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Spitzenteams bieten wenig

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Spitzenteams bieten wenig

Spitzenteams bieten wenig – Martin Max rächt sich an 1860 München – Andreas Thom gelingt Einstand – Uli Hoeneß haut auf die Pauke – SC Freiburg begeistert seine Anhänger – VfL Wolfsburg spielt wieder attraktiv u.v.m.

of Enttäuscht und gelangweilt erleben die Chronisten die Darbietungen der Spitzenteams an diesem Spieltag. Die FAZ vermisst Leben in der Bude: „Zuvorkommend und gesittet wie lange nicht ging es in winterlicher Atmosphäre zu.“ Tabellenführer VfB Stuttgart, ungeschlagen, spielt erneut 0:0, auch weil Jung-Star und Vertrags-Pokerspieler Kevin Kuranyi nicht trifft: „Nirgends steht geschrieben, dass beim Unentschieden keine Tore erzielt werden dürfen“, schreibt die SZ Kuranyi und den Stuttgartern ins Stammbuch. Wenn Bayerns Manager Uli Hoeneß die Nackenhaare aufstellt, schauen und hören alle genau hin. Beim 1:1 zwischen Bremen und Bayern stört sich die taz an seiner Prahlerei: „Ein weitgehend nichtssagendes 1:1 führt dazu, dass ein Würstchenfabrikant nun wieder glaubt, die beste Fußballmannschaft des Landes zu managen.“ Glückwunsch geht an Andreas Thom, Berliner Trainer auf Zeit, für seinen erfolgreichen Einstand beim 1:1 in Dortmund; die FAZ erklärt das Erfolgsmodell Thom: „Eine Berliner Schnauze weckt die verstummte Hertha.“ Daran zweifelt die ortskundige taz: „Thoms Manko: Er ist Berliner, und in Berlin wollen sie als Chefcoach einen Weltmann oder das, was sie dafür halten, einen Isländer beispielsweise.“

Julius Caesar, Fußballgott

Das Streiflicht (SZ 8.12.) beklagt das Wort des Volkes: „Gleich drei Fernsehprogramme schalteten nach Berlin, zu einem historischen Ereignis. Hertha BSC entließ seinen Trainer Huub Stevens. Geisterbleich saß Manager Dieter Hoeneß auf dem Podium und gab todtraurig das Unausweichliche bekannt. Wir aber waren sehr zufrieden. Wir, der kleine Mann. Der treue Fan von der Stehtribüne. Denn seit Monaten hatten wir „Stevens raus!“ geschrieen, in machtvollen Chören. Jetzt hatten wir gesiegt! Und nun freuen wir uns auf de nächsten Trainersturz, vielleicht schon diese Woche. Mal sehen, wen es trifft. Unsere Vorfahren brauchten für ein kultiviertes Leben noch ein Abonnement im Staatstheater. Dort erfuhren sei dann, in Furcht und Mitleid erschaudernd, alles über das Spiel der Mächtigen. Über deren Aufstieg und Sturz. Und über die seltsame Rolle des nur scheinbar machtlosen Volkes. Im „Julius Caesar“ feiern die Fans zuerst den Tyrannen („Julius Caesar, Fußballgott“), dann die Tyrannenmörder („Hihaho“, Caesar ist k.o.!“), bald darauf den Marc Anton. „Brutus raus!“ tönt es nun von den Rängen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Manager Shakespeare die Entlassung bekannt gibt. Heutzutage brauchen wir das Staatstheater nicht mehr. Denn heute haben wir unsere liebe Bundesliga. Hier krönen wir die Könige, bevor sie lustvoll meucheln. In Köln etwa hat man vordem den Fußballtrainer Lienen mit Sprechchören und Lobgesängen auf den ‚heiligen Ewald“ inbrünstig gefeiert. Nicht lange danach war der Heilige der letzte Arsch. Der Fußballtrainer Magath war zuerst „Magier“, später „Quälix“ und „Saddam“ und wird heute für seine Zauberkräfte verehrt. Bis er zurückkehren wird in die Schar der Gescheiterten.“

