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Stimmen zur Lage des FC Bayern München

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Stimmen zur Lage des FC Bayern München

Harry Nutt (FR 6.11.) analysiert exzellent das Vereinsleitbild des FC Bayern. „Suchte man nach einem signifikanten Ausdruck der gegenwärtigen sozialen Befindlichkeit, so fände man ihn vielleicht in den Gesichtszügen des Münchner Fußballlehrers Ottmar Hitzfeld. Mit jeder Falte widerspricht der Trainer seiner eleganten äußeren Erscheinung, mit der er unlängst auf dem Modelaufsteg für eine Marke mit dem Image passabler Mittelmäßigkeit eine gute Figur machte. Äußere Standfestigkeit, Professionalität und Pflichtgefühl ließen Hitzfeld in den vergangenen Tagen jedoch als Sorgenmännchen der Nation auftreten, obwohl doch bloß ein paar Fußballspiele nicht ganz nach Wunsch verlaufen sind (…) Die Krise des FC Bayern München, die im sportiven Unterhaltungsgewerbe als handelsübliche saisonale Ware im Sortiment geführt wird, verhandelt hierzulande stellvertretend die Paradoxien des gewerblichen Leistungsstrebens. Immer noch Spitzenreiter, gibt die Millionentruppe von der Säbener Straße ein Passionsspiel vom Niedergang ohne erkennbare Zeichen von Leidenschaft. Glanzloses Siegen, das weiß man in Fußballmünchen, ist nur der Anfang einer anderen Qual. Und das muss etwas zu bedeuten haben für dieses Land. Das ideelle Gesamtensemble Bayern München konnte seit jeher als Parallelaktion eines Modells Deutschland gelesen werden, das als Marke hinaus trat in die Welt, um doch als lokales Handwerksprodukt identifiziert zu werden. Weltmaßstab und provinzieller Rückraum sowie rücksichtsloses Gewinnstreben und ein an Familienstrukturen orientierter Korporatismus bildeten die Koordinaten, in die die Fans ihre Gefühlswerte eintragen konnten. Bayern-Bettwäsche und Allianz-Arena beschreiben seither die emotionale wie ökonomische Verfasstheit eines expandierenden Unterhaltungskonzerns, der sich in ständiger Unruhe befindet und in dem doch alles so bleibt wie es ist. Die wärmenden Bindekräfte der Tradition werden im Münchner Modell ebenso geboten wie die kalten Triebkräfte wirtschaftlicher Rationalität. Seit den späten sechziger Jahren war Bayern München ein Symbol einer doppelten bundesrepublikanischen Haushaltsführung. Hohe soziale Mobilität bei gleichzeitiger Selbstverpflichtung auf Herkunft nahmen im Münchner Fußballclub Bayern eine quasimonarchische Repräsentationsform an, während die sportlichen Erfolge stets von Egalität und Dynastie gekennzeichnet waren, die nach Belieben von bräsiger Gemütlichkeit auf selbst verleugnerischen Drill umgeschaltet werden konnten. Eine Art bayerischer Doppelpass.“

Gerhard Pfeil (Der Spiegel 4.11.) beschreibt die nunmehr eingetretene Erkenntnis der Bayern-Verantwortlichen, „dass der geplante Entwicklungsprozess des deutschen Rekordmeisters, der Umbruch vom Mittelständler zum Konzern, fürs Erste krachend gescheitert ist. Über Jahrzehnte war der familiär strukturierte FC Bayern stolz darauf, mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln Clubs wie Manchester United oder Real Madrid Paroli bieten zu können. Der Gewinn der Champions League 2001 dient als Beweis, dass auch konservative Vereinspolitik – wenn das Schicksal es gut meint – zum Ziel führt. Um sich aber auf Dauer im Konzert der Großen zu etablieren, so die vorherrschende Meinung in der Vorstandsetage, war mehr Risiko vonnöten. Hoeneß plünderte das Festgeldkonto (…) Dass da ein deutsches Unternehmen der Sportunterhaltungsindustrie zum Sprung auf Weltniveau ansetzte, fand die werbetreibende Wirtschaft ganz prima. Doch nun, nach dem internationalen Aus, landet der FC Bayern in einer neuen Wirklichkeit. War der Club in den vergangenen Jahre vornehmlich aus Imagegründen zum Gewinnen verdammt, gerät er nun aus wirtschaftlichen Zwängen unter Erfolgsdruck. Einnahmeverluste von rund 30 Millionen Euro brutto sind nach dem Scheitern in der Champions League zu beklagen. Der teure Spielerkader ist für einen Verein ohne internationale Einsätze überdimensioniert. Als wäre er nun ein ganz gewöhnlicher Bundesligist, tritt der FC Bayern erstmals seit langer Zeit ohne das wohlige Gefühl eines dicken Bankkontos als Sicherheitspolsters an.“

