indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Spätausgabe

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Spätausgabe

Ludger Schulze (SZ 10.3.) betreibt Archäologie der Feindschaft zwischen Real und Bayern: „Mit beiden Beinen, als wolle er eine brennende Zeitung austreten, sprang der kleine Mann auf seinen am Boden liegenden Gegner und landete mit dem Fußballschuh in dessen Gesicht, auf der linken Wange unterhalb der Schläfe. Erstaunlicherweise hielt der Knochen, Lothar Matthäus muss einen gesunden Kiefer haben. Nur ein paar Striemen und eine deftige Prellung trug der Mittelfeldspieler davon – und einen gehörigen Schrecken. ¸¸Der will mich umbringen, sei sein Gedanke gewesen, erzählte Matthäus eine Stunde nach dem Abpfiff, als der Real-Spieler abhob in der unverkennbaren Absicht, ihm eine schwere Verletzung zuzufügen. Es war ein himmelschreiendes Foul, wie man es selbst im Fußball nur alle zehn Jahre zu sehen bekommt, aber in diesem Spiel war es eine logische Konsequenz des schwelenden Hasses, der sich derart eruptiv entlud. Juanito, eigentlich ein feiner, nicht mal 1,70 m großer Dribbelfürst, der auch für die spanische Nationalmannschaft aktiv war, wurde für seine Untat von der Fußballjustiz für zwei Jahre aus dem Verkehr gezogen. Eine zivile Strafe blieb ihm erspart, weil Matthäus damals im April 1987 keine Anzeige erstattete. (…) Die tiefe, fast verschüttete Ursache ist verbunden mit dem 5. August 1980. Direkt aus dem Sommer-Urlaub kommend traten die Madrilenen zu einer Begegnung im Olympiastadion an, die als ¸¸Freundschaftsspiel deklariert war. Vor 30 000 Zuschauern wurden die Weltstars in Weiß um den spanischen Nationalmittelstürmer Santillana vorgeführt, die Tore fielen in so kurzen Abständen, dass der Schiedsrichter Mühe hatte, alles korrekt zu notieren. Bayern-Rammbock Dieter Hoeneß ließ sich zur Halbzeit auswechseln, nachdem er bereits drei Treffer erzielt hatte. Da stand es 7:0, was laut SZ-Bericht ungenügend war, weil vor allem Dremmler und Kraus einen zweistelligen Pausenstand versäumten. Danach schickte Trainer Pal Csernai seine Reserve aufs Feld, die am Ende 9:1 obsiegte – ein Ergebnis, das den diplomatischen Usancen Hohn lacht, weil eine solche gegnerische Schwäche unter Spitzenklubs in Trainingsspielchen nicht ausgenutzt wird. Gut möglich, dass die Spanier, die mit allem Recht als überaus stolz und ehrpusselig gelten, das nackte Resultat längst vergessen haben, Reals kollektives Unterbewusstsein aber hat die Demütigung keineswegs verdrängt. Als Speerspitze des permanenten Rachefeldzuges hat sich bis heute Marca bewährt, jene Zeitung, die den für zwei Spiele gesperrten Real-Spieler Roberto Carlos jüngst beglückwünschte, dass er ¸¸nicht in die Gaskammer geschickt worden sei. Inzwischen hat das Blatt den Boden blanken Wahnsinns verlassen und dafür die Räumlichkeiten des FC Bayern betreten. In der Säbener Straße 51 haben sie unter einer Treppe einen neuen Skandal entdeckt. An diesem profanen Ort versteckt steht ein 170 cm großes, 110 cm breites und 67 Kilo schweres Ungetüm, die Trofeo San Bernabeu, ein Geschenk Reals an den Gewinner seines Jubiläumsturniers. Dies allein ist ein Affront. In die Nähe eines Kriminalakts aber rückt die Sache offenbar dadurch, dass die ¸¸bestia negra sich nicht geniert, wie Marca notiert hat, ein Andenken von Atletico Madrid in die richtige Pokal-Vitrine zu stellen.“

Emotionen wären hier verschwendet

„Wen Spaniens Sportpresse erregt, ist selbst schul“, schreibt Paul Ingendaay (FAZ 10.3.): „Die spanische Sportpresse schrieb darüber einige dumme, häßliche Sätze, von denen der dümmste und häßlichste umgehend in mehreren deutschen Tageszeitungen kommentiert wurde. Der Satz lautete: So ein Glück, Roberto, daß sie dich nicht in die Gaskammer gesteckt haben. Es gibt an diesem Satz nichts zu entschuldigen, denn er bleibt bei näherer Betrachtung so dumm und nichtswürdig wie im ersten Augenblick. Aus ebendiesem Grund gibt es aber auch nichts daran zu deuten. Woraus er entspringt, erklärt sich selbst. Die deutschen Zeitungen, die den Satz zum Ausdruck spanischer Antipathie, gar zum Symptom neuer Deutschenfeindlichkeit in Spanien hochrechneten, pflegen nicht nur ein ziemlich naives Verständnis von kollektiver Psychologie, als würde die Völkerverständigung auf dem Bolzplatz entschieden. Sie täuschen ihre Leser auch über das Medium, in welchem der Satz veröffentlicht wurde. Denn das Sportblatt Marca, das sich seit je die schärfsten Töne leistet, ist mit einer halben Million täglicher Exemplare nicht nur Spaniens auflagenstärkste Zeitung (also selbst vor dem einflußreichen Blatt El País), es ist auch das einzige, das auf täglicher Basis reinen Boulevardjournalismus betreibt. (…) Die Spielberichte, Graphiken und Tabellen bei Marca sind übrigens vernünftig recherchiert, und die Texte erreichen nicht die stilistische Schwundstufe wie bei unserem Boulevard. Bei den Kommentaren sieht es anders aus, dort toben sich Launen, Ressentiments und der Ärger über ein schlechtes Fußballspiel ungehemmt aus. Die Frage dürfte also nicht sein, was aus solchen Kommentaren zu folgern ist, sondern was es uns bringt, sie überhaupt ernst zu nehmen. Mit demselben Gewinn könnten wir die britische Sun analysieren und uns darüber ärgern, daß dort vor großen Fußballspielen immer noch virtueller Fliegeralarm ertönt und im Zusammenhang mit deutschen Spielern von Hunnen und deutschen Panzern die Rede ist. Und was sollten wir den Spaniern empfehlen? Daß sie sich unsere Boulevardblätter zu Herzen nehmen, um zu erfahren, was wir Deutschen über sie denken? Lieber nicht. Jedes Land hat die Marktschreier, die es braucht, was nur bedeutet: die der Markt verträgt. Emotionen wären hier verschwendet. Wenn man angesichts der täglichen Grobheiten, Entstellungen und Lügen, die die Boulevardpresse auf jeweils landestypische Art verbreitet, schon keine Erregungsabstinenz empfehlen kann, dann zumindest etwas anderes: Deutungsabstinenz.“

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

114 queries. 1,001 seconds.