Wer sich Spaß erhofft, wird sich anderen Schauplätzen zuwenden müssen

Josef Kelnberger (SZ 8.12.) wendet sich von den Spitzenspielen ab: „Deutsche Spitzenspiele gelten als Domäne des FC Bayern München. Macho-Spiele. Da werden Zauberer entzaubert, Emporkömmlinge zurechtgestutzt. Verhältnisse gerade gerückt, da wird Charakter gezeigt von echten Kerlen. Sinnbildlich für Spitzenspiele steht das gereckte Kinn von Oliver Kahn, oder auch die sich überschlagende Stimme von Uli Hoeneß, die einen Trend beschwört, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in die Welt zu setzen versucht: lang anhaltende Dominanz des FC Bayern, respektive unwiderstehliche Aufholjagd. Bei Lichte besehen ist der Münchner Ertrag immer noch kümmerlich. Platz vier, sechs Punkte Rückstand auf den VfB Stuttgart. Die Tabellenspitze ist festgefahren seit Wochen, und deshalb fiebert man dem Samstag entgegen, wenn sich die ersten Vier duellieren, die Bayern gegen den VfB, Leverkusen gegen Bremen. Spitzenspieltag. Werden die Bayern vom Thron gestoßen, oder schaffen sie es, den VfB in die Krise zu stürzen? Hält Augenthaler die Leverkusener auf Kurs, brechen die Bremer wieder ein? Existenzielle Fragen gibt es zu klären, Tugend und Charakter sind gefragt. Wer sich Spaß und Unterhaltung erhofft, wird sich wohl anderen Schauplätzen zuwenden müssen.“

Klosterfrau Melissengeist zum Anschauen

Joachim Mölter (taz 8.12.) auch: „In der Fußball-Bundesliga regiert das Mittelmaß, Gott sei Dank, denn sonst würde nichts und niemand herrschen in diesen Tagen. Von den Klubs am Anfang und am Ende der Tabelle ist derzeit nichts Entscheidendes zu erwarten: Die Oberen wollen bloß nicht verlieren, die Unteren können einfach nicht gewinnen, so häufen sich die Unentschieden. Spitzenspiele, Abstiegsduelle – die Partien jedenfalls, die früher aufgrund der Tabellenkonstellation für Herzklopfen sorgten, sind momentan so etwas wie Klosterfrau Melissengeist zum Anschauen: Sie führen zu extremer Ausgeglichenheit und beruhigen bis zum Einschlafen. Will das wer?“

Werder Bremen – Bayern München 1:1

Die alte Bestie versucht sich selbst einzureden, dass sie immer noch die alte Bestie ist

Christof Kneer (BLZ 8.12.) kontert die Einschüchterung von Uli Hoeneß: “Der Satz hörte sich gut an, deshalb probierte Uli Hoeneß ihn gleich noch einmal aus. Ich denke, dass wir jetzt wieder Herbstmeister werden können, wollte er also gerade ein zweites Mal sagen, aber kurz bevor er die Botschaft erneut ins Ziel brachte, unterbrach er sich selbst. Ist es in Stuttgart beim Nullnull geblieben?, fragte er schnell. Ist es, beruhigte der Mann mit dem Mikrofon, worauf Hoeneß sogleich wieder das spielte, was er am besten kann, nämlich Hoeneß. Sehen Sie, sagte er, wir haben nur sechs Punkte Rückstand auf Stuttgart, und wir spielen noch gegen die. Wir können noch Herbstmeister werden. Man hat Uli Hoeneß wieder einmal bewundern müssen. Keiner kann so gut mit den Gesichtern hantieren wie der Manager des FC Bayern München. Wenn er will, kann er auf Knopfdruck seinen Drohkulissenblick einschalten, worauf sich die ganze Liga sowie halb Europa erschrecken. Die Münchner leben nicht schlecht von ihrer Legende, und sie haben sich die Legende redlich verdient. Der Mathematiklehrer Ottmar Hitzfeld hat seiner Elf einen aufs Ergebnis berechneten Mathematiklehrerfußball beigebracht, den die Gegner fürchten, weil sie die Regeln nicht verstehen. Man hätte also meinen können, dass alles wie immer war in Bremen. Allein die Anwesenheit der Bayern genügte, um den zuletzt kunstvoll kombinierenden Bremern die Zaubereien auszutreiben, und als sich die Werderaner endlich ein Elfmetertor durch Ailton erwirtschaftet hatten, ließen die Bayern kühl den Ausgleich folgen. Um die Grausamkeiten abzurunden, war das Tor auch noch Abseits, was Bremens Trainer Thomas Schaaf brummen ließ: In der ersten Hälfte konnte der Assistent nicht oft genug winken, in der zweiten war er wohl müde. So war es also, dieses Spiel, aus der Sicht von Uli Hoeneß jedenfalls. Die Bayern sind wieder die Bayern; das ist die Botschaft, die sie hören sollen in der Liga und in Anderlecht. Vielleicht werden sich wieder ein paar finden, die diese Botschaft glauben. Die Wahrheit ist aber, dass dem FCB zurzeit die rechte Glaubwürdigkeit fehlt. Man wird das Gefühl nicht los, dass der FC Bayern all die markigen Sätze in Wahrheit an den FC Bayern adressiert hat. Die alte Bestie versucht sich selbst einzureden, dass sie immer noch die alte Bestie ist.“