Christoph Biermann (taz 7.11.) ist die Schadenfreude über die Bayern-Krise vergangen. „Kölner mögen sich die Hände reiben, wenn Leverkusen scheitert, Fans von St. Pauli bereiten Pleiten des HSV Vergnügen und umgedreht. Aber die Bayern? Längst ist der Klub auf einen fernen Planeten übergesiedelt. Seine Krisen werden verhandelt, als würde es gerade Daimler-Benz an den Kragen gehen und der Wirtschaftsstandort Deutschland endgültig geschlossen werden (…) Die Debattierzirkel im Fernsehen sind während der KRISE DES FC BAYERN zu Geisterbahnen geworden, die Schaudern auslösen. Da randalieren die üblichen Verdächtigen unter Anführung von Paul Breitner über die Kanäle, dass es nur so ein Stumpfsinn ist. Neben Breitners gedoptem Blut-und-Boden-Gefasel darf sich Lothar Matthäus um Kopf und Kragen reden. Franz Beckenbauer gar wurde zur Chimäre eines bösen Drogentraums. Hinter seinem Sofathron loderte der Kamin und vorne im Bild erigierte uns ein Mikrofon des Bezahlsenders entgegen, der des Kaisers Gerede halbexklusiv hat. Man muss schon ein Herz aus Stein haben, um im Angesicht solchen Irrsinns nicht augenblicklich Mitleid zu entwickeln. Wie werden Ottmar Hitzfelds Magenwände diesen Terror überstehen? Findet Oliver Kahn den Weg in diese Welt zurück? Wird Karl-Heinz Rummenigge bald mit irrem Blick durch die Wälder irren? Ist das noch Fußball oder schon offene Psychiatrie – mit Breitner als sadistischem Pfleger? Das ganze Vergnügen an Pleiten, Pech und Pannen in München ist einem dadurch natürlich gründlich verdorben. Fast will ich schon, dass die Bayern endlich wieder gewinnen. Am besten sogar von Sieg zu Sieg eilen und mit 45 Punkten Vorsprung deutscher Meister werden. Damit endlich Ruhe ist! Damit die Kinder sich nicht mehr erschrecken und schlecht schlafen, weil wieder dieser Breitner im Fernsehen war und mit glühenden Augen von leeren Köpfen gefaselt hat. Nein, den FC Bayern kann man nicht verhöhnen, weil man damit in schlechte Gesellschaft gerät.“

