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Stefan Effenberg

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Stefan Effenberg

„Die Bundesliga also würde nun langweilig werden ohne einen Typen wie Stefan Effenberg? Das haben vor diesem Wochenende viele behauptet, weil nun einer weg sei, an dem man sich reiben konnte, was offenbar wichtig ist. Wird man also Stefan Effenberg vermissen? Den von früher vielleicht, den im Wolfsburger Trikot gewiß nicht. Und kaum wurde am Wochenende wieder gespielt, gab es viele Themen – nur der Abgang des stets eine Spur zu sehr von sich selbst überzeugten Effenberg war nicht darunter.“ Diesem Fazit der FAZ ist beizupflichten, denn der Fußball ist nicht von einzelnen Typen abhängig, um Erzählenswertes zu bieten.

Die Story des 27. Spieltags spielt (wieder mal) in Leverkusen. „Nicht alles, was in der Bundesliga geschieht, lässt sich mit mathematischer Logik erklären. Dass der neue Sportdirektor Jürgen Kohler im gebeutelten Leverkusen wie ein Messias begrüsst wurde, ist verständlich; dass die Bayer-Profis aber plötzlich um zwei Klassen besser spielen, ist sonderbar“, wundert sich die NZZaS über den dortigen Wandel beim 4:1 über Hertha Berlin. Die für Spekulationen ertragsreiche Fragestellung ist diejenige nach der Wirkungsgröße Kohler bzw. nach dem Einfluss des unsichtbaren und inzwischen als bundesligauntauglich abgestempelten Trainer Thomas Hörster. Nicht nur die FAS schätzt den Anteil Kohlers als sehr groß ein: „Es bedarf doch etwas mehr als eines überforderten Trainers aus der dritten Reihe, um ein aus dem Tritt geratenes Starensemble wieder auf Kurs zu bringen. Daß Leverkusen jetzt endlich sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen gewillt ist, kann kein Zufall sein.“ Auch der Tagesspiegel stellt fest: „Nahezu alle Beobachter führten das neue Leverkusener Selbstbewusstsein auf die Kurzzeit-Arbeit des früheren Dortmunder Abwehrspielers zurück.“ Folglich müsste man der FAS zustimmen, die angesichts dieser Ursachenzuschreibung titelte: „Hörsters Niederlage“. Der kicker prophezeit wie üblich in Stabreimform: „Mit Kohler aus dem Keller“, und Bild veranschaulicht: „Kohler hat Bayer wach geküsst.“ Welche Ungerechtigkeit! Wer wäre eigentlich für eine Niederlage verantwortlich gemacht worden?

Blickt man in die heutigen Sportseiten der überregionalen Blätter, sieht das Meinungsbild differenzierter aus. Die FAZ spricht von gelungener Arbeitsteilung zwischen Kohler und Hörster, der nicht nur die letzten 14 Tage ohne Ablenkung durch internationale Aufgaben zu intensiver und konzentrierter Trainingsarbeit genutzt zu haben scheint. Der vor Mikrofonen ungelenk agierende Coach profitierte zudem zweifellos davon, dass der ausgebuffte Ex-Internationale – und bereits seit einigen Jahren sich offenbar als Fußballintellektueller stilisierender – mit klugen Statements sämtliches öffentliches Interesse absorbierte. „Kohler kommt – und Hörster darf endlich im Abseits stehen“ (FAZ).

Oberhörster, Unterhörster, Unterkohler

Letztendlich ist die Sache nicht mit Sicherheit zu klären, warum auch? Doch die Debatte zeigt erneut die Diskussions- und Meinungsfreudigkeit sowie die Rollenverteilung des nationalen Fußballstammtisches. Das schöne daran: Zu widerlegen sind die Analysen sowohl der Schreihälse als auch der Bedächtigen ohnehin nicht. Halten wir es also mit dem Zwischenruf der taz: „Viertel nach fünf sah es für einen kurzen Moment so aus, als sei auch das letzte Rätsel ein für allemal gelöst: In diesem Augenblick war Fußballgott 186 Zentimeter groß, knapp 90 Kilo schwer, trug schütteres Haar sowie Brille und babbelte Sätze, die glatt der Lehre Buddhas entsprungen sein könnten. Nur lachende Menschen sind glückliche Menschen, hatte Jürgen Kohler jedenfalls vergangene Woche schon gesagt. Dann hat er sich auf die Bank gesetzt und Leverkusen das Lachen zurückgegeben.“ Oder noch besser, wie die Financial Times Deutschland, mit Nonsens: „Es gilt den Eindruck zu vermeiden, der gewesene Weltmeister sei gekommen als Oberhörster (wie der Kölner Stadt-Anzeiger so nett formulierte). Nein, es galt höchstens als Unterhörster aufzutreten, besser noch als sein eigener Unterkohler.“