Paul Engeln (FR 8.12.) schildert die laute Bescheidenheit der Bayern: „Die Bayern lobten sich, nominell offensiv aufgestellt, hinterher nur für ihre zerstörerische Defensivkraft. Dass Ballack so toll und stabilisierend (und auch ausschließlich) nach hinten gearbeitet hätte. Dass die Abseitsfalle zuverlässig zugeschnappt sei. Dass der Bremer Spielfluss sehr sehr clever (Kahn) unterbunden wurde. Die Bremer hatten zuletzt gezaubert, bekundete Ottmar Hitzfeld. Diesmal nicht. Es zeigt ein wenig die aktuellen Kräfteverhältnisse im deutschen Fußball, wenn sich die Bayern damit höchst zufrieden zeigen, die andern am Zaubern gehindert zu haben. Uli Hoeneß war sogar so zufrieden, dass er gleich mal seine Einschätzung zurücknahm, Werder wäre momentan die beste deutsche Mannschaft. Werder war Favorit, sagte er mit besonderer Betonung auf dem Wörtchen war, und ich dachte, so spielen sie auch. Hoeneß grinste, zeigte sich mit sich und seiner Bayern-Welt sehr im Reinen und verschwand. Keine Frage, aus diesem Spiel ohne Sieger hatte Hoeneß einen klaren Sieger herausgelesen: seine Bayern.“

Der von vielen erhoffte Rollentausch hat nicht stattgefunden

Daniel Schalz (taz 8.12.) fügt hinzu: „Als die meisten Stadionbesucher bereits in den überfüllten Kneipen rund um das Stadion über Elfmeter und Abseits diskutierten, stand vor der Bremer Kurve immer noch ein Häuflein Werder-Fans. Deutlich mitgenommen vom Spiel und dem einen Becks zu viel krächzten sie ihr Deutscher Meister wird nur der SVW einigen vorübergehenden Bayern-Anhängern nach. Doch diese lächelten nur, denn es klang bei weitem nicht mehr so Furcht einflößend wie noch einige Stunden zuvor. Das vermeintliche Spitzenspiel hatte keinen Sieger ergeben, sondern nur die Erkenntnis: Der von vielen erhoffte Rollentausch hatte vorerst nicht stattgefunden.“

Ein Punkt gegen die Bayern reicht nicht mehr

Frank Heike (FAZ 8.12.) legt Bremer Enttäuschung dar – und Münchner Zufriedenheit: „Als Ottmar Hitzfeld seinen Schokoladen-Nikolaus vom Tisch genommen hatte und losgehen wollte, blieb er für einen Moment stehen und wartete auf Thomas Schaaf. Normalerweise folgt hier ein kurzer Händedruck, ein gemurmeltes Gute Heimfahrt und viel Glück noch, und die Trainer gehen nach der Pressekonferenz ihrer Wege. An diesem Samstag wollte Hitzfeld etwas loswerden. Er streckte Schaaf die Hand entgegen und sagte: Gratulation. Eine super Mannschaft hast du. Den Rest konnte man nicht verstehen, es handelte sich ja auch um ein intimes Gespräch, das nicht für Reporterohren bestimmt war. Doch es war bezeichnend, daß Hitzfeld, der Abgeordnete der großen Bayern, so zufrieden mit dem Punkt war, daß er den Gegner nachher fast schon zu heftig lobte, wenn auch nur im Flüsterton: Wen man auch fragte, alle Münchner bezeichneten das Remis als Punktgewinn, als Zeichen für neues Selbstbewußtsein, als positives Signal. Während sich Hitzfeld als Gentleman zeigte, lief Uli Hoeneß an der Stätte alter Fehden zur Hochform auf. Noch vor der Partie beim großen Rivalen vergangener Zeiten hatte Hoeneß Werder Bremen als beste Mannschaft der Bundesliga bezeichnet. Vorbei. Was interessierte ihn nun noch das Geschwätz von gestern? Den Sinneswandel erklärte Hoeneß, eingeklemmt von Kameras im Plexiglas-Kabinengang, so: Ja, das habe ich gesagt. Aber das gilt jetzt nicht mehr. Weil wir jetzt die beste Mannschaft sind. Herrlich, dieser rotgesichtige Provokateur, der durch gezielte Sticheleien immer wieder versucht, die eigene Mannschaft aufzuwecken und die Gegner einzuschüchtern. Leider verpuffte der letzte Ausruf der neuen, alten Bayern-Stärke nach dem 0:0 bei Celtic Glasgow ohne Langzeitwirkung. In Bremen erinnerten die Bayern in ihrer Spielweise sehr an das torlose Remis. Mit robustem, gut organisierten Fußball ohne Sinn fürs Schöne unterbanden die Münchner das feine Bremer Kombinationsspiel (…) Während die Bayern die Wende herbeigekämpft hatten, war bei Werder vor allem einer gar nicht zufrieden: Schaaf. Schaafs Unzufriedenheit zeigt das neue Bremer Selbstbewußtsein – ein Punkt gegen die Bayern reicht ihnen nicht mehr.“