Frank Ketterer (taz 6.11.) fasst den Saisonstart der Münchner zusammen. „Die Jagd ist eröffnet, und zum lustigen Medien-Hallali geblasen wird freilich nicht nur auf Kahn, den ebenso weltbesten wie kotzbrockigsten Torhüter, sondern auf so ziemlich alles, was berufsmäßig das Bayern-Trikot trägt oder sonst irgendwie mit dem Verein zu tun hat. Dass Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld dabei im Epizentrum des Orkans steht und von den Medien längst schon zum Abschuss freigegeben ist, folgt nur den Gesetzmäßigkeiten der Branche. Zwar hat Hitzfeld den FC Ruhmreich noch vor eineinhalb Jahren zu einem seiner größten Erfolge, dem Gewinn der Champions League, geführt, nun aber, so heißt es, habe er sich doch in den Mühlen des Alltags aufgerieben, verbraucht irgendwo zwischen Mailand und Wolfsburg. Wie sonst hätte der FCB in diesem Jahr schon in der Vorrunde der Champions League scheitern können, und das auch noch sieglos, wo er, geblendet von den nicht selten erduselten Erfolgen der Vorjahre, doch längst mindestens das Erreichen des Viertelfinals als standesgemäß erachtet? Mindestens! Das wird natürlich als „eine Blamage“ empfunden, als „Schande“, wie Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende der Bayern AG, sogleich in bester Kaiser-Manier firlefranzelte. Aber, ach Gott: Was ist denn so schändlich daran, ein Fußballspiel gegen La Coruña zu verlieren oder den AC Mailand, zwei internationale Top-Mannschaften, und das auch noch, zumindest teilweise, unter – gänzlich bayernuntypisch – unduseligen Umständen? (…) Dass die Bayern zum Bundesligastart die Lederkugel phasenweise ganz gefällig und, zumindest in der Liga, auch durchaus erfolgreich übers Grün getreten haben, mag beim ein oder anderen für vorfreudige Verblendung gesorgt haben; bei manchem Vereinsoberen war dieser Zustand freilich gar schon vor Rundenbeginn eingetreten. Etwa bei Karl-Heinz Rummenigge, der vom „Weißen Ballett“ schwadroniert hatte, als das der FC Bayern künftig über die Fußballfelder Europas ziehen werde. Damit hat er nicht nur die Erwartungshaltung an die Mannschaft in nahezu unerfüllbare Höhen gejagt, sondern gleichsam den fußballerischen Paradigmenwechsel postuliert, dem die selbsterklärten Fußballschöngeister aus der Führungsetage, zuvorderst Rummenigge selbst sowie der allgegenwärtige Kaiser Franz, ihren Verein so gerne unterwerfen würden: Der FC Bayern soll künftig nicht mehr nur erfolgreichen, sondern auch noch schönen Fußball spielen. Schwanensee statt Polka. Bisher ist die Mannschaft mit diesem Ansinnen lediglich in die Krise getanzt – und in die Schlagzeilen.“

Philipp Selldorfs (SZ 6.11.) Formbarometer. „Willy Sagnol, 25: Sein drittes Jahr bei Bayern ist sein mit Abstand schlechtestes. Zuletzt ein Nervenbündel in der Abwehr, nach vorn regungs- und wirkungslos. Weigert sich bis heute, die Mannschaftssprache Deutsch zu sprechen.“

„Bayern boxt“ Tsp

Zur vermeintlichen Bedeutung des Siegs für Trainer Hitzfeld heißt es bei Thomas Becker (FR 8.11.). „DFB-Pokal! Ein Wettbewerb, der in der Wahrnehmung des Lichtgestalts-Präsidenten Franz Beckenbauer wahrscheinlich überhaupt nicht existiert, eine zweite Runde ja erst recht nicht. Und dann: Hannover! Ein Team, das vor ein paar Monaten, als der FC Ruhmreich noch Weltpokalsieger war, sich mit Reutlingen, Oberhausen Co in den Untiefen von Liga zwo rumtrieb. Ein solches Spiel soll wichtig sein für einen Ottmar Hitzfeld, als Trainer deutscher Meister und Super-Cup-Gewinner 95 und 96, Champions-League-Sieger und Weltpokalsieger 97, Deutscher Meister 1999, 2000 und 2001, DFB-Pokalsieger 2000, Ligapokal-Sieger 1998, 1999 und 2000, Champions-League-Sieger und Weltpokalsieger 2001. Aber: Das Spiel war verdammt wichtig für ihn. Er gewann. 2:1. Halleluja! Ein Sieg, der die Panik beim FCB und den angehörigen Boulevardblättern nur ein wenig dämpfen wird. Zu harm- und ideenlos die bayerischen Krisen-Kicker, zu großzügig der gegebene Fast-Kein-Foul-Elfmeter, zu lustlos der ebenbürtige Aufsteiger aus Hannover (Trainer Rangnick: „Hier war mehr drin“), zu peinlich der Auftritt von Oliver Kahn in der Schlussminute, als er unnötig einen Strafstoß verursachte. Und doch gewonnen: Die Rückkehr der Dusel-Bayern.“

Aus den letzten Tagen

Auf deutschen Sportseiten dreht sich momentan alles um die Situation bei Bayern München und „den seit Wochen unaufhaltsamen Niedergang einer Mannschaft, die als weißes Ballett in die Saison schwebte, sich in falscher Hoffnung zu Traumtänzern entwickelte und in Bremen nur noch wie eine Stolpertruppe vom Lande durchs Weserstadion irrlichterte“, wie die FAZ ungewohnt streng urteilt.