Parallelen zu Rudi Völler

Jan Christian Müller (FR 7.4.) vergleicht. “Wir wissen nicht genau, warum Bayer 04 Leverkusen plötzlich so gut, so leidenschaftlich gespielt und so viele Tore geschossen hat. Gute-Laune-Kohler weiß es nach den paar Tagen seit seinem Amtsantritt nicht. Der griesgrämige Herr Hörster weiß es nicht. Niemand weiß es, und niemand wird es jemals erfahren. Aber es liegt natürlich nahe zu glauben, dass Kohlers Geist und seine ungezählten Tätscheleien während der Trainingseinheiten ihren gehörigen Teil dazu beigetragen haben müssen. So ähnlich, wir erinnern uns, war es auch damals. Damals, im Sommer 2000, als Rudi Völler plötzlich und unerwartet Teamchef ward, obwohl er noch nicht mal ein gültiges Zwischenzeugnis als angelernter Fußball-Lehrer in der Tasche hatte. Was vollkommen egal war, weil Völler – wie jetzt Kohler – mit Hingabe und skandalfrei Fußball gespielt hat und in der Szene geachtet war. Nicht unbedingt als genialer Rhetoriker oder strategischer Kopf, aber als Kumpel der Profis, der den richtigen Ton findet, zu ihnen hält, für Wohlfühl-Atmosphäre sorgt und den Fokus dank seiner Popularität auf seine Person lenkt.“

14 Tage lang mit der Mannschaft in Ruhe geübt

Jörg Stratmann (FAZ 7.4.) schließt nicht aus, dass Trainer Hörster zu dem Sieg etwas beigetragen hat. „Zwar hatte auch Calmund sich gegen die Behauptung gewehrt, einer wie Kohler komme einfach, sehe und rette. Der spielt nicht mit und kann keine Tore schießen, sagte er – und erwartete dennoch einen Schub für die Mannschaft. Sprach’s und genoß angesichts des folgenden Blitzlichtgewitters um Kohler sehr, einmal nicht im Scheinwerferlicht Rede und Antwort stehen zu müssen. Diese Aufgabe erfüllte der neue Sportdirektor mit nicht nachlassener Geduld, was auch Hörster sichtlich entgegenkam. In dieser Arbeitsteilung darf sich der Trainer endlich auf das konzentrieren, was er nach Ansicht aller Beobachter glänzend beherrscht. Vierzehn Tage lang konnte er nun in Ruhe mit der Mannschaft üben, unbehelligt von lästigen Unterbrechungen durch die Champions League. Und was die Mannschaft im Training angedeutet habe, so faßte Hörster zufrieden zusammen, habe sie in Praxis sehr gut umgesetzt.“

Ein bißchen gute Laune reicht aus?

Peter Penders (FAZ 7.4.) bezweifelt den Kohler von vielen Seiten zugeschriebenen großen Einfluss. „Ein bißchen gute Laune im Training verbreitet, ein paar Einzelgespräche, und schon läuft es wieder – das klingt zu einfach, als daß man in Leverkusen nicht schon vorher hätte darauf kommen können. Kohler aber, haben alle Hobbypsychologen schnell herausgefunden, würden die Spieler eher glauben, weil er als Sportler eben schon alles erlebt habe. Stimmt wohl, darunter ist auch jene Schwalbe, mit der er in der vergangenen Saison einen Elfmeter für Dortmund schindete, was unter anderem ausgerechnet Leverkusen den Meistertitel kostete (…) So ein Job aber müßte doch auch etwas für Effenberg sein, denn über dieses Anforderungsprofil kann er doch wohl nur lachen. Alles erlebt im Fußball? Was hat Effenberg schließlich nicht mitgemacht in seiner Karriere, den WM-Titel von Kohler einmal ausgenommen? Dem könnte man doch vorbehaltlos alles glauben, schließlich war er nach eigenen Angaben immer geradlinig, was in seinem Fall aber auch bedeutete, daß er kein Fettnäpfchen ausließ, wenn es zufällig auf seinem Weg lag. Effe als Sportdirektor würde sogar noch mehr Fotografen als am Samstag in Leverkusen garantieren, auch wenn dies kaum noch denkbar scheint. Nur an einem müßte Effenberg vielleicht noch etwas feilen: Daß er auf Anhieb soviel gute Laune auslösen würde, ist schwer vorstellbar.”

Unerklärliche Kleinigkeiten, die im Fußball über Erfolg oder Niederlage entscheiden

Jörg Stratmann (FAZ 7.4.) über den Spieler des Spiels. „Sein Tagwerk hatte Oliver Neuville auf eine Weise erledigt, die man von dem bald 30 Jahre alten Angreifer von Bayer 04 Leverkusen lange nicht gesehen hat. Nach langen Wochen deprimierender Formschwäche war das auch endlich wieder in Ziffern zu belegen. Nach genau 768 Spielminuten ohne Fortüne waren dem schmalen Profi gleich zwei Tore gelungen. Neuville ließ sich die Erleichterung darüber kaum anmerken. Sein stets bekümmert wirkender Blick zeigte vielleicht eine Spur mehr Entschlossenheit. Doch sein erster Weg nach der Auswechslung belegte, was sich in den Reihen der Leverkusener in diesen Tagen verändert hat. Auf der Bank nahm Neuville neben dem neuen Sportdirektor Jürgen Kohler Platz. Denn für die wiedergefundene Spielstärke hatte wohl vor allem der Zuspruch des erfahrenen früheren Nationalverteidigers gesorgt. Und nun empfing der Spieler des Tages den aufmunternden Klaps des Managers wie eine Zusatzprämie. Na bitte, sagte Kohlers Geste: Es geht doch. Es sind zuweilen unerklärliche Kleinigkeiten, die im Fußball über Erfolg oder Niederlage entscheiden. Oder darüber, warum ein Dribbling mal in den Beinen des Gegenübers hängenbleibt oder aber gelingt.“

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