Im Fußball werden nicht nur absichtliche Fouls geahndet, sondern auch fahrlässige Vergehen

Hellmut Krug (TspaS 7.12.), ehemaliger Bundesliga-Schiedsrichter, stärkt seinem Kollegen den Rücken für dessen Elfmeterpfiff: „Der Schiedsrichter hat völlig korrekt gehandelt. Im Fernsehen sieht man, dass Lizarazu mit seinem Arm Klasnic im Gesicht getroffen hat. Lizarazu hat nach dem Spiel gesagt, er habe Klasnic beim Hochspringen nur unabsichtlich getroffen. Ich halte das für Unsinn. Schauen wir uns die Szene an: Lizarazu bewegt sich in Erwartung einer Flanke rückwärts, streckt dabei den linken Arm zur Seite aus und trifft Klasnic im Gesicht. Die Frage ist: Warum schlägt er überhaupt mit dem Arm, und dann gerade mit dem linken, zur Seite aus? Lizarazu gab hinterher an, er hätte nur hochspringen wollen. Doch beim Hochspringen hat man normalerweise die Arme zunächst am Körper – um sie dann zur Unterstützung des Sprungs nach oben zu reißen. Von all dem ist auf den Bildern nichts zu sehen. Nur wenn man einen anderen Spieler wegdrücken oder sich Platz verschaffen will, breitet man die Arme aus. Das kann dazu führen, dass man den Gegenspieler trifft. Lizarazu hat Klasnic vielleicht unglücklich oder gar unbeabsichtigt getroffen, aber er hat fahrlässig gehandelt. Dabei spielt es keine Rolle, ob Absicht vorlag oder nicht. Denn im Fußball werden nicht nur absichtliche Fouls geahndet, sondern auch fahrlässige Vergehen.“

VfB Stuttgart – Hamburger SV 0:0

Christian Zaschke (SZ 8.12.) sind die Augen schwer geworden: „Weitgehend uninspiriert kontrollierte die Mannschaft das Spiel, sie bot 70 Minuten Fußball, der ungefähr so aufregend aussah wie ein Tag in einer Kleinstadtbank. Bis dahin hatte der HSV für den höheren Unterhaltungswert gesorgt. Das lag an den Eckbällen und Flanken von Mehdi Mahdavikia. Erstaunlich, wie er es immer wieder fertig brachte, den Ball rund 40 Meter in die Luft zu jagen, von wo dieser gemächlich in den Strafraum fiel. Selbst eine Abwehr aus Schildkröten hätte sich in der Zeit, in welcher der Ball unterwegs war, solide formiert. Erstaunlich auch, wie der HSV Flügelspiel vermied. Raphael Wicky weigerte sich so beharrlich, als hätten die Stuttgarter dort Verbotsschilder auf den Rasen gestellt (…) Nach Spielschluss rissen die Hamburger die Arme in die Luft. Sie wussten: Dies war ein äußerst glücklich erkämpfter Punkt. Etwas übertreiben wirkte diese Freud, als HSV-Trainer Klaus Toppmöller sagte: „Meine Mannschaft hat ein tolles Spiel gezeigt, leider haben die Tore gefehlt.“ Es wären wohl Stuttgarter Tore geworden.“

Wenig ist in Stuttgart derzeit noch so, wie es einst war

Oliver Trust (Tsp 8.12.) ergänzt: “Wenig ist in Stuttgart derzeit noch so, wie es einst war. Eine Niederlage im DFB-Pokal und zwei torlose Unentschieden in der Bundesliga werden als erste Anzeichen für eine kleine Krise gewertet. Und viele sind der Ansicht, das ganze Theater habe nicht nur mit der Verletzungspause von Abwehrchef Marcelo Bordon zu tun, sondern vor allem mit Kevin Kuranyi.“