Während die sportliche Durststrecke dieses Klubs im Herbst 2001 hauptsächlich die Position des damaligen Führungsspielers Stefan Effenberg schwächte, sieht sich derzeit allerdings Trainer Ottmar Hitzfeld nach der erneuten 0:2-Niederlage in Bremen den Zurechtweisungen seitens des Boulevards, den so genannten TV-Experten und anderen Narren ungeschützt ausgesetzt. Wie nicht anders zu erwarten, tritt in solchen Zeiten so mancher Gernegroß als Kritiker in Erscheinung; und blamiert sich dabei so gut er kann. Das Ärgerliche daran ist, dass die nunmehr besserwissenden Breitner, Matthäus Co. dem renommierten Hitzfeld nicht im Ansatz das Wasser reichen können, zumal sie im Traineramt bisher nichts geleistet haben.

Darüber hinaus – und das ist für ihn viel fataler – ist der erfolgreichste Vereinstrainer des letzten Jahrzehnts in den Machtkampf der bayerischen Führungsriege geraten; und dort zwischen die Mühlsteine der persönlichen Eitelkeiten. Mit Hoeneß und Rummenigge hat der kürzlich von diesen aus dem Tagesgeschäft gedrängte Beckenbauer nämlich noch eine Rechnung offen. Der Moment der Schwäche, auf den der Degradierte gewartet hat, ist nun gekommen. Dabei scheint er nicht davor zurückzuscheuen, Hitzfeld für eigene Begierden und Einflusszugewinne zu opfern.

Zur Situation von Hitzfeld lesen wir von Michael Horeni (FAZ 5.11.). „Der Mathematiklehrer Hitzfeld hat sich ein Bewertungssystem geschaffen, nach dem er die Beiträge der alten Münchner Meister über den Fußballlehrer Hitzfeld ordnet. Ganz unten auf der Kritikerrangliste befindet sich sein derzeit schärfster öffentlicher Ankläger und gnadenloser Richter in Personalunion, Paul Breitner. Weltmeister zwar, aber sonst nichts geleistet und nur fürs Stänkern bezahlt, da kümmert sich der Bayern-Trainer nicht um Parolen, die da lauten: Angsthasen-Fußball unter Hitzfeld, der Trainer muß weg. Eine kleine Stufe über Breitner – aber immer noch ziemlich weit unten – rangiert für ihn Lothar Matthäus. Weltmeister und Weltrekordnationalspieler zwar, aber als Trainerneuling gescheitert – auch da hört Hitzfeld kaum hin, wenn Matthäus in Bremen über teilnahmslose Bayern-Profis spricht. Was dagegen Udo Lattek, einst einer der erfolgreichsten Trainer der Welt, zu sagen hat, findet Hitzfeld durchaus bedenkenswert. Lattek stellte fest, daß mit dem Abschied von Stefan Effenberg die Hierarchie der Bayern-Mannschaft zusammengebrochen sei, der Trainer die verfehlte Einkaufspolitik nicht allein zu verantworten habe, aber seine Arbeit dennoch wohl nur auf Abruf erledigen könne – bis die Bayern einen Nachfolger gefunden haben. An der Spitze der Münchner Meinungshitparade steht, wie es sich gehört und niemand wundert, der Fußball-Kaiser (…) Was Hitzfeld so fein auseinanderhalten wollte, läßt sich im Münchner Meinungs-, Beziehungs- und Intrigenstadl aber nie und nimmer trennen. Breitner poltert dort, wo auch Beckenbauer als Kolumnist sein Geld verdient, aber derzeit schweigt. Da sich Beckenbauer als Aufsichtsratsvorsitzender vom Vorstandsvorsitzenden Rummenigge und Manager Hoeneß aus dem Tagesgeschäft gedrängt fühlt – auch wenn er diese Rolle mal anstrebte –, spart Beckenbauer auch nicht mehr an Spott und Kritik am Führungsduo, während Kapitän Kahn die Haudraufkritiker Beckenbauer und Rummenigge gegen den Schweiger Hoeneß ausspielt. In dieser Münchner Personalityshow als schwächstes Mitglied unbeschadet zu bleiben ist ein Kunststück, das Hitzfeld nicht mehr vollbringen wird.“

Michael Horeni (FAS 3.11.) erkennt „viele Zeichen, daß Oliver Kahn für den FC Bayern zu einem Rätsel geworden ist. „Mit ihm stimmt etwas nicht, irgend etwas paßt ihm nicht, das merkt man“, sagte Franz Beckenbauer schon vor gut zwei Wochen. Aber was? Der FC Bayern ist jedoch offenkundig bis heute nicht dahintergekommen, und das ist vielleicht das größte Versäumnis des Klubs in dieser Saison. Oliver Kahn hängt zwar ohnehin der Meinung an, daß – von höheren Mächten abgesehen – nur einer in der Lage ist, ihn zu verstehen: Oliver Kahn. Der Torwart vermittelt für viele allzuoft den Eindruck, daß sein Leben ein bißchen zu außergewöhnlich geraten ist, um es zu verstehen, wenn man dieses Leben nicht selbst lebt. Aber irgendwie kennt man diese Tragik ja schon seit der Antike: Titanen und Cesaren sind einsam. Wenn nicht alle Zeichen trügen, befindet sich Kahn aber tatsächlich in einem Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gibt – und er darum weiß. Nicht nur Teamchef Rudi Völler ist der Meinung, daß der Gewinn der Champions League im vergangenen Jahr ohne Kahn nicht möglich gewesen wäre für den FC Bayern. Trotz der exzellenten Führungskräfte, trotz der Finanzkraft, trotz der großen Macht, über die der Münchner Rekordmeister verfügt – der Erfolg hängt von einzelnen Spielern ab, und Kahn ist sich seiner Rolle und seiner Verantwortung vollkommen bewußt.“

Wie könnte eine mögliche Zukunft Hitzfelds aussehen? fragt sich Joachim Mölter (FAS 3.11.). „Mit solch einem Lebenslauf muß man sich um die Zukunft keine Sorgen machen, sollte man meinen. Ottmar Hitzfeld aber macht sich offenbar welche. Manchmal erweckt er sogar den Eindruck, richtiggehend Existenzangst zu haben. Auf der anderen Seite: Wo will einer denn auch schon hin, wenn er mal beim FC Bayern München gearbeitet hat? In der Bundesliga ist das das Ende, da geht nichts mehr drüber, da kommt nichts mehr. Wer in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Trainer beim FC Bayern engagiert war, hat sich danach entweder zur ruhe gesetzt (Udo Lattek), ist ins Ausland gegangen (Jupp Heynckes, Sören Lerby) oder irgendwo Nationaltrainer geworden (Erich Ribbeck in Deutschland, Otto Rehhagel in Griechenland, allerdings erst nach einem Intermezzo in Kaiserslautern). Der Posten des deutschen Bundestrainers, für den Ottmar Hitzfeld nach der EM-Pleite im Jahr 2000 im Gespräch war, ist nun langfristig besetzt von Rudi Völler. Da bliebe Ottmar Hitzfeld wahrscheinlich nur noch die Rückkehr in die Schweiz, wo er vor seinem Engagement in Dortmund jahrelang als Spieler und Trainer beschäftigt war. Dort ginge es zwar gemütlicher und friedlicher zu als beim umjubelten und umtrubelten FC Hollywood München – aber ob sich das mit seinem bekannten Ehrgeiz verbinden ließe? Für den General bedeutet Friede Frust.“

Andreas Burkert (SZ 5.11.) beleuchtet die Lage der Münchner. „Der FC Bayern ist nicht nur der Pfau des deutschen Fußballs, das Feindbild für seine Konkurrenz. Sondern längst auch ein Wirtschaftsunternehmen, dem nur Titel ordentliche Rendite garantieren. Noch wird Hitzfeld durch seine Reputation und den Mangel einer Alternative geschützt. Dennoch wird er vermutlich nur dann das Saisonende in München erleben, wenn rasch der Erfolg wiederkehrt. Wenn seine nicht von allen im Klub goutierte Variante der sensiblen Menschenführung nicht weiter Schaden anrichtet. Wenn die eklatante Vakanz auf den Führungspositionen einer Star-Auswahl, die er erschaffen durfte, vom Comeback der mannschaftlichen Geschlossenheit ausgeglichen wird. Überhaupt ist Hitzfeld in den nächsten Wochen auf Unterstützung angewiesen. Von der sportlichen Leitung, und von seinen Spielern. Die Wende im Alleingang zu erzwingen, dazu ist er nicht mehr in der Lage. Dafür hat sich seine Wirkkraft zu sehr abgenutzt, und Hitzfeld sollte diesen logischen Vorgang akzeptieren.“

