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Stellenwert des Fußballs in Südkorea

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Stellenwert des Fußballs in Südkorea

Vom Sieg der Südkoreaner berichtet Christoph Biermann (SZ 24.6.). „Zwei Tage Regenerationszeit fehlten ihnen im Vergleich zu den Spaniern, und so konnte man sehen, was von dieser Mannschaft bleibt, wenn sie nicht stets doppelt so weite Wege wie der Gegner gehen und doppelt so viele Zweikämpfe bestreiten kann. Eine Ansammlung von Fehlern produzierte das Team, unpräzise Pässe und holprige Ballannahmen, die tapfer wieder ausgebügelt werden mussten. Beeindruckend war diese Tapferkeit, der Wille und der Kampfgeist auch diesmal wieder, trotzdem war dieses Viertelfinale ein Irrtum und passte damit in das seltsame Muster eines immer farbloser werdenden Turniers. Die Leichtigkeit der Vorrunde ist verschwunden, an ihre Stelle ist aber nicht strenge Klasse getreten, sondern ermüdende Diskussionen um schlechte Leistungen, auch wieder der Schieds- und Linienrichter (…) Diese WM ist eine des Durchwurstelns geworden, und so ist das Halbfinale Südkorea gegen Deutschland folgerichtig. Weil deutsche Teams das Durchwursteln zur Kunstform erhoben haben und in den Koreanern die besten Epigonen gefunden hat.“

Felix Reidhaar (NZZ 24.6.) über das einseitige Spiel. „Dort, wo sich mindestens in der ersten Halbzeit das Geschehen hauptsächlich zugetragen hatte, war kaum je koreanischer Einfluss zu verspüren. Umso folgenschwerer, dass sich die individuell und kollektiv klar stärkeren Iberer diese Vorteile nicht zunutze machten. Denn ihnen war es wie bisher keinem anderen Team an diesem Turnier gelungen, die Limiten des Gastgeberteams schonungslos aufzudecken. Mit konsequenter Störarbeit und vortrefflicher Raumaufteilung verhinderten sie, dass des Gegners Linien ineinander griffen und dass dieser mehr als nur sporadisch mit einheitlichem Druck vorgehen konnte. Diese souveräne Suprematie hätte manche Mannschaft frühzeitig resignieren lassen. Nicht so die Koreaner.“

Zum Stellenwert des Fußballs in Südkorea heißt es bei Holger Gertz (SZ 24.6.). „In den Fußball wird eine Bedeutung hineingelegt, die vielen abenteuerlich vorkommt, der deutsche Sieg 1954 in Bern ist ein Beispiel, das 1:0 der DDR-Mannschaft über die BRD 1974; das rote Fußballwunder von Korea wird künftig als ein anderes genannt werden können. Von 1910 bis 1945 waren die Koreaner in japanischer Gewalt, wurden drangsaliert und vergewaltigt. Die Elite wurde eliminiert, das Volk zu Bauern gemacht, nach der Befreiung dann die Teilung, derKorea-Krieg, Militärdiktatur, schließlich das mühsame Heranrobben an die Wirtschaftskraft des verhassten und bewunderten Nachbarn. Die Financial Times hat, zu Beginn der WM, eine Beilage herausgebracht, darin abgebildet eine Karikatur mit einem südkoreanischen Fußballer und einem japanischen, die sich, Wut im Blick, am Trikot zerren. Dasselbe Spiel, unterschiedliche Ziele, so kann man es sehen, denn Japan und Korea, die diese WM gemeinsam ausrichten, die Feinde von damals, sind unterschiedlich noch immer. Man hat das in den Fußballstadien gut beobachten können, die Japaner mit ihrer bunt frisierten Mannschaft, als wären die Spieler gecastet wie die Kandidaten für Popgruppen in Amerika. So spielten sie auch, um Schönheit bemüht, launisch (…) Die Koreaner rennen und werkeln wie eine Armee von Ameisen, sie erlauben sich keine Auszeit, keinen Luxus, keine Eigenheiten. Die Japaner haben seit Jahren alte Fußballer aus Südamerika oder Europa in ihre Liga gelockt, Buchwald und Littbarski, Toninho Cerezo und Zico: um von ihnen zu lernen, aber auch, um etwas westliches Flair in ihre Stadien zu holen. Die Südkoreaner sind in ihrer Liga unter sich geblieben, verließen sich auf ihre eigenen Stärken, die Show war dem Ergebnis untergeordnet.“

Zur Schiedsrichterdiskussion wirft Roland Zorn (FAS 23.6.) ein. „Dem sportlich allenfalls mittelmäßigen Wert dieser andererseits aufregenden WM der Überraschungen haben die erstaunlichen zahlreichen Misstöne der Schiedsrichter und das wilde Fähnchenschwenken der Linienrichter zusätzlich geschadet. Italien ist bei der Weltmeisterschaft schlecht weggekommen, auch Portugal und nun Spanien – und jedes Mal war der Gastgeber Südkorea im Spiel. Vielleicht nur ein Zufall und doch peinlich genug.“

Mark Schilling (NZZaS 23.6.) zum Turnierauftritt des Co-Gastgebers. „Auf Grund des Gezeigten stehen die unglaublich lauffreudigen Südkoreaner nicht zufällig im Halbfinal, doch im gleichen Atemzug darf nicht verschwiegen werden, dass sie sowohl im Achtelfinal gegen Italien als auch im gestrigen Viertelfinal gegen Spanien in entscheidenden Situationen Profiteure einer ihnen sehr wohlgesinnten Spielleitung waren. Drei Siege und ein Remis später sind sie nun am Dienstag Gastgeber – und zugleich Favorit.“

Felix Reidhaar (NZZaS 23.6.) über den Faktor Glück. „Dem Team aus dem Veranstalterland war es im entscheidenden Moment (Penaltyschießen) gut gesinnt, aber zuvor schon hatte es zum dritten Mal hintereinander von indiskutablen Fehlentscheiden des Spielleitertrios – der Linienrichter – profitiert. Auch dieser Umstand beeinflusst die besondere Textdramaturgie des Turniers in Asien. Es sind nicht mehr wie früher die so genannt Kleinen, die von den Schiedsrichtern wegen Hierarchiedenkens benachteiligt werden. Jetzt trifft es das Establishment mit schmerzlicher Wucht. Portugal, Italien und Spanien, der gesamte lateinische Hochadel Europas, wissen davon ein Trauerlied zu singen. Sie waren alle klar favorisiert in die Spiele gegen den Gastgeber gegangen, aber erst die Spanier wurden am Samstagnachmittag dieser Rolle standesgemäß gerecht.“

Zum Sieg der Südkoreaner schreibt die kroatische Tagezeitung Vecernji List. „Mehr als zwei Millionen Menschen kamen auf die Straßen von Seoul und schlugen somit den Rekord von 1987, als eine Million für die Demokratie demonstrierten. Allein um den großen Bildschirm im Zentrum der Stadt sammelten sich 800.000 Fans – Fußball schlägt in diesen Tagen alle Rekorde! „Vorbereitet haben wir uns für Terroristen und Hooligans, aber nicht für so etwas“ – meinte ein Polizist, der Schwierigkeiten hatte, die Menge um das Stadion Gwangju im Griff zu halten. Zwei Söhne des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung wurden kürzlich wegen Korruption verhaftet. Für den Präsidenten ist das jedoch kein Grund, Schwarz zu tragen: Er kam ins Stadion mit einem roten Schal. Auch die Fans artikulierten ihre Botschaft „Der Stolz Asiens!“ Ein Transparent mit der Aufschrift „Danke dem Königreich Niederlande“ erschien während der Intonierung der Nationalhymnen – natürlich für Hiddink, der Ehrenbürger Koreas werden wird und dem die Koreaner ein Denkmal widmen werden. Und die Spanier bleiben seit 1950 im Warteraum – seitdem waren sie nicht mehr unter den ersten vier auf Weltmeisterschaften. Dieses mal jedoch unverdient: Der Schiedsrichter Ghandour erkannte den Spaniern einen gültigen Treffer ab. „Seit den Italien-Spielen waren wir vorgewarnt, aber wir können dagegen nicht ankämpfen. Den Südkoreanern halfen die Schiedsrichter in den Begegnungen mit den USA, Portugal und Italien – und jetzt eben im Spiel mit uns“ schnaubte Torhüter Casillas.“

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