Eine vertane Chance

Rainer Seele (FAZ 8.12.) hat dem Stuttgarter Trainer zugehört: „Felix Magath ließ Milde walten – und es schien sogar fast so, als wollte er die Erwartungen des Publikums in Stuttgart generell ein bißchen dämpfen. Man ist vielleicht ein bißchen verwöhnt hier, sagte Magath. Er redete nicht von Enttäuschung, vielmehr behauptete er, nicht weiter traurig zu sein wegen der auf heimischem Terrain eingebüßten Punkte. Die Stuttgarter blieben schließlich Tabellenführer, sie hätten sich jedoch mit einem Sieg ein bißchen von ihren Verfolgern absetzen können – eine vertane Chance also. Wenn wie am Samstag die Stürmer ihrem ursprünglichen Auftrag nicht gerecht werden, vor allem ein junger Mann wie Kevin Kuranyi, der mitten in Verhandlungen über seine Zukunft steckt, ist auch schnell die Rede davon, daß hier von jemand vom Wesentlichen abgelenkt werde. Doch auch in diesem Fall versuchte Magath zu beschwichtigen. Die Vertragsgespräche von Kuranyi hätten keinen Einfluß auf sein Spiel, sagte er, er war wieder sehr beweglich und viel unterwegs. Leider aber auch aus Sicht der Schwaben glücklos. Kuranyi selbst räumte ein, daß ihn die Situation belaste: Das steckt in meinem Kopf.“

Borussia Dortmund – Hertha BSC Berlin 1:1

Krampflöser und Stimmungskanone

Claus Dieterle (FAZ 8.12.) schreibt über den guten Einfluss Andreas Thoms auf die Berliner: „Es tat den Gebeutelten sichtlich gut, zur Abwechslung mal wieder über etwas anderes als nur über unerklärliche Aussetzer zu sprechen. Obwohl die Hertha im ersten Spiel nach der Ära Huub Stevens davon keineswegs frei war. Auch unter der Regie der Zwischenlösung Andreas Thom offenbarte Nationalspieler Arne Friedrich mit zwei haarsträubenden Fehlern das alte Elend des Berliner Innenlebens. Und dennoch schien es so, als habe Thom den Spielern in den zwei Tagen seiner Amtszeit schon zu mehr Balance und Stabilität verholfen. Das ließ sich an der Körpersprache auf dem Platz ablesen, wo die neugeordneten Berliner nie den Eindruck erweckten, sich – wie noch in Bremen – ergeben in ihr Schicksal zu fügen. Am deutlichsten zeigte sich aber der frische Berliner Geist in jener Phase, als die personell dauergeschwächten Dortmunder in der 69. Minute durch Leandro unverhofft zum 1:0 kamen. Kunstschuß oder Glückstreffer, Torwartfehler oder unhaltbar, jedenfalls schwante Andreas Thom da nichts Gutes. Doch was er für den Gnadenstoß hielt, entpuppte sich als Nadelstich. Denn die Berliner gingen nun vom hinhaltenden Widerstand zum Gegenangriff über (…)Thom gebührt das Verdienst, aus einem haltlosen Haufen fürs erste ein kompaktes Team gemacht zu haben. Auch wenn der frühere Nationalspieler seinen Anteil am Teilerfolg herunterspielte. Was konnte ich schon groß machen in der kurzen Zeit? Bei Thom ist es womöglich weniger der Inhalt, sondern mehr die Verpackung, die seine rasche Wirkung ausmacht: die flapsige Berliner Schnauze, aus der sich alles nicht so schrecklich nüchtern anhört wie aus dem Mund des verkrampften Holländers Stevens. Man hat Thom wohl als eine Art Krampflöser eingesetzt, als Stimmungskanone.“

Diskrepanz zwischen Worten und Gesten

Stefan Hermanns (Tsp 8.12.) beobachtet unschlüssige Berliner: „Der Gesichtsausdruck von Dieter Hoeneß verriet am deutlichsten, dass sich bei Hertha BSC etwas verändert hat. In den vergangenen Wochen hatten die Bilder von Hoeneß nicht besonders vorteilhaft ausgesehen: die Haut blass, der Blick verkniffen, die Augenhöhlen dunkel. Die Krise bei Hertha BSC, die in sämtlichen Zeitungen abgebildet worden war, hatte sich eine fahle Dieter-Hoeneß-Maske aufgesetzt. Am Samstag aber, nach dem 1:1 des Berliner Fußball-Bundesligisten bei Borussia Dortmund, lächelte Hoeneß ganz selig. „Es gibt keinen Grund für Euphorie“, sagte Herthas Manager, aber in Wirklichkeit war er so gut gelaunt, dass er sogar den tätlichen Angriff von ZDF-Ranschmeißer Rolf Töpperwien mit einem Lachen über sich ergehen ließ. Die Diskrepanz zwischen Worten und Gesten belegt die ganze Zerrissenheit bei Hertha BSC. Am liebsten würden wohl alle Beteiligten nach dem Ende der grauen Stevens-Zeit ihre Freude über den unerwarteten Erfolg herausbrüllen; doch nach den periodisch auftretenden Rückschlägen sind sie vorsichtig geworden. Reicht schon ein Unentschieden in Dortmund, um wirklich einen tragfähigen Aufschwung auszurufen?“

1860 München – Hansa Rostock 1:4

Daniel Pontzen (Tsp 8.12.) gratuliert Martin Max und der „Wir-AG Rostock“: „Es war die perfekte Gelegenheit zur Abrechnung. Martin Max lehnte an einem Gitter in den Katakomben des Münchner Olympiastadions und wartete, bis sich die Journalisten postiert hatten – um ihn zu bestürmen, den Sieger einer Auseinandersetzung, die nicht einmal stattgefunden hatte. Im Frühsommer, als Max auf ein Angebot zur Vertragsverlängerung gewartet hatte, verzichteten die Verantwortlichen von 1860 München auf ein Gespräch. Für den Stürmer war kein Platz vorgesehen im Verein, weil er schon 35 war. Abgeschoben fühlte sich Max, und das muss Verbitterung auslösen bei jemandem, der über Jahre bester Torschütze eines mittelmäßigen Klubs war und trotz dieses mittelmäßigen Klubs zweimal Torschützenkönig geworden war. Jetzt also, nachdem er zwei Tore beigetragen hatte zum 4:1 über seinen ehemaligen Verein, konnte er verbale Vergeltung üben für die empfundene Ignoranz, als ihn ein Reporter fragte, ob durch die Ereignisse des Tages sein kühnster Traum in Erfüllung gegangen sei. Doch Max sagte nur: „Wir hatten uns vorgenommen, heute zu gewinnen. Und ich denke, wir haben viel Selbstvertrauen getankt in den vergangenen Wochen.“ Juri Schlünz, seit sieben Spielen Trainer von Hansa Rostock, wird in der demonstrativen Bescheidenheit von Max nichts Sonderbares erkennen. Für ihn ist das die gelebte Einstellung, die er seinen Spielern abverlangt. Das ist der Schlüssel zu vier Siegen in Folge: „Die Spieler haben gelernt, dass nicht die Worte ‚ich’ oder ‚mein’ wichtig sind, sondern dass das Wort ‚wir’ großgeschrieben wird.“ Schlünz lehrt die Rostocker das System der ersten Person Plural: Max als Mannschaftsteil.“

Gerald Kleffmann (SZ 8.12.) bestaunt die Rostocker Kontertaktik: „Waren sie im Ballbesitz, stürmten sieben, acht Mann nach vorne, jeder bot sich an. Genauso schnell waren die Spieler wieder in der Abwehrposition. Ein simples und lebendiges Konzept, das die phlegmatisch auftretenden 1860-Spieler jederzeit überforderte.“

Ihm haftet Stallgeruch an, der für Authentizität steht

Thomas Kilchenstein (FR 8.12.) porträtiert Juri Schlünz: „Der Mann, der seine Emotionen im Griff hat, nicht an der Seitenlinie wie verrückt herumhüpft, eher wenig als viel sagt, passt so gar nicht in diese schrille, bunte, unwirkliche Zirkuswelt des Fußballs. Und passt vielleicht gerade deswegen jetzt so punktgenau zu Hansa Rostock. Zwei Mal zuvor hat er jeweils interimistisch den Chef gegeben und ist sofort wieder ins zweite Glied gerückt, als man einen namhafteren gefunden hatte. Es gab immer namhaftere als Schlünz. Nun, im dritten Anlauf, ist er Chef. Und was für einer: Die letzten vier Spiele hat der Club von der Ostsee allesamt gewonnen, darunter gegen Schalke, Dortmund und jetzt bei 1860 München Das ist beeindruckend. Schlünz, Typ: ewiger Platzhalter, hat die notorisch in Abstiegsnot dümpelnden Hansa-Kicker binnen vier Wochen aus dem Gröbsten geführt. Von seinem Vorgänger Armin Veh (der immerhin Torjäger Martin Max geholt hat) spricht keiner mehr. An Schlünz wird seine Ruhe, seine Unaufgeregtheit, seine Sachlichkeit gerühmt. Zudem hat er die Abwehr umgestellt, hat im Training die Zügel angezogen, hat ausrangierte Typen wie Rydlewitz, Maul und di Salvo zurück ins Team geholt. Dazu kennt er Mentalität und Charakter des Clubs wie kaum ein anderer. Ihm haftet der Stallgeruch an, der für Authentizität steht. Juri Schlünz genießt in Rostock fast schon Kultstatus. Aus der Lösung aus der Not ist eine auf Dauer geworden.“

Marc Schürmann (FTD 8.12.) schlägt vor: “Wer sich immer schon gefragt hat, wie es wohl ist, depressiv zu sein, der gehe zu einem Heimspiel des TSV 1860 München. Üblicherweise erwarten einen dort Nieselregen, Kälte, Rasengestocher – und vor allem: Einsamkeit. So wie jetzt gegen Rostock, 18 600 Zuschauer, sowieso ziemlich wenig für eine Millionenstadt, aber dieses Häuflein Menschen verliert sich auch noch in der Weite des Olympiastadions wie Fische im Meer, ein Ozean von leeren, feuchten, kalten Plastiksitzschalen, schlimm sieht das aus, schlimm fühlt es sich an, und dann noch 1:4. Aber die Welt ist modern, und sie hat Lösungen. Weil der 1. SC Göttingen 05, Niedersachsen-Liga, unter seinen Schulden zusammenbrach und sich aus dem Vereinsregister streichen ließ, bieten sich dessen Fans nun zur Miete an. Sie jubeln, skandieren und singen für jeden Verein, heißt es, inklusive Transparente, ihr Lohn sei eine Bratwurst, ein paar Bier und das Wochenendticket. südländische Atmosphäre gegen Aufpreis. Also auf ins Olympiastadion: So leicht kommen die Löwen nimmermehr an fröhliche Fans.“

SC Freiburg – VfL Bochum 4:2

Christoph Kieslich (FAZ 8.12.) freut sich mit Freiburg: „Ganz spät am Samstag abend hat Freiburg ein weiteres Mal gewonnen. Bei Wetten, daß . . .? im ZDF lautete die Aufgabe, in Windeseile 5000 Menschen in Fanmontur ins Dreisamstadion zu bringen. Also pilgerten die Freiburger ein paar Stunden nach dem 4:2 noch einmal die Schwarzwaldstraße hinauf und gaben ein prächtiges Fernsehbild ab: 7000 kamen und stimmten, dirigiert von SC-Kapitän Richard Golz, O Tannenbaum an. Sie hätten, berauscht vom nachmittäglichen Bundesligaspiel, wahrscheinlich auch noch gewagtere Wetten angenommen (…) Man kann beide Abwehrreihen für mangelhafte Arbeit zur Verantwortung ziehen. Man kann aber auch behaupten, daß zwei Mannschaften ihrer Spielfreude freien Lauf ließen.“

Christoph Biermann (SZ 8.12.) berichtigt: „Als Volker Finke über die Vorbedingungen schönen Nachmittags räsonierte, glaubte er, mit seinem großen Kollegen Dettmar Cramer zu sprechen. Das jedenfalls behauptete er, als er über die Stimmungssteigerung in den Tagen vor dem 4:2-Sieg sagte: „Aus einem traurigen Arsch kommt kein fröhlicher furz.“ Im sonnigen Südbaden neigen die Menschen erstaunlicher Weise nämlich zu grüblerischen Zweifeln und grummeligen Gemaule, wenn es um ihren SC Freiburg geht. Und so etwas schlägt sich schnell bei der Mannschaft nieder, und sorgt für leichte Traurigkeit, die Finke in Fröhlichkeit verwandeln muss. Wobei obiges Zitat nicht von Trainer-Napoleon Cramer stammt, sondern von Martin Luther, der aber nicht vom „traurigen Arsch“, sondern vom „verzagten Arsch“ predigte. Man kann vermuten, dass Finke der „fröhliche Furz“ deshalb in den Sinn kam, weil Bundeskanzler Schröder diesen mit großem Erfolg zur Mobilisierung bei der Bundestagswahl im Vorjahr heraufbeschwor.“

Eintracht Frankfurt – Hannover 96 2:2

Bei der Eintracht stellt Ingo Durstewitz (FR 8.12.) kontinuierliche Besserung fest: “Die Frankfurter haben die Runde exakt so begonnen, wie sie an den Stammtischen von Sylt bis an den Bodensee wahrgenommen wurden: wie Hasenfüße, Duckmäuser, die eher zufällig in die Phalanx der Großen eingedrungen sind. Die Eintracht kickte nicht nur erfolglos, sondern, schlimmer noch, uninspiriert, unappetitlich, unattraktiv. Das schöne Spiel verdiente den Namen nicht, wenn Eintracht Frankfurt im Stadion aufkreuzte; die Profis waren nur auf Destruktion beschränkt, fußballerten ohne Esprit und Witz, Glauben und Zutrauen. Erst die denkwürdigen Geschehnisse in der Woche nach der denkwürdigen Vorführung in Bremen sorgten für die Wende. Die Mannschaft rückte ein gutes Stück von ihrem Vorgesetzten ab, begehrte gegen die hässliche Mauertaktik auf. Der Spielerrat bat Reimann zum Gespräch, legte seinen Standpunkt dar, versuchte zu verdeutlichen, dass Eintracht Frankfurt mit dieser Spielweise keinen Blumentopf gewinnen werde. Das fragile Gebilde drohte zu zerbersten, Mannschaft und Trainer wandelten auf einem schmalen Grat. Doch Reimann, dem viele Starrsinn und Dickköpfigkeit vorwerfen, hörte genau zu und lenkte ein. Seitdem begegnet Eintracht Frankfurt den 17 Konkurrenten auf Augenhöhe, tritt als Mannschaft auf: giftig, bissig, mutig, kompakt, geschlossen, kampf- und laufstark.“

Frankfurter Kaltstadion

Roland Zorn (FAZ 8.12.): „In wichtigen Situationen fehlen uns einfach noch Cleverneß und Kaltschnäuzigkeit, kritisierte der Frankfurter Trainer Willi Reimann das Mißverhältnis zwischen großem Aufwand und kleinem Ertrag. Die Hannoveraner waren als fest im Mittelfeld verankerte Mannschaft froh, das Waldstadion halbwegs unbeschädigt verlassen zu haben. Unwirtlich war es den Niedersachsen trotzdem vorgekommen. Hier zieht es ja wie Hechtsuppe, klagte Stürmer Brdaric über das Frankfurter Kaltstadion, ehe er zügig den mollig warmen Mannschaftsbus enterte. Sorgen haben die Leute . . .“

VfL Wolfsburg – 1. FC Kaiserslautern 4:1

Peter Unfried (taz 8.12.) „macht es manchmal richtig Spaß, dem VfL zuzusehen“: „Die Bundesliga ist derzeit eine klar ausdifferenzierte Mehrklassengesellschaft. Vorne stehen vier gutklassige Teams, die erfolgreichen und ansprechenden Fußball spielen. Dann kommt eins (Dortmund), dessen Richtung sich noch entscheidet. Danach kommt eine Lücke, entstanden durch das Schwächeln dreier Teams (Schalke, Hertha, HSV). Dort, auf Platz 6, sich festzubeißen und Anschlussfähigkeit nach oben sowohl spielerisch als auch tabellarisch nachzuweisen, darum spielen jetzt all jene Teams, für die es letztlich erklärtermaßen nicht nur um die Vermeidung des Abstiegs geht. Das sind mit Abstrichen 1860 München, Schalke, HSV und hauptberuflich der VfL Wolfsburg. Wolfsburg hat mit dem 4:1 über den 1. FC Kaiserslautern zweierlei bewerkstelligt: Sich selbst zurück in dieses mühselige Geschäft gebracht. Und den Gegner entgültig letzter schwacher Hoffnungen darauf beraubt. Wer Wolfsburg sagt, meint übrigens zunächst Andres dAlessandro (22), in zweiter Linie die von ihm geführte Südamerika-Offensive. Der argentinische Spielmacher hat etwas nach Wolfsburg gebracht, was man dort trotz Effenberg noch nicht gesehen hat: Eine für Bundesligaverhältnisse außergewöhnliche Verbindung von Fußballkunst und Effizienz. Lautern hatte das Spiel im Griff, solange es ihn aus dem Spiel hielt.“

Javier Cáceres (SZ 8.12.) trocknet Tränchen: „Nur Martin Petrov muffelte vor sich hin. Ein „schlechtes Spiel“ habe er abgeliefert, „kein Tor keine Flanke, kein Torschuss“ – wie soll man sich da freuen? Die Bärbeißigkeit des Bulgaren war durchaus konsequent. Schon auf dem Platz hatte er nach zwei der drei Tores eines Mitspielers Fernando Baiano die Hände vor allem deshalb in die Höhe gereckt, um darüber zu hadern, dass man ihn übersehen hatte. Seine Missgunst mag man verdammen – oder aber als Teil des Gesamtkunstwerks Petrov hinnehmen, denn gerade aus seiner Egozentrik bezieht der Bulgare seine Brillanz. Nicht von ungefähr erinnert er an seinen ebenso berühmten wie divenhaften Landsmann Hristo Stoitchkov.“

Fußball in Europa: Ergebnisse – Tabellen – TorschützenNZZ

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