Zur Niederlage in Bremen schreibt Michael Horeni (FAZ 5.11.). „In Bremen jedenfalls war rein gar nichts von einstiger bayerischer Stärke oder Widerstandskraft in der Krise zu sehen. Alle Appelle Hitzfelds an die Kampf- und Leistungsbereitschaft drangen zu den Spielern nicht mehr durch. Anstatt einer Trotzreaktion war bei den Bayern in der ersten Halbzeit nur Hilflosigkeit zu besichtigen, nach dem Wechsel Harmlosigkeit. Einige Spieler hielten dem Druck offensichtlich nicht stand (…) Neben der aktuellen Einstellung, die sich um fundamentale Notwendigkeiten im Bundesligafußball nicht mehr kümmert, haben die Bayern offenbar auch einen Kampf der Kulturen in ihren Reihen auszufechten. Wir haben unterschiedliche Philosophien von Fußball, sagte Linke, und es ist nicht schwer zu erraten, welche Tugenden der knorrige Verteidiger für die richtigen hält – und welche Philosophie die neuen kreativen Kräfte wie Michael Ballack und Zé Roberto aus Leverkusen zu ihren ehemaligen Bayer-Kollegen und brasilianischen Landsleuten mitgebracht haben. Der Bayer-Virus vom schönen Fußball als Ende der Münchner Erfolgsgeschichten?“

Andreas Burkert (SZ 5.11.) meint dazu. „Hitzfelds erstaunliche Zuversicht und seine öffentliche Gelassenheit sind derzeit die einzigen unumstößlichen Werte im Herbststurm, welcher das prachtvolle Gebilde einer vermeintlich großen Mannschaft recht herzlos eingerissen hat. Diese Mannschaft, das hat ihr verzweifelter Auftritt von Bremen manifestiert, sie liegt in Trümmern, und niemand weiß wirklich, wie die Renovierung gelingen könnte, nicht einmal Oliver Kahn, gewöhnlich ein überzeugender Vertreter der Immer-weiter-immer-weiter-Theorie (…) Einen Fortschritt haben die Bayern in Bremen dennoch gemacht, einen kleinen: Sie lamentieren nicht mehr. Niemand verfluchte nach der angemessenen Niederlage durch die Tore von Daun und Krstajic übergeordnete Mächte. Die Münchner waren in allen Anklagepunkten geständig: Kahn hat nun endgültig zugegeben, dass er sich in einer Sinnkrise befindet und als Leitfigur derzeit nicht zu gebrauchen ist , und seine Kollegen hadern nicht mehr über vergebene Chancen. Weil es ja kaum welche gibt. Gegen den kompakten SV Werder, zuvor viermal nicht siegreich, sah man nach der Pause nur Hargreaves und Santa Cruz in einer Szene, die Puristen als Torgelegenheit durchgehen ließen. Der Rest wirkte wie das kalkulierte Bemühen, kein Disziplinarverfahren wegen Arbeitsverweigerung zu riskieren.“

Zur Diskussion um Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld wirft Wolfgang Hettfleisch (FR 4.11.) ein. „Dankbarkeit aber darf der leitende Angestellte nicht erwarten. Für einen Topklub wie die Bayern sind Trophäen schon am Tag, nachdem sie von glückstrunkenen Mannsbildern in den Himmel gestemmt wurden, kaum mehr als schmucke Staubfänger. Die Vergangenheit, in diesem Metier doch so oft und gern beschworen, ist nichts weiter als ein Steinbruch für wohlfeile Legenden. Er wird bevorzugt dann aufgesucht, wenn jemand schweres Material benötigt, um es einem anderen über den Schädel hauen zu können. Und so kann der November-Hitzfeld 2002 dieser Tage wahrhaftig seinem eigenen Mythos begegnen – in Stein gemeißelt, von anderen drohend über seinem Haupt geschwungen. Einer muss selbiges ja hinhalten, wenn die Dinge nach den überaus strengen Maßstäben der Bayern-Verantwortlichen aus dem Ruder laufen. Hatte nicht Hitzfeld freie Hand, anzuheuern, von wem auch immer er sich sportliche Rendite versprach? Hat nicht der 53-Jährige vor dieser Saison in Michael Ballack den torgefährlichsten deutschen Mittelfeldspieler und in Zé Roberto die höchste in der Liga verfügbare B-Note bekommen (…) Einem anerkannten Meister seiner Kunst, einem mit vielen Meriten und tadelloser Reputation, schießt man nicht auf offener Bühne in den Rücken. Da gibt es andere Möglichkeiten. Fortwährendes Geschwätz kann töten. Kaltblütiges Schweigen auch. Im Fußball und in etlichen fälschlich Redaktion geheißenen Garküchen drumherum sind derlei Techniken vertraut. Und Mathe-Lehrer Hitzfeld kann allemal zwei und zwei zusammenzählen. Was da um ihn herum läuft, ist die Inszenierung seines angekündigten Todes. Trainer-Mord auf Raten.“

Daniel Pontzen (Tsp 4.11.). „Die Sympathien der meisten Münchner gehören ohnehin 1860. Selbst in Zeiten, als der Marienplatz dem Meister zu Ehren alljährlich in tiefem Rot versank und Sechzig in der Bayernliga der SpVgg Plattling und dem TSV Ampfing trotzte, war das nicht anders. Auch der Vergleich der sportlichen Führung spricht derzeit nicht für die Bayern. Beckenbauer, nach der AG-Umwandlung aus dem Tagesgeschäft verdrängt, geißelt wortreichalles und jeden, der an der Säbener Straße Verantwortung trägt. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Manager Uli Hoeneß verweigern beharrlich Rückendeckung für den Trainer. Geordnete Kompetenzverteilung sieht anders aus. Etwa so wie bei 1860: Ein Organigramm der Entscheidungsgewalt beim TSV 1860 ließe sich mit einem Kreis und einem darin stehenden Namen darstellen. Mit dem von Karl-Heinz Wildmoser. Der Präsident, der für seine kickende Belegschaft regelmäßig charmante Kosenamen wie „Haubentaucher“ oder „Halberwachsene“ erfindet, herrscht in großmütiger Gutsherrenart an der Grünwalder Straße. Jüngst ließ er verkünden: „Der Peter Pacult, der kann doch froh sein, dass er einen Bundesligisten trainiert.“ Dabei macht Pacult – nimmt man Beckenbauers Forderungen zum Maßstab – seine Sache sehr manierlich. „Ich als Trainer würde es als große Herausforderung ansehen, mal einen jungen Spieler auszubilden und den in die erste Mannschaft zu bringen“, moserte der einstige DFB-Teamchef in Richtung Hitzfeld – ein Vorwurf, der Pacult kaum zu machen ist. Bedingungslos setzt der Österreicher auf junge Spieler wie Martin Stranzl, Remo Meyer und vor allem Benjamin Lauth, der bereits als nationaler Hoffnungsträger gehandelt wird. Owen Hargreaves und Roque Santa Cruz dagegen, erwiesenermaßen ausgestattet mit erheblichem Talent, haben selbst nach drei Jahren im Bayern-Kader noch keinen Stammplatz.“

Detlef Dresslein (Tsp 2.11.) beschreibt die Münchner Stadtmeisterschaft. „Es sind dies die Tage des stillen Genießens für alle Fans des TSV 1860 München. An der Säbener Straße, beim stets so superioren FC Bayern, findet ein Inferno statt, blamiert man sich sportlich wie administrativ. Und das ewig im Schatten stehende weiß-blaue Münchner Fußball-Unternehmen von der Grünwalder Straße ist derweil unbemerkt auf Platz drei der Bundesliga-Tabelle geklettert. Für gewöhnlich dürfen sich die Sechziger wie ein überflüssiges Anhängsel fühlen. Bestenfalls beachtet man sie, wenn es darum geht, ein neues Stadion zu bauen. Sonst wird der TSV 1860 vom FC Bayern ignoriert. Was ja fast schon schlimmer ist, als bekämpft zu werden. Aber im Gegensatz zu den Bayern hat der TSV 1860 in dieser Saison alles richtig gemacht. Und das mit weit weniger finanziellem Aufwand und ohne überhöhte Erwartungen zu wecken. Trainer Peter Pacult spricht nie vom besten Kader aller Zeiten. Ob er das ist, sei dahingestellt. Ein guter ist es auf jeden Fall.“

Thomas Becker (FR 2.11.) erkennt einen Emanzipationsprozess. „Diesen Möchte-Gern-FC-Bayern, die früher nur ins Fernsehen kamen, weil sie ein Rumpelstilzchen auf und vor allem vor die Trainerbank platziert hatten? Wegen ihres Präsidenten, der nicht nur eine Gaststätte hatte, sondern auch eine heftige, gern auch öffentlich schwankende Männerfreundschaft zu eben diesem Rumpel-Trainer? Die in den vergangenen acht Jahren (mit einer Ausnahme: Rang vier im Jahr 2000) stets im Tabellen-Niemandsland zwischen sieben und 14 landeten. Die lange vor allem wegen des kleinen, säbelbeinigen Ex-Weltstars und seiner untreuen Manager-Gattin in der Zeitung standen. Deren kaum mehr als 20.000 Fans wieder zurück ins kuschlig-baufällige Grünwalder Stadion wollen, bald aber mit den ungeliebten großkopferten Nachbarn vom FC Ruhmreich in den schon vor Grundsteinlegung gehassten Kaiser-Palast in Fröttmaning ziehen müssen. Dieser so offenkundig merkwürdige Verein scheint sich gemausert zu haben. Hat einen Trainer (meist auf der Bank), der zwar ein bisschen komisch redet (er ist Österreicher), sich aber nicht aufführt, sondern still seine Philosophie von Fußball umsetzt, statt wie ein Angeschossener durch die Gegend zu blaffen (…) Pacult, dem etwas zäh wirkenden Wiener, trauten viele nicht allzu viel zu. Zu lange hatte er als Co-Trainer unter Lorant gedient und wohl auch gelitten. So wundert es nicht, dass die Emanzipation langsam von statten ging. Doch wer sich heute den Löwen-Kader anschaut, findet darin Namen und Geburtsdaten, die es unter Lorant nie gegeben hätte.“

Martin Hägele (NZZ 4.11.) zum Spiel Werder-Bayern (2:0). „Wenn ein Goalie beim Herauslaufen die Kugelverfehlt, werden ihm die Folgen schon automatisch angekreuzt. Dass die Fehler und Aussetzer ihres Captains ausgerechnet in jener Phase treffen, da im Kader des FC Bayern nach Männern gesucht wird, die Verantwortung übernehmen, verschärft die eh schon kritische Situation noch mehr. Nun gibt es gar keine feste Grösse mehr, dafür jene Experten, die schon länger behaupten, Kahn, im Sommer zur überragenden Persönlichkeit der WM gewählt, habe seither nur noch seinen Kult und Status gepflegt. Statt jene Paraden zu zeigen, die den Gegner zermürben und das Selbstbewusstsein der Kollegen steigern. Umgekehrt kann solch ein Prozess fatale Folgen haben: Die Werder-Professionals haben nämlich keineswegs überragend gespielt. Doch das Gefühl, dass den Bayern diesmal ein Anführer fehlte, einer, der sich richtig gegen die Niederlage stemmt, machte sich schon bald auf dem Platz und auf den Rängen breit. Hitzfeld, Kahn und Co. steht nun eine harte Woche bevor. Alle werden sie nun an den trotzigen Parolen ihres Torhüters gemessen, der nach dem Aus in der Champions League verkündet hatte: „Jetzt zählt nur noch das Double.“ Teil eins des Saisonziels kann sich bereits am Mittwoch erledigen, wenn mit Hannover 96 und Goalgetter Bobic ein äusserst ambitioniertes Team im Olympiastadion aufkreuzt.“

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