt-Lauber, aber die Fanszene so dynamisch, dass der Kult immer wieder frische Jünger finde. So wird der FC St. Pauli der Ethnologen-Zunft noch viel Arbeit bereiten.“

Besprochenes Buch: Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.): FC St. Pauli. Zur Ethnographie eines Vereins. LIT Verlag 2004, 194 S., 9,90 Euro.

FR-Portrait Alexander Zickler (Bayern München)

Matthias Erne (NZZ 16.3.) teilt mit, dass Fußball Haiti tröstet und vom Alltag ablenkt: „Wenn der WM-Viertelfinalist USA und der karibische Aussenseiter Haiti zu einem Freundschaftsspiel antreten, ist das Ergebnis bestenfalls eine Randnotiz wert. Dass sich die beiden Teams am Samstag in Miami 1:1 trennten, entnahmen Leser amerikanischer Sonntagszeitungen daher nur Kurzmeldungen. Dennoch nahm dieser Match einen besonderen Stellenwert ein – jedenfalls für die Haitier. Als wäre das ärmste Land der westlichen Hemisphäre nicht gestraft genug durch eine Aids-Epidemie und den Mangel am Allernötigsten zum Überleben, tobt seit Wochen auch noch ein blutiger Bürgerkrieg. Vielleicht fragt sich Dan Califf, der den Ausgleich für das US-Team erst in der 94.Minute erzielte, ob angesichts solchen Elends im Lande des gegnerischen Teams ein Verfehlen des Tors nicht besser gewesen wäre. Ein Sieg gegen die übermächtigen Amerikaner hätte die Haitier in den schweren Zeiten wenigstens vorübergehend aufgemuntert. Allerdings darf auch das Remis als Erfolg betrachtet werden, vor allem angesichts der Umstände, unter denen die Spieler aus Port-au- Prince derzeit antreten. Zwar steht an der Spitze des Verbands immer noch ein Präsident. Auch ein Generalsekretär und sogar ein Kassier verrichten ihre Arbeit. Aber seit Monaten steht kein Geld mehr zur Verfügung, was die Lage des Nationalteams markant erschwert. Seit dem letzten Herbst trainieren und leben die haitischen Spieler im Exil in Südflorida, wofür mehrere Gründe bestehen. Erstens fehlt zu Hause eine vernünftige Infrastruktur. Zweitens nahm Nationaltrainer Fernando Clavijo Wohnsitz in Miami. Die anfangs ideale Lösung mit weit besseren Trainings- und Lebensbedingungen in Florida als in Port-au- Prince geriet zuletzt zum Albtraum. Ohne Geld vom Verband blieben die Haitier die Miete fürs Trainingsgelände schuldig und mussten die Übungseinheiten in öffentlichen Parks von Miami absolvieren. Nationaltrainer Clavijo, in Uruguay geboren und vor 25 Jahren als Sohn von bettelarmen Immigranten nach Amerika gekommen, bekommt seit vier Monaten kein Gehalt mehr.“

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