indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Stier von Dongelberg

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Stier von Dongelberg

Christian Eichler (FAZ 20.5.) porträtiert den Neu-Politiker Wilmots. „Politiker auf dem Fußballfeld, das war meist eine unglückliche Idee, seit der französische Staatspräsident Le Brun beim Anstoß der Weltmeisterschaft 1938 in den Boden trat. Für den umgekehrten Rollentausch – Fußballer in der Politik – fehlen noch die Erfahrungswerte. Abgesehen von Pelé, der eine kurze Zeit als brasilianischer Sportminister amtierte, hat es noch kein Kicker von Welt an die Hebel der Macht gebracht. So dürfte die politische Karriere von Marc Wilmots ein reizvolles Debüt werden. Auf Listenplatz vier der liberalen Partei Mouvement Réformateur (MR) war ihm ein Platz im belgischen Parlament schon vor den Wahlen am Sonntag fast sicher. Obwohl er sich wegen seiner Verpflichtungen als Interims-Teamchef bei Schalke 04 kaum im Wahlkampf hatte zeigen können, erhielt der populärste belgische Fußballer die zweithöchste Stimmenzahl bei den Wählern nach Parteichef und Außenminister Louis Michel. Stier von Dongelberg wurde der bullige Angreifer in Belgien genannt, ehe er 1996 nach Deutschland kam. Dort erhielt er bei den Schalker Fans durch seine nimmermüde Art einen anderen tierischen Ehrennamen: Willi, das Kampfschwein. Von Juni an wird den Bauernsohn nun die Anrede Herr Senator zieren. Im Senat des belgischen Parlaments, der, dem englischen Oberhaus vergleichbar, eine eher beratende, nicht tagespolitisch entscheidende Rolle einnimmt, will der sportliche Familienvater sich den vertrauten Feldern Sport und Jugend widmen. Mit Michel verbindet ihn eine alte persönliche Freundschaft. Die beiden stammen aus Nachbardörfern im wallonischen Teil Brabants. Natürlich hat der Parteichef den Fußballer nicht nur aus Freundschaft in die Politik geholt, sondern in der Hoffnung, daß er nicht nur eine Stimmungs-, sondern auch eine Stimmenkanone ist. Die Hoffnung erfüllte sich. Wilmots trug seinen Teil zum guten Ergebnis der Partei bei.“

Für Theater und Auflage zuständig

Zur Lage in Schalke heißt es bei Martin Hägele (NZZ 20.5.). „Es war ein harter Montag für Menschen, die Schalke 04 lieben. Seit zwei Jahren ist der 19.Mai im blauweissen Vereins-Kalender angestrichen. „Tag der Schalendiebe“ heisst er unter den eingefleischten Anhängern. Weil an jenem Samstag im Jahr 2001 der Schiedsrichter Merk die Partie in Hamburg drei Minuten hatte länger laufen lassen als dessen Kamerad in der Arena Auf Schalke, wo bereits der achte Meistertitel – und damit der erste seit 1958 – gefeiert wurde, ehe die Fernsehbilder aus dem Norden ein Meer von Tränen im Fussball-Westen auslösten. Der Schwede Andersson hatte in der Nachspielzeit einen Freistoss verwandelt; bis heute kann keiner der Beteiligten richtig erklären, wie der Ball den Weg durch die HSV-Mauer ins Netz gefunden hat – und der FC Bayern grüsste den Rest der Republik zum siebzehnten Mal als Champion. Auch jetzt, da sich der Volkstrauertag von Gelsenkirchen zum zweiten Mal jährt, steht von einer Meisterparty auf dem Münchner Rathausbalkon in der Zeitung. In dem Kommentar des Bayern-Managers Uli Hoeness, der damals sein tiefstes sportliches Mitgefühl für den „unglücklichen, aber ungemein sympathischen Verlierer“ übermittelt hatte, steckte am Montag purer Zynismus: Früher sei der Stellenanzeigenmarkt am Samstagmorgen in der FAZgestanden, stichelte Hoeness, nun aber finde er am Samstagabend im Sportstudio statt. Ein ziemlich deutlicher Hinweis an den Kollegen Assauer, sich nicht von der Welle Christoph Daum überrollen zu lassen. Die Rückkehr des Beinahe-Bundestrainers in die Bundesliga, verbunden mit der offiziösen Begnadigung des Kokain-Sünders, ist seit einer Woche angelaufen. Gewissermassen im Namen des Volkes fordert „Bild“ den Redaktionsfreund und ehemaligen Kolumnisten. Die Interessen des Boulevardblatts und des Meistertrainers von Stuttgart, Istanbul und Wien überschneiden sich dabei offensichtlich. Daum fehlt bei Austria Wien der internationale Glamour, Bild aber sucht nach der langweiligsten Bundesligarunde der Geschichte nach einer Figur, die Feuer spuckt. Das kann Daum, der Medientrainer, wie kein anderer. Egal, ob er den Mut seiner Professionals stählen will, indem er sie über Glasscherben laufen lässt, oder ob ein Reiher den teuersten von Daums japanischen Koi-Fischen aus dem Karpfen-Bassin fischt – der Mann ist für Theater und Auflage zuständig. Wer den „Zampano“ nicht sofort verpflichtet, wird vom Volksorgan nicht nur gemassregelt, sondern als „blauweisser Trottel“ verspottet.“

Gewinnspiel für Experten

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