Ballschrank
Spannung im Aufstiegskampf – St. Pauli, der friedliche Partyschreck, steigt ab – Unterhaching steigt wieder auf
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| Donnerstag, 25. März 2004
Provinztheater?
Jan Christian Müller (FR 20.5.) fühlt sich durch die Dramaturgie in Liga Zwei für mangelnde Spannung im Oberhaus entschädigt. „In Liga zwo geht es bei den drei den Aufstieg entscheidenden Spielen zwischen Eintracht Braunschweig und Mainz, Eintracht Frankfurt und Reutlingen sowie Karlsruher SC und Greuther Fürth auch jeweils um den Kampf um den Klassenerhalt. Zittern wie Espenlaub unten und oben, schlotternde Knie, Nerven, gespannt wie Drahtseile, die ganze Bandbreite des Kitzels, den der unnachahmlich sympathisch breit grinsende Mainzer Trainer Klopp so gern in der Magengegend verspürt: Im Park kicken bringt keinen Spaß, hat Klopp am Sonntag gesagt, da kann gewinnen, wer will und niemanden interessiert es, so was reizt ihn nicht. Die Zweite Bundesliga aber – sie wird am kommenden Sonntag Millionen Menschen zu Nervenbündeln mutieren lassen. Aber sie läuft auch Gefahr, im kommenden Spieljahr mausgrau daher zu kommen: Dann nämlich, wenn die Eintracht aufsteigt und die namenlosen Ostwestfalen aus Bielefeld neben Cottbus und Nürnberg absteigen müssen. Ohne Aue, Regensburg, Unterhaching und Osnabrück zu nahe zu treten: Aber wenn sie – wie erwartet – von unten dazu kommen, ist das Provinztheater komplett.“
Souveränität und Abgeklärtheit
Wie ist die Stimmung in Frankfurt, Thomas Kilchenstein (FR 20.5.)? „200 Stundenkilometer werden es wohl gewesen sein, vielleicht auch 220, die Autobahn war frei, der Beton trocken. Regnen sollte es erst bei der Heimfahrt, aber da war das Schwierigste ja schon geschafft. Ihnen hatte es ganz offensichtlich nicht schnell genug gehen können, auf jeden Fall noch rechtzeitig anzukommen in Oberhausen: Die multifunktionale Fahrgemeinschaft Jürgen Neppe, Aufsichtsratschef, und Peter Fischer, Präsident, auf Dienstreise mit Eintracht Frankfurt, wollte nur nichts verpassen vom Spektakel im Westen. Und waren dann prompt gut zwei Stunden zu früh im Niederrheinstadion. Oder war es die pure Nervosität, die Anspannung, die Angst vor dem Versagen auf den letzten Metern, die das Gaspedal ganz unten hielt? Und wenn es denn je da gewesen sein sollte, das Fracksausen der Führungskräfte, es sollte allenfalls 20 Minuten dauern. Die Partie war danach bereits entschieden, zwei schnelle Tore des Dauerreservisten Dino Toppmöller machte die Dienstreise zu den heimstarken Oberhausenern zum entspannten Vergnügen. Vielleicht ist das in der Nachbetrachtung das wirklich Bemerkenswerte an diesem ungefährdeten 2:0-Sieg der Frankfurter. Dass sie den Erfolg mit einer Souveränität und Abgeklärtheit nach Hause schaukelten, die man ihnen eigentlich gar nicht richtig zugetraut hätte.“
Das Bayer Leverkusen der zweiten Liga
Jörg Hanau (FR 20.5.) beleuchtet die Chancen für den FSV Mainz. „Trainer Klopp scheint auf den Effekt zu setzen, dass in der Ruhe die Kraft liegt. Zwar fühlen sich die Mainzer vor dem letzten Spieltag in der Rolle des Jägers von Eintracht Frankfurt wohl – Manager Christian Heidel ist sich sogar sicher, dass die Eintracht Muffensausen hat, weil sie weiß, dass wir hinten dran sind –, doch stehen die Rheinhessen ebenfalls unter Zugzwang. Denn nachdem sie im Vorjahr erneut am letzten Spieltag wie schon 1997 in Wolfsburg durch eine Niederlage bei Union Berlin den Aufstieg verspielten, würden sie bei einem weiteren Misserfolg so etwas wie das Bayer Leverkusen der zweiten Liga werden. Wenn uns das nochmal passieren würde, wäre es eine Katastrophe für den Verein, die Fans und die Stadt, sagt der nach Köln wechselnde Torjäger Andrej Woronin, der nach seinem letzten Heimauftritt von den Fans begeistert gefeiert wurde. Präsident Harald Strutz hofft jedenfalls, dass den Mainzern ein ähnliches Horrorszenario wie im vergangenen Jahr erspart bleibt. Verständlich, dass Klopp nach dem Erfolg über Lübeck darum bemüht ist, die Gedanken an das letztjährige Drama bei Union Berlin zu verdrängen. Wir sind stolz, dass wir wieder ein Endspiel erreicht haben. Und wem das zweimal hintereinander gelungen ist, der hat alles richtig gemacht, lautet deshalb die Sprachregelung des 35-Jährigen, der die Ausgangsposition der Clubs vor dem Saisonfinale als völlig offen ansieht.“
Friedlicher Partyschreck
Frank Heike (FAZ 20.5.) bedauert den Abstieg des FC St. Pauli. „Am kommenden Sonntag um Viertel vor acht morgens soll es losgehen, ab Bahnhof Hamburg-Altona. Das Reiseziel ist Aachen. Dort spielt der FC St. Pauli bei der Alemannia. Es geht um nichts mehr. Trotzdem werden die Mitglieder des Fanklubs Kleine Mexikaner in den Westen fahren, um ihre Mannschaft beim vorerst letzten Auftritt im bezahlten Fußball zu unterstützen. Sie werden in der kommenden Serie auch nach Paderborn und Chemnitz reisen und dort die bewährte Rolle als friedlicher Partyschreck übernehmen. Mir tut es für die Fans leid, sie sind erstklassig, hat Corny Littmann gesagt, der Präsident des Klubs vom Kiez. Seit Sonntag nachmittag, kurz vor fünf, trennen Anhänger und Profis zwei Ligen – der FC St. Pauli ist nach 17 Jahren Profifußball in die Regionalliga abgestiegen. Daran konnte auch das 4:0 gegen den MSV Duisburg nichts mehr ändern. Noch einmal waren fast 20.000 Menschen zum Millerntor gepilgert und plakatierten ihre Botschaft: Ihr werdet uns nicht los! Dabei hat der FC St. Pauli in den vergangenen anderthalb Jahren alles dafür getan, auch den letzten treuen Anhänger zu vergraulen. Vom erstklassigen Bezwinger des Weltpokalsiegers beim 2:1 gegen Bayern München vor vierzehn Monaten zum Objekt von Spott und Mitleid, das vor einer finanziell und sportlich ungewissen Zukunft in Liga drei steht (…) Erst als Littmann im Dezember 2002 Reenald Koch als Präsidenten ablöste und Gerber kam, zog neuer Realismus ein am Heiligengeistfeld. Die Bestandsaufnahme war ernüchternd: leere Kassen, der Verwaltungsapparat überdimensioniert, die Mannschaft am Boden. Littmann gelang es in kurzer Zeit nicht, die vielen Konflikte beim FC St. Pauli quasi durch Handauflegen zu beseitigen. Er hat das Profigeschäft wohl auch unterschätzt. Aber ohne den rührigen Theaterintendanten stünde der Verein vor dem Sturz in die Oberliga. Nur weil er Hamburgs Ersten Bürgermeister Ole von Beust und andere mitbestimmende Persönlichkeiten der Stadt kennt, könnte die Bürgschaft des Senats zustande kommen, die St. Pauli benötigt, um einen Kredit in Höhe von zwei Millionen Euro aufzunehmen. So hoch wird die Unterdeckung im Etat bis Juni 2003 sein; ein Loch, entstanden aus Nachverpflichtungen und anderen Ausgaben, das nun gefüllt werden muß, um überhaupt die Lizenz für die Regionalliga zu erhalten. Der einstmals irgendwie andere, den Traum vom linken, politisch korrekten Fußball abseits von Kommerz und Kapitalismus befriedigende Verein ist zum Sanierungsfall geworden und hängt am Tropf der Stadt.“
Blechschaden
Thomas Becker (taz 20.5.) gratuliert der Spielvereinigung Unterhaching zum Wiederaufstieg. „Der Bus steht immer noch da. Die Blaskapelle? Logisch, die fehlt nie. Und der Verrückte, der bei jedem Wetter in der kurzen Hose neben der Reservebank hockt, der ist natürlich auch noch da. Irgendwie schön, Vertrautes an gewohnter Stelle zu finden. Ein bisschen wie nach Hause kommen. Man kennt die Gesichter, hat zunächst nicht die Namen dazu, aber bald fällt einem alles wieder ein: Wolfgang Binderberger heißt er, der König aller abgehärteten Mannschaftsbetreuer, bei dem immer noch keine Frostbeulen an den blanken Beinen zu sehen sind. Die Kapelle hieß Blechschaden, ihr Chef Bob Ross, und dass sie jetzt statt rechts der Haupttribüne links davon auf der überdachten Terrasse des schicken VIP-Hauses pusten und trommeln – geschenkt. Das besondere Kennzeichen dieses Stadions war und ist aber der Busparkplatz für die Gastmannschaft. Keine Ahnung, warum der ausgerechnet an der einzigen Mini-Steigung weit und breit sein muss, keine zehn Meter von der Eckfahne entfernt. Willkommen im Sportpark, willkommen bei der SpVgg Unterhaching, willkommen in der 2. Liga! Haching ist wieder drin, aufgestiegen aus der Regionalliga Süd, trotz eines mageren 2:2 gegen die Sportfreunde Siegen. Die schwierigste Saison der Vereinsgeschichte habe man durchgemacht, sagt Engelbert Kupka, der Präsident. Er muss es wissen: Seit 30 Jahren ist der 64-Jährige Vereinspräsident. Damals war er Bürgermeister und der Klub spielte in der B-Klasse. Es folgten zig Auf- und einige Abstiege; am Sonntag feierte man den vierten Aufstieg in die zweite Liga – ein unerwarteter Erfolg. Die Saison hatte nämlich in Frankfurt begonnen, und dort wurden gleich mehrere Partien ausgetragen, mit wechselndem Ergebnis: Zunächst durfte die wie immer finanzklamme Eintracht Frankfurt zweite Liga spielen, dann wieder die grundsoliden, aber lobbyschwachen Hachinger und umgekehrt. Ein paar Wochen ging das so an der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt, dem Sitz des Deutschen Fußball-Bundes – ein Trauerspiel. Der Underdog blieb schließlich unten, und sollte die Eintracht tatsächlich den Aufstieg in Liga eins schaffen, wäre das nicht frei von Pikanterie (…)Die schönste Neuerung aber ist auf dem Platz zu finden: Es wird Fußball gespielt, nicht nur verteidigt wie unter Betontrainer Lorenz-Günther Köstner. Bestes Beispiel: Francisco Copado, ein ballverliebter Fummler mit weißen Kickstiefeln. Drei Jahre ist der in Deutschland geborene Spanier schon in Haching, doch richtig gut wurde er erst in dieser Saison. Köstner warf ihn einst aus dem Kader, als er nach einer Disco-Nacht mit Gipsarm zum Training kam. Der einstige Pädagogikstudent Frank (zwei Semester) bog ihn zurecht, Copado wurde mit 22 Treffern zum Torjäger und Publikumsliebling